21 Dinge, die Linus Volkmann vom Stefan-Raab-Comeback gelernt hat
Raabs Comeback im Quotentief. Volkmann kontrolliert den aktuellen Verwahrlosungsgrad der Show „Du gewinnst hier nicht die Million“.
Die Auferstehung ist durch. Der Staub von einer TV-Jesus-artigen Anmutung hat sich gelegt. Stefan Raab ist also wirklich zurück. Und im Zuge dessen sah sich wirklich viel aufgewirbelt – einerseits wegen des Ereignisses an sich und andererseits weil der gelernte Metzger natürlich auch ganz viel Staub angesetzt hat in seiner fast zehnjährigen Bildschirmabstinenz.
Heute – nach zehn Folgen „Du gewinnst hier nicht die Million“ – möchte ich resümieren, wie nachhaltig ist dieser TV-Dino-Hype und was kann er uns Menschen, die noch irgendwas merken, bedeuten?
Außerdem möchte ich auch nach meiner vorherigen aufreibenden Kolumne über Boykotte in der Clubkultur wieder etwas Ruhe hier in diese Textproduktion hineinbringen. Einfach mal ein freundlicher Feel-Good-Artikel, der zwischen Erstaunen (lies: Entsetzen) und Häme oszilliert. Aufgezogen sei er anhand der jüngsten Folge von Raabs wöchentlicher Sendung.
21 Dinge, die ich vom Raab-Comeback gelernt habe
01 Die Sache mit dem Alter, sorry!
Fakt ist, jede:r von uns ist in den vergangenen neun Jahren neun Jahre älter geworden. Allerdings wenn man sich (und andere) regelmäßig sieht, fällt einem der Alterungsprozess nicht so sehr auf. Bei dem neun Jahre konsequent absenten Stefan Raab musste man ihn jedoch innerhalb eines Augenblicks durchlaufen. Da stand er plötzlich als wäre wieder 2015. Dieser Eindruck wurde noch verstärkt, da der Ex-Viva-Moderator auch in seinem Klamottenstil komplett erstarrt ist … Daher habe sicher nicht nur ich mich auf eine Weise erschrocken, wie es einem sonst bloß noch bei einem Klassentreffen passiert. Doch zumindest hier kann ich Entwarnung geben: Nach einer gewissen Zeit kann man sich an Senior Raab gewöhnen. Ich zucke jedenfalls nicht mehr zusammen, sobald der reife, grinsende Mann von früher eingeblendet wird.
02 Das Logo
Das Logo von „Du gewinnst hier nicht die Million“ sieht aus wie eine Mischung aus einem Cremedosendeckel aus den Siebzigern und dem Fuck-Up mehrerer Schriftarten aus dem Instagram-Story-Besteck. Beide wurden ungeschickt zusammengemorpht und scheinen zu schreien: „Tötet mich!“
03 Der Stand-Up-Monolog zu Beginn
Dieser amerikanische Talkshow-Standard ist seit jeher Pferdefuß (lies: Ziegenhuf) deutschsprachiger Comedy. Meist ist man froh, wenn man ohne allzu viel Fremdscham aus dem gescripteten Animateurs-Gehubere rauskommt. Bei Raabs Show allerdings: Keine Chance. Stattdessen Pupillenschmerz vom Augenrollen und Abdrücke der eigenen Fingernägel im Oberschenkel.
04 Redundante Hate Speech verpackt als „Humor“
In den USA ziehen sich am Fuße der zweiten Trump-Amtszeit große Firmen aus Anti-Diskriminierungs-Vereinbarungen zurück. Währenddessen „kokettiert“ Stefan Raab mit „woken“ Sprechverboten. Die er – selbstverständlich – mannhaft für uns überwindet. Es gibt in der Show vier Witze über Ricarda Lang von den Grünen, die „Pointe“ ist jedes Mal einfach bloß ihr Körpergewicht. Spätestens an diesen Stellen frage ich mich, ob dieser Selbstversuch mit dem Abchecken seiner Sendung wirklich so eine gute Idee war.
