Rocko Schamoni übers Aufgeben


Die erste Zeile deines aktuellen, von dir geschriebenen Presseinfos lautet: „Ich kann nicht mehr.“ Und über Popmusik schreibst du: „Zu viel Kraft landet in etwas, das wie eine Billigpizza konsumiert wird.“ Und auch auf deiner neuen Platte geht es eher pessimistisch zu. Deshalb würde ich gerne mit dir übers „Aufgeben“ reden.

Wir können gerne darüber reden. Es wäre für mich allerdings das falsche Zeichen, zu sagen, ich bringe zwar eine neue Platte heraus, bin aber eigentlich schon gar nicht mehr da. Ich äußere mich dennoch gerne dazu, weil das große Sterben überall stattfindet.

Was stirbt da ? Liegt die gesamte Popkultur am Boden ?

Nee, die Popkultur sucht immer wieder neue Wege, sich zu verbreiten. Andererseits ist es aber so, dass sich die jungen Konsumenten zum großen Teil vom Tonträgermarkt abwenden und diese Musik nicht mehr finanzieren wollen.

Deine Abwendung von der Popmusik rührt tatsächlich vor allem von der ökonomischen Situation her, nicht auch daher wie dein Freund Schorsch Kamerun vor kurzem in einem SZ-Interview meinte -, dass die Popkultur nicht mehr zur Subversion taugt?

Das ist nur einer von vielen Aspekten. Es findet aber auch einfach ein Alterungsprozess statt bei Leuten wie Schorsch und mir. Ich habe so viele Jahre so viele Orte befahren und Konzerte gegeben. Dabei hat ein Verschleißprozess stattgefunden, der mir einen großen Teil der Lust genommen hat. Abgesehen davon glaube ich aber auch, dass Pop als subversives Vehikel einen großen Teil seiner Angriffskraft verloren hat. Diese Bereiche liegen in unserem Alter woanders – wie in der Literatur oder im Theater.

Hat sich das erst während der Produktion von ROCKO SCHAMONI & LITTLE MACHINE herauskristallisiert?

Das wurde immer klarer. Ich leide unter den Tourneen. Ich kriege da immer wahnsinnige Depressionsschübe…

Woran liegt das?

Es ist das ewig Gleiche. Ein konkretes Beispiel: Wenn ich im Jazzhaus Freiburg spiele, ein wunderbarer Konzertladen, in dem ich schon seit ’88 oder so auftrete und der sich seitdem nicht geändert hat, dann weiß ich manchmal nicht mehr, in welchem Jahr ich gerade bin. Ich stehe da, guck an die Strahler an der Decke, auf die ich schon fast seit 20 Jahren schaue, das Publikum bleibt ungefähr immer gleich alt, zwischen 20 und 35, es ist auch immer ungefähr die gleiche Anzahl – ich habe das Gefühl, ich bin in einer Zeitschleife gefangen.

Es liegt auch daran, dass du immer auf einem Erfolgslevel und bei einer Zielgruppe geblieben bist…

Richtig. Ich habe es geschafft, über die Jahre konsequent am Markt vorbei zu produzieren. Das hat viele Gründe. Zum einen ist es mir oft zu langweilig gewesen , zu verweilen. Ich habe vielmehr versucht, immer möglichst schnell zu flüchten, wenn mir langweilig wurde oder ich dachte: Das hier ist eine Falle. Man hat auch versucht, mich zu verpflichten, hier in Hamburg den „Schlagermove“ mit Costa Cordalis zu moderieren . Das hätte man mir sehr gut bezahlt, aber ich habe natürlich abgelehnt. Wie viele andere Dinge auch, die einen gemäßigten Kurs in einen sicheren Hafen gewährleistet hätten.

Angenommen, du würdest die Popmusik wirklich aufgeben: Was würdest du wohl vermissen ?

Die Musik.

… aber die wurdest du ja nicht aufgeben.

Genau. Ich würde weiter Musik machen. Ich würde vielleicht auch weiter Platten veröffentlichen, aber wahrscheinlich nicht mehr in diesen Zusammenhängen: Da ist die Plattenfirma – hier ist das Geld – geht ins Studio – holt euch die und die Musiker… Der Anspruch, den ich und meine Band an die neue Platte hatten, ging nicht zusammen mit den finanziellen Leistungen, die wir erbringen können. Es ist nur möglich gewesen, weil uns der Produzent Tobias Levin entgegengekommen ist. Eine normale Popplatte zu machen, ist für jemanden wie mich einfach nicht mehr möglich. Das gelingt Bands wie Tomte und Kettcar vielleicht noch ganz gut und wohl auch Jan Delay. Ich konnte meiner Band von dem Produktionsetat nicht einen Cent bezahlen. Das ist peinlich, weißt du. Ich musste selber noch auf den Etat drauflegen. Andererseits bin ich jemand, der gerade 100.000 Bücher verkauft hat. Da schreibe ich jeden Tag ein, zwei Stunden und habe keinerlei Aufwand – und der Effekt ist weitaus größer. Ich bin durch die Buchverkäufe an einem Punkt, an dem es zum ersten Mal ein bisschen besser geht.

