,,Wo ich herkomme, musstest du der krasseste sein
Ein ungewöhnliches Zusammentreffen: Ausnahme-Popper trifft Ausnahme-Rapper. Beide haben die Zeit überlebt, in der ihre Musik, ihre Aussagen und ihre Szene heiß waren und heiß diskutiert wurden. Beide haben sich und ihre Kunst verändert, sind mit ihr erwachsen geworden und haben dafür viel Kritik einstecken müssen. Trotzdem können Jochen Distelmeyer und Sido unterschiedlicher nicht sein. Oder etwa doch?
Sido kommt fünf Minuten zu spät und muss aus dem Fahrstuhl noch ein paar Stufen hinauf zu uns steigen, in das ganz den 60er-Jahren überlassene Appartement der todschicken PanAm-Lounge, gegenüber des Berliner Zoos. Unter der in die Stirn gezogenen Kapuze seines Hoodies äugt er die Treppe hoch ins Gegenlicht. Sein Blick wirkt aus dieser Perspektive fast wie ein Hundeblick, er selbst seltsam klein. Sido ist auch keiner, der breit in fremde Gesichter lächelt. Dafür schleudert ihm Jochen, der gerade noch etwas gegen seine Kopfschmerzen eingenommen hat, sein aufmerksamstes „Hallo!“ entgegen. Dazu der feste, verbindliche Händedruck. Eine Charmeoffensive.
Man möchte Distelmeyer heute Distel oder Jodi nennen dürfen oder sonstwie zu was ordentlich Schockendem stauchen, damit es besser passt, zu Sido, dem „super-intelligentem Drogenopfer“. Es muss ja kein Showbattle werden zwischen den beiden. Wird es auch nicht. Aber wie klingt das denn: Jochen Distelmeyer trifft Sido?! Alfred Biolek trifft den Silver Surfer. Sigmund Freud trifft Evil Knievel. Also: Es klingt wie es klingt. Nach einem Treffen zweier Künstler aus verschiedenen Welten.
Könnt Ihr Euch daran erinnern, wann Ihr zum ersten Mal vom anderen gehört habt?
Sido: Ich kannte zumindest den Namen Blumfeld. Die Musik war aber nicht meine Musik. Aber Du hast doch auch diesen Song gemacht, wo so’n Molotowcocktail in Zeitlupe gegen die Wand fliegt … Wie hieß der noch mal?
Jochen Distelmeyer: „Wohin mit dem Hass?“.
Sido: Ja, das fand ich krass. Da wusste ich auch nicht, dass Du der Typ von Blumfeld bist. Ich habe das jedem in meinem Umfeld gezeigt, bei Facebook gepostet und so. Aber es hat nicht so viel Anklang gefunden.
Jochen: (lacht)
Wo liegen außerhalb von Hip-Hop deine musikalischen Bezugspunkte?
Sido: Ich höre alles. Mein iPod ist voll mit Rock’n‘ Roll: Elvis! Cat Stevens, als er noch Cat Stevens war. Auch Foo Fighters. Gut gesungene Gitarrenmusik.
Wie bist Du auf Sido gestoßen, Jochen?
Jochen: Ich habe „Mein Block“ gesehen, gehört. Fand ich gut. Ich fand das mit der Maske gut, habe mich aber gefragt, wie er da raus kommt, aus der Maske.
Damals schon?
Jochen: Ja klar, es ist ja ein klassisches Maskenträger-Problem, egal ob Kiss oder Residents oder Daft Punk: Wie kann man die Maske abnehmen, ohne dass es langweilig wird? Das hast Du ja relativ bald schon gemacht. Bei irgendeiner Talkshow kamst Du ohne Maske, und ich fand das sehr souverän, weil das so außer vielleicht Helge Schneider keinem gelungen ist – die Maske wegzunehmen, ohne sein Gesicht zu verlieren. „Mama ist stolz“ war das nächste, was ich gehört habe. Da wusste ich, dass ich das ernst nehmen kann. Beim Hip-Hop sehe ich sonst ja immer das Problem, dass es kein Alterswerk gibt. Der normale Ablauf ist: Erste Platte – das bin ich, da komme ich her usw. usf.; Zweite Platte – jetzt hab ich Fame, ihr wisst gar nicht, wie stressig das sein kann. Und danach ist es meistens vorbei …
Sido: Du kennst dich aber gut aus. Du hast das Hip-Hop-Ding schön zerpuzzelt.
