Sven Regener: Facts and Crime
Rückblickend haben Plattentitel eine besondere Bedeutung: 'Damals hinterm Mond' waren Element Of Crime noch ein klassischer Geheimtip. 'Weißes Papier' wurde zum veritablen Erfolg, und 'An einem Sonntag im April' eroberten sie luftige Charthöhen. Sven Regener über die elementaren Dinge des Lebens.
Ein sonniger Sonntagnachmittag in Berlin-Kreuzberg: „Trinkst Du noch ’n Bier mit?“ Aber sicher. Sven Regener ist ein Mensch, mit dem man gerne ein Bier trinkt. Der Sänger, Trompeter und Texter von Element Of Crime, jener Band, die der Rockmusik „Made in Germany“ die Poesie zurückgegeben hat, verschwindet kurz im Halbdunkel der Kneipe. Melodiefetzen des Evergreens ‚Summertime‘ wehen auf den Gehsteig, vermischen sich mit dem Rumpeln der S-Bahn, dem monotonen Rauschen des Straßenverkehrs, dem Stimmengewirr von Gästen und Passanten. Der ideale Rahmen für ein Interview? Aber sicher. Vor allem, weil sich Sven Regener als intelligent, gut gelaunt und mitteilsam entpuppt, ein neues Album im Gepäck, eine große Herbsttournee vor Augen und zwei Pils in der Hand hat.
ME/S: Wer nur eure deutschsprachigen Alben kennt, könnte auf die Idee kommen, du würdest in Nachtcafes gehen, wo sie alte Schlager und Chansons spielen, und zuhause öfter mal in Gedichtbänden blättern.
Das nun nicht gerade. Kleinkunst, Kabarett, Chansons, Variete, das ist alles fein und prima. Aber da gehören wir nicht hin, da kommen wir nicht her und da gehen wir nicht hin. Ich war nie ein großer Lyrik-Freund. Ich mag Jacques Brel, und sicher hatten unsere letzten beiden Platten einen Stich ins Chansonesque. Insgesamt ist Element Of Crime aber schon eher so’ne Rock’n’Roll-Band.
ME/S: Du hast einmal gesagt, daß die Platte THE VELVET UNDERGROUND & NICO dich überhaupt erst zum Songschreiben und Singen gebracht hat.
Velvet Underground ist für mich die Mutter aller hoffnungslosen Bands. Da gab es Gitarren, ein paar Stimmen und irgendwelchen anderen Kram, und all das funktionierte nicht so richtig. Aber daraus entstanden neue, besessene, seltsame Klänge. Das ist für mich Rock’n’Roll, diese Haltung, ‚Wir scheißen auf das Handwerk, auf das, was vor uns war, auf das, was nach uns kommt, wir machen einfach unser Ding‘.
ME/S: Sprichst du da gerade auch über Eure eigenen Anfänge?
Ich habe mich zunächt als Trompeter in dieser „No-Wave-No-Funk“-Szene bewegt, bis ich keinen Bock mehr hatte, dieses schräge Zeug zu spielen. Ich wollte lieber schöne Melodien. Das war damals einfach uncool, wie überhaupt die Elements für viele lange uncool waren. Wir wiederum waren arrogant wie die Schweine. Ich glaube, es ist das gute Recht eines jeden Musikers, der anfängt und etwas einigermaßen Ungewöhnliches macht, zunächst einmal alle anderen zu hassen.
ME/S: Ihr habt mit englischen Songs begonnen, seit Anfang der neunziger Jahre singst Du deutsch. Wie kam es zu diesem Sinneswandel?
Es war sanfte Gewalt von Seiten der Plattenfirma. So um ’89/’90 herum befanden wir uns in einer Krise und sagten, ‚Okay, probieren wir’s halt mal aus‘. Auf keinen Fall war es so, daß wir damit zu unserer eigenen Vergangenheit ‚ätschbätsch‘ sagen wollten. Ich habe immer gern Liebeslieder gemacht, und ein Liebeslied verstehst Du, egal in welcher Sprache. Schon als Kind hab‘ ich englische Songs kapiert, ohne ein Wort zu verstehen. Für mich ist ein deutscher Text aber kein Wert an sich.
