Annie Lennox
Name: Lennox Vorname: Annie Geburtstag: 25. 12. 1954 Geburtsort: Aberdeen Größe: 170 cm, Farbe der Augen: Grau-Blau, Unveränderliche Kennzeichen:
Die in klassischer Musik ausgebildete Schottin ist immer aus dem Ei gepellt. Sie haßt Fehler und ist ein Musterbeispiel an Disziplin und Aufrichtigkeit. Mit Eurythmics-Partner Dave Stewart teilt sie eine unverhohlene Leidenschaft für frühen Soul und Rhythm & Blues, was besonders beim letzten Album Be Yourself Tonight offenkundig wird. Von der braven Musikstudentin zum internationalen Weltstar hat Miss Lennox eine unorthodoxe, wenn auch nicht immer unproblematische Karriere hinter sich. Demnächst erscheint sie neben AI Pacino, Donald Sütherland und Nastassja Kinski auch auf der Leinwand in Hugh Hudsons Film „Revolution“.
ME/Sounds: Warum gab es eigentlich so viele Probleme vor diesem Interview?
Annie: „Wir haben einfach alle Hände voll zu tun. Ein solches Gespräch sollte nicht gehetzt und zwischen Tür und Angel stattfinden, schließlich bemüht man sich, sorgfältige Antworten auf entsprechende Fragen zu geben.“
ME/Sounds: Also mußt du dich grundsätzlich nicht dazu überwinden, ein Interview zu geben?
Annie: „Es macht mir vorher Kopf zerbrechen, weil ich meist nicht weiß, wen ich zu erwarten habe. Ich kenne die Menschen lieber, mit denen ich mich unterhalte.“
ME/Sounds: Legst du deshalb bei deinen Auftritten in der Öffentlichkeit auch so viel Wert auf ein perfektes Aussehen?
Annie: „Natürlich. Mit seinem Aussehen gibt man ein Statement über sich ab. Im Grunde sind Kleider natürlich eine zweitrangige Angelegenheit, aber wenn man nicht aufpaßt, bekommt man schnell ein ungewolltes Image verpaßt. Deshalb ändere ich mein Äußeres auch so gerne – so wie eine Schlange sich häutet.“
ME/Sounds: Eine Schlange, die sich mit äußerster Disziplin häutet. Bist du immer dermaßen organisiert und perfektionistisch?
Annie: „In einigen Bereichen muß ich mich einfach disziplinieren und organisieren; auf jeden Fall, wenn ich arbeite! Dave sprudelt permanent über vor Ideen, er springt von einem Punkt zum anderen. Durch mein Organisations-Talent kommen wir erst auf den richtigen Nenner, sonst würden wir ewig lange an Details herumdoktern.
Allerdings gerät mir mein Gefühlsleben manchmmal außer Kontrolle; das kommt und geht phasenweise. Am schlimmsten war es nach dem Zusammenbruch der Tourists, unserer früheren Gruppe: Ich heulte unaufhörlich und hatte panische Platzangst. Die Kritiken und auch die Fans hatten uns ja am Ende förmlich geschlachtet.
Komischerweise kann ich andere Menschen durchaus verletzten, aber wenn mir das passiert, halte ich’s nicht aus.“
ME/Sounds: Das scheint inzwischen ja offensichtlich überwunden zu sein…
Annie: „Ja. Im Grunde muß man wohl den bewußten Entschluß fassen, erwachsen zu werden. Ich sehe das Leben heute als eine zeitlich begrenzte Periode, die man so bewußt und so positiv wie möglich erleben sollte.“
ME/Sounds: Laß uns über die Band reden. Zwischen unserem ersten Interview im Frühjahr ’83 und dem heutigen liegt ein gewaltiger Aufstieg, nicht zu vergessen eine Mammut-Tournee, 175 Konzerte in 18 Monaten, vor allem in den USA. Das letzte Album steckt denn auch voller amerikanischer Einflüsse. Hätten die Eurythmics es auch ohne Amerika geschafft?
