Das neue Element Of Crime-Album, „Romantik“, erscheint erst am 15.11., „Herr Lehmann“, das Roman-Debüt von Sänger Sven Regener, stürmt aber schon die Buchcharts. Grund genug, den Mann zur Rede zu stellen.
In jeder eurer Platten wohnt sie, jetzt habt ihr ein ganzes Album danach benannt. Was bedeutet für dich Romantik?
Ich meine damit auf keinen Fall den klassischen Begriff,der die Malerei-und Literaturepoche bezeichnet. Der Typ da hinten am Tresen steht zum Beispiel auch für Romantik, wie er da so sein Bier trinkt. Wenn man Glück hat, kann man jeden Tag etwas Romantisches finden. So richtig aufgekommen ist das mit Romantik bei den Elements während der Tour zu „Psycho“. Ich finde, es ist ein schönes Statement, wenn ich bei Gigs ravermäßig die Faust gen Himmel recke und „Romantik!“ rufe. Wir machen ja meistens langsame, Liebeslieder-betonte Musik, die auf eine Weise die Seele berührt und dann muss man das, was man mag,auch klar benennen. Romantik ist quasi unser Schlachtruf, und Romantik vereint.
Element Of Crime gibt es seit 16 Jahren. Welche Motivation treibt euch da noch an? Die Sehnsucht nach schönen Melodien, ist es einfach euer Beruf oder bist du immer noch eitel genug, weiter zu machen?
Alles drei. Wenn ich das Gefühl hätte, da kommt nichts mehr, würden wir’s sein lassen. Wir haben in unserem Kosmos ’ne Menge Klassiker geschaffen, wir müssen jetzt nicht mehr unbedingt dabei sein. Aber solange uns schöne Songs einfallen, wären wir ja verdammt blöd, die nicht zu machen. Gerade diese Platte mochte ich nicht missen, weil sie einen ganz speziellen Reiz und Charme hat, und ich wüsste keine andere Element Of Crime-Platte, die diese ersetzen könnte.
Ist „Romantik“ nicht trotzdem ein Album, dem man Stagnation auf hohem Niveau bescheinigen muss?
Stagnation bedeutet Stillstand, und das bedeutet, dass nichts passiert. Und genau das stimmt ja nicht, denn es sind ja zehn neue Songs. Das Problem ist ein anderes, gerade auf des Hörers Seite. Wer uns mit „Damals hinterm Mond“ entdeckt hat, der sagt natürlich: So eine Platte werdet ihr nie wieder machen. Das ist richtig – vor allem aber deshalb, weil derjenige nie mehr dieses Erlebnis des ersten Hörens haben wird. Wenn man etwas für sich entdeckt, ist das ein singuläres Erlebnis. Uns geht’s ja nicht darum, das Pulver neu zu erfinden, es kommt drauf an, schöne Lieder zu schreiben-und da geht immer was. Und dass wir identifizierbar sind, ist nach 16 Jahren und zehn Platten unsere verdammte Pflicht und Schuldigkeit. Es wäre mir peinlich, wenn man über „Romantik“ sagen würde, „Was soll das denn jetzt, sind die das noch?“
Mit Beginn der 90er und den ersten komplett deutschen Alben hat man euch als „Chef-Melancholiker“ apostrophiert und in die Chanson-Schublade einsortiert. Ihr selbst aber seht euch als Rock’n’Roll-Band…
Wir haben einen Widerwillen gegen bestuhlte Säle. Bei solchen Konzerten kannst du dich nicht frei bewegen und trinken und rauchen, das ist dann ’ne ganz andere Veranstaltung. Solange wir auf der Bühne stehen, steht unser Publikum auch, solange bei uns geraucht und getrunken wird, sind unsere Konzerte Rock’n’Roll. In Deutschland wird der Begriff viel zu eng gesehen. Für mich ist Rock’n’Roll eine Haltung zur Musik und kein Musikstil. Es geht dabei auch darum, in welchem Rahmen Musik entsteht und wo sie stattfindet.
Du bist dieses Jahr 40 geworden – war das ein besonderer Geburtstag für dich?
Ich hab damit überhaupt kein Problem. Ich hatte eher ein Problem so mit Mitte 30, da hören ja auch alle Sportler auf und da merkt man schon, dass sich körperlich was verändert.
Sag bloß, du treibst Sport?