ME/S: Das sehen offenbar eine Menge Leute anders, wenn man an die Diskussion über Quoten im Rundfunk denkt.
Dieser furchtbare Quatsch der Lindenbergs, Niedeckens und Kunzes kotzt mich an. Ich will keine Ariernachweise für Musik, ich will keine Zensur zugunsten deutschsprachiger Musik. Ich will auf keinen Fall in einem Land leben, in dem englische oder amerikanische Musik nicht mehr stattfindet.
ME/S: Stichwort ‚leben‘: Welchen Einfluß hat die Tatsache, daß Ihr in Berlin lebt, auf Eure Musik? Würdet Ihr Euch anders anhören, wenn Ihr in Los Angeles, Reykjavik oder Paris zuhause wärt?
Ich glaube nicht an Städtevergleiche. Das ist ein von den Fremdenverkehrsvereinen in die Welt gesetzter Irrtum. Es ist ganz egal, wo ich wohne, ich bin doch immer dasselbe Arschloch. Für das Songschreiben ist das ohne Belang. Eine Stadt macht einen nicht anders. Es ist eher umgekehrt: Man sucht die Stadt, in der man wohnt, danach aus, wie man sich fühlt.
ME/S: Die Frage, wie man sein Leben lebt, sei das zentrale Thema für Element Of Crime, hast du mal gesagt. Wie lebt ihr Euer Leben, wie geht ihr mit dem Erfolg um?
Ich werde immer ratloser. Wir wollten immer Erfolg haben. Ist doch klar: Man will geliebt werden, Geld verdienen, die große Nummer sein. Ich bin da auch ’ne Promo-Sau. Für eine gute Platte von uns hüpfe ich durchs Minenfeld, wenn’s sein muß. Ich bin eingebildet und eitel genug, um den Erfolg toll zu finden, aber ich bin auch depressiv genug, um zu wissen, daß er nichts bedeutet. Das Leben ist kein Lied, weißt Du. Nur sehr selten, in wertvollen Momenten hat es ein bißchen was von einem Lied: perfekt, bunt, schön und ein bißchen traurig. Auf der neuen Platte gibt es den Song ‚Wer ich wirklich bin‘. Das wüßte ich tatsächlich gerne, aber ich blicke da überhaupt nicht durch. Das ganze Pop-Star-Getue wäre mir jedenfalls viel zu anstrengend. Ich bin einfach zu faul, um den ganzen Tag ’ne Show abzuziehen.
ME/S: Künstler kann man sich meist nur schwer im Alltag vorstellen. Oder könntest Du dir denken, wie es aussieht, wenn Bob Dylan bügelt?
Nein, das soll man sich ja auch nicht vorstellen. Bob Dylan? Wahrscheinlich läßt der bügeln.
ME/S: Und du? Spülst du lieber ab oder ziehst du Bügeln vor?
So eine Frage sollte man als Künstler gar nicht beantworten. Nichts törnt so ab wie Homestories. Wenn ich Musiker abwaschen sehe, denke ich: ‚Wenn ich die jetzt fotografiere, könnte ich sie damit erpressen.‘ In meiner Wohnung würde es kein Kamerateam auch nur zwei Minuten lang aushalten.
ME/S: Zwischen ‚An einem Sonntag im April‘ und dem neuen Album ‚Die schönen Rosen‘ (erscheint am 16.9., Anm. d. Red.) liegen ungefähr zweieinhalb Jahre, für Eure Verhältnisse eine sehr lange Zeit.
