Billy Corgan: Billy Corgan über sein Image als Arschloch
Der Mann gründet erst mal keine Band mehr. Sonst heißt es bald wieder, er sei ein ... Corgan ist bereit, seine Male zu zeigen, Lügen zuzugeben, aus der Hölle zu berichten.
Pop liebt Listen. Das beste Album, die schlechteste Single, schönstes Cover, solche Sachen. Glücklicherweise gibt es noch keine Charaktercharts für Rockstars. Billy Corgan würde sonst auf dem ersten oder dem letzten Platz landen. Je nachdem, ob nach dem größten Wonneproppen oder dem größten Kotzbrocken gefragt würde. Denn der ehemalige Kopf der Smashing Pumpkins und Chef der kurzlebigen Nachfolgetruppe Zwan gilt, milde gesagt, nicht eben als liebenswürdigster Mensch unter der Sonne. Ex-Kollegen wie James Iha oder Melissa auf der Maur bestätigen das gerne und rollen dabei mit den Augen.
Jetzt ist er solo unterwegs und empfängt uns zum Gespräch in seiner Suite im Hamburger Hilton. Um sein Album The Future Embrace soll es gehen, aber das geht erstmal nicht, weil Billy Corgan in seiner Sporttasche kramen muß, während er im Schneidersitz im Sessel fläzt. Das gibt uns Gelegenheit, ihn zu mustern, seinen leichten schwarzen Mantel, das roséfarbene Hemd, die knielange Hose, rautenförmig gemusterte Strümpfe in offenen roten Turnschuhen von Kindersarggröße. Ihm widerum gibt es Gelegenheit, das Gespräch zu eröffnen – nachdem er die Döschen gefunden und ein halbes Dutzend Pillen eingeworfen und mit Cola light heruntergespült hat.
Billy Corgan: Du fragst dich vielleicht, wofür ich diese Tabletten brauche?
Ehrlich gesagt…
Aids.
Wie bitte?
Kleiner Scherz. Ich habe seit heute morgen um vier Uhr geschrieben, Texte auf meine Homepage gepostet. Deshalb bin ich ziemlich groggy und schlucke alles, was ich an homöopathischen Mittelchen dabeihabe. Dieses konstante Schreiben ist auf Reisen sehr anstrengend. Wenn ich wieder in den USA bin, wird es viel einfacher gehen. Ich bleibe ja nur noch einen Tag, heute Abend fahre ich nach Berlin. Mit dem Zug von Hamburg nach Berlin. Das wird sehr romantisch.
Naja, es ist ein ICE, ein Hochgeschwindigkeitszug.
Echt? Auch cool.
Was machst du in Berlin ?
Freunde besuchen, Kunsthändler.
Um welche Kunst handelt es sich?
Fotografie. Ich sammle alte Fotos.
Du bist mit einer Fotografin zusammen, und auf dem Cover deines Albums ist auch ein sehr intimes Foto von dir zu sehen. Es heißt The Future Embrace …
Ja, wie könnte man die Zukunft umarmen?
Klingt aber optimistisch.
Nein.
Optimistischer als das, was wir von Billy Corgan gewohnt sind. Du wirkst zudem gelöster, als man es von dir gewohnt ist. Leute, mit denen du gearbeitet hast, sind jedoch immer noch nicht gut auf dich zu sprechen…
Du meinst, die Leute halten mich für ein Arschloch?
Äh, ja.
Wer?
Melissa auf der Maur beispielsweise, die Kurzzeit-Bassistin der Pumpkins. Das Wort „Arschloch “ hat sie allerdings nicht verwendet.
Ach Gottchen, die gute Melissa. Bestimmt hat sie etwas von „integer, aber schwierig“ gesagt. Sagen alle. Gehört aber doch auch zusammen, oder?
Das wollten wir eigentlich von dir wissen.
Ich habe mich lange mit der Mentalität von Teenagern beschäftigt, meine eigene eingeschlossen. Und die Mentalität von Teenagern ist eben ziemlich stachlig, bleich, purer Nihilismus. Wie Nietzsche gesagt hat: „Wenn du lange in einen Abgrund schaust, schaut der Abgrund auch in dich hinein.“ Da wollte ich hin: Heavy Metal und Nihilismus – perfekte Kombination.
Ist dunkel dort.
