„Meist beginnt es als Witz“


Warum sind Synthesizer die Baseball-Kappen des Pop? Wie dehnbar sind Komfortzonen? Wie läßt man Drums auch ohne Schwanz donnern? Antworten gibt Adam Green.

Im von stets schicken jungen Menschen stets ausgezeichnet besuchten Cafe Oberholz am Rosenthaler Platz in Berlin ist Adam Green an diesem späten Nachmittag im Januar nicht zu übersehen: Er ist der einzige Gast ohne Laptop. Dafür trägt er ein sandfarbenes Jackett, Hut und leicht an der Bürde, alle fünf Minuten von Fans angesprochen zu werden. Eben hat er einen Milchcafe bestellt und etwas auf dem Herzen ADAM GREEN: Hey, ihr Typen habt mir einen Preis verliehen – der erste, den ich jemals bekommen habe!

Kanntest du die anderen „ME Style Award“-Preisträger?

Sarah Kuttner. Bei allen TV-Sendungen, bei denen ich sonst war, liest der Moderator von Tafeln ab. Bei Sarah ist das anders, sie hat ihre Sendungen immer im Kopf. Sie ist smart.

Der Titel deiner Platte ist Jacket Full Of Danger. Du sitzt hier mit einem Jackett vor mir. Bist du gefährlich ?

Nein, ich habe dieses Jahr nur versucht, meinen Frieden zu machen mit der Gefahr.

Welche Gefahr?

Diese unbestimmte Bedrohung, die permanent von der Zukunft ausgeht. Ich habe es aufgegeben, als ich merkte: Wenn ich mich mit dieser Gefahr wirklich arrangiere, bin ich bald nicht mehr in der Lage, den Dingen kritisch gegenüber zu stehen. Naja, und außerdem sammelte ich Jacketts. Auf dem Cover werde ich mit einem DDR-Jackett zu sehen sein.

Einer Uniform der DDR-Grenztruppen.

Da schwingen hier in Deutschland wohl viele Sachen mit, an die ich gar nicht gedacht habe. Als dann das Foto im MUSIKEXPRESS erschienen ist, gab’s plötzlich ziemlich viel Post von Leuten, die sich davon irgendwie verletzt fühlten. Aber ich kannte den Kontext nicht. Und es ist das schickste Jackett, das ich je gesehen habe. Und es paßt mir perfekt! Aber Jacketts waren gestern. Jetzt sammle ich Hüte!

Was gefallt dir denn an Hüten?

Daß sie so überflüssig sind. Völlig sinnlos! Und trotzdem geben sie dir irgendwie eine Haltung, eine Form – ganz egal, wie du dich unter deinem Hut fühlst. Gerade auf der Bühne ist das ein praktisches…

.. Accessoir?

Ja, aber anders als andere Accessoirs ist es keine Barriere zwischen dir und anderen Leuten. Sonnenbrillen schon. Es ist unentschuldbar, wenn jemand auf der Bühne eine Sonnenbrille trägt. Ich verstehe das nicht. Dafür gibt es nur dann eine Entschuldigung, wenn du blind bist. Blind oder der beste Songwriter deiner Zeit.

Manche schützen damit einfach nur ihre Augen vor den starken Scheinwerfern.

Das fällt für mich unter die Kategorie „blind“. Oder Leute, die so irrsinnig berühmt sind, daß sie in der Öffentlichkeit so gut wie gar kein Privatleben mehr haben. Halt, nein, warte, es gibt noch eine Ausnahme: Wenn du gerade auf Heroin bist.

Kennst du diese historischen Fotos aus der Zeit der Weltwirtschaftskrise?Hungernde Menschenmassen, ein Heer aus Arbeitslosen und jeder trägt einen Hut.

Genau! Heute ist es doch so, daß du in keiner Kneipe mehr einen Haken findest, an den du deinen Hut hängen könntest. Selbst das allerteuerste Restaurant will mit deinem Hut nichts mehr zu tun haben. Es ist absurd. Der Hut ist komplett ausradiert worden. Ich weiß auch nicht, woran das liegt.

Vielleicht war das die Schuld der Baseballkappe ?

Die Baseballmütze! Das ist es! Die Baseballkappe ist die niedrigste Form des Hutes. Schöne Hüte sterben aus, und die Leute setzen sich statt dessen Wegwerfprodukte auf den Kopf… Was ist?

Ich frage mich gerade, wie wir nun wieder den Bogen zur Musik bekommen.

Mußdas denn sein?