Annie: „Amerika hat uns auf sehr positive Art beeinflußt, weil es uns aus diesem beschränkten Denk-Konzept rausgerissen hat, das dein Handeln unweigerlich bestimmt, wenn du immer nur in deinem Land bleibst. All diese Reisen, nicht nur durch Amerika, sondern in fast alle Länder dieser Welt, das beeinflußt dich natürlich. Deine Ansichten bekommen eine neue Weite und das verändert dich, weil du für die Welt als Ganzes eine völlig neue Perspektive gewinnst.
Amerikanische Musik hat uns durch Rock’n’Roll, Rhythm & Blues und selbstverständlich Soul beeinflußt; das alles kommt schließlich aus den Staaten. Dann tatsächlich in dem Land zu sein, amerikanische Menschen zu treffen, US-Radio zu hören das hat uns eigentlich erst gezeigt, wie europäisch wir tatsächlich sind. In amerikanischen Ohren klingen wir jedenfalls typisch europäisch.“
ME/Sounds: Die Älteren kennen diese Einflüsse ja noch aus den Kindertagen. Wie aber ist es mit den heute 16jährigen, die Soul allenfalls durch Paul Young kennenlernen? Wollt ihr diesen Kids den klassischen Soul pädagogisch näherbringen – oder ist diese LP eine private Verbeugung vor dem musikalischen Erbe ?
Annie: „Natürlich zollen wir gerne einen Tribut an die Soul-Musik – einfach, weil sie uns so weitreichend inspiriert hat.
Was die Jüngeren betrifft: Diejenigen, die wirklich Interesse daran haben, die suchen sowieso nach alten Sachen und wissen eh Bescheid. Wenn jemand Musik liebt, interessiert er sich auch für die Wurzeln dieser Musik.
Unser Publikum ist aber ohnehin weit gefächert. Es gibt Mütter, die mir stolz erzählen, daß ihre Babies im Kinderwagen rumhüpfen, wenn sie unsere Musik hören. Und es gibt sogar Oldtimer um die 60, die unsere Musik mögen und in die Konzerte kommen.“
ME/Sounds: Ihr habt schon immer einen Das Interview wird viermal verschoben; zum wiederholten Mal heißt es, sie habe Probleme mit ihrer Stimme. Hinter vorgehaltener Hand flüstert man allerdings von einer Depression. Boulevard-Blätter kennen den möglichen Grund: Nach knapp einjähriger Ehe ließ sich Miss Lennox unlängst von dem deutschen Hare Krishna-Jünger Radha Raman scheiden. Doch dann die große Überraschung: Gut gelaunt und selbstbewußt, amüsant und ehrlich steht Annie Lennox Rede und Antwort beim klassischen englischen Tee-jeder Zoll der geborene Star, (gg) Soul-Klassiker in eurem Programm gehabt, „Wrap It Up“ von Sam und Dave. In Los Angeles kam Sam dann tatsächlich auf die Bühne und hat mit dir zusammen gesungen.
Annie: „Man hatte uns vorher angedeutet, daß er kommen würde – und ich hatte fürchterlichen Schiß. Der Mann hat eine unglaubliche Ausstrahlung, eine unbeschreibliche Energie. Er sagt hinterher tatsächlich zu mir: Mädchen, du singst wie Aretha.‘ Das war zwar sehr nett, aber ich weiß natürlich, daß es nicht stimmt.“
ME/Sounds: Du hast dann aber bei „Sisters Are Doing It For Themselves“ tatsächlich mit Aretha Franklin zusammen gesungen…
Annie: „Wir sind zu ihr nach Detroit geflogen. Was für eine Ehre! Außerhalb des Studios auf einer Treppe haben wir ihr den Song auf einem Ghetto-Blaster vorgespielt. Es ging alles spielend leicht. Die Frau raucht und trinkt und hat trotzdem diese Wahnsinns-Stimme, ohne im Laufe der langen Jahre auch nur ein Fünkchen davon einzubüßen. Das wäre bei mir unmöglich.“
ME/Sounds: Dann seid ihr nach Los Angeles geflogen, um für “ There Must Be An Angel“ den Harmonika-Part mit niemand Geringerem als Stevie Wonder aufzunehmen.