Jochen: Ja, aber als jemand, der das mag! Man steht auf bestimmte Acts und will natürlich, dass die zehn Jahre später auch noch geile Platten machen. Und du fragst dich, warum ist das nach acht oder zehn Jahren durch oder öde.
Aber das geht einem ja mit allen möglichen Bands aus allen möglichen Bereichen so …
Jochen: Ja, aber in der Rock’n’Roll-Pop-SingerSongwriter-Tradition arbeitest du von vornherein mit anderem Handwerkszeug. Bei Hip-Hop ist es Energie, Kraft, Sexyness …
Sido: Hip-Hop lässt nicht viel Spielraum.
Aber Du arbeitest daran, den zu erweitern.
Sido: Weil ich diese Scheuklappen nicht habe.
Standest Du damals, nach der zweiten Platte, auch vor dem Problem, das Jochen beschrieben hat?
Sido: Ich war tatsächlich in einer kurzen Krise. Aber dann habe ich es einfach auf mich zukommen lassen. Ich halte mich dann auch für versiert und interessiert an Musik genug. Für mich ist es nicht nur Hip-Hop – ich bin der Meinung, ich kann einfach gute Songs machen. Und das war der Anspruch an mein drittes Album: Jetzt Songs machen!
Jochen: Irgendwann wirst du eben älter, hast nicht mehr die Power, hast dir ein paar andere Gedanken gemacht. Also, mit welchem Handwerkszeug arbeitest du jetzt weiter …
Sido: … wenn du authentisch sein möchtest.
Jochen: … du aber nicht mehr so kräftig bist wie die anderen, die nachrücken. Das ist im Rock’n’Roll-Songwriting anders angelegt, da geht’s zwar auch viel um die Energie, mit der du das machst.
Sido: Ja, aber bei einem Rock’n’Roller erwartet man auch, dass er irgendwann erwachsen wird. Ich habe zum Beispiel Mitleid mit Campino, wenn ich sehe, wie er immer auf jung macht. Und da komme ich dann auch auf das Thema Bushido: Der Typ wohnt mittlerweile im wunderschönen Dahlem, hat sein Leben in trockenen Tüchern, aber redet immer noch von der Straße. Ich will keinen Film verkauft bekommen, ich will den Typen kennen lernen!
Jochen: Es gibt auch Leute, die mit einem guten Fake an den Start gehen und die das sehr unterhaltend darbieten können, und du glaubst ihnen das auch – über ein, zwei Alben oder auch nur eine Hitsingle. Aber wir haben ja darüber gesprochen …
… wie man das länger hinkriegt.
Jochen: Ja! Du hast ja Bock, das länger zu machen. Es ist das Leben, das du leben möchtest.
Ihr hattet ja mit Blumfeld nach dem zweiten Album auch eine lange Pause von rund vier Jahren. Ging es dabei auch darum, sich zu orientieren und über diese Dinge Gedanken zu machen?
Jochen: Das hatte andere Gründe. Ich habe außerdem die Erfahrung gemacht: Es gibt immer einen richtigen Zeitpunkt für eine Platte, das wird Kairos genannt, also der Moment, in dem das einfach total richtig ist. Wenn es in die Zeit eingreift, weißt du? Nach den ersten beiden Platten war außerdem abzusehen, wo das hingehen könnte, wenn man den Gaul einfach so weiter reitet. Und mir ging es um was anderes als „Stadion“ zu dem Zeitpunkt.
So gesehen ist da vielleicht doch eine Parallele zum Hip-Hop, wo das schon angelegt ist, dass nach dem zweiten Album etwa Neues kommen muss …
Jochen: Das ist nicht angelegt, das will ja keiner! Wu-Tang Clan gehen ja nicht an den Start, weil sie danach scheiße werden möchten, nach „Gravel Pit“ oder so. Ich meine, was für geniale Künstler hat es da gegeben! Und man wartet die ganze Zeit: Vielleicht kommt doch noch mal was … Kommt aber nicht.
Sido: Es gibt aber zum Beispiel Eminem, der seinen Standard hält.
Jochen: Gerade weil Du vorhin von Elvis gesprochen hast: Eminem habe ich immer wie Elvis wahrgenommen – ein weißer Typ, der so Skills entwickeln kann, in dem er sich ganz genau angeguckt hat, was die anderen so vor ihm gemacht haben. Er fügt was Neues ein, setzt das für eine weiße Mainstream-Öffentlichkeit durch – und macht dann ’nen Film. Genau so wie Elvis seine Hawaii-Filme gemacht hat.