Das muß sein. Auf deinem neuen Album sind wieder Streicher zu hören…

… nachdem ich bei Gemstones bewußt darauf verzichtet habe, ja. Die Plattenfirma hat nicht damit gerechnet, daß ich so schnell mit einem Nachfolger für Friends Of Mine kommen würde. Ich habe es ihnen gesagt, bin ins Studio und war nach zehn Tagen fertig. Dann gab ich die Tapes Jane …

Jane Scarpantoni, die auch für R.E.M., Sheryl Crow, Lou Reed und die Indigo Girls gearbeitet hat?

Ja. Sie schrieb die Streicher-Arrangements. Aber … ich fand nur zwei davon gut. Ich hörte mir die Rough Mixes meiner Songs an und dachte: Hm, vielleicht brauchen die gar keine Streicher. Außerdem war ich da schon über ein Jahr mit meiner Band auf Tour, und mein Material hörte sich auch ohne aufwendige Arrangements nicht schäbig an. gemstones sollte mir und dem Publikum beweisen, daß es keine Streicher braucht, damit es „nach Adam“ klingt. Ich denke immer noch, daß zwei der Songs die Arrangements ganz gut getan hätten. Aber dann hätte das Album nicht mehr so rund und kompakt geklungen, also ließ ich sie ganz weg. Jetzt, da ich sozusagen dieses Statement gemacht habe, konnte ich freier arbeiten.

Das heißt?

Daß ich für Jacket … alles miteinander verbinden konnte, was ich inzwischen über Musik gelernt habe. Es ist sicherlich das komplexeste Album, das ich je gemacht habe. Weil es alle Punkte miteinander verbindet, die ich in meiner Kunst bis jetzt markiert habe bis hin zu Punkten, die bisher außerhalb meines Koordinatensystems lagen.

Wie Southern Rock.

Und wie traditioneller amerikanischer Folk. Inzwischen bin ich ja einen weiten Weg gegangen, aber mit dem Folk habe ich angefangen, schon als Kind.

Davon hattest du dich zwischenzeitlich weit entfernt.

Aber jetzt bin ich reif genug, dahin zurückzukehren und mir diese Musik anzueignen, ohne daß sie in meinen Ohren gleich klingt, als würde ich ein Idol bekleckern, indem ich es nachäffe.

„Jolly Good“ ist so ein Song, es ist vielleicht der beste auf dem Album…

Bei „Party Line‘ beispielsweise hatte ich einfach nur die Absicht, einen Song zu schreiben, der sich anfühlt, als würde ich Zuhause spazieren gehen …

Bei dir zuhause in Brooklyn ?

Ja, im Stadtteil Williamsburg gibt es eine Straße, die Bedford Avenue heißt, und die mündet in einen großen Platz, eine Art Verkehrskreisel. Im Sommer sieht das aus wie ein Zirkus, überall Leute, und ständig treffe ich alte Bekannte. An das Gefühl, das dabei entsteht, habe ich mich früher künstlerisch nie herangewagt.

Williamsburg gilt als eine Art Prenzlauer Berg von New York. Würde es dich nicht reizen, in Berlin zu leben?

Unmöglich!

Warum?

Weil ich hier wahnsinnig werden würde. Es kennen mich einfach zu viele Leute. In New York, speziell in Williamsburg, ist das anders. Aber ich ziehe jetzt sowieso um, nach Manhattan. Da ist es noch besser, weil sich wirklich niemand etwas aus Prominenten macht. Aber das nur nebenbei…

Ja, zurück zur Musik: „Novotel“ auf dem neuen Album klingt auch ziemlich ungewöhnlich für Adam Green…

Neues Terrain! Es hat fast einen R’n’B-Sound, wie Destiny’s Child. Ich wollte einen Teil dessen, was ich immer im Radio höre, in meine Musik übersetzen und dabei natürlich die Posen weglassen. Ich kann, will und muß ja auch nicht so tun, als wäre ich ein geborener R’n’B-Sänger. Im Gegenteil: Ich habe immer schon fremde Rhythmen oder Melodien aus ihren Zusammenhängen gerissen und versucht, sie von den Bedeutungen zu trennen, die mitschwingen.

Sind deine verschiedenen Vorlieben manchmal überraschend für die Musiker, die sie umsetzen müssen?

Immer! Meistens beginnt es als Witz, mit dem wir ein wenig herumspielen, wie bei „No Legs“oder „Friends Of Mine“. Bei „Gemstones“ haben sie am Anfang noch die Augen verdreht und gesagt, das wäre der verdrehteste Song, den ich jemals geschrieben hätte. Aber am Ende ist aus dem Witz ein Song geworden.

Und sie protestieren nicht?