Annie: „Stevie war einer meiner ganz frühen Helden – ein großartiger Musiker und wundervoller Mensch. Bei den Aufnahmen gab es immer Nebengeräusche, die David und den Ton-Ingenieur in den Wahnsinn trieben. Bis Stevie sich dann irgendwann grinsend eine riesige Mütze über seine perlenklirrenden Zöpfe stülpte.
Der Song ist ziemlich schwer zu singen, man braucht sehr viel Atem und Kraft.“
ME/Sounds: Nimmst du inzwischen eigentlich Unterricht in Gesang- und Atemtechnik?
Annie: „Das war einfach notwendig, um durchhalten zu können. Und es wird noch notwendiger, wenn ich an eine Tournee denke. Erinnere dich an Frank Sinatra, wie lange er trainiert hat, um diese fantastische Atemtechnik zu entwickeln. Es ist unglaublich, wie lange er auf dem Höhepunkt seiner Karriere mit einem Atemzug durchhalten konnte, ohne sich auch nur ansatzweise verausgaben zu müssen.
Mittlerweile verlangen unsere Songs gesanglich auch ein dermaßen hohes Niveau, daß ich ohne Training nach einem Monat erste Probleme bekäme. Im Grunde ist es sogar schon anstrengend, dieses Interview zu geben, ich meine für meine Stimmbänder. „
ME/Sounds: Wie erklärst du dir, daß die Eurythmics zu jenen Gruppen gehören, die man entweder abgöttisch verehrt oder überhaupt nicht mag ohne jeglichen Schattierungen dazwischen?
Annie: „Wenn man Dinge tut, die sich am Rande des Üblichen bewegen – und wenn man das mit totaler Leidenschaft tut, dann gibt es ebenso extreme Reaktionen. Machst du hingegen durchschnittliche Konsum-Musik, sind die Reaktionen dementsprechend indifferent. Es gab ja auch Leute, die John Lennon zeitlebens entweder haßten oder liebten, oder David Bowie verehrten oder verachteten. Aber niemand sagte
achselzuckend: Naja, ganz o.k. Extreme Dinge rufen halt extreme Reaktionen hervor. Unsere Musik geht extreme Wechsel durch. Ich habe sicher auch keine durchschnittliche Stimme; hör dir nach Julia‘ mal direkt ,Would I Lie To You‘ an.“
ME/Sounds: Eine extreme Reaktion erfolgte ja auch auf deinen Auftritt bei den Grammy Awards 1984. Wie in dem Video „Who’s That Girl“ bist du als perfekter Zuhälter verkleidet auf die Bühne gegangen…
Anme: „Der Vorhang war unten, wir gingen auf unsere Positionen. Der Bühnen-Manager hielt verzweifelt Ausschau nach mir, so gut war ich verkleidet. Als er mich erkannte, brach er in hysterisches Gelächter aus. John Denver sagte uns an, der Vorhang ging hoch – und er fiel fast in Ohnmacht!
Normalerweise gehst du auf die Bühne und kennst niemanden im Publikum. Da saßen aber in der ersten Reihe nur bekannte Gesichter: Grace Jones, Bob Dylan usw.
Anstatt uns nun bei dem Song ruhig zuzuhören, fingen sie an zu gestikulieren und diskutieren, ob wir wohl völlig übergeschnappt seien. Als der Song vorbei war, klatschte kein Mensch, alle redeten aufgeregt durcheinander. Also drehten sie Applaus vom Band auf.
Ich war so sauer, daß ich von der Bühne raste, den Monitor-Mischer anschrie und fast umrannte. Der Typ muß den Schock seines Lebens gekriegt haben! Ich sah aus wie ein Kerl, benahm mich auch so, klang aber ganz offensichtlich wie eine Frau!“
ME/Sounds: Aber im Privatleben rastest du nicht so aus?
