Billy Corgan
Der große Alternative-Rock-Diktator mag genau jene Bands, die als besonders uncool gelten. Er pisst den Indie-Rockern ans Bein. Und auf seine nächste Single kann sein Label gerne ewig warten. Einer wie er regt sich im Gespräch dann auch schon mal auf.
Wir würden mit dir gerne über Sturköpfigkeit sprechen …
Dummheit!
Bitte?
Zwischen Sturköpfigkeit und Dummheit liegt ein schmaler Grat. Du könntest mit mir also auch über Dummheit sprechen.
Okay. Du bist zum Beispiel ein hartnäckiger Fan von allgemein als peinlich angesehenen Bands. Die jüngsten Konzerte der Smashing Pumpkins hast du mit dem Kiss-Song „Black Diamond“ begonnen.
Bei unseren Proben gilt derzeit nur ein Sache: Kiss. Unser absolutes Nummer-eins-Gesprächsthema.
Warum?
Ich meine das ernst. Wir sprechen stundenlang über Kiss. „Black Diamond“ ist einer meiner Lieblingssongs. Und „Calling Dr. Love“. Gene Simmons ist einer der letzten großen Komponisten des klassischen Rock’n’Roll. Er steht in einer Linie mit Little Richard und Jerry Lee Lewis. Und Paul Stanley, der zweite Songwriter bei Kiss, ist genauso talentiert wie Simmons. So wie Lennon und McCartney … Weißt du, was ich kürzlich in meinem Pumpkins-Archiv entdeckt habe?
Was?
Ein Interview mit uns von 1989 fürs College-Radio. Ein Journalist hat uns damals unbekannte Musiker nach unseren Einflüssen befragt. Ich antwortete: Kiss, Black Sabbath, ELO. Und was tut dieser Journalist? Er macht mich fertig: „Aber ist dir nicht klar, dass das uncoole Bands sind?“ Ich: „Ist mir scheißegal. Fuck you!“
2010 spielten die Smashing Pumpkins in São Paulo auf einem Festival mit den wiedervereinigten Pavement. Du hast Stephen Malkmus kritisiert, weil er im Gegensatz zu dir „Folklore“ aufführen würde. Es mangele ihm an Glaubwürdigkeit.
Pavement spielten ihre Hits. Um Geld zu machen. Ein Beispiel für die größte Ironie, die es im Rock’n’Roll gibt: dass die Selbstwahrnehmung größer wird als die Realität, als das, wie man wirklich rüberkommt. Die großen Künstler des Rock, auch solche, die größer sind als ich, haben diese Falle erkannt und gelernt, ihr auszuweichen. Ich selbst lebe auch in der Realität. Wenn mir klar wird, dass ich nichts Neues zu sagen habe – dann bleibe ich zu Hause.
Das neue Pumpkins-Album, Oceania, hast du den Plattenfirmen als fertiges Werk angeboten, es gab vorher keinen Vertrag. Hattest du schlechte Erfahrungen mit den Labels gemacht?
(lacht, betont lange) Gerichtsprozesse. Ausbleibende Zahlungen. The whole thing. Meine letzten fünf Alben wurden vom Label nicht unterstützt. Mit Adore 1998 ging es los, dann Machina, das Zwan-Album, später The Future Embrace (Corgans Solo-Album von 2005 – Anm. d. Red.), Zeitgeist. Man hatte mich nicht mehr wie einen „Top Level“-Artist behandelt. Du kannst dir nicht vorstellen, wie frustrierend das war. Oceania entstand mit dem Plan, dass ich die Platte selbst veröffentlichen werde. Doch die Leute sagten: „Du bist verrückt, wenn du mit diesem Material nicht versuchst, im besten Teil des Systems, bei den Majorlabeln, unterzukommen.“ Die Pumpkins sind heute quasi ihre eigene Plattenfirma, wir haben lediglich eine Partnerschaft mit dem Label. Und ich werde auch nicht mehr unter das Dach von irgendwem zurückkehren. Ich veröffentliche auch keine Singles mehr. Sollen die Radiostationen sich doch selbst ein Lied raussuchen.
Wieso bist du jetzt so wütend?
