Supergroup dreht Etikett


Album zwei bringt Audioslave dem Selbstsein näher. Sagt hier trotzdem noch jemand das böse Wort? Chris Cornell soll's recht sein.

Los Angeles, 11. April, Coordination Breakdown. Chris Cornell weilt in der Stadt, der ME auch – was dem örtlichen Plattenfirmenmann freilich nicht Grund genug ist, ein Treffen zu arrangieren. Zu viele Anfragen, zu wenig Zeit, das müsse man jetzt auch verstehen. Wenn innerhalb von drei Tagen 60 Musikmagazine aus aller Welt ein Interview mit Audioslave führen wollen, käme man nicht umher, Kompromisse zu machen. Der Kompromiss geht so: Morgens um elf klingelt das Telefon im Hotelzimmer, die Promoterin herrscht: „20 minutes!“, und dann räuspert sich Mr. Cornell durch die Leitung. Viel um die Ohren, Chris? „Du machst dir kein Bild!“

Eigentlich ja doch: Seit dem Debüt von Audioslave sind zweieinhalb Jahre verstrichen, und als wäre das Warten auf die zweite Platte (die wichtige? die wichtigste?) nicht spannend genug, geht es bei dieser Band um sehr viel mehr als bloßes Nachlegen. Es geht um Selbstfindung, Vergangenheitsbewälfigung und das Springen über den eigenen Schatten. Darum, endlich mit der Formel „Audioslave gleich Rage-Against-The-Machine-Musik plus Soundgarden-Gesang“ zu brechen und der Welt zu beweisen, wieviel mehr geht, seit sich Comell Anfang 2001 den nach dem Ausstieg von Frontmann Zack de la Rocha verbliebenen RATM-MitgliedernTom Morello (Gitarre),Tim Commerford (Baßgitarre) und Brad Wilk (Schlagzeug) angeschlossen hat. Und tatsächlich: Audioslave sind mit Opus zwei, out of exile, auf dem besten Weg, sich zu emanzipieren. Sofern sich das nach den ersten Hörproben beurteilen läßt…

Euer Debüt tauchte acht Monate vor Veröffentlichung bei Napster auf. Dafür dürft ihr jetzt Fragen von Journalisten beantworten, die bestenfalls kurz vor dem Interview eine Handvoll Songs vorgespielt bekommen haben…

CHRIS CORNELL: Keine ideale Situation, ich weiß, aber die Sicherheit ist uns das wert. Versteh mich nicht falsch: Es ist toll, daß inzwischen so viele Menschen Zugang zum Internet haben; daß ich daheim einen Song aufnehmen kann, um ihn wenige Stunden später für alle Welt zugänglich ins Netz zu stellen. Nur gibt es eben auch einige sehr unschöne Seiten an der Sache. Piraterie ist eine davon. Du kannst nie wissen, ob deine Aufnahmen am Ende nicht doch vorzeitig ihren Weg ins Internet finden, und das macht dich auf Dauer…

… paranoid?

Zumindest sehr vorsichtig. Wenn du ein Album einspielst, ein Take nach dem nächsten machst, kommen schnell 50,60 CDs zusammen, die du abends am liebsten alle mit nach Hause nehmen würdest, um nochmal drüberzuhören und auszusieben. Daraufhaben wir diesmal verzichtet, weil das Risiko einfach zu groß wäre, daß etwas verloren geht oder gestohlen wird. Der Preis der Popularität, wenn man so will.

Und wohl ebenso unumgänglich wie das leidige Etikett „Supergroup“, das euch seit jeher anhängt.

Es stört mich nicht so sehr, wie man annehmen mag. Vielmehr interessiert mich, woher das Wort eigentlich kommt. Bei Crosby, Stills & Nash zum Beispiel sprach noch niemand von einer „Supergroup“. Wahrscheinlich haben den Begriff irgendwelche Marketingstrategen in den Achtzigern erfunden, am Reißbrett, um damit Bands wie Asia und The Power Station anzupreisen. Zusammenschlüsse von Musikern, die sich vorher in anderen Bands verdient gemacht hatten.

So wie Audioslave.

Aber mit vorrangig kommerziellen Zielen – was man der Musik dann auch meist angehört hat. Geld war für uns der letzte Beweggrund, diese Band zu gründen. Es ging und geht darum, gute Platten zu machen, ob die Leute sie kaufen oder nicht. Und wer weiß, vielleicht können wir dem Begriff „Supergroup“ ja ein anderes Gesicht geben.

Ticketpreise von knapp 50 Euro tragen nicht unbedingt dazu bei.

Wir sind auch nicht glücklich damit, aber abhängig von den Konzertveranstaltern. Auf eigene Faust können wir eine Tour nicht organisieren, geschweige denn bezahlen, und wenn am Ende überhaupt keine Shows stattfinden, hat erst recht niemand etwas davon.

Euer Drummer Brad sagt, Audioslave seien mit OUT OF EXILE zu einer Band geworden. Was ist so anders als beim ersten Album?

An der Art, wie wir zusammenarbeiten, hat sich nichts Wesentliches verändert: Wir schließen uns im Proberaum ein und schreiben drauflos. Je spontaner, desto effektiver. Ich denke, was Brad meint, ist, daß uns die Leute nun mit anderen Augen sehen. Als wir zusammenfanden, konnte man Audioslave leicht als ein kurzweiliges Projekt abtun. Es wurde viel spekuliert, und von der Presse gab’s meist verhaltene, wenn nicht negative Reaktionen.