Anme: „Im Gegenteil. Ich gehe nicht mal häufig aus, weil mir das absolut keine Befriedigung bringt. In Discotheken zu gehen, finde ich unsäglich anstrengend; ich leide unter dem Qualm, dem Krach, unter dem manirierten Gehabe, das ist ein Markt für Menschenfleisch.
Früher war das anders, da erfand ich tausend Gründe, um ausgehen zu können. Heute habe ich nach dem Besuch eines Clubs den Eindruck, daß die Leute an der Garderobe nicht nur ihre Mäntel, sondern auch ihre Intelligenz abgegeben haben. Das hat nichts mit dem wirklchen Leben zu tun. Schlafen gehen ist da weitaus realistischer.“
ME/Sounds: Bei den ersten, noch kleineren Konzerten der Eurythmics bist du häufig angesichts unaufmerksamer Leute im Publikum in Rage geraten. Hat sich das auch geändert, oder bekommen Ignoranten in der ersten Reihe immer noch deine Meinung zu hören?
Annie: „Ich habe früher tatsächlich Leute angeschrien, die sich aus mir unerklärlichen Gründen direkt vor die Bühne stellten, um dumme Sprüche zu machen. Inzwischen bin ich der Meinung, daß es unnötigerweise negative Gefühle auf beiden Seiten auslöst, wenn ich Juck off‘ zwischen den Songs brüllen würde. Ein großer Fehler.
Wenn heutzutage derartige Leute nach vorne kommen, gehe ich an den Bühnenrand und flüstere der Person leise ins Ohr, sie solle gehen. Es gibt etwas in der leisen Kraft, das stärker wirkt als lautstarke Worte.“
ME/Sounds: Wie weit reicht deine Geduld, wenn du in der Fachpresse hauptsächlich als Interpretin der Eurythmics-Songs, nicht aber als Musikerin und Co-Autorin anerkannt wirst – im Gegensatz zu Dave, der sich vor Produktions-Angeboten kaum retten kann ?
Annie: „Das ägert mich schon gewaltig. Wenn es über mich eine Schlagzeile in der englischen Boulevard-Presse gibt, steht höchstens etwas über mein Privatleben drin – und dann natürlich dementsprechend verzerrt, so wie: ,Hare Krishna-Fan Annie Lennox bläh bläh bläh…‘ Niemand würde über die Auszeichnungen und Preise, die ich im vergangengen Jahr gewonnen habe, auch nur ein Wort verlieren! Und zwar nicht nicht nur als Sängerin, sondern auch als Songschreiberin.
Oder daß ich für diese fantastischen Background-Sängerinnen auf Would I Lie einen Song geschrieben habe, den ich vermutlich auch für sie produzieren werde. Ich hatte per Zufall in New York die Off-Broadway-Show ‚Harlem Nocturne‘ gesehen und bekam eine Gänsehaut nach der anderen. Diese gewaltigen Sängerinnen ließen mich an dem Abend lachen und weinen.“
ME/Sounds: Ist es denn so überraschend, daß sich gerade Boulevard-Blätter auf die Tatsache stürzen, daß du in aller Heimlichkeit den deutschen Hare-Krishna-Anhänger Radha Raman geheiratet hast und dich knapp ein Jahr später wieder von ihm trennst.
Anme: „Ein gefundenes Fressen, das stimmt. Mehr möchte ich zu dem Thema nicht sagen.“
ME/Sounds: Deine Freunde, Eltern und auch Dave waren doch sicher auch ziemlich verblüfft?
