Sting


Völliges Glück ist etwas für Idioten - meint Gordon Matthew Sumner alias Sting. Im Gespräch mit ME/Sounds erläutert er seine durchweg ernste Sicht der Dinge.

Sie führen zwei Namen: Ihren bürgerlichen, Gordon Sumner, und Ihren Künstlernamen. Wie soll ich Sie anreden?

Wie wärs mit Herr Sting?

Kein Problem. Herr Sting, an wen ist Ihre Stromrechnung adressiert? Etwa auch an „Herrn Stachel“?

Für die Leute vom E-Werk bin ich Herr Sumner. Und ihre Rechnungen lese ich sowieso nicht.

Aber einer muß es doch machen.

Es gibt Leute, die sich um solche Sachen kümmern. Aber selbst wenn ich meine Stromrechnungen lesen würde – verstehen könnte ich sie trotzdem nicht.

Wie’s scheint, müssen Sie das ja auch gar nicht können. Wenn man Leute hat, die sich darum kümmern und als Prominenter zudem manche Vergünstigung genießt…

…auf Vergünstigungen lege ich keinen Wert, und von offizieller Seite werde ich behandelt wie jeder andere auch. Ein Beispiel: Vor einiger Zeit habe ich mir ein Auto gekauft und war zu schnell damit unterwegs. Prompt wurde ich angehalten. Die Polizisten erkannten mich, noch bevor ich ihnen meinen Führerschein gezeigt hatte. Ich versuchte, meine Fährweise zu entschuldigen: „Sehen Sie, das ist mein neues Auto. Es ist ein schnelles Auto. Und ich wollte es ausprobieren. Und weil es inzwischen zwei Uhr in der Früh‘ ist und sich keiner mehr auf der Straße aufhält, dachte ich, für eine Probefahrt wäre das eine gute Gelegenheit.“ Geholfen hat’s nicht. Ich habe einen Strafzettel kassiert – wie jeder andere auch.

Unerhört! Genießen Prominente denn überhaupt keine Privilegien mehr?

Doch, schon. Aber im Regelfall mache ich keinen Gebrauch davon. An Flughäfen zum Beispiel wird man manchmal als V.I.P. eingestuft, damit man nirgendwo anstehen muß. So was lehne ich ab. Warum sollte ich an den Anfang der Schlange vorgelassen werden? Klar, manchmal sind Privilegien sehr angenehm. Aber wenn sie andere Menschen verärgern oder dafür sorgen, daß sie sich zurückgesetzt fühlen, daß sie beschämt sind, dann möchte ich diese Privilegien nicht nutzen.

Obwohl Sie ein berühmter Musiker sind, möchten Sie also als völlig normaler Mensch behandelt werden?

Ich bin ein völlig normaler Mensch!

Trotzdem, die meisten Menschen verhalten sich doch bestimmt anders in Ihrer Gegenwart.

Sicher, aber ich möchte nicht, daß mein tägliches Leben zu stark davon beeinflußt wird. Ich gehe ganz normal spazieren, wie jeder andere auch. Natürlich werde ich manchmal angesprochen. Dann lächle ich und bin freundlich. Ich möchte auf gar keinen Fall in dieser Prominentenwelt gefangen sein. Das ist eine total künstliche Angelegenheit.

Es gibt Leute, die behaupten, Sie seien launenhaft und empfindlich.

Weder das eine noch das andere trifft zu.

Wie können diese Menschen dann bloß so lügen?

Sie lügen ja nicht. Sie kennen mich bloß nicht.

Nachdem Sie nach wie vor Schallplatten aufnehmen und damit viel Erfolg haben, bleibt das Interesse am Menschen und Musiker Sting zwangsläufig groß. Wenn Sie den Wirbel um Ihre Person aber gar nicht so sehr mögen, warum lehnen Sie sich dann nicht einfach zurück und genießen das Leben?

Gute Songs zu schreiben, ist harte Arbeit – aber eine Arbeit, die dich als Mensch definiert, auf die du stolz sein kannst. In Los Angeles am Pool zu sitzen, ist nicht meine Vorstellung von einem zufriedenstellenden Leben.

Am 27. September erscheint mit „Brand New Day“ ein neues Sting-Album (Besprechung im Plattenteil/Anmerkung der Redaktion). Was treibt Sie nach über zwei Jahrzehnten Musikbusiness, noch neue Songs zu schreiben, sich diese – wie Sie selbst sagen – harte Arbeit anzutun?

Das sitzt einfach in mir drin. Es ist mir ein Bedürfnis, Songs zu schreiben; genau so, wie es mir ein Bedürfnis ist, Bücher zu lesen. Ich kann mir gar nicht vorstellen, ein glückliches Leben zu fuhren, ohne Musik zu machen. Zudem ist es immer wieder eine Herausforderung. So ähnlich, als ob man einen Berg besteigt. Und warum klettert man auf einen Berg?

Wir bitten um Aufklärung.