Hat dich das belastet, irritiert?

Nicht nachhaltig, denn jetzt, wo unsere zweite Platte fertig ist, kann man uns kaum mehr nachsagen, wir hätten Audioslave zum bloßen Zeitvertreib gegründet. Unsere Vergangenheit scheint an Stellen sicher noch durch – was ich wichtig finde -, aber man hört uns doch vor allem an, daß wir als Band gewachsen sind.

Du sprichst es selbst an: das Problem von Audioslave, eine Identität fernab von Soundgarden und Rage Against The Machine zu finden, eine eigene klare Linie. Auf der neuen Platte scheint ihr das erreichen zu wollen, indem ihr gerade keine klare Linie fahrt.

Auch wenn weniger ein Vorsatz dahintersteckt, genau darauf läuft es wohl hinaus. Es ist nicht so, daß wir unsbeim Songwriting ununterbrochen einen Kopf machen, wie wir es anstellen können, am Ende unverkennbar zu klingen. Das läuft viel willkürlicher ab, wie ein Experiment. So: Wir machen jetzt einfach unser Ding, dann wird schon das Richtige dabei herauskommen. Etwas, das uns von anderen Bands, auch von unseren früheren, unterscheiden wird.

Eine Zeile wie die im Refrain eurer neuen Single wirkt da wie ein Credo: „To be yourself is all you can do.“

Wenn es für mich eine Maxime gibt, ist es diese: Versuche die Band zu sein, von der du dir als Fan wünschen würdest, sie brächte Platten heraus. Denn schließlich kommt es kaum vor, daß die eigene Lieblingsband von allen anderen Menschen auf der Welt gehaßt wird.

Selbst wenn es so wäre: Was kann sich eine Band schon mehr wünschen, als daß ihre Musik polarisiert?

Konsens zu suchen, ist der Tod der Kunst – das sehe ich genauso. Wenn du mit deiner Musik niemals anecken willst, verlierst du dich im Mittelmaß, in Beliebigkeiten.

Nach wie vor fällt auf: Du spielst mit Musikern zusammen, die einst Teil der vielleicht wichtigsten politischen Band Amerikas waren. Doch wenn es eins gibt, über das du nicht singst, ist das Politik.

Warum das so ist, frage ich mich oft selbst. Vielleicht liegt es an den Umständen: Tom [Morello] etwa spielte vor Rage in einer Band namens Lock Up. Die waren alles andere als politisch. Dann ging er nach Harvard, belegte Politikwissenschaften, und er traf Zack [de la Rocha], der sich ebenso intensiv mit politischen Problemen auseinandersetzte. Sie beeinflußten und bestärkten sich und gründeten Rage Against The Machine. Als die Band zerbrach und wir mit Audioslave anfingen, war es Tom aber nicht mehr so wichtig, in einer politischen Band zu spielen.

Immerhin suchte ersieh ein neues Ventil, als er 2002 mit Serj Tankian von System Of A Down die Politkampagne „Axis Of Justice “ ins Leben rief.

Ja, weil es ihm nach wie vor ein Anliegen ist, in dieser Hinsicht etwas zu bewegen.

Dir nicht?

Ich habe meine politischen Ansichten und Überzeugungen, aber bevor ich sie zum Inhalt meiner Texte mache, fallen mir eine Million anderer Sachen ein, über die ich lieber singe. Schau, letzthin habe ich eine Dokumentation über diesen Kerl gesehen, der eine White-Power-Band hatte. Er kam in den Knast, und irgendwas geschah dort, das seine Meinung radikal änderte. Als er rauskam, gründete er eine neue Band, um fortan mit seiner Musik gegen Fremdenhaß anzugehen. Und ich dachte mir: Typ, früher hast du über Rassentrennung gesungen, warum zur Hölle mußt du jetzt ausgerechnet über Rassenharmonie singen? Es gibt so viel anderes, über das es sich zu schreiben lohnt.

Langweilen dich politische Texte?

Im Gegenteil. Die Lyrics, die Zack während seiner Zeit bei Rage Against The Machine geschrieben hat, zählen zu den besten, die ich je gehört habe. Sie beeindrucken mich gerade deshalb, weil sie so anders sind als meine. Besonders in den ersten Monaten mit Audioslave habe ich mich viel mit seinen Texten beschäftigt und nach Gemeinsamkeiten gesucht. Aber es gibt so gut wie keine, und das erleichtert meinen Job in dieser Band. Es besteht da kein Wettbewerb „Cornell vs. de la Rocha“. Ob Fans, Journalisten oder Bandmitglieder- niemand kommt dauerhaft in Versuchung, uns beide zu vergleichen, weil es genauso unmöglich ist, wie Metallica gegen Public Enemy abzuwägen. Zack und ich leben in völlig verschiedenen Welten.

Hat er dir jemals gesagt, was er von Audioslave halt?

Nein. Ich habe ihn einmal getroffen, 1996, und das war’s. Ich glaube nicht, daß überhaupt irgendwer in dieser Band bisher Feedback von ihm bekommen hat. (lacht)

www.audioslave.com; www.axisofjustice.org