Anme: „Sie waren entsetzt, besonders Dave. Aber gerade wegen der zu erwartenden Presse-Fledderei mußte ich heimlich handeln. Schließlich ist es mein Leben, sind es meine privaten Entscheidungen, und die gehen außer mir niemanden etwas an.“
ME/Sounds: Wie sieht heute eigentlich deine Beziehung zu Dave aus? Schließlich wart ihr zu Anfang eurer Karriere einmal ein Paar und Dave wollte dich angeblich auf Anhieb heiraten …
Annie: „In einer derart engen Konstellation zusammenzuarbeiten und gleichzeitig eine langfristige Liebesbeziehung aufrechtzuerhalten, ist absolut unmöglich. Eins von beiden muß scheitern. Wir haben es glücklicherweise geschafft, daraus eine ganz besondere Freundschaft zu entwickeln. Diese Beziehung bewerte ich heute höher als irgendeine andere.
Unser musikalischer Geschmack, unsere Motivation, unser Wille, sich ständig weiterzuentwickeln, sind gleich stark und ähneln einander sehr. Jedes Mal, wenn wir etwas fertiggestellt haben, schauen wir uns an und sagen: ,Ja, das war’s, gut geworden. ‚ Aber wir haben immer das Gefühl, gerade an der Oberfläche gekratzt zu haben. Da steckt noch eine gewaltige Menge an kreativem Potential unter unseren Oberflächen.
Dehalb lieben wir auch die Zusammenarbeit mit anderen Musikern: Dort kommt dieses Potential erst richtig zum Tragen.“
ME/Sounds: Was haben die Eurythmics für die Zukunft geplant?
Annie: „Dave kann sich – wie gesagt vor Angeboten kaum retten, und ich bin ohnehin die Faulere von uns beiden. Außerdem muß ich meine Stimmausbildung fortsetzen. Davon abgesehen gibt es eine Menge Aktivitäten außerhalb der Musik.
Ich muß nach acht Jahren permanenter Hektik einfach sorgfältig auf meine Gesundheit achten, sonst kann ich in ein paar Jahren aufhören. Ich bin jetzt 30 – und momentan ist mein Blutdruck zu hoch. Ich muß mich regelmäßig medizinischen Tests unterziehen, um genau zu wissen, welches Fitneß-Programm für mich das richtige ist.“
ME/Sounds: Mit Aktivitäten außerhalb der Musik meinst du sicher auch deine erste Spielfilm-Rolle in „Revolution?“
Annie: „Ja, Schauspielerei fasziniert mich schon seit langem. Nach Konzerten haben mich häufig Leute darauf angesprochen, warum ich mich nicht als Schauspielerin versuche, da meine Talente dazu offensichtlich seien.
Irgendwann kam mir die Idee, das einfach mal auszuprobieren. Vor einem Jahr nahm eine amerikanische Schauspieler-Agentur Kontakt mit mir auf, und vor kurzem bot man mir nun in Hugh Hudsons Film eine kleine Rolle an. Gleich beim ersten Treffen sagte mir Hugh, daß in dem Film eigentlich überhaupt keine Rolle für mich passen würde, aber wir kamen auf Anhieb derart gut miteinander aus, daß er mir extra für den Film eine neue Rolle schrieb. Wenns gut läuft, werde ich danach Schauspielunterricht nehmen.“
ME/Sounds: Wie wirst du dich verhalten, wenn du eines Tages kein Angebot oder keine neuen Ideen mehr haben solltest?
Annie: „Ich finde das, was in den letzten Jahren passiert ist, dermaßen aufregend, daß ich einfach keine Sekunde Zeit hatte, über diese Situation nachzudenken. Über die Arbeit als Eurythmics haben Dave und ich wesentlich mehr Talente an und in uns entdeckt, als wir es je für möglich gehalten hätten. Ich kann mir also heute gar nicht vorstellen, daß es je einen Zeitpunkt geben konnte, wo wir mit völlig leeren Händen dastehen würden. Ich liebe es, all unsere Erfahrungen und Tricks dauernd zu variieren und neu zu verwenden, weil daraus wieder neue Ideen entstehen.“
ME/Sounds: Es gibt Kritiker, die euch nach dem letzten Eurythmics-Album attestiert haben, ihr hättet das Klassenziel, daß die Tourists sich einst gesteckt haben, erreicht. Siehst du die LP auch als optimale Umsetzung eurer gegenwärtigen Möglichkeiten?