Sido: Er entwickelt sich trotzdem weiter. Er scheißt auf das, was funktioniert und macht sein Ding.
Jochen: Ja, aber er zahlt auch einen Preis dafür.
Sido: Aber das ist Kunst. Die richtigen, die echten Künstler, die mag ich mehr. Und ein Künstler, der muss leiden, das gehört dazu. Wie Amy Winehouse. Ich gönne ihr das zwar, dass sie endlich auch klar kommt mit ihrem Leben. Aber glaub mir, wenn die klar im Kopf ist, singt die nicht mehr so, dann hat sie nicht mehr dieses Feeling.
Jochen: Amy Winehouse ist für mich allerdings genau so ein Beispiel für Fake.
Sido: Ich traue ihr auch nicht zu, dass da was selber geschrieben ist …
Jochen: Ja, aber selbst die Idee der Stimme, das, was einen so angesprochen hat: der Sound, die Zeit, in der diese Musik spielen sollte – das ist nicht „authentisch“. Aber es ist halt so auf den Punkt für diese Zeit gemacht, dass es so wirkt. Diese Künstler leiden dann aber auch darunter, weil sie wissen, dass es Fake ist. Und weil sie so groß vorgelegt haben.
Sido: Ich glaube das ja auch nicht, wenn Christina Aguilera singt „You are beautiful no matter what they say“. Das nehme ich IHR doch nicht ab! Aber der Song ist großartig. Und das ist genauso bei Amy Winehouse. Da lasse ich mir auch gerne mal einen Film verkaufen von so ’ner Amy Winehouse.
Sido, Du hast einmal gesagt, dass das vielleicht Beste am Erfolg ist, dass Du nichts mehr machen musst, was Du nicht machen möchtest …
Sido: Ich hatte das Glück, dass ich eigentlich immer machen konnte, was ich wollte. Gut, anfangs konnte ich mir noch nicht meine Interviews aussuchen. Heute suche ich mir sogar meinen Fotografen aus und bleibe nur so lange, wie ich will, und habe meine eigenen Klamotten am Start. Es ist einfach so: Mittlerweile glaubt man mir, dass ich weiß, was ich da tue.
Blumfeld hatten von Anfang an genaue Vorstellungen davon, was ihr im Umgang mit Medien zulasst. Über die Jahre hast Du Dich allerdings immer weiter geöffnet. Wie kam es dazu?
Jochen: Wenn du in die Muckibude gehst, nimmst du dir auch nicht gleich die schwersten Gewichte. Um erst einmal zu lernen, wie du das nach deinen Bedingungen, zu 100 Prozent, zu 150 Prozent, machen kannst.
Sido hat hingegen so ziemlich alles schon gemacht, was sich ihm als Popstar so angeboten hat …
Sido: Dazu muss ich sagen: Ich gucke sehr viel Fernsehen. Und ich stehe auf die spektakulären Sachen – „Wok-WM“, „Popstars“, ich guck sogar „Big Brother“. Und wenn ich dann das Angebot kriege, in so einer Bratpfanne die Bobbahn runter zu fahren …
Jochen: Du hast das gemacht?
Sido: Ja.
Jochen: Und wie ist das?
Sido: Das ist einfach das Krasseste. Ich wäre unglücklich gestorben, hätte ich es nicht gemacht. Ich musste auch „Popstars“ machen. Ich weiß, dass viele meiner Fans denken, wie kann er nur, er verkauft sich usw. Ich mach das, weil ich das will!
Siehst Du Dich eigentlich als gesellschaftskritischen Künstler?
Sido: Ich habe immer versucht, so unpolitisch wie möglich zu sein. Wenn ich jedoch im Nachhinein darüber nachdenke, ist „Mein Block“ so politisch wie’s nur geht. Und weil mein Anspruch an meine Musik ist, auch immer irgendeine Aussage zu haben, ist sie wahrscheinlich dann doch auch sozialkritisch. Aber ich setze mich nicht hin und versuche ein Lied zu schreiben, das Leute bekehrt.
Du hast Dich immer wieder dagegen gewehrt, eine Vorbildfunktion zu übernehmen. Aber es nützt wohl nichts: Du bist ein Vorbild.
