Titus Andronicus
The Most Lamentable Tragedy
Merge Records/Cargo VÖ: 7.8.2015
Ein unter einer bipolaren Störung leidender Punkrocker hat eins der besten Alben des Jahres geschrieben.
O-Ton Patrick Stickles, als seine Band im letzten Frühjahr mit Death Cab For Cutie auf Tour war: „We’re making a new album about the manic depressive experience – a.k.a. my life!“ THE MOST LAMENTABLE TRAGEDY ist dieses Album, und was für ein Album es geworden ist!
Auf THE MONITOR (2010), der überschwänglich rezensierten zweiten Platte von Stickles 2005 in Glen Rock, New Jersey gegründetem Bandprojekt Titus Andronicus, dienten die Wirrungen und die Gewalt des amerikanischen Bürgerkriegs als Metapher fürs Erwachsenwerden und die damit einhergehende Einsamkeit.
…TRAGEDY, eine Punkrock-Oper im Stile von Hüsker Düs ZEN ARCADE (1984) oder Green Days AMERICAN IDIOT (2004), erzählt in fünf, durch instrumentale Sequenzen markierten Akten, die Geschichte eines (Anti-)Helden, dessen Ängste und Zwänge sich in einem ihm äußerlich identischen Doppelgänger manifestieren. Dieser „Lookalike“ wirbt erst um die Gunst des Helden, nimmt dann dessen Platz in der Welt ein und lässt, flapsig gesagt, die Sau raus – Drogen, schnelle Liebe, sogar ein Mord wird erwähnt.
Die Texte sind wie immer brillant: bitterböse, belesen und vollgestopft mit Anspielungen (Shakespeare – auf dessen Tragödie „The Most Lamentable Roman Tragedy Of Titus Andronicus“ sowohl Band- als auch Albumname zurückgehen, obskure Punkrockbands, ältere Titus-Andronicus-Songs), aber man muss nicht mit aufgeschlagenem CD-Booklet dasitzen, um mitgerissen zu werden: Das tun die Thin-Lizzy-Gedächtnisriffs, die opulent-euphorischen Streicher (arrangiert vom umtriebigen Owen Pallett), die vom Ostküsten-Hardcore beeinflussten Gang Vocals („Lookalike“), die halsbrecherischen Tempowechsel, die rotzigen Replacements-Refrains („Fatal Flaw“), das Fingertapping-Solo in „I’m Going Insane“. Und ganz nebenbei schafft es Stickles, ein paar durch den Punk-Wolf gedrehte Coverversionen – Daniel Johnstons „I Lost My Mind“ und „A Pair Of Brown Eyes“ von den Pogues – nahtlos in den Flow des Albums und der Story einzufügen. Am Stück hören wird man dieses Album nur selten, aber mindestens einmal sollte man sich die Zeit nehmen – es lohnt sich.