05 Ich habe heute keine Rose für dich
Warum es zum Einstieg so viele „Witze“ über alte Leute gibt (Pointe: Sie sind alt), kapiere ich erst nicht. Dann wird klar, dass Raab offensichtlich Cross-Promo machen muss. Also angehalten wird vom Sender, auf das neue Format „Golden Bachelor“ (der date-willige Mann ist hier irgendwie 70, oder so) hinzuweisen. Richtig Bock scheint Raab auf so eine Reklamerolle wie immer nicht zu haben. Nach dem ganzen Fatshaming gönnt man ihm dieses Unbill natürlich sehr. Und auch ich fühle mich weniger schlecht, dass ich anfangs über ihn dachte „Himmel, ist der Typ alt geworden!“
06 Töröö! Der Mobbing-Express rollt
Wie sehr ein Eckpfeiler des Raab’schen Humors einfach bloß Mobbing ist, fällt vor allem dadurch auf, dass die meisten anderen Comedians zumindest im Habitus etwas dazugelernt haben. Raab panzert dagegen einfach weiter durch seine Einspieler, als wäre noch 2009. Wenn es nicht so scheiße wäre, wäre diese stuhlhaltige Zeitkapsel fast schon faszinierend. Es wirkt, als ob sich niemand in der Redaktion trauen würde, ihm zu sagen, dass Zeit vergangen ist.
07 Fun, Fun, Fun in der Nassmülltonne
Peter Maffay ist klein und Ossis sind doof. Einfach zum Piepen, oder!
08 Variante: Demütigung
Ein weiterer Einspieler greift auf, dass ein Gast beim ZDF-Frühstücksmagazin „Volle Kanne“ vom Abspann unterbrochen wurde, als sie gerade noch etwas zu ihren nächsten Live-Auftritten sagen wollte. Raab freut das und bietet höhnisch an, sie könne bei ihm den Satz fertig sagen – aber auch nur den, dann möge sie sich sofort verpissen. Hier scheint der „Gag“ nicht so sehr Mobbing, sondern einfach random Demütigung zu sein. Bin kurz davor das Awareness-Team anzurufen, um den Alten festnehmen zu lassen. Fürchte allerdings, es gibt bei RTL keines.
09 Auf die Tasten hauen
Statt wie früher auf einer Leiste am Schreibtisch einen Knopf zu drücken für einen kurzen Einspieler („Pulleralarm“), benutzt Raab dafür heute eine Fernbedienung, da er nicht mehr am Pult sitzt. Kleine Varianz, aber sieht extrem undynamisch aus – und jedes Mal denkt man, er will kurz seine Mails checken.
10 Okay, ganz sicher gewinnt hier niemand eine Million
Der Eindruck der titelgebenden Negativ-Aussage verfestigt sich, als es auch noch nach der Hälfte der Show überhaupt nicht um Geld oder Spiele geht.
11 Tor Drei … oder doch lieber die Kiste?
Wobei das nicht ganz stimmt, also dass es gar keine Challenges gäbe. Raab feuert lauter so Mini-Spielchen mit dem Publikum ab. Zuschauer:innen sollen Zungenbrecher aufsaugen, die wiederum an gnadenlos zufällig wirkende Reels oder TikToks angeschlossen sind. Dafür wedelt er mit einem 50-Euroschein vor ihren Gesichtern. Und selbst den gewinnt niemand. Show ist bis jetzt noch recht preiswert, wie mir scheint. Dafür wirkt Raab wie eines dieser tragischen Showmaster-Zerrbilder aus dem Verkaufsfernsehen – also Harry Wijnvoord oder Jochen Draeger von „Geh aufs Ganze“.
12 Könnte Stefan Raab auch Ballontiere knoten?
Wenn Raab noch länger diese hohlen Taschenspielertricks mit dem Publikum und seinem 50-Euro-Schein durchzieht, kann er sich eigentlich auch für Firmenfeiern buchen lassen. Zusammen mit diesem „Das wird man wohl noch mal sagen dürfen“-Humor könnte ich ihn mir gut bei der Weihnachtsfeier der Capitol vorstellen, also der fiktionalen Versicherung aus der Serie „Stromberg“.
13 Die Frage nach dem Warum?
Und immer wieder blitzt nicht nur bei mir die Frage auf: Warum genau macht Raab das nochmal? Um seine Legacy zu pflegen? Sicher nicht. Die nimmt hier viel eher Schaden, schließlich denkt man mindestens alle fünf Minuten einmal: „Interessant, auch Stefan Raab kocht also doch nur mit ganz lauwarmen Wasser.“ In der Verklärung einer ganzen Dekade ohne ihn hatte man ja mittlerweile zu glauben begonnen, er wäre einst im TV übers Wasser gegangen. Aktuell ist man eher froh, dass er sein eigenes überhaupt noch halten kann.
