Mike Patton: Über das Musikbusiness
Als Sänger von Faith No More war er in den 90ern ein Umsatzträger für seine Plattenfirma. Dann entschloß er sich, das zu machen, was er wollte: Musik, die den Hörer provoziert, ein eigenes Label zu gründen und das „Produkt "Mike Patton" selbst zu „vermarkten.
Irgendwann hatte Mike Patton die Schnauze voll, der Sänger von Faith No More zu sein, einer Band, „mit der wir alles gesagt hatten, was zu sagen war“. Er löste Faith No More 1998 auf, gründete ein Jahr später zusammen mit Greg Werckman, dem früheren Label-Manager des legendären Punklabels Alternative Tentacle, seine eigene Plattenfirma und nannte sie nach einem Brechmittel: „Ipecac“. Das Motto: „Making People Sick Since 1999“. Zuerst veröffentlichte Patton das Debütalbum seines Projekts Fantômas – ultrakomplizierte vertrackte Musik zwischen Speed Metal, Noise, Easy Listening und Avantgarde. „Musik, die viel schwieriger war als das, was ichfrüher mit Faith No More gemacht habe.“ Kranke Musik eben. Mittlerweile erscheinen auf Ipecac Platten von so unterschiedlichen Acts wie den legendären 8oer-Jahre-Helden Melvins, den HipHoppern Dälek und Sensational und dem Elektronik-Weirdo Kid 606.
Warum hast du damals dein eigenes Label gegründet? Hast du negative Erfahrungen mit Majorlabels während deiner Zeit mit Faith No More gemacht?
„Wir waren ja zehn Jahre bei einem Majorlabel. Da hat es sowohl negative als auch positive Sachen gegeben. Ich hatte allerdings auch die gleichen Erfahrungen mit Indielabels. Ich glaube nicht, daß Indies besser sind als Majors. Das ist wie wenn du nach Las Vegas gehst. Du setzt alles auf rot oder schwarz, und du gewinnst, oder du verlierst. Als ich mein eigenes Label gegründet habe, hatten mein Partner und ich, aber auch die Bands, die bei uns ihre Musik veröffentlichen, schon einschlägige Erfahrungen gemacht – die Melvins zum Beispiel. Sie haben sowohl auf Indies als auch auf Majors veröffentlicht. Du wirfst all diese Erfahrungen aus 30 Jahren voller Scheiße zusammen, und deshalb hatten wir eine ziemlich gute Vorstellung davon, was wir nicht machen wollten. Deshalb haben wir uns ein Umfeld geschaffen, in dem ich selbst gerne arbeiten würde, wenn ich ein Künstler wäre, der ein Label sucht. Bei uns gibt es keine Verträge über sieben Platten. Bei uns wird die Musik nicht an ein Unternehmen verkauft. Wenn du für uns eine Platte aufnimmst, behältst du die Rechte daran. Du kannst deine Platte unter den Arm nehmen und einfach damit nach Hause gehen. Du bekommst so was wie einen Lizenzvertrag. Wir verfügen nicht über das Geld der Majors und der großen Indies, weil wir eine andere Struktur als die haben. Wir halten die Kosten niedrig, damit der Gewinn für die Künstler größer ist. Wir bezahlen Tantiemen, die absurd sind, im Vergleich zu anderen, weil wir uns das leisten können. Weil wir das Geld nicht zum Fenster hinauswerfen, weil wir das Budget auf einem realistischen Level halten. Das mag nicht bei jedem Label funktionieren, aber bei uns funktioniert es.“
Es muß ein seltsames Gefühl für dich als Musiker gewesen sein, plötzlich auf der anderen Seite des Schreibtisches zu sitzen.
„Ein bißchen ja. Ich war sicherlich am Anfang ein wenig eingeschüchtert. Weil die Labelarbeit dem Touren, dem Aufnehmen und dem Musikmachen in die Quere gekommen ist. Aber je länger ich mich mit der Business-Seite beschäftigt habe, desto neugieriger bin ich darauf geworden. Ich wollte auch schon in der Zeit vor meinem Label wissen, wie das Business funktioniert. Je weniger du deine Nase da reinsteckst, je weniger du über das Geschäft weißt, desto mehr kannst du verarscht werden. Es ist in meinem eigenen Interesse, zu wissen, wie das Business funktioniert. Es ist in meinem eigenen Interesse, nicht die ganze Zeit voll Whiskey und Gras zu sein. Es ist einfach ein schreckliches Klischee – der betrunkene, gequälte Künstler und der Geschäftsmann hinter ihm, der sich nur um das Bankkonto kümmert. Es hilft jedem, wenn sich die Künstler mehr um geschäftliche Dinge kümmern, dann haben wir nämlich mehr Kontrolle über das, was wir tun.“
Bei deinem Label geht es sehr um künstlerische Freiheit.
