Seine letzte Rolle: Ein Nachruf für Scott Weiland


Scott Weiland, der als Sänger der Stone Temple Pilots und von Velvet Revolver bekannt war, ist mit 48 Jahren gestorben. Er war ein charismatischer Frontmann, ein begnadeter Sänger und Künstler – auch wenn er es einem schwer machte, das anzuerkennen.

Der Auftritt, den die Welt sehen sollte, findet sich auf YouTube. Die Stone Temple Pilots live beim Rolling Rock. Vor der Bühne sind die Menschen zu einem schwitzenden, schreienden Klumpen verschmolzen. Auf der Bühne plustert sich ein feuerroter Gockel mit wasserstoffblondem Haar auf: Scott Weiland. Er wirbelt herum, tänzelt auf den Zehenspitzen, zieht die Schultern keck nach oben wie eine Drag Queen. Sein Oberkörper glänzt, nackt und dürr, und sein Kopf scheint gleich zu explodieren, als er die Worte ins Publikum speit: „I’m not dead and i’m not for sale!“

Man sollte diesen Auftritt sehen, weil er viele Facetten von Scott Weiland zeigt, die über die Jahre in Vergessenheit gerieten oder nie wirklich gesehen wurden: seinen  Furor, sein Charisma, seine Hingabe, diese mächtige Stimme. Unter den vielen großen Sängern seiner Generation war Weiland der wandelbarste. Er sang schmierig und rau, changierte mühelos zwischen Rock, Blues und dem Great American Songbook, zwischen Bowie, Lennon und Cobain, die er gleichermaßen bewunderte. Er war unersetzlich für seine bedauernswerten Bandkollegen, die ihre Karriere wieder und wieder auf Eis legen mussten, wenn Weiland seiner größten Leidenschaft neben der Musik nachging: den Drogen.

Es ist die ewige  Rock-’N’-Roll-Tragödie: Sie beginnt damit, dass ein junger Mann zu früh vom Erfolg geküsst wird. Als die Stone Temple Pilots 1992 ihr Debütalbum CORE veröffentlichten, war Weiland gerade erst 24. Die Platte erschien ein Jahr nach TEN von Pearl Jam und NEVERMIND von Nirvana und kletterte im Fahrwasser dieser beiden Bands bis auf Platz 3 der Billboard Charts – für die Stone Temple Pilots Segen und Fluch zugleich. Den Ruf der Grunge-Kopisten wurden sie nicht mehr los. Auch wenn sie sich schon mit ihrem zweiten Album PURPLE (1994) in ganz neue Richtungen entwickelten: Bluesige Slide-Gitarren und sommertrunkene Refrains waren da zu hören, eine Zeppelin-eske Akustikballade und „12 Gracious Melodies“, der beste Swing-Song, der sich je am Ende einer Platte versteckte.

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PURPLE verkaufte sich sechs Millionen Mal, die Band war auf dem Höhepunkt. Und da begannen die Schwierigkeiten. Weiland, der schon in der High School hin und wieder Kokain geschnupft hatte, fing an, Heroin zu spritzen. 1995 wurde er zum ersten Mal wegen Crack-Besitzes verhaftet. Später schloss er sich einen Monat lang mit Courtney Love in einem Hotelzimmer in L.A. ein, um Drogen zu nehmen. Irgendwann hatte er sein gesamtes Vermögen verschleudert. „Für einen Zug an einer Crack-Pfeife hätte ich Schwänze gelutscht“, sagte er einmal.

Er sprang dem Tod mehr als einmal von der Schippe. Seine vielen Versuche, clean zu werden, scheiterten aber daran, dass es ihm nie so wirklich ernst damit war, die Drogen aufzugeben. Er liebte diesen Lifestyle, das Geld, die Partys, die Models. Wie sehr das für ihn dazu gehörte, zeigt das dümmlich-testosteron-geladene Video zu „Fall to Pieces“ (2004), seiner zweiten, dümmlich-testosteron-geladenen Band Velvet Revolver. Verzweifelt bricht Weiland darin zusammen. Das Herz gebrochen, irgendwelche Substanzen im System. Dann kommt sein Bandkollege und Männerfreund Duff McKagan, schleift ihn hinter die Bühne und prügelt ihm Vernunft ein. Das Ganze wirkt wie der feuchte Rock-’N’-Roll-Traum eines 15-Jährigen. Jedenfalls schien es nicht, als hätte Weiland ein ernstzunehmendes Problembewusstsein für seine Sucht entwickelt.

