Lars Ulrich: Ist es überhaupt ein Fehler, wenn Metallica ihn macht?


Diese Band ist ein Monster. Riesig. Laut. Böse. Die Leute mögen das. Und weil es so viele Leute sind, gelten Metallica heute als die gewaltigste Rockband des Planeten. Doch wir wissen: Auch Monster haben Gefühle. Und so reden wir mit Lars Ulrich und Robert Trujillo über Ängste, Fehler und Rick Rubin, den Monster-Dompteur. Und mit anderen Musikern darüber, was sie mit und dank Metallica erlebt haben.

Wie würde sich die Geschichte von Metallica lesen, wäre sie ein Song von Metallica? Schwierige Frage. Zu unterschiedlich klingt, was diese Band seit ihrer Gründung 1981 alles aufgenommen hat. Beginnen wir mit der frühen Thrash-Phase, dem tendenziell tumben Gekloppe von KILL ‚EM ALL, und feuern in erhöhter Taktzahl ein paar beinharte Fakten raus, um Eindruck zu schinden: 8 Studioalben. 2 Livealben. 2 EPs. 21 Musikvideos für 39 Singles. 100 Millionen verkaufte Tonträger weltweit, darunter das „schwarze Album“ von 1991 mit allein 22 Millionen.

Millionen, Millionen, wohin man schaut bei Metallica. Als Zuschauer ihrer Welttourneen. Als Dollar auf dem Konto von James Hetfield. Oder in impressionistischer Form an den Wänden des Kunstsammlers Lars Ulrich. Damit es noch mehr Millionen werden, zerstampften Metallica Anfang des Jahrhunderts fast im Alleingang die Musiktauschbörse Napster, indem sie zunächst in einer juristischen Großoffensive 335.435 ihrer Hörer… puh, halt, langsam – das liest sich ja schon fast wie ein E-Gitarrensolo von Kirk Hammett. Jetzt lieber ein paar schwere Riffs: KILL ‚EM ALL und RIDE THE LIGHTNING von 1983 und 1984 versetzten der damals fröhlich dribbelnden New Wave Of British Heavy Metal mit Hochtönern wie Iron Maiden oder Judas Priest eine Blutgrätsche, die diese Welt stehenden Fußes in eine Karikatur verwandelte.

Nun, auch das Gebolze und das Gebell hat seine Zeit. Aber im Gebolze und Gebell waren Slayer ihren Kollegen weit voraus und sind es heute noch. Worin Slayer und ihresgleichen Metallica allerdings meilenweit hinterherhinken, ist das Songschreiben – und das Talent, eine abseitige Subkultur in den bürgerlichen Mainstream zu übersetzen, ohne auch nur ein Volt der ursprünglichen Energie zu verlieren: MASTER OF PUPPETS mag das Genre des Thrash vollendet haben, doch Songs wie „Enter Sandman“, „The Unforgiven“ oder, horribile dictu, „Nothing Else Matters“ haben den dunklen Metal hoffähig gemacht vor dem lichten Thron des Pop – indem sie ihn auf ähnlich perfide Weise mit ihrer Aggressivität ansteckten, wie Beethoven das bei der Klassik mit seinem Zorn getan hat.

Es gibt Leute, die haben Metallica das titellose „schwarze Album“ von 1991 nicht verziehen. Diese Leute haben Metallica bis heute nicht verstanden: Das herrlich hastige Gezappel ist nie aufgegeben, sondern nur diszipliniert worden, damit seine Energie in musikalische Midtempo-Majestäten wie „Sad But True“ münden konnte. Dummerweise ist Metallica bis heute kein zweites „Sad But True“ gelungen. Nein, es kam viel schlimmer: Für den lahmen Altemative-Bluesrock der Ära LOAD und RELOAD fünf Jahre später nahmen sie kurzerhand ein einfallsloses „The Unforgiven II“ auf („The Unforgiven III“ lauert auf dem neuen Album DEATH MAGNETIC).

Statt der überfälligen Trennung folgen in rascher Folge ein paar der absurd abrupten Breaks, wie man sie auf… AND JUSTICE FOR ALL hören kann: Metallica machen schrecklichen Schmock mit Sinfonieorchester. Jason Newsted wird genötigt, den Bass an Robert Trujillo abzugeben. James Hetfield geht auf Entzug. Ein Psychologe wird angeheuert, der sich bald als Teil der Band sieht. Man beschließt, sich bei der Therapie und den Aufnahmen zum nächsten Album filmen zu lassen. Die Doku „Some Kind Of Monster“ wird zu einer Sensation der Selbstentblößung. Die größten Momente: Lars Ulrich windet sich vor Scham über seinen Althippie-Vater, und Ex-Kurzzeitmitglied Dave Mustaine weint, weil seine eigene Band Megadeth nie so erfolgreich war wie Metallica. Das Ergebnis all der Seelenpein war ST.ANGER von 2003. Es sollte ein Befreiungsschlag werden. Es wurde ein fulminanter Fehlschlag. Trotzdem: Selbst der hatte eine enorme Wirkung. Es zeigte, woran die meisten Fans und auch die Musiker selbst inzwischen so ihre Zweifel hatten: dass bei Metallica überhaupt noch ein Licht im Fenster brennt.

