Typisch deutsch


Just hat Lucinda Williams (50) mit ‚World Without Tears ein neues, allenthalben gelobtes Album veröffentlicht – reden wir darüber. In Deutschland ist es früher Abend, in Los Angeles später Vormittag. Sie macht sich einen Kaffee, als das Telefon klingelt. Schon wieder einer von diesen Teutonen …

Wo siehst du den Unterschied zwischen World Without Tears und Essence, dem Vorgängeralbum – war Essence introspektiver?

Ja, kann sein. Tut mir Leid, ich kann dazu nicht mehr sagen, die Unterschiede werden deutlich, wenn man sich die Platten anhört. Für mich ist es verdammt schwierig, mit deutschen Interviewern zu reden. Und es waren jetzt schon so viele – wieso eigentlich?

Die Leute hier interessieren sich für deine Musik.

Schön. Aber eure Fragen sind immer so… (kleine Denkpause) so umfassend, so tiefschürfend.

Tja, vielleicht ist das typisch deutsch.

Wirklich?

Ja, ich denke schon.

Einer fragte mich doch glatt: „Wie fühlst du dich, im Jahr 2003 Lucinda Williams zu sem?“ Äh – was soll ich da antworten? Könnt ihr nicht, na ja, spezifischer fragen? Vielleicht ist das ja auch ein Sprachproblem!?

Möglicherweise. Ich hoffe, du verstehst mein Englisch.

Oh, doch, es ist prima. Das sollte überhaupt keine Kritik sein – und ich glaube, dass die deutschen Interviewer einen prima Job machen. Nur werden sie mich wahrscheinlich nicht sonderlich mögen, weil ich sie immerzu frage: Was meinst du mit dieser Frage?

Kein Problem – ich weiß, dass du nicht allzu gern über diese theoretische Seite deiner Musik redest.

Ja, es ist für mich sehr schwer, meine Songs und meine Musik zu analysieren.

Okay, einfache Frage: Bist du glücklich mit dem Ergebnis dieser Aufnahmesessions?

Ja. (lacht verschämt, weil ihr wieder nichts einfällt.) Äh.ja… (Denkpause). Du giltst als Perfektionistin.

Mag sein. Ich glaube, ich setze mich manchmal zu sehr unter Druck. Aber ich habe auch gute Instinkte. Manchmal zweifle ich sogar jetzt noch, ob ich alles richtig gemacht habe.

Wie gehst du mit den hohen Erwartungen anderer um? So soll zum Beispiel dein Musikverlag gesagt haben, das nächste Album müsse rockiger werden, Charlie Sexton meinte, es solle mehr wie Tom Petty klingen.

Richtig. Gregg Sowders von Warner Chappell, mein Ex-Ehemann, sagte vor zwei Jahren, als ich begann, an neuen Songs zu arbeiten, dass das nächste Album mein Exile On Main St. werden könnte. Und ich hatte ja nun all diese Folk- und Countrysachen erkundet, wollte neue Gebiete erobern. Auch Charlie sagte das nur in einer ganz normalen Diskussion. Niemand erzählt mir, was ich tun muss.

Nimm zum Beispiel „Bleeding Fingers“ – ist das der Versuch, eine Stones-Nummer zu schreiben?

Nein, das passiert ganz unbewusst, über so etwas denke ich beim Schreiben nicht nach. Und „Bleeding Fingers“ ist klar von Paul Westerberg beeinflusst, dessen Soloalben mich sehr beeindruckt haben.

Du hast 25 Jahre hart für deinen Erfolg gearbeitet. Wie gefällt es dir heute als dreifache Grammy-Gewinnerin, von allen Seiten hofiert zu werden?

Nun ja, ich versuche mich daran zu gewöhnen.

Gute Antwort.

Ich bin sehr lange ohne diese Bestätigung ausgekommen. Und heute genieße ich das natürlich auch.

Du musstest dir Mitte der 90er Jahre noch Geld von deinem Musikverlag borgen, um zu überleben.

Ja, das stimmt. Jetzt ist das Gott sei Dank anders…

… und der Musikverlag verdient heute wohl auch ein paar Dollar mit deinen Songs.

Das hoffe ich doch.

Hat deine bessere finanzielle Situation einen Einfluss auf deine Arbeit?

Eher nicht. Aber es ist leichter, wenn man sich nicht mehr dauernd um die nächste Miete sorgen muss.

Kannst du dich besser aufs Arbeiten konzentrieren ?

Ja, aber mit Geld kann man sich Glück nicht kaufen. Außerdem kommen mit dem Erfolg andere Probleme – heute habe ich kaum noch Zeit zum Songschreiben. Ich denke, das Wichtigste ist, jeden Schritt auf dem Weg zu genießen. www.lucindawilliams.com