Wenn man oben ist, hat man eine schöne Aussicht! Derlei Dinge sind mein Motor, wenn es darum geht, Musik zu machen. Ob von der jeweiligen Platte nun drei Exemplare verkauft werden oder drei Millionen, ist eher sekundär.

Sie brauchen also kein großes Publikum?

Musik kann man auch alleine machen.

In der Regel schreiben Musiker aber Songs, damit andere sie hören.

Ja, aber diese anderen, das könnten auch Freunde sein, meine Familie oder mein Hund.

Und was ist mit 50.000 Menschen in einer Arena, die Ihnen zujubeln? Läßt Sie das kalt?

Absolut nicht! Das ist ein wunderbares, sehr warmes Gefühl. Und natürlich freue ich mich, daß sich meine Platten gut verkaufen. Das bedeutet doch nur, daß sie vielen Menschen gefallen. Trotzdem, man kann Musik auch nur für sich selbst machen.

Woran liegt es eigentlich, daß Musiker, die über einen längeren Zeitraum hinweg erfolgreich sind, in den Augen einiger Hipster nicht mehr cool sein können?

Das Ganze ist doch nur ein Spiel, künstlich am Leben erhalten von ein paar Magazinen. Wer gerade Klassenprimus ist? Solchen Fragen schenke ich wenig Beachtung. Aber ich kann Aufrichtigkeit hören in der Musik, und Aufrichtigkeit ist allemal wichtiger als Hipness.

Dann ärgert es Sie nicht, daß Sie in Ihrer englischen Heimat ziemlich weit unten auf der Hipness-Skala stehen?

Ich kenne die Prozesse, die da ablaufen. Von daher können mich solche Sachen nicht irritieren. Und ganz ehrlich: Die Frage, ob ich hip bin oder nicht, läßt mich nun wirklich nicht schlecht schlafen.

Hören Sie viel aktuelle Musik?

Die neuen Sachen höre ich meist, weil meine Kinder sie spielen. Und die hören alles mögliche – von den Spice Girls bis zu Massive Attack, von Pavement bis zu Marilyn Manson.

Irgendwas dabei, was Ihnen besonders gut gefällt?

Ich mag Blur. Das ist eine unterbewertete Band mit Sinn für Ironie und Humor. Oasis dagegen sind mir zu sklavisch an die Beatles gebunden.

Wo liegt der größte Unterschied zwischen dem jungen Sting aus frühen Police-Tagen und dem 47jährigen Musiker von heute?

Der junge Sting war sich seiner Sache sehr sicher. Jemand, der meinte, von vielen Ideen schon eine Menge zu verstehen. Der Sting von heute weiß viel mehr über das Leben und die Musik, ist sich seiner Sache aber viel weniger sicher. Das ist das Paradoxe, wenn man älter wird: je mehr du herausfindest, desto klarer wird dir, daß Gewißheit eine Illusion ist.

Ihre Musik wurde mal als „rock with a brain bezeichnet, also als Rock mit Hirn. Gefällt Ihnen diese Beschreibung?

Wenn ich Musik mache, versuche ich, Herz und Verstand gleichermaßen einzusetzen. Klar ist aber auch, daß ich meine mentalen Fähigkeiten nicht verleugnen will. Viele Leute glauben, daß Rockmusik sehr rauh und ungeschliffen sei, wie ein Aufschrei…

…was sie ursprünglich ja auch mal war und zum Teil immer noch ist.

Stimmt, und trotzdem hat sich viel verändert. Die Rockmusik trägt immer noch die gleiche Aufrichtigkeit in sich, aber im Laufe der Zeit hat sie so eine Art Läuterungsprozeß durchgemacht. Was mich betrifft: Ich kann doch heute nicht mehr auf die Bühne gehen und losschreien. Das wäre eine Lüge.

Fühlen Sie sich in der Wert des Entertainments denn überhaupt noch zu Hause?

Ich bin Pragmatiker und glaube nicht an die perfekte Weh. Eine perfekte Welt wirst du weder politisch noch künstlerisch schaffen können. Also versuche ich, mein Bestes in einer unperfekten Welt zu geben. Das Showbusiness spiegelt alles Unperfekte wider.

Irgendwelche besonderen Ambitionen?

Ich möchte alt werden.

Innerhalb des jungen, oft oberflächlichen Musikbusiness‘?

Nicht notwendigerweise. Bloß: Eine Menge von Freunden, Kollegen oder Weggefährten gibt’s nicht mehr. Und ich nehme an, irgendwo in meinem Inneren gibt’s so ein bestimmtes Element von „Schadenfreude“ darüber, überlebt zu haben (Sting benutzt das deutsche Wort „Schadenfreude“). Ia, ich möchte eine alter Mann werden – ein weiser alter Mann. Ob das im Showbusiness sein wird, weiß ich nicht. Aber ich bin sicher, daß auch das möglich ist, daß es auch dort einen Weg gibt, in Würde zu altern.

Apropos Würde: Wie steht s um Ihr Engagement für Menschenrechte und Regenwald?

Ich setze mich nach wie vor für bestimmte Ziele ein. Aber im Gegensatz zu früher engagiere ich mich nicht mehr so öffentlich.