„Die künstlerische Freiheit ist der Ausgangspunkt von allem. Wir wollen ein Umfeld schaffen, in dem die Künstler machen können, was sie wollen. Auch wenn sie aus 15 verschiedenen Genres kommen, aus den unterschiedlichsten Orten in der Welt, aus den unterschiedlichsten musikalischen Epochen. Schau dir das Label aus einiger Entfernung an: Wie paßt Ennio Morricone zu The Kids Of Whitney High? Wie passen die Melvins zu Kid 606? Die Antwort darauf: Das sind alles musikalische Außenseiter, die nirgendwo anders hingehören. Ich hatte schon immer ein Herz für Musik, die normalerweise unter den Tisch fällt. So wie meine eigene. Es gibt keine „Szene“ und keine „Community“ für Leute, die solche Musik machen. Wir haben ein komisches, kleines Forum geschaffen, in dem all diese unterschiedlichen Sachen Sinn ergeben.“
Zahlt das Label deine Miete?
„Es hilft dabei. Aber ich wohne Gott sei Dank nicht mehr zur Miete. Denn die würde das Label wahrscheinlich nicht decken. Ich wohne in San Francisco, und da sind die Mieten explodiert. Über unsere Plattenverkäufe würde sich ein Majorlabel totlachen . Aber für uns sind 80.000 verkaufte Platten der Wahnsinn. Das ist Indie-Gold! Indie-Platin! Das Label läuft für seine Verhältnisse sehr gut.“
Für wen machst du deine Musik? Wer ist die „Zielgruppe“? Es fällt auf, daß sich vor allem Metal-Magazine dafür interessieren. Vielleicht liegt das ja am Slayer-Schlagzeuger Dave Lombardo, der bei Fantomas spielt?
„Du kannst dir nicht heraussuchen, wer deine Musik anhört. Jede Art von Interesse an meiner Musik ist gut. Weil du gerade Dave Lombardo erwähnst, im Falle von Fantômas ergibt die Metal-Zielgruppe sogar Sinn. Es ist wirklich eine extrem schwierige Musik, aber sie bedient sich einer Sprache, die aus dem Metal und dem Hardcore kommt. Und wenn sich die Leute aus dieser Welt Fantômas anhören und darüber schreiben, finde ich das toll. Es ergibt mehr Sinn, als wenn „Urban“ oder „Vibe“ darüber berichten würden. Aber das wäre natürlich auch toll. Ich mache meine Musik nicht für irgendeinen Lifestyle oder für einen bestimmten Personenkreis. Ich habe mich nie als ein Teil davon gefühlt, und ich wüßte auch nicht, wie ich dafür Musik machen könnte.“
Hörst du zeitgenossische Popmusik?
„Ein bißchen was. Vor allem mit dem Peeping-Tom-Zeug wollte ich aktuelle Popmusik als Einfluß verarbeiten. Ich höre viel R’n’B und HipHop. Je mehr Musik ich mir anhöre und je mehr ich mit Leuten zusammenarbeite, desto mehr kann ich darüber lernen. Es ist alles Musik; es interessiert mich nicht, wie populär sie ist oder wie sehr sie undergoundist. Wenn sie gut ist, ist sie gut, und wenn sie scheiße ist, ist sie scheiße.“
Es wird immer gerne vergessen, daß das Publikum ein Bestandteil des Business ist. Ohne die vermeintlichen Sehnsüchte und Erwartungen der Hörer und ihre scheinbare Erfüllung durch die Plattenfirmen würde das Business nicht funktionieren. Ich glaube, daß die meisten Leute immer dieselbe Musik hören wollen, sie wollen nicht mit einer Musik konfrontiert werden, die sie herausfordert.
„Absolut! Für viele Leute ist alles, was neu ist, ein Problem. Nicht für jeden, aber für die Allgemeinheit. Neue Dinge, neue Herangehensweisen, neue Ideen sind Probleme für die Leute. Sie wollen, daß man ihnen dieselbe Geschichte immer wieder erzählt. Musik funktioniert im Leben der meisten total anders als in meinem. Musik ist für mich eine Sache, bei der ich immer hundertprozentig dabei bin. Sogar wenn ich eine Platte anhöre, tauche ich zu 100 Prozent ein. Ich möchte wissen, was in der Musik passiert. Für mich ist das so, als ob ich ein anderes Universum betrete. Die anderen hören Musik im Auto auf dem Weg zur Arbeit, oder sie läuft im Hintergrund, wenn sie ihr Bier in der Bar trinken, oder sie hören sie auf ihrem iPod. Es gibt eine Million Gründe, weshalb Leute Musik hören, und es gibt eine Million Arten, Musik zu hören. Für die meisten Leute ist Musik eher eine Nebensache. Und sie wollen – wie du gesagt hast – immer wieder dasselbe hören. Oder dasselbe unterschiedlich verpackt. Das ist sehr bequem. Es erinnert dich vielleicht an einen bestimmten Lebensabschnitt. Oder es trägt dich zurück an einen bestimmten Ort. Es gibt schon genug Musik da draußen, die diese Funktion erfüllt, ich muß nicht auch noch solche Musik machen. Es gibt unzählige Auswahlmöglichkeiten für die Leute, sich Musik anzuhören, die auf diese Weise funktioniert. Meine Musik funktioniert anders.“
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