Überhaupt war das Projekt Velvet Revolver ein Schritt in die falsche Richtung. Nachdem die Stone Temple Pilots 2003, entnervt von Weilands ständigen Eskapaden, zum zweiten Mal die Band auflösten, machte er es sich einfach. Als Ersatz-Axl-Rose nahm er mit den ehemaligen Mitgliedern von Guns N’ Roses die Abkürzung zurück auf die großen Bühnen. Die Musik war uninteressanter Blues-Rock, aber das schien egal. Weiland musste Geld verdienen, um Alimente für Ex-Frauen und Kinder zu bezahlen. Künstlerischen Ambitionen ging er allenfalls als Solo-Künstler nach, etwa auf dem großartigen 12 BAR BLUES (1998) und dem zumindest bemühten „HAPPY“ IN GALOSHES (2008).

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Am Ende hatte sich Weiland mit allen überworfen. Mit den Stone Temple Pilots, die ihm nach einer dritten Reunion endgültig die Tür zeigten und seitdem mit Chester Bennington von Linkin Park ihr Glück versuchen. Und mit Velvet Revolver, die irgendwann auch keine Lust mehr hatten, das alte Axl-Rose-Drama weiter durchzuspielen. Also griff Weiland zu wirklich erbärmlichen Mitteln, nahm ein Weihnachts- und ein Cover-Album auf und ging alleine auf Tour, um vor hartnäckigen 90er-Jahre-Nostalgikern CORE aufzuführen.

So lange er lebte, musste er sich den Vorwurf anhören, andere Musiker zu kopieren. Zuerst klang er wie Eddie Vedder, dann legte er Rob Halfords Lederkluft an. Im Video seiner Solo-Single „Barbarella“ gab er David Bowies Mann, der zur Erde fiel.  Weiland spielte diese Rollen mit Leichtigkeit, aber er fand zu selten seine eigene Identität darin.  Und ganz am Ende, da erinnerte er nochmal an einen großen Musiker. Allerdings unfreiwillig. Wie er mit seiner letzten Band, den Wildabouts, auf der Bühne stand, da wirkte er wie Brian Wilson. Verloren und steif, die Schultern hochgezogen, als könnte ihn die nächste Brise umwerfen. Ein Geist, der nicht mehr in seinen Körper zurückfand. Musikmagazine belustigten sich darüber, dass er die Töne nicht mehr traf. „I don’t give this guy a year“, schrieb ein User im Juni unter ein YouTube-Video von einem besonders desaströsen Auftritt.

Leider stimmte diese kalte Prognose. Ob Weiland wieder mit den Drogen angefangen hatte oder ob er einfach an den Spätfolgen seiner jahrelangen Such gelitten hatte, wissen wir noch nicht. Doch diesmal war er fertig. Alle seine Leben waren aufgebraucht. Genesung ausgeschlossen.

Mit 48 Jahren ist Weiland gestorben. Zu spät, um wenigstens den Ruhm der tragischen Helden seiner Zeit zu ernten, dieser kaputten Generation um Kurt Cobain, Layne Staley und Andrew Wood, die sich aus Leidensdruck und Lebensdurst systematisch zu Tode spritzten. Zu früh, um sich mit seinen Freunden und Weggefährten auszusöhnen. Er konnte sich nicht noch einmal als der große Künstler beweisen, der er einmal war, aber man kann ihn in seinem frühen Werk finden. Behalten wir Scott Weiland so in Erinnerung,  zornig seinen Dämonen trotzend, neugierig seinen Idolen nacheifernd. Mit einer unbändigen Liebe für Rock ’N’ Roll. Not dead and not for sale.