Meinung

Warum der Kinostart von „Deutschland. Dein Selbstporträt“ ein Betrug an der Generation YouTube ist


Aus Hunderten Videoschnipseln von Privatpersonen hat Sönke Wortmann einen Film zusammengeschnitten. Dass dieser überhaupt im Kino startet, entspricht nicht der Generation, die hier porträtiert werden soll.

Der 20. Juni 2015 war der Stichtag. An diesem Tag sollten sich die Deutschen filmen. Ihr Leben und in der Masse das gesamte Land dokumentieren. Die Clips gingen am Ende an Sönke Wortmann und sein Team. Es wurde gesichtet, aussortiert, danach geschnitten. Und jetzt kommt „Deutschland. Dein Selbstporträt“ in die Kinos. Was nach einem innovativen, volksnahen und emotionalen Konzept klingt, entpuppt sich bei genauer Betrachtung allerdings nur als ein lukrativer Deal für die Verantwortlichen. Die Generation YouTube darf sich durch den Kinostart gern betrogen fühlen.

Wortmann ist einer der besten Regisseure Deutschlands, daran besteht kein Zweifel und das bleibt auch weiterhin so. Seit „Das Wunder von Bern“ scheint sich Sönke Wortmann allerdings nicht nur als Fußball-, sondern auch Deutschlandversteher mit Kamera zu sehen. 2006 folgte seine Dokumentation „Deutschland. Ein Sommermärchen“, die auf Film eingefangene WM-Euphorie.

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Wenn jetzt Wortmanns Porträt der Nation im Kino startet, ist das Datum sicher kein Zufall. Wenige Tage nach dem EM-Finale, das Deutschland im Idealfall nicht nur für Fußballfans, sondern dann auch für den Verleih Warner Bros gewonnen hätte. Das Premierendatum legt eine berechnende Denke der Macher von „Deutschland. Dein Selbstporträt“ nahe: Die Nation hätte sich berauscht vom Erfolg des Nationalteams natürlich liebend gern einen Film über die Nation angesehen. Und dann ausgerechnet noch von Wortmann, der hat ja immerhin schon so volksnahe Streifen über Schland und Fussi abgeliefert. Der Kinostart am 14. Juli zielt dermaßen auf vermeintliche EM-Glücksgefühle, dass man Warner Bros die zwei Tore von Antoine Griezmann im Halbfinale fast schon gönnt.

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Das allein ist nun nicht wirklich unstatthaft, nur ist auch der Film selbst ein plumpes Plagiat. Bereits 2010 rief YouTube gemeinsam mit „Alien“-Regisseur Ridley Scott dazu auf, Videos von überall auf dem Planeten hochzuladen. Das Ergebnis: „Life in a Day“, kuratiert von Scotts Produktionsfirma. Die Idee zu „Deutschland. Dein Selbstporträt“ ist also keineswegs neu… aber auch das ist an dieser Stelle nicht das eigentliche Problem, da der Film auch nicht als innovative Idee beworben wird. Neuartig ist nur, dass ein Film aus User-Material von einem Verleih im Kino verwertet wird, als würde es sich um einen „normal“ produzierten Film handeln.

Wortmann auf der Premiere des Films.
Wortmann auf der Premiere des Films.

Und hier offenbart sich der entscheidende Unterschied zwischen Wortmanns Projekt und „Life in A Day“, der zwar über fünf Jahre älter ist, aber den Zeitgeist schon damals besser aufgenommen hat als „Deutschland. Dein Selbstporträt“. Scotts Film, der nicht nur ein Land, sondern die halbe Welt einfing, erschien direkt nach seiner Premiere in Sundance auf YouTube, war also für jedermann zugänglich. Dieses Konzept der Veröffentlichung scheint nur fair. Das Material für den Film wurde immerhin auch gratis von Menschen aus aller Welt bereitgestellt. Als der Film bereits Monate auf YouTube verfügbar war, erschien er noch in einigen Kinos und spielte etwas Geld ein. Der Release war mehr ein Bonus für Menschen, die den Film unbedingt auf der großen Leinwand und nicht am Computer schauen wollten – die Zuschaueranzahl war dementsprechend gering.

Wortmann und sein Team wollen nun Deutschland im YouTube-Zeitalter einfangen und bringen zu diesem Zweck YouTube-Clips ins Kino. Zeigen kostenlos erhaltenes Material von Hobby-Filmern und verpassen ihm durch das Kinoticket einen Preis. Den Hunderten, die Wortmann Videos schickten, war das zwar bewusst, ihnen ging es ersichtlich nicht um Profit (100 Euro gab es als Vergütung), sondern um Selbstdarstellung und den Spaß am Projekt. Dass Warner Bros. und Wortmann „Deutschland. Dein Selbstportät“ aber wie einen normalen Kinofilm vertreiben, zeugt davon, dass sie Deutschland, und die hier zu porträtierende Gesellschaft, die bereits zu „Life in a Day“-Zeiten der Generation Social Media angehörte, schlichtweg nicht verstanden haben oder es nicht wollen.

Hätten sie es, dann würde „Deutschland. Dein Selbstporträt“ jetzt bereits in voller Länge auf YouTube und Facebook zu sehen sein. Wortmann und sein Verleih hätten damit genauso viel Mut und Gemeinsinn gezeigt wie die Menschen, die ihm vor einem Jahr ihre intimen Videos anvertraut haben.

Den kompletten Film „Life in A Day“ könnt Ihr Euch übrigens direkt hier anschauen:

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Warner Bros.