Sido: Und weil ich merke, dass ich immer mehr zum Vorbild werde, verändern sich auch meine Lieder. Also rede ich z. B. anders über Drogen. In dem Song „Endlich Wochenende“ (der von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien indiziert wurde – Anm. d. Red.) habe ich auch schon versucht, Moral reinzupacken. Da kann man zwischen den Zeilen lesen, dass ich abhängig von dem Turn bin. Heutzutage achte ich jedoch viel mehr darauf, weil ich weiß, das hören eben auch Zehnjährige.
Jochen, es werden sicherlich nicht alle Texte und Aussagen von Sido auf Dein Wohlwollen stoßen, gerade die früheren Sachen nicht. Gehören Sexismus und Gewaltverherrlichung für Dich einfach dazu im Hip-Hop – oder kritisierst Du das?
Jochen: (überlegt) Natürlich gibt es Stellen, wo ich mir denke: Ach, also, nee … Ich weiß aber auch, dass es dazu gehört. Und bei Sido merkte ich eben: Der ist – möglicherweise – in der Lage, da noch einen anderen Punkt zu machen. Das hat man gespürt. Klar kann ich bestimmte Sachen nicht gut finden oder unterschreiben. Aber z. B. bei „Endlich Wochenende“ habe ich die Moral gar nicht wahrgenommen – oder es war einfach auch nicht das, was mich angeturnt hat bei dem Song.
Sido: (lacht)
Sido, gibt Dir der Erfolg auch die Möglichkeit, Schwäche zu zeigen? Das ist ja im Hip-Hop nicht besonders gefragt und da, wo Du herkommst, sicherlich auch nicht.
Sido: Damit hatte ich nie ein Problem. Ich habe mich immer für einen Starken gehalten, aber ich wusste, dass es da einen Stärkeren gibt als mich. Das habe ich auch thematisiert. Und bei meinem Lied für Mama zu sagen, dass Mama die Größte für mich ist – welcher Rapper macht das? Ich habe mir immer eine gewisse Verletzlichkeit eingestanden. Klar, zwischen 14 und 18 bist du der Krasseste, und in dem Viertel, wo ich herkomme, musstest du auch der Krasseste sein. Aber irgendwann hast du gute Freunde, bei denen du auch Fehler eingestehen kannst.
Du hattest einen besonderen Status als Junge aus Ostdeutschland im Westberliner Problemviertel …
Sido: Ich konnte mich gut tarnen, weil ich eine dunkelhäutige Mutter hatte. Sie ist aus Indien. Wenn die meine Mutter gesehen haben, wussten die: Ich gehöre dazu. Ab dem Zeitpunkt, als ich ins Märkische Viertel gezogen bin, habe ich niemandem mehr erzählt, dass ich aus dem Osten komme.
Bis zur Veröffentlichung Deines Songs „Hey Du“ im vergangenen Jahr.
Sido: Sogar mein bester Freund hat’s leider durch die Presse erfahren. Ich habe mir immer geschworen, ich werde mich mit ihm hinsetzen, auf ’nen Jägermeister oder so, und ihm die Sache dann erklären. Aber es ging irgendwie so schnell, dann war die Pressemitteilung schon draußen.
Jochen, Du bist in den frühen 90er-Jahren mit anderen Künstlern, Journalisten und Theoretikern mit dem linksradikalen „Wohlfahrtsausschuss“ in Ostdeutschland unterwegs gewesen. Ihr wolltet gegen den politischen Mainstream vorgehen, der versucht hat, die „Asylantenfrage“ durch die Verschärfung des Asylrechts zu lösen.
Jochen: Uns ging es darum, gegen das, was sich als brauner Mob frei auf den Straßen bewegen und Häuser abfackeln durfte – unter Beifall der Nachbarn – ein anderes Zeichen zu setzen. Auch wenn sich die staatsoffizielle Seite, Polizei oder sonstwas, nicht schützend vor angegriffene Leute gestellt, sondern abgewartet hat. All das wurde ja geduldet und bagatellisiert oder auch zu ’nem „Ostproblem“ stilisiert.
Du warst damals noch ziemlich jung, Sido. Sind diese Ereignisse etwas, was Dich beschäftigt hat – die Angriffe auf Ausländer, die politischen Diskussionen um das Asylrecht? Als Ostkind, das in Westberlin unter Ausländern groß geworden ist?
