Hirnflimmern: Josef Winkler über die DJ-Ader eines Vaters
Popkulturell hochnäsig wie gewohnt, informiert Josef Winkler über seine erzieherischen Erfolge.
Öfter als nicht besteht derzeit die Notwendigkeit, meinen Sohn bei Laune zu halten, besser: ihn überhaupt auf ein ansatzweise erträgliches Laune-Level zu hieven. Es ist die fürchterliche Trotzphase, die Zeit, in der Leute um die zwei sich ihrer selbst bewusst werden und ihren eigenen Willen entdecken, was sich voll unterstützenswert anhört, weswegen es mich doch wundert, dass ein so positiver Prozess mit solcher Barbarei einhergehen muss.
Auf die Gefahr hin, dass sich jetzt beim Leserbriefschreiber Andre M. über mich noch weiter der Eindruck eines manipulativen Horrorvaters vertieft, der seinen Kindern aus „popkultureller Hochnäsigkeit“ (huch!) heraus die natürliche Entwicklung hin zu einem fundierten Scheißmusikgeschmack verwehrt, indem er sie mit guter Musik konfrontiert, statt sie mit der von der freien Marktwirtschaft für sie vorgesehenen Hirnerweichungsmasse abzufüllen, möchte ich noch einmal mit popkultureller Hochnäsigkeit darauf verweisen, dass sich mein Sohn gern mit Musik der tollen Band The Beatles in gute Laune versetzen lässt.
„Sollen wir Musik hören?“, rufe ich ohne Hoffnung in das Getöse eines abermaligen rätselhaften Wutanfalls hinein. „Ja.“ Wah! Er hat „ja“ gesagt! Jetzt gaaaanz vorsichtig weitertasten. Bloß keinen Anlass zu weiterem Missmut geben. „Beatles?“ – „Ja. Hast du ‚Chains‘ in deinem Computer?“ Äh, bitte was? „,Chains‘!“ Ich möchte jetzt nicht so weit gehen und eine Kausalität behaupten dazwischen, sein Kind – auch popkulturell – nicht wie einen minderbemittelten Deppen zu behandeln und seiner Fähigkeit, mit zweieinhalb Jahren grammatisch vollständige DJ-Beömmelungsfragen zu formulieren. Auf jeden Fall schmeichelt es der verkümmerten DJ-Ader, wenn sich mal wieder wer konkret ein lässiges Lied bei einem wünscht – da spielt man es dann gern auch elfmal hintereinander.
Letztens wurde ich nach langer Zeit mal wieder gefragt, ob ich auf eine Party „ein bisschen Musik mitbringen“ könne. Schon blubberten Fantasien in mir hoch – oho! Der Fete würde ich Gas geben! Nicht einmal die notorischen Küchenrumsteher würden gefeit sein gegen die Zugkraft meines mit kundiger Hand abgefeuerten Arsenals abgehangener Spitzenhits und sich willenlos tanzend in meinem Bann wiederfinden … Und ja, sie tanzten! Also: Vier der sieben Personen, die den Weg in den Keller(!) fanden, wo der Gastgeber die „Tanzfläche“ geplant hatte, tanzten. Ausgelassen gar – bis ihnen die Luft ausging, was bei Leuten meiner Altersstufe nach 35 Minuten schon mal vorkommt. Sie gingen rauf, „Pause machen“, und kehrten nie zurück. Später fand ich sie bestens integriert unter den Küchenrumstehern, die ihre Minianlage ausgeknipst hatten, weil mein einsames Gedudel im Keller als Plauderbackground völlig reichte. Aber ach. Für künftige DJ-Kicks halte ich mich wohl besser an jüngere Leute. Es gibt ja DJs, die erziehen sich ihr Publikum. Andere müssen sich selber eins großziehen.