Julia Holter

Have You In My Wilderness

Domino/GoodToGo VÖ: 25 September 2015

Die 30-Jährige macht jetzt Pop, Julia-Holter-Pop, Songs, die weiterhin der Avantgarde verpflichtet bleiben.

Beweisaufnahme für die schleichende Popstar-Werdung der Künstlerin Julia Holter anhand ihrer Plattencover. Einmal war es eine Collage aus antiken Versatzstücken, einmal eine abstrakte Fotografie, und einmal ist die Künstlerin sogar selbst zu sehen. Aber auch da, auf dem Cover ihres zweiten Albums, EKSTASIS, wirkt das verhuschte Schwarz-Weiß-Foto mit Julia Holter in einem Park vor einer Statue vielmehr wie die optische Legitimation des Inhalts der Platte als ein Versuch, ihre Person in den Mittelpunkt zu rücken.

Und jetzt das Cover ihres vierten Albums, HAVE YOU IN MY WILDERNESS. In einem instagram-würdigen Setting steht die Künstlerin gut sichtbar wie ein spätes College-Girl vor einer minimalistisch dekorierten Wand, ihr Name gut zweimal so groß gedruckt wie auf den Plattenhüllen davor. Stellt Julia Holter jetzt ihre Person vor ihr Werk? Gleich werden Sie sagen, die 30-Jährige hätte ein Pop-Album gemacht. Aber so einfach ist das immer noch nicht.

Julia Holter hatte von Anfang an Pop von einer Avantgardeposition aus verhandelt – freilich nie wieder so radikal und erfrischend wie auf ihrem Debütalbum, TRAGEDY aus dem Jahr 2011. Von Album zu Album bewegte sich die heute 30-Jährige fort von den Ambient­texturen, den nicht identifizierbaren Field-Recordings, den Atmosphären und Flächen hin zu einer Musik-Musik, die nicht mehr aus dem Laptop kommt, sondern von „echten“ Musikern gespielt wird. Und: Julia Holter hatte auf jedem Album ein übergeordnetes literarisches Thema gebraucht für ihre musikalischen Erzählungen: die griechische Mythologie, Virginia Woolf, Frank O’Hara, Colette. Auch dieses Oberthema fehlt hier, ihr viertes Album ist einfach ein Album.

Nichtsdestoweniger bleibt HAVE YOU IN MY WILDERNESS der Avantgarde verpflichtet, nicht nur wegen Holters Attitüde – auch musikalisch, instrumentell und strukturell. Julia-Holter-Musik ist eben nicht everybody’s dream pop. In „How Long“ zum Beispiel sprechsingt Holter über einen Teppich aus Streichern und einem solitären akustischen Bass wie Björk zu ihren besten Zeiten. Wie Pop soll das sein? Auf jeden Fall nicht so gut geeignet für die Beschallung aus dem Handylautsprecher auf der S-Bahn-Fahrt nach Marzahn. Wir erkennen auf Holters viertem Album eher die Hinwendung zu klassischen Arrangements („Night Song“) im Niemandsland zwischen Romantik und Neuer Musik. Dann wiederum gibt es auf dem Album Nettigkeiten wie „Everytime Boots“, für Holters Verhältnisse fast schon ein Novelty-Song, der aber mit der entsprechenden Marketingmacht zu einem Monsterhit werden würde. Aber wer würde das schon wollen?