Man sollte nach jeweils drei Platten mal ’ne Pause einlegen. Das Problem ist, daß das Musikgeschäft nicht von Befehlshabern, sondern von Verführern beherrscht wird. Die sagen nicht: ‚Du mußt, sonst knall‘ ich Dir den Arsch ab.‘ Das geht vielmehr so: ‚Ey, man muß das Eisen schmieden, solange es heiß ist, sonst vergessen Dich die Leute, und Du bist weg vom Fenster.‘ Das ist doch kompletter Blödsinn.
ME/S: Es ist also schwer, sich mal frei zu nehmen und nichts zu tun? Ja. Gar nicht so sehr wegen des Geldes. Aber damit fängt’s an. Warum können Bands, die schon lange ihre Schäfchen im Trockenen haben, nicht ein, zwei Jahre Ruhe geben? Warum werden die, die ohnehin schon 50 Millionen im Jahr verdienen, auch noch von VW gesponsert? Gibt es etwas Ekligeres und Langweiligeres? Was treibt solche Bands um?
ME/S: Was glaubst du?
Die können gar nicht aufhören. Die müssen immer wieder bestätigt bekommen, daß sie groß, schön und unsterblich sind, als Rückversicherung gegen den eigenen Tod. Dabei ist das eine verdammte Falle, Wenn die 14 Millionen Platten verkauft haben, was soll da noch kommen?
ME/S: Könnte euch aber auch passieren, oder?
Das Tragische ist, daß Erfolg süchtig macht, wie bei einem Spieler, der einmal gewonnen hat und immer weiter spielen muß. Es gibt Leute, die nett zu mir sind, und von denen ich weiß, daß sie mich unter anderen Umständen nicht mit dem Arsch ankucken würden. Aber man macht das Spiel mit, kommt sich wichtig vor. Eigentlich durchschauen alle diese Kacke: Youngster werden gequält, Stars bläst man Zucker in den Arsch. Trotzdem fallen viele immer wieder darauf rein. Hätten wir 1988 einen Singlehit gehabt, würde ich heute nicht hier sitzen.
ME/S: Sondern?
Dann hätte auf der Platte von 89 auch einer sein müssen. Hätten wir den nicht gehabt und wieder nur 15.000 Platten verkauft, hätte man uns gesagt, ‚Ihr seid scheiße‘, und die Gruppe wäre daran zerbrochen. Oder wir hätten uns breitschlagen lassen, im ‚Großen Preis‘ zu spielen und wären daran zerbrochen. Es geht alles zu schnell. Da wirst Du vor dem Frühstück, auf der Treppe ausgelutscht und weggeworfen. Aber ich will nicht über das Musikgeschäft lamentieren. Ist ja ein Volkssport mittlerweile.
ME/S: Fernsehauftritte magst du wohl auch nicht besonders?
Ich mag den Biolek. Das ist noch alte Schule, der hat einen Sinn für Künstler. Da wird kein künstlicher Darmausgang gezeigt wie bei Schreinemakers. Eigentlich haben wir immer Glück gehabt mit dem Fernsehen. Die einzige schlimme Erfahrung haben wir bei der NDR-Talkshow gemacht. Diese Verbrecher haben uns nach der zweiten Strophe ausgeblendet, weil länger als zwei Minuten geht da nicht. Ich bin heilfroh, daß uns niemals ein Auftritt im ‚Großen Preis‘ angeboten wurde. Dasselbe gilt für ‚Geld oder Liebe‘. Wir stehen da ja eher in der zweiten Reihe. Für die großen Samstagabend-Shows hat’s nie gereicht. Playback mögen wir auch nicht. Für mich ist das Vortäuschen musikalischer Handlungen.
ME/S: Interessiert Ihr euch eigentlich dafür, wer euer Publikum ist?
Im Grunde genommen nicht. Die Plattenfirmen wollen immer herausfinden, wer die Zielgruppe ist und so’n Kram. Neuerdings legen manche den CDs so Kärtchen bei, ‚Werde auch Du Mitglied in dem und dem Club‘. Wie beim ADAC. Das ist genau die Art von Kacke, die ich nicht abkann. In dem Moment, wo Du Musik veröffentlichst, ist sie für jeden da.