Ja, aber ich beabsichtigte nicht, dort zu bleiben. Ich wollte in die Hölle, um die Leute dort auf dem Rückweg mit mir hochzuziehen.
Das erinnert an Orpheus…
… und Eurydike, ich weiß. Aber ich war smart genug dafür. Auch wenn ich mich, tja, eben in der Hölle wiedergefunden habe. Es ist anstrengend dort. Die Spannungen in der Band, Schwierigkeiten mit Drogen, Lügen, Ehen oder kulturellen Umwälzungen.
Auf dem Cover sieht man deutlich dein Feuermal, es wird regelrecht ausgestellt.
Ja, es läuft von der Hand den Arm hoch und bedeckt die halbe Schulter. Ich habe auch noch eines auf dem Rücken. Deshalb ist es wirklich ein intimes Foto, weil ich als Kind ständig deswegen gehänselt wurde und immer viel Energie darauf verwendet habe, die Male zu verbergen. Aber es ist ein ganz einfaches Foto.
Schwer scheint aber der Weg dahin gewesen zu sein, ein so einfaches Foto zu nehmen.
Ja, weil ich damit ein gewisses Niveau an Selbstentblößung erreicht habe. Nicht nur musikalisch, sondern auch persönlich. Es ist ein neues Level, das Level der Ehrlichkeit sozusagen; wie Mark Twain einmal gesagt hat: „Wenn du nicht lügst, gibt es keinen Grund, sich an irgendetwas zu erinnern.“ Und ich habe viele Jahre damit verbracht, mich an viele Dinge zu erinnern, weil ich verdammt viele Lügen erzählt habe.
Also versuchtest du dich ständig daran zu erinnern, wem du welche Lügen erzählt hast?
Richtig. Und die Smashing Pumpkins waren für diesen Zustand einfach perfekt, weil ich in dieser Band der Welt und der Presse nicht als Person, sondern als Paradigma begegnen konnte. Der Pumpkins-Billy-Corgan war eine Figur, in die ich mich aus Weltangst eingeschlossen habe. Ich war ein Schauspieler.
Und jetzt bist du es nicht mehr?
Wenn das tolle große Bild, das du von dir gemacht hast, nicht mehr haltbar ist, dann hältst du dich eben an einem kleineren Bild fest. Was nicht heißt, daß dieses kleinere Bild weniger wertvoll wäre.
Das habe ich nicht verstanden.
Das kleine Bild ist wertvoller, weil es echt ist. Das große Bild war eine Fälschung. Bei den Pumpkins hatte ich immer eine schreckliche Scheu, mich aus eigener Ermächtigung vor der Welt zu entblößen. Ich dachte immer, wenn sie jetzt diese Figur, diese Rolle schlachten – und sie haben sie geschlachtet -, dann bleibt nichts mehr von mir übrig. Also habe ich etwas für mich zurückgehalten. Ergibt das Sinn?
Ja.
Es ist eine sehr grausame Form von Selbstschutz. Es beeinflußt jede Entscheidung, nicht nur die künstlerischen. Besonders grausam und ungerecht muß ich dort gewesen sein, wo sich das Menschliche mit dem Künstlerischen trifft – und auch noch das Geschäftliche dazukommt.
Bei den Smashing Pumpkins.
Ja, da war ich wohl das größte Arschloch. Aber was sollte ich tun? Ich verkörperte diese Band. Alles, was du da hörst, ist zu 99 Prozent auf meinem Mist gewachsen. Als ich diese Rolle für mich nicht mehr spielen wollte und konnte, gab es auch keinen Grund mehr, das für Leute zu tun, die nur noch wie Mietmusiker im Studio vorbeischlenderten.
Aber das ist vorbei.
Ja.
Klingt, als hattest du eine Psychotherapie hinter dir.
So ist es.
Ist The Future Embrace schließlich ein Dokument der Befreiung, der Emanzipation?
Es geht darum, daß ich mich nicht mehr hinter dem Namen einer Band verstecken kann und will. Ich war bei den Pumpkins – und habe sie aufgelöst. Ich habe Zwan gegründet- und aufgelöst. Ich will einfach nicht wieder das Risiko eingehen, eine Band zu gründen und dann aufzulösen. Sonst gelte ich bald nur noch als das Arschloch, mit dem man unmöglich in einer Band spielen kann, weil es sie vielleicht morgen schon nicht mehr gibt.
www.billycorgan.com