14 Stressig
Die Grundstimmung der Sendung, die insgesamt 90 Minuten verbraucht: Unentspannt – und latent ratlos.
15 Maschendrahtzaun
An einer Stelle, die so tut, als wäre sie selbstironisch, ohne es zu sein, erinnert Raab sich und uns an seinen Song „Maschendrahtzaun“. Ich bin kurz erleichtert, weil mir einfällt, den kann ich dann im Text einfach mal verlinken. Dann wirkt wenigstens dieser Artikel hier etwas bunter.
16 Windel
Aber apropos bunt: Wer hat bloß dieses Resterampen-Bühnenbild von „Du gewinnst hier nicht die Million“ verbrochen? Das besitzt in seiner Gesamtheit etwas von einem trashigen Hilfeschrei. Die verantwortliche Person kann sich gern bei mir melden, ich kenne gute Coaches – und no judgement von meiner Seite aus. Selbst wenn man dem Eindruck erliegt, für diese grelle Sperrholz-Kulisse dürfte vermutlich ein verhaltensauffälliger Schimpanse in neonfarbener Windel Sorge getragen haben.
17 Jeden Tag nur saufen
Spielleiterin Laura Wontorra kokettiert fast die ganze Zeit, in der sie das Mikrofon einnimmt, damit, dass sie privat sehr viel säuft. Das scheint mir didaktisch nicht besonders nah an einer wünschenswerten Aussage zu sein. Dennoch kann ich nicht umhin, mich erstmalig mit jemandem in dieser regressiven Shit-Show zu identifizieren.
18 „Da muss ich jetzt aber mal einhaken!“
An einer Stelle sagt jene Laura Wontorra, Raab könne sie ruhig anschreien, das sei sie gewohnt von männlichen Kollegen. Nachdem unzählige Witze auf Kosten von Frauen und Minderheiten gemacht wurden, hakt Raab nun doch mal ein. Denn dieser Diss gegen Männer scheint ihm zu weit zu gehen. Irgendwann ist es schließlich nicht mehr lustig!
19 Erkenntnisgewinn
Es gibt eine Bierpong-Bundesliga.
20 Antihelden in Strumpfhosen
Genauso notorisch wie verloren wirken die Überträge, die diese statische TV-Sendung hinzu Social Media schaffen will. Raab annonciert beispielsweise eine Miniclip-Turnreihe mit Follower-Millionärin Pamela Reif. Kann man bei Instagram mittlerweile nachgucken. Jedes neue Reel/TikTok hat halb so viel Aufrufe wie das davor. Superkurzatmiger Hype-Content, den die Welt nicht braucht. Der peinlich bemühte Crossover zwischen den Medien TV und Internet ist vermutlich das Trostloseste, was diese Sendung zu bieten hat. Davon dann aber wirklich sehr viel.
Mehr „Bin ich schon drin?“ geht 2024 nun wirklich gar nicht.
21 Am Ende bleiben Tränen
Ohne Not geht der „TV-Zampano“ (Apotheken Umschau) wieder in die Mühlen einer wöchentlichen Sendung: „Du gewinnst hier nicht die Million“ stellt dabei einen eitrigen Hybriden aus „Schlag den Raab“ und dem frühen „TV Total“ dar. Jedes einzelne Element ist bekannt, die einzige „Innovation“ besteht darin, artig auch Reels/TikToks einzubinden … wegen #zeitgemäß. Die Einschaltquoten haben sich – genau wie der eingangs zitierte Staub – bereits deutlich gelegt. Back to normal. Nachdem die Kinder von Stefan Raab bald aus dem Haus sind, geht Vati endlich wieder arbeiten. Seine reißbrettige Zombie-Show irrlichtert zwischen Publikums- und Selbstbestrafung. Zum Glück ist der „Raabinator“ (Sigmar Gabriel) unsympathisch wie eh und je, sodass sich auf jeden Fall kein Mitleid aufdrängt. Höchstens ein bisschen Häme für dieses gurkige Demontagen-Show. Aber natürlich nur ein kleines bisschen … [Diabolic laughter]
Was bisher geschah? Hier alle Popkolumnentexte im Überblick.