Annie: „Es war tatsächlich immer unser Ziel, das definitive Album, eine klassische LP für jede Plattensammlung zu machen. Wir haben das, glaube ich, jetzt geschafft. Hat ja auch lange genug gedauert. Ohne die unzähligen Konzerte hätten wir die notwendigen Erfahrungen aber wohl nie machen können.
Als wir im Studio waren, hatten wir denn auch die ganze Zeit ein Live-Publikum vor Augen; wir spürten die Atmosphäre eines richtigen Konzertes. Wir suchen immer nach einer Umgebung, die unserer Musik dient.
Normale Aufnahmestudios sind einfach nichts für Dave und mich. Jede Band, die es sich leisten kann, rennt in solche Luxus-Studios, die nur eine Unmenge Geld verschlingen. Die Uhrzeiger ticken, die Zeit verrinnt – und im Hinterkopf zählst du die ganze Zeit unbewußt mit, was das alles wieder kostet. Albern, so zu arbeiten.
Im Grunde ist es so einfach, Musik zu machen. Du nimmst deine Ausrüstung, stellst sie hin und fängst einfach an, da gibt’s nichtsMystisches.Wirsind keine technischen Zauberer! Natürlich wissen wir, wie man mit einem Mischpult umzugehen hat; die technischen Finessen sind besonders Dave bekannt. Aber wir denken während der Aufnahmen nicht technisch, sondern nstinktiv. Anders können wir nicht das Optimale aus der Musik rausholen.“
ME/Sounds: Bei früheren Begegnungen fiel immer wieder deine fast gnadenlose Perfektion auf, die nur durch Daves Neigung, Zufälle mit einzubauen, aufgelockert wurde. Du wußtest sogar bei einem Fehler das deutsche Wort „peinlich“. Ist das immer noch so?
Annie: „Ich kann nur wiederholen, daß ich ständig versuche, das Beste aus mir rauszuholen. Meine Ansprüche mir selbst gegenüber sind ungemein hoch, wenn man nicht nach Perfektion strebt, erreicht man nicht mal gutes Mittelmaß – das ist meine feste Überzeugung. Ja, ich bin total sauer, wenn ich merke, daß ich etwas hätte besser machen können. Andererseits weiß ich, daß ich auch nur ein Mensch bin, folglich Fehler unvermeidbar sind. Daher denke ich inzwischen; Na gut, dann bin ich eben beim nächsten Mal besser.“
ME/Sounds: Wie hast du überhaupt entdeckt, daß du singen kannst?
Annie: „Ich habe schon immer gesungen, allerdings habe ich als Kind nicht im Traum daran gedacht, daß ich das je beruflich machen würde. Für mich ist Singen auch heute noch kein Job, sondern eine persönliche Notwendigkeit. Ich drücke mich im Gesang aus, Singen bedeutet für mich Ausgeglichenheit und Glück.“
ME/Sounds: Ganz zu Anfang des Gesprächs hast du die Wichtigkeit der äußeren Erscheinung betont. Bist du, mal abgesehen von der Kleidung, mit deinem Äußeren zufrieden?
Annie: „Nichts ist vollkommen und wäre dann auch vermutlich langweilig, weil es nichts zu entdecken gäbe. Ich mag z. B. mein Profil und mein Lächeln nicht besonders, dafür habe ich sehr schöne Augen. Ich mag auch meinen Mund. Manchmal hätte ich gern dicke, lockige Haare.
Man will vermutlich immer das Gegenteil von dem, was einem die Naturgegeben hat, aber ich habe mich inzwischen ganz gut mit mir arrangiert, weil ich gelernt habe, wie man sich ins rechte Licht setzt.“
ME/Sounds: Hat der Erfolg dich in irgendeiner Weise verändert?
Annie: „Oh, ich bin schlicht unerträglich geworden, findest du nicht?“