ME/S: Was war für dich der schönste Augenblick Eurer Karriere?
Davon gab’s ’ne Menge, relativ konkrete, nicht so sehr diese abstrakten Sachen. Ich weiß noch, als wir zum ersten Mal in die Charts kamen, so auf Platz 175, rief einer von der Plattenfirma an, so richtig mit Rührung in der Stimme, und ich dachte nur, ‚Okay, ab jetzt sind wir nicht mehr die Ärsche‘. Aber Zahlen bedeuten mir wenig. Platz 175? Das ist doch relativ unsexy. Die schönsten Erinnerungen haben mit Konzerten zu tun, weil das auch die vergänglichsten Momente sind. Als wir ’91 in Israel spielten, sind einige Jugendliche drei Tage hintereinander zehn Stunden mit dem Auto gefahren, um uns zu hören. Bei den ersten beiden Malen kamen sie zu spät, beim dritten Konzert hatten sie kein Geld mehr, wurden aber trotzdem irgendwie reingelassen und waren ohne Ende am Heulen. Am Schluß, als wir schon längst aufgehört hatten, haben die immer noch gesungen, bis der Arzt kommt. Und ich stand da und dachte, ‚Mein Gott, wie schön‘.
ME/S: Und der peinlichste Moment?
Gab’s ebenfalls reichlich, aber ich glaube, der peinlichste war, als ich mich bei Biolek total besoffen auf der Trompete verspielt habe. Bio ist noch mehr erschrocken als ich, aber außer uns hat niemand etwas bemerkt. War ja auch im Fernsehen, da dachten die wohl, das muß so sein. Seitdem trinke ich nicht mehr so viel, bevor ich spiele. So ein angeschickerter Club-Gig mag ja charmant sein, aber in ’ner großen Halle ist das nicht mehr lustig, weil das dann beschissen klingt, und ein Scheißkonzert hat niemand verdient. Ich weiß gar nicht, ob ich das alles überhaupt ausplaudern sollte.
ME/S: Nur zu. Welche Ängste treiben dich um?
Angst vor dem Tod, vor dem Ausgebranntsein, vor Armut, vor Krankheit, vor Unfällen, all die Ängste, die jeder andere auch hat. Aber ich habe das Privileg, aus diesen Ängsten Songs machen zu können, die es mir und vielleicht auch dem Publikum möglich machen, sie leichter zu ertragen.
ME/S: In euren Songs zeichnet ihr meist Alltagsbilder. Interessiert ihr euch für Politik?
Im Grunde genommen hat Politik in Songs nichts zu suchen. Warum soll jemand, der schöne Liebeslieder schreibt, schlauer sein als andere? Mir ist unklar, warum manche Deutschrocker unbedingt ihre Position ausnutzen müssen. Das ist immer einseitig. Ich steh‘ auf der Bühne, ich hab‘ das Mikrophon und die PA, und die Leute unten können sich nur als Masse artikulieren. Da gibt es keinen Dialog, keinen Widerspruch. Das ist keine gute Situation für Politik. Ich bin sehr für diese ganze zivilisierte, westliche, parlamentarische Nummer, aber ich mag keine Massenaufmärsche. ‚Trinken für den Frieden‘ war die einzig wahre Antwort auf diese Rock-gegen-Rechts-Chose. Ficken gegen Rechts, Schwimmengehen gegen Rechts, oder was? Wenn ich mit jemandem über Politik diskutieren will, dann diskutiere ich mit ihm über Politik. Aber ich singe ihm nichts vor.
ME/S: Werdet ihr wegen dieser Einstellung – anders als die Grönemeyers, Niedeckens und Kunzes – seltener zur Lage der Nation befragt?
Wahrscheinlich. Natürlich muß man auch mal Stellung beziehen, wenn Asylbewerberheime brennen. Bloß macht einen das allein noch nicht zu einem besseren Menschen. Nicht der Rede wert.