(im Brustton aufrichtiger Entrüstung) Nein, nein! Ich spiel‘ Trompete, das reicht völlig. Außerdem haben die Elements den Vorteil, dass man für ihre Musik nie besonders jung sein musste. Insofern kam auch bisher nie die Frage auf,ob wir das noch bringen können. Es ist körperlich nicht so anstrengend, Element Of Crime-Musik zu machen. Früher haben wir nach dem Konzert halt mehr gesoffen, heute ist eine wichtige Erkenntnis: Die Leber altert mit. Wenn du richtig besoffen bist, hast du zwei, drei Tage dran zu knapsen. Vori5 Jahren war das nach einem Tag vorbei, der Stoffwechsel war schneller. Aber das ist Biologie und hat letztendlich nichts zu bedeuten. Man muss sich halt überlegen:Tut man sich das an oder schraubt man’s ein bisschen zurück? Beide Methoden sind richtig man kann ja auch sagen, gut, dann hat man doppelt so viel davon, wenn man zwei Tage ’nen Kater hat.
Die legendäre Zeile aus „Alten Resten eine Chance gilt also noch?
Was ist schon eine Party ohne Schmerzen hinterher? Genau.
Demnach fühlst dich nicht gehandicapt im Vergleich zu der Zeit, als du 25 warst?
Ganz im Gegenteil. Die ganze Altersgeschichte wird überschätzt. Als Band können wir heute vieles besser, weil wir in den letzten 16 Jahren ’ne Menge gelernt haben. Und ich selbst bin heute noch lieber ’ne Rampensau als früher. Das Lampenfieber wird insgesamt weniger, ich verliere es im Laufe einer Tournee immer schneller.
Du hast 15 Jahre in Berlin gelebt, bist dann für ein paar Jahre nach Hamburg gezogen und wohnst mittlerweile wieder in Berlin. Welche Bedeutung hat die Stadt für dich?
In Berlin bin ich über Jahrzehnte musikalisch sozialisiert, ich hab hier den größten Teil meines erwachsenen Lebens verbracht, und die Band ist immer hier gewesen. Und so wie ich gestrickt bin, fällt mir das Leben in Berlin ein bisschen leichter. Ich komme ja ursprünglich aus Bremen, und allein das regnerische Klima da muss ich nicht unbedingt haben.
Nervt dich das Geschwafel über Berlin-Mitte und vermeintlich dort vorhandenen „Spirit“ und „Vibe“?
Da muss man sich nicht drüber aufregen, finde ich. Das ist einfach ein Medienhype – viele Journalisten und Werbeleute, die dafür mit verantwortlich sind, leben in Mitte und lernen gerade selber erst, da zu wohnen. Wenn überhaupt,dann ist Mitte für den Techno-Boom seit Anfang der 90er relevant. Und wenn man heute an die Elektro-Szene andocken will, ist man in Mitte immer noch gut bedient.
Ist die Größe und das gepflegte Durcheinander Berlins wichtig für dich?
Ja und nein. Wenn ich einen Grund angeben müsste, warum ich gern in Berlin lebe: Weil es so groß ist und ich deshalb niemandem über den Weg laufen muss, dem ich nicht begegnen will. Andererseits muss man nicht in einer riesengroßen Stadt leben, um was zu erleben und Spaß zu haben. Es gilt immer noch: Home is where the heart is, nicht wo der Hype ist.
Man sieht dich erfreulich wenig in Talkshows – wie kommt’s?
Ich bin nicht grundsätzlich dagegen, ins Fernsehen zu gehen. Aber als Musiker wirst du in Talkshows ja nicht zur Musik interviewt, da geht’s ja mehr darum, über allgemeine Themen zur reden und auch rumzuplaudern – und damit hab ich ein Riesenproblem. Ich sehe keinen Grund vor Publikum rumzuplaudern. Ich habe Einladungen zu Talkshows gehabt mit dem Thema „Sex & Drugs & Rock’n’Roll – gibt’s das noch?“. Natürlich hab ich meine Meinung zu diesem Thema, aber ich muss meinen Senf nicht überall dazu geben und öffentlich über so’n Scheiß reden, dafür bin ich nicht zuständig.
Am Anfang euer Karriere wart ihr nicht so wählerisch.
Das war in der Zeit vor den heutigen Nachmittags-Krawall-Shows, da sind wir schon mal als Show-Act in ’ner Jugendsendung aufgetreten und das Thema drumrum war Jungfräulichkeit. Ich würde heute auch bei „Wetten, dass…?“auftreten, wenn es nur um die Musik ginge. Aber ich würde mich ! nicht vor 15 Millionen zu Gottschalk aufs Sofa setzen – das ist in meinem Leben nicht vorgesehen. Was vorgesehen ist, ist unsere Musik zu spielen. Und zwar, wo immer sich die Gelegenheit bietet, dass man sie unter die Leute bringt.
Das heißt im Klartext?