Oh doch, bei „Party Line“ auf dem neuen Album haben sie mir richtig ins Gewissen geredet: „Adam, bist du sicher, daß du so ‚Proud Mary‘-mäßigen Southern Rock spielen willst?“ Und ich sagte: „Klar!“ Weil du eben auch musikalische Ausdrucksformen übernehmen kannst, ohne dich gleichzeitig in die Posen der ursprünglichen Interpreten zuwerfen.

„White Women‘ ist ein weiteres gutes Beispiel hierfür.

Ich wollte da diesen wuchtigen Drum-Sound von Led Zeppelin. Das heißt aber nicht, daß ich Robert Plant jr. werden muß. Ich versuche nur jedesmal, meine „Komfortzone“ ein wenig zu auszudehnen.

Mit anderen Musikern könntest du vielleicht noch ganz andere Wagnisse eingehen.

Sicher, ja. Das denke ich die ganze Zeit. Ist das schlimm? Ich habe viele Musiker, die für mich spielen. Und die dehnen ihre „Komfortzone“ auch aus, suchen nach neuen Ausdrucksformen. Ich weiß, daß Nathan, als ich ihn damals getroffen habe, nicht annähernd so gut Piano spielte wie heute. Steve ist viel besser geworden am Baß. Nur mein Schlagzeuger war schon immer der beste Schlagzeuger der Stadt.

Wenn du auf deine drei Soloplatten…

Vier! Mit Garfield sind es vier!

… zurückblickst, würdest du von einem Reifeprozeß sprechen?

Wen man das so sehen will… Ich schätze das anders ein. Also, ohne jetzt die drei älteren Platten abwerten zu wollen: Ich wollte immer eine Platte wie Jacket … machen – nur wußte ich nicht, wie ich solche Songs hätte schreiben können, wie ich meiner Band hätte erklären können, was ich von ihr will, wie ich all die interessanten Einflüsse hätte zusammenfügen können.

Es ist wieder ein recht kurzes Album geworden…

Mehr als 30 Minuten ist meist zu lang. Ich halte das schon immer so. Die besten Platten sind doch die, die du in einem Rutsch angenehm durchhören kannst und dann gleich nochmal auflegen möchtest. Es gibt einfach zu viele Alben, bei denen du dir die letzten Songs nie angehört hast, weil du gar nicht erst so weit kommst. Zu viele Füller und so …

Du hast auch keine geheime Schublade voller unveröffentlichter Stücke?

Wenn, dann ist es eine Schublade mit einem einzigen Füller. Das war ein Song für Gemstones, der einfach zu schlecht war und den ich deshalb weglassen mußte.

Wenn du deine Musik aus dem Studio auf die Bühne übersetzt – gewinnt oder verliert sie dann?

GEMSTONES habe ich extra ohne Streicher aufgenommen, weil ich sonst ständig mit einem Geigenquartett hätte touren müssen, um den Leuten auf der Bühne zu geben, was sie von der Platte kennen. Diesmal werde ich mit Streichern auf Tour kommen, in Opernhäusern spielen und so. Wahrscheinlich werde ich dann auch ein oder zwei von Janes Arrangements für Gemstones zur Aufführung bringen. Es könnte also sein, daß sie live zum ersten mal so gespielt werden, wie sie wirklich gemeint waren.

In den USA warst du doch schon einmal mit Streichern unterwegs.

Aber zu einem Zeitpunkt, als ich gerade mal 14 Songs geschrieben hatte. Außerdem fühlte ich mich als Performer noch ziemlich überfordert damals. Obwohl… es gibt ein Bootleg von einem meiner Konzerte am Hudson River, es regnete die ganze Zeit, und das war wirklich wunderbar. Vielleicht das beste Konzert, das ich jemals gegeben habe. Mit Streichern!

Was liegt dir eigentlich so sehr an Streichern? In den Ohren vieler Leute klingt das einfach nur kitschig.

Oh, Streicher waren mal integraler Bestandteil der Musik, früher mal …zur Zeit der Hüte! Streicher sind auch völlig sinnlos, haben keine besondere Botschaft, nur einen besonderen Klang, der dem Ganzen einen würdevollen Anstrich gibt. Wie Hüte! Leider haben zu viele Leute die Streicher mißbraucht, um ihre armseligen Refrains aufzuhübschen, und so sind die Streicher aus der Mode gekommen. Wenn die Baseballmützen für das Ende der Hüte verantwortlich sind, dann sind es die Synthesizer für die Streicher. Wenn die Arrangements aber eine tragende Funktion im Song übernehmen, dann bekommst du die Gänsehaut deines Lebens!

www.adamgreen.net