Der es angezündet haben soll, wenn man Kirk Hammett und James Hetfield und Lars Ulrich glauben darf, ist neben Produzent Rick Rubin: Robert Trujillo – immer noch: der Neue. Mit ihm sollten und werden wir reden. Bevor Lars Ulrich kommt und übernimmt:

Du hast unter anderem bei Suicidal Tendencies und in der Band von Ozzy Osbourne gespielt – wie hat es dich verändert, in eine Rockmaschine wie Metallica einzusteigen?

Robert Trujillo: „Hm, mal sehen: Ich war 38 Jahre alt, nicht verheiratet, hatte keine Kinder und war hart am Feiern. Heute bin ich fast 44, verheiratet, habe Kinder und, na ja, feiere eigentlich gar nicht mehr. Seltsam, aber ich glaube, dass ich erwachsen geworden bin.“

Und der Rock’n’Roll?

„Puh, das musst du Lars Ulrich fragen. Er ist der Einzige, der es schafft, bis morgens um vier Uhr durchzusaufen und trotzdem seine Kinder pünktlich in die Schule zu bringen, um anschließend bis in die Nacht am neuen Album zu arbeiten. Keine Ahnung, wie der das macht. Wir haben alle viele Verpflichtungen. Metallica ist eine Verpflichtung.“

Welche Kollegen bewundert der Bassist von Metallica?

„Andere Bassisten? Auf jeden Fall Chris Squire von Yes, weil er den Bass so weit nach vorne spielt, ihn als Leadinstrument etabliert hat. Sein Spiel war auch sehr lehrreich für meine Arbeit an DEATH MAGNETIC, weil diese Songs sehr komplex sind. Am anderen Ende der Skala thront James Jamerson, ein Studiomusiker, der für die charakteristischen Basslines aller Motown-Aufnahmen gesorgt hat. Dieser weiche und trotzdem treibende Slow-Jam-Stil ist genial. Und dann, auch wenn es blöd klingt: Cliff Burton. Ich habe mich mit ihm erstmals auseinandergesetzt, als wir für die MASTER OF PUPPETS-Jubiläumstour einige der alten Sachen probten. „Damage Inc.“ ist unglaublich, und Burton macht enorm viel fantasievolles Zeug mit Effekten und so, ohne anzugeben. Gott habe ihn selig!“

Welche Rolle spielte Rick Rubin bei den Aufnahmen zu DEATH MAGNETIC?

„Er ist unglaublich. Er hat eine enorme Präsenz, und sogar sein Tontechniker ist ein echter Zauberer. Er kannte die Songs fast besser als wir. Vor allem sein Einfluss auf Hetfield war enorm. Rubin kommt rein und fragt: „Sag mal, James, in welcher Tonlage singst du da eigentlich?“ Wenn ich das gefragt hätte, Junge, Hetfield hätte mir den Hals umgedreht. Aber Rubin darf das, und Hetfield fängt an, über seinen Gesang nachzudenken. Hat er nämlich angeblich noch nie gemacht. Rubin fragte: „Wo ist dieser rohe, übersteuerte Ton, in dem du früher immer mal gesungen hast?“, und uns wurde klar: Verdammt, das haben wir wirklich schon lange nicht mehr gehört.“

So, anschnallen! Wir wechseln fliegend! Wo gerade noch Robert Trujillo saß, sitzt jetzt einer der beiden in der Band verbliebenen Gründungsmitglieder und Bosse von Metallica: Lars Ulrich. Den sprechen wir einfach gleich mal auf Trujillo an…

Ist es nicht gerade für einen Schlagzeuger sehr wichtig, werden Bass spielt?

Lars Ulrich: „Diese Frage ist schwer zu beantworten, ohne etwas Schlechtes über Robs Vorgänger zu sagen …“

… aber?

„Aber Jason (Newsted – Anm.d. Red.) war immer ein wenig mehr im Einklang damit, was die Gitarren so machen. Rob interessiert sich mehr dafür, was am Schlagzeug passiert. Ich denke, das führt zu einem größeren, stärkeren und auch irgendwie klassischeren Sound, weil die Gitarren ihr Ding machen, während Bass und Schlagzeug eine eigene Rhythmusgruppe bilden.“

Klassisch im Sinne von MASTER OF PUPPETS-Klassik?

„Ja. Im Sinne von Cliff-Burton-Klassik.“

Kirk Hammett hat angedeutet, das neue Album läge stilistisch irgendwo zwischen MASTER OF PUPPETS und … AND JUSTICE FOR ALL, also mitten in der klassischen Metallica-Phase. Bist du glücklich mit dieser Beschreibung?