Dass ich nicht per se auf Prominenz erpicht bin. Ich bin nicht promogeil, aber für ein neues Produkt von uns hüpfe ich nach wie vor durchs Minenfeld. Dafür nehme ich auch in Kauf, in Promo-Zeiten wie dieser wenig Zeit für mich selbst zu haben. Einen Tag zu vertrödeln ist nämlich der größte Luxus, den man haben kann.
Dann hattest du in den letzten Wochen wenig Luxus. Um für dein Roman-Debüt „Herr Lehmann“ Reklame zu machen, hast du sicher viele Interviews gegeben.
Unsäglich viele sogar. Sehr interessant war dabei, dass man bei den Literaten konsequent gesiezt wird. In der Rockmusik wird prinzipiell geduzt, außer es kommen sehr junge Journalisten, die irgendwas für Schüler- oder Studentenmagazine machen. Ich sag dann immer: Lass‘ mal gut sein mit dem Siezen und lass‘ uns ein Bier trinken.
„Herr Lehmann wurde sogar im „Literarischen Quartett“ gelobhudelt. Erfüllt dich das mit Stolz?
Ich würde eher sagen: Das macht mich froh. Es wäre ja auch reichlich kokett zu sagen,dass das nicht so ist. Wenn auch nur ein Kritiker das Buch scheiße findet, bin ich sauer. Ich find’s nämlich nicht scheiße.
Wie lange garte der Gedanke in dir, ein Buch zu schreiben?
Sechs, sieben Jahre hab ich gebraucht, bis die Idee ausgebrütet war. Und fürs reine Schreiben hab’ich dann noch mal ein Jahr gebraucht. Ich hatte nie das Bedürfnis, Literat zu werden – aber zum Songschreiben bin ich ja auch gekommen wie die Jungfrau zum Kinde: Einer musste es ja machen. Mit dem Buch ist es ähnlich und ich hab‘ auch deshalb so lange gezögert, weil ich nicht auf Teufel komm ‚raus der Hansdampf in allen Gassen sein wollte. Das Buch sollte in sich selbst ruhen und in sich selbst seine Rechtfertigung finden und nicht zwingend damit in Zusammenhang gesetzt werden, dass ich der Sänger von Element Of Crime bin.
Frank Lehmann, der Protagonist deines Buches, gestaltet sein Leben radikal ambitionslos und ist ein Pessimist, der seinem eigenen Unglück gerne noch ein Stückchen entgegen geht. Ist er gerade deshalb ein Held des Alltags?
Ist er. Weil er sich durch alle Unwegsamkeiten des Alltags schlägt. Für mich ist er allerdings nicht ambitionslos. Er hat einen Beruf, den er verdammt gerne ausübt, und macht die Arbeit in der Kneipe gut. Wenn jemand Chefredakteur vom „Stern“ ist und sagt „Das ist mein Traumjob, ich will keinen anderen“, geht ja auch keiner hin und sagt: Der ist ambitionslos. Herr Lehmann wehrt sich gegen die Wertigkeit, die einem die Gesellschaft aufdrückt und sagt: Fahrt alle mal rechts ran, es gehen doch viel mehr Menschen in Kneipen als in Galerien und Museen -also ist die Arbeit eines Bierzapfers doch genauso viel wert wie die eines Künstlers.
Was ist die größte Qualität des Buches? Die Lakonik?
Das hör ich gern. Ich mag am liebsten an dem Buch,dass lustige Sachen ansatzlos in traurige übergehen – das ist meine Welt. Das Unglamouröse in „Herr Lehmann“ ist eine Parallele zu Elements-Texten: Auch darin beschäftige ich mich mit dem, was einem im normalen Leben passiert und damit, wie man dort Abenteuer und Bruchpunkte findet.
Das Buch endet mit der Maueröffnung 1989. Wie hast du diese Tage erlebt?
Ich war in Berlin, und irgendwie liefen alle rum wie auf Pille, die ganze Stadt stand unter Schock. Alle wussten, dass das ein ganz großes historisches Ding und wahnsinnig wichtig ist. Aber keiner wusste, wie man sich in so einer historischen Situation benehmen sollte. Man wusste, dass man sich jetzt mal verhalten musste – und gleichzeitig war keinem klar, wie man’s machen sollte. Man hat ja für diese Situation nicht üben können, man war darauf nicht vorbereitet. Und selbst, wenn: Man hätte nicht gewusst, was man dazu anziehen soll. Was trägt man denn so zum Mauerfall?
Eine letzte, ganz entscheidende Frage: Warum darf ein Salat auf Partys nie mit Nudeln sein?
Weil die sich immer so fies in den Teppich treten, so man einen hat. Tomaten, Majonaise – das lässtsich alles rauswaschen. Aber Nudeln… www.element-of-crime.de