Auch das Songwriting findet im verborgenen statt. Fällt es Ihnen heute – mit so viel Erfahrung – leichter als früher, Songs zu schreiben?

Wie ich schon sagte: Früher war ich meiner Sache immer sehr sicher. Da konnte ich einen Song beim Frühstück, einen beim Mittagessen und einen beim Abendbrot schreiben. Heute ist das anders. Ich bin viel vorsichtiger. Auf dem neuen Album sind zehn Songs. Das ist alles, was ich in drei Jahren geschrieben habe.

Macht ziemlich genau einen Viertelsong pro Monat…

…und das ist keine Faulheit. Ich arbeite jeden Tag. Es ist ein ständiges Versuchen.

In der Guinness Encyclopaedia of Populär Music heißt es über das Werk von Police: „Rückblickend ist es besser, fünf Album-Klassiker produziert zu haben als einen umfangreichen Katalog indifferenter Songkollektionen.“ Stimmen Sie dieser Bewertung zu?

Ja, man sollte seine Anstrengungen dahingehend konzentrieren, möglichst gute Sachen zustande zu bringen – es gibt ohnehin schon zu viele Platten da draußen.

Wohl wahr, originelle und weniger originelle und viele nach bewährtem Strickmuster. Ihre neue Platte beispielsweise klingt auch nicht so, als ob Sting darauf aus wäre, sich neu zu erfinden.

Sich neu erfinden – das ist doch ohnehin nur ein Klischee.

Trotzdem, „Brand New Day“ klingt nach einer typischen Sting-Platte, also nach einem werteren Top-Seller.

Ich glaube, ich habe einen Punkt in meiner Karriere erreicht, an dem ich nicht mehr erklären muß, was ich mache. Die Leute sagen: „Klingt wie Sting, ist Sting.“ Lind das ist gut so. Es ist gut, wiedererkennbar zu sein. Selbst wenn meine Musik sehr eklektisch ist…

…zum Beispiel, was Miles Davis-Anklänge betrifft?

Sicher, die zählen auch dazu. Als ich 17 war, habe ich “ Bitches Brew“ gehört. Das war eine Erfahrung, die mein Leben verändert hat. Da ist es doch nur angemessen, den Sound von Miles als Hommage an einen alten Freund in meine Musik einfließen zu lassen…

…was man ja demnächst auch wieder live hören kann. Bei einem Konzert wird jede Menge Adrenalin freigesetzt. Was braucht es, um nach der Show wieder auf ein normales Level runterzukommen?

Zwei Gläser Bier vorm Schlafengehen.

Ein vergleichsweise einfaches Rezept.

Okay, nach einer Show bist du ziemlich high. Und wenn man anderthalb Jahre unterwegs gewesen ist, fällt es schwer, wieder Ruhe zu finden. Aber das ist eine Fähigkeit, die man im laufe der Jahre erlernt. Ich finde Meditation diesbezüglich sehr nützlich.

Was kommt Ihnen in den Sinn, wenn Sie über die Zukunft meditieren.

Meine Strategie für die Zukunft lautet „Optimismus . Dazu gibt es keine Alternative. Optimistisch zu sein, was kommende Zeiten betrifft, bedeutet, der Zukunft seine Stimme zu geben, sich für sie zu entscheiden. Kinder zu haben, ist zum Beispiel eine Entscheidung für die Zukunft, denn du mußt dafür sorgen, daß die Welt ein sicherer Platz für sie ist.

Was bedeutet Ihnen die Jahrtausendwende?

Nun, zunächst einmal, daß wir ein wirkliches wundervolles Jahrhundert beenden – mit dem Ersten Weltkrieg und dem Zweiten, mit dem Spanischen Bürgerkrieg, mit Vietnam und dem Kosovo.

Woher rührt denn dann Ihr Zukunftsoptimismus?

Aus der tiefen Überzeugung, daß es keine andere Möglichkeit gibt – ich muß optimistisch sein! Wir können uns kein Jahrhundert mehr leisten wie das zurückliegende, weil wir sonst nicht überleben. Dieses Bewußtsein muß sich überall durchsetzen.

Trauen Sie Politikern? Zum Beispiel, wenn es darum geht, die zahlreichen Probleme zu lösen, denen wir uns gegenübersehen?

Generell: nein. Nur ist Demokratie die beste Methode, mit einer schlechten Situation umzugehen. Aber es gibt wirklich nur ein paar wenige Politiker, denen ich traue.

Verraten Sie auch, welche?

Nein.

Ist der Künstler Sting am Ende des 20. Jahrhunderts ein glücklicher Mensch?

Ich bin glücklich, ja, aber ich bin nicht völlig glücklich. Völlig glücklich zu sein bedeutet, ein Idiot zu sein. Ich habe alles, was ein Mann sich wünschen kann: eine wundervolle Familie, Geld auf der Bank und ein schönes Zuhause – natürlich bin ich glücklich. Aber völlig glücklich? Nein. Die Welt ist ein einziges Durcheinander, ein gefährlicher, törichter Ort