„Naja. Ich will nicht als jemand angesehen werden, der einen Schritt zurück macht. Hat dir… JUSTICE gefallen?“

Ganz ehrlich?

„Klar!“

Die beste Platte, die ihr je gemacht habt.

„Tja, und wie lange ist das jetzt her? 20 Jahre! In denen wir vor allem versucht haben, ganz sicherzugehen, dass wir nie wieder dahin zurückkehren würden, wo wir mit …JUSTICE waren. Aber in den letzten ein, zwei Jahren hat uns Rick Rubin gelehrt, keine Angst vor der Vergangenheit zu haben, sondern sie anzunehmen, zu umarmen. Vor zwei Jahren haben wir diese MASTER OF PUPPETS-Tour gemacht und die Gelegenheit gehabt, uns neu davon inspirieren zu lassen.“

‚Angst‘?

„Natürlich! Ich denke, diese Band wurde lange von der Furcht dominiert, sich zu wiederholen oder stecken zu bleiben. Deshalb haben wir mit einem Sinfonieorchester gearbeitet, ein Cover-Album gemacht und Experimente wie ST. ANGER – aus Angst. Rick hat sie uns genommen. Er hat uns unsere Platten aus den Achtzigern wieder vorgespielt. Ob DEATH MAGNETIC stilistisch dort einzuordnen ist, kann ich aber noch nicht sagen.“

Ob Rick Rubin das wüsste?

„Oh, er weiß alles! Er hat so eine unfassbar beruhigende Zen-Aura, um ihn herum steht die Luft still, st. anger war notwendig, damit wir wieder miteinander in Dialog treten konnten. Diesmal war alles viel entspannter, ohne Psychiater, ohne Filmteam…“

‚Some Kind Of Monster‘ zeigte die Band… verletzlich. Auch lächerlich.

„Was ist falsch daran, verletzlich zu sein? Wer ist nicht manchmal lächerlich? Ist es nicht richtig, unseren Fans zu zeigen, wie wir sind, statt ihnen etwas vorzuspielen? Wir haben einmal eine Entscheidung gefällt, fünf Minuten, nachdem die Band gegründet war: Wir wollen nie werden wie Led Zeppelin oder Kiss, diese mythischen Bands. Wir wollten Punk sein, wir wollten Motörhead sein, wir wollten Iron Maiden sein, wir wollten die Ramones sein!“

Sind die Mitglieder von Metallica Freunde oder Geschäftspartner?

„Hm, tja, naja, ein bisschen von beidem, denke ich. Freunde? Partner? Kokain-Kumpel? … Kleiner Scherz.“

Was motiviert dich eigentlich noch, weiterzumachen? Ruhm, Geld, es ist alles da…

„Mich motiviert, dass, wenn man alles andere weglässt, diese Sache immer noch Spaß macht. Gut, Musik ist nicht mehr das Wichtigste in meinem Leben. Da ist meine Familie, meine Kinder, da sind meine Bilder. Ich kaufe, verkaufe, kaufe, verkaufe, kaufe, verkaufe…“

Weil es eine gute Geldanlage ist?

„Nein. Weil ich Gemälde liebe. Ich sammle auch Möbel und so was, ich gehe ins Museum. Französische Impressionisten! Ich habe also genug andere Interessen. Aber Musik mit James Hetfield zu machen, das ist ziemlich geil.“

Gab es irgendwelche Fehler früher, die dir heute Bauchschmerzen bereiten?

„Ja. Ich glaube, es war 1992. Aus irgendeinem Grund, ich weiß nicht, warum, wollte ich eine weiße Lederjacke haben. Und es gibt Bilder von mir in der weißen Lederjacke. Und wenn ich mir diese Bilder anschaue, denke ich: „Lars, das war ein Fehler.“ Okay, als Band haben wir auch dumme Sachen gemacht. Aber wenn es gerade passiert, fühlt es sich meistens richtig an. Ich meine, Hetfield mit idiotischen Koteletten, Hetfield mit beknacktem Ziegenbart, ich mit doofem T-Shirt…“

Das betrifft die Show. Aber was ist mit dem Handwerk?

„Ach, wir verspielen uns doch ständig! Erst gestern hat Kirk sein Solo viel zu früh begonnen, und bei mir schleichen sich mit fortschreitender Tour immer mehr Fehler ein. Die meisten Leute merken das nicht. Und wenn, könnte man argumentieren, dass das gar kein Fehler gewesen sein kann, weil Metallica ihn gemacht hat.“

Und was ist mit dem Geschäft? War die Klage gegen Napster ein Fehler?

„Ich weiß nicht, ob das ein Fehler war. Wir waren auf jeden Fall unvorbereitet auf den Sturm aus Scheiße, der über uns hereinbrach. Es gab hinter den Kulissen viel Zuspruch von anderen Bands, dann zogen wir in den Krieg – und drehten uns um, nur um festzustellen: Da ist ja gar niemand! Mir kommt das heute alles vor wie ein böser Traum.“

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