Sido: Nein, ich hatte ganz andere Probleme. Das habe ich mal im Fernsehen gesehen: Da brennt’s und da sind ein paar dumme Nazis. Und ja, okay, da sterben ab und zu Leute, aber bei mir im Viertel ist auch jeden Monat einer abgestochen worden und Typen haben sich aufgehängt. Für mich waren das einfach nur ein paar dumme Leute und nicht wirklich eine Bedrohung – und das sehe ich bis heute so.
Jochen: Da muss ich widersprechen. Ernstnehmen kann ich diese Leute zwar auch nicht. Aber sie stehen symptomatisch für etwas, sie sind ein sichtbarer Teil von politischen Auffassungen und Menschenbildern, die da auf die dümmste, hässlichste und kaputteste Art zutage treten. Aber das sind Ansichten, die nicht nur von so ein paar Durchgeknallten geteilt werden, sondern von anderen Leuten auch …
Sido: Aber das glaube ich von der CDU/CSU auch, dass sie politische Interessen vertreten, die ich für gefährlich halte.
Jochen: Das meine ich! Die Bedürfnisse der Leute, ihre Ängste und das, was sie brauchen zum Leben, werden von der Politik „umgelogen“ in eine andere Frage. Das ist ganz klassisch. Immer wenn die „soziale Frage“ – wenn man sie so nennen will – ansteht: Was brauche ich, um ein menschenwürdiges Leben führen zu können? Ist jetzt mein Hartz-IV-Satz das Problem – oder ist es die Tatsache, dass es keine ausreichend honorierten Tarifabschlüsse gibt, die über dem Hartz-IV-Satz liegen? Ist das tatsächlich das Problem? …
Sido: Oder sind’s „die Ausländer“?
Jochen: Die soziale Frage wird dann gerne mit einer nationalen Frage gekontert, dann heißt es: Wir haben ein Problem mit – „Ausländern“ oder „Schmarotzern“ usw. usf. Also das, womit Westerwelle verzweifelt versucht hat zu punkten.
Sido, Du hast ja letztes Jahr vor der Bundestagswahl öffentlich deine politische Bildung erweitert …
Sido: Ich habe eine Fernsehsendung gemacht: „Sido geht wählen“. Ich habe mich mit Politikern und irgendwelchen Leuten getroffen, die mir das ganze Wahlsystem und die Parteiprogramme erklärt haben. Aber wenn ich ehrlich bin, war meine Intention am Anfang erst einmal nur meine Steuern. Da habe ich mich ungerecht behandelt gefühlt. Aber ich weiß nun, dass Steuern, bis zu einem gewissen Maß, auch sehr hilfreich sind. Und ich finde, das kleine Bisschen, was man da bei der Macht mitspielen kann, sollte man wahrnehmen. Und falls ihr meine Prognose hören möchtet: Der nächste Bundeskanzler ist der Herr Wowereit.
Und wie ist Deine, Jochen?
Jochen: Ich habe keine Prognose.
Sido: Siehst Du, ich bin inzwischen so interessiert …
Jochen: Ja, Du bist total drauf! (lacht)
www.sido.de
www.jochendistelmeyer.de
Jochen Distelmeyer
Jochen Distelmeyer wird 1967 in Bielefeld geboren. 1987 schließt er sich der Szene um das Bad Salzuflener Indie-Label Fast Weltweit an, zu der auch Frank Spilker (Die Sterne) und Bernd Begemann gehören. Ende der 80er zieht er nach Hamburg und gründet Blumfeld. Er wird zum Kopf und Songschreiber dieser nicht nur für die sog. „Hamburger Schule“ wichtigen Band, deren Werk – sechs Alben in 14 Jahren – vieldiskutiert, aber auch ziemlich erfolgreich wird. 2007 löst Distelmeyer Blumfeld auf. 2009 veröffentlicht er sein Solodebüt HEAVY.
Sido
Sido wird 1980 als Paul Hartmut Würdig in Ostberlin geboren. Als er acht Jahre alt ist, ziehen er und seine Mutter in den Westen. Er wächst u. a. im sozial schwachen Märkischen Viertel auf. Mit 17 beginnt er sich als Rapper einen Namen zu machen. Um ihn herum gründet sich das Label Aggro Berlin, dessen provokative Künstler ab Mitte der Nuller-Jahre ihre eigene Hip-Hop-Erfolgsgeschichte schreiben. Sido trägt anfangs eine Totenkopf-Maske, löst sich allmählich aber von den Gangster-Klischees und bleibt auch nach dem Ende von Aggro erfolgreich.