Fehlfarben

Über … Menschen

Tapete/Indigo VÖ: 25. September 2015

Die Pioniere der NDW präsentieren sich diesmal recht entspannt.

Es wäre für Peter Hein wohl ein Leichtes und auch eine Freude gewesen, die Übel dieser Tage präzise zu benennen. Zum Beispiel das Finanzgesindel, den Griechenlandirrsinn, die moralisch verlauste FIFA, das unsägliche Massensterben im Mittelmeer, NSA oder all den religiös motivierten Terrorismus. Die Themen liegen ja zuhauf vor der Tür. Das Problem dabei: Haben sich Aufgeregtheit und politische Stürme erst einmal gelegt, dann droht einem Song, der sich so dicht an der Tagesaktualität orientiert, wegen des Verfalldatums die totale Flaute. Davon wollte die sechsköpfige Band, nun mit Thomas Schneider statt mit Uwe Jahnke an der Gitarre, Abstand nehmen. Das aber sind nicht die einzigen Neuerungen, die ÜBER … MENSCHEN von den beiden Vorgängern, GLÜCKSMASCHINEN (2010) und XENOPHONIE (2012), unterscheidet.

Statt zu Moses Schneider (Beatsteaks, Tocotronic, Turbostaat) ins Studio zu gehen und die Platte in nur wenigen Tage quasi live einzuspielen, nahm man sich nun Zeit, auch für Overdubs. Mal reiste man zum Keyboarder Kurt „Pyrolator“ Dahlke nach Berlin, mal an den Bodensee, wo Frank Fenstermacher mit seiner Frau ein Hotel führt. Im Winter bleibt es geschlossen, also wurden Zimmer 30 und 46 in Aufnahmeräume umfunktioniert. So verging ein Jahr, ehe die Songs von ÜBER … MENSCHEN eingespielt waren. Es gibt weder rumpeligen Rock zu hören noch hysterische (Schrei-)Anfälle von Sänger Hein, er hält seine Texte analog zu den nun songorientierten Stücke mit ihrem oft entspannten Sound allgemeingültiger. Reggae, Dub, Psychedelia, New Wave, akustische Elemente und Balladen tauchen in ihnen auf.

Dieser Kurswechsel bekommt dem abwechslungsreichen Album sehr gut, und Heins Texte bleiben trotzdem ein Genuss, zum Beispiel wenn er in „Schmerz Wut Genuss Mut“ singt: „Stärker als der Schmerz ist nur die Wut. Jammere nicht. Stärker als die Angst ist nur der Mut. Gräme dich nicht. Genießen wir einfach gemeinsam das Leben. Was bessres als hier, wo soll es das geben?“ Nicht dass Hein jetzt zahm geworden wäre, aber anstatt zum Beispiel die vielen Handyzombies, die autistisch durch die Gegend laufen, mit beißendem Spott abzustrafen, macht er sich einfach mal über sie lustig: „Mit der App in der Hand unters Auto gerannt. Mit Beats auf den Ohren, das Leben verloren.“ Von der Alters­milde sind Fehlfarben also genauso weit entfernt wie von einem musikalisch eingeschränkten Horizont.