Abgesehen von diesen Rahmenbedingungen ist deine neue Platte auch inhaltlich deine ernsteste…

Das ist definitiv so. Ich habe früher gedacht, es wäre möglich, dass ein Typ – so zwischen Parliament und Andre 3000 – sonderbaren Funk macht, vermischt mit Hörspielen, komischen Sounds und Songstyles. Doch das ist mir nicht abgenommen worden. Die Leute wollen Eindeutigkeiten. Entweder wollen sie eine Spaßplatte oder eine ernste Platte – dazwischen gibt es nichts in Deutschland.

Bezogen auf diese so ernste Platte stellt sich letztlich die Frage: Geht die Krise von Rocko Schamoni nicht viel weiter, ist das deine Midlife-Crisis ?

Das habe ich mich auch schon gefragt. Es hängt bei mir aber vielmehr mit persönlichen Prozessen zusammen … vor allem mit der Konfrontation mit dem Tod. So was dreht das Leben komplett um. Die Leichtigkeit verfliegt.

So hat die Erkenntnis, dass man sich bestimmten Dingen nicht entziehen kann, auch Einzug in die Texte gehalten.

Das ist ein tragischer Erkenntnisprozess im Leben. Der erste Song handelt davon: „Leben heißt sterben lernen.“ Die großen Dinge, die da kommen, werden dich erwischen. Man stellt die eigene Sterblichkeit permanent fest durch das Sterben der Anderen und schließlich auch der Nächsten. Das ist die Annäherung an das Ende. Philippe Aries nennt es das „Vorlaufen zum Tod“. Man kann das aber auch so lesen: Ich habe das Glück, das Leben nutzen zu können, mich darauf vorzubereiten. Und wenn man es schafft, sich diesem Gedanken auch nur anzunähern, ist man ein Stück weiter, als wenn man sich wahnsinnig festklammert und dann weggerissen wird, voller Schmerz. Ich bin allerdings ehrlich gesagt selbst fern davon, loslassen zu können.

Nicht zuletzt durch inhaltliche Übereinstimmungen, aber auch musikalisch bei einem Song wie „Weiter“lassen sich bei dir nun einige Parallelen zu Blumfeld ausmachen …

Ja … das ist mir auch aufgefallen, (lacht) Ich habe bei „Weiter“ verschiedene Rhythmen und Styles probiert – aber es blieben immer diese Akkorde. Dann habe ich den Text geschrieben, immer noch in einem relativ unbewussten Zustand. Als ich fertig war, bin ich zu meiner Band gegangen und habe gesagt: „Ich habe einen ganz tollen Song. Ich habe damit nur ein Problem: Er ist eigentlich nicht mein Song.“ Dann habe ich ihn Jochen (Distelmeyer; Sänger/Kopf von Blumfeld – Anm.d. Verf.) vorgespielt. Er meinte: „Toller Song. „Letztlich hätte ich das Stück wegschmeißen müssen, nur aufgrund des Vorwurfs: Das klingt ja wie Blumfeld!

Lass uns am Ende zum Eingangsthema zurückkommen: Würdest du deinen Rücktritt überhaupt selbst als „Aufgeben “ bezeichnen ?

Ich musste mit dieser Platte auf jeden Fall einen Absprungpunkt finden: So, von hier aus kann etwas anderes passieren … Und ich drehe mich auf komische Art und Weise auch schon wieder um Talk Talk. Ich weiß nicht, warum ich jedes Mal wieder darauf zurückkomme. Ich habe dieses Verlangen: Ich möchte mich bald von Beats verabschieden, von Aufgliederung der Musik durch ein rhythmisches Raster. Ich möchte auch weniger sagen müssen, möchte Flächen und sonderbare Sounds und komische Sprachsprenkel und Gedichte einbinden, freier werden und einsamer, gelassener und trauriger und sonderbarer. Und das alles heißt für mich, Pop aufzugeben.

Muss Aufgeben eigentlich immer etwas mit Schwache zu tun haben?

Schwäche ist ja etwas ganz Starkes. Eine meiner größten Starken ist es, meine Schwächen zuzugeben. Ich arbeite viel mit Schwäche. Zum anderen glaube ich, dass Aufgeben etwas sehr Starkes sein kann. Aber ich würde das in meinem Fall nicht als „Aufgeben“ bezeichnen sondern eher als „Transformieren“. Ich bin auf dem Höhepunkt der Kraft in meinem Leben. Ich habe noch nie mehr gleichzeitig leisten können und mit größerem Elan. Das steht konträr gegenüber der Idee aufzugeben. Deshalb ist es eher ein Aufhören. Das heißt, mit etwas anderem beginnen zu können – und zu dürfen. Und wenn ich das „Pech“ haben sollte, dass der Markt sich für diese Platte entscheidet, dann muss ich eben weitermachen. »>www.rockoschamoni.de