Ich bin seit 25 Jahren im Geschäft. Ich spreche mit den Programmplanern der Radiostationen, manche kenne ich seit Jahrzehnten. Ich sage ihnen regelmäßig: „Ihr seid Idioten!“ Weil sie immer weiter Musik spielen, die ihre Reichweite nicht erhöht. Beispiel: Radiohead. Eine der größten Bands der Welt. Wenn ich Programmplaner wäre, dann würde ich doch nicht nur „Creep“ spielen, ihren größten Hit. Ich würde mir ihr Album vornehmen und dann nicht die Single, sondern einen anderen tollen Song spielen. Etwas, das die regelmäßigen Hörer des Senders mit den Radiohead-Fans verbindet. Das Lustige an „Creep“ ist übrigens, dass jeder so tut, als kenne man das Stück nicht mehr. Aber jeder weiß doch, dass es die Band groß gemacht hat.
Oceania klingt introvertiert, nicht politisch wie der Vorgänger Zeitgeist von 2007, in dem du den Irak-Krieg kritisiert hast. Bist du entspannter geworden?
Nein. Ich mache mir große Sorgen um mein Land. Ich mache mir große Sorgen um die Welt. Um Europa, was den Euro angeht. Griechenland, Spanien, Portugal. Und in den USA ist es sehr, sehr gefährlich.
Warum?
Wir stehen vor der Präsidentschaftswahl. Es wird viel stärker als bei der letzten um Rassenfragen gehen, um Obamas Hautfarbe. Amerika ist immer noch ein rassistisches Land. Aber es geht hier nicht nur um Rassisten. Jeder, der sich in Bezug auf die Wahl mit Ethnien auseinandersetzt, spielt mit dem Feuer. Wir sind wie Kinder, die mit Streichhölzern spielen. Man kann in den USA nicht über den Begriff Rasse reden, ohne mit Streichhölzern zu spielen.
In Deutschland wurde zuletzt auch über US-Politik diskutiert, als es um den Mord an einem afro-amerikanischen Teenager ging, der anscheinend grundlos von einem Mitglied einer Nachbarschaftswache erschossen wurde. Obama sagte, der tote Jugendliche hätte auch sein Sohn sein können.
Wenige Tage nach dem Tod des Jungen hatte sich die Familie eines ermordeten weißen Teenagers zu Wort gemeldet: Warum hat Obama nicht gesagt, dass auch unser toter Junge sein Sohn hätte sein können? Eine interessante Frage. Unser Präsident ist ja auch zur Hälfte weiß.
Warum sind Indie-Musiker derzeit so unpolitisch?
Viele der heutigen Indie-Musiker stammen aus wohlhabenden Familien. Der kritische Diskurs dreht sich nur noch darum, ob Godard viel früher Farbfilme hätte drehen sollen. Wenn es nicht mehr darum geht, ob man zu essen hat oder die Nazis über Grenzen marschieren, dann haben wir es hier mit typischen Mittelklasse-Bullshit zu tun. Rumsitzen und Bullshit erzählen. Die Smashing Pumpkins unterschieden sich da von fast allen anderen Musikern.
Weshalb?
Wir entstammten Immigranten-Familien. James‘ Familie (Iha, Gitarrist) kam aus Japan. D’Arcy (Wretzky, Bassistin) hat russisch-finnische Wurzeln. Und Jimmys (Chamberlin, Schlagzeuger) Eltern kamen aus Ungarn. Wir waren arm. Wir mussten Geduld haben. Wir mussten uns morgens damit beschäftigen, was wir abends hoffentlich essen können. Das sogenannte „Wertesystem des Indie-Rock“? Ein Haufen Scheiße! Die meisten der heutigen Promi-Musiker gingen aufs College, zur Universität. Warum sollten sie über ihre Herkunft reden? Aus meiner Familie ging damals niemand zum College.
Es fällt auf, dass sich die am meisten gefeierte Indie-Platte der vergangenen Jahre, The Suburbs von Arcade Fire, ums Bedauern dreht – dass eine Kindheit vorbei ist, die behütet war.
Ich möchte Arcade Fire nicht kritisieren. Jeder singt über persönliche Erfahrungen. Meine war die: Ich musste kämpfen, um zu leben. Ich musste als Kind körperlichen Missbrauch überleben. In Armut überleben. Den Zweifel überleben, ein Niemand zu sein. Selbst wenn mir damals schon kurz nach Gründung der Pumpkins klar gewesen wäre, dass ich eine der besten Bands der Welt hatte – es gab niemanden, den ich anrufen konnte, keine Plattenfirma. Es gab eine Zeit, in der ich niemanden hatte, den ich um Hilfe rufen konnte. Ich kannte niemanden. Und jetzt stell dir mal vor, wie es ist, 1990 nach New York zu kommen und all die Songwriter kennenzulernen, die nur über Scheiße schreiben, die dich nicht im Geringsten interessiert – fuck you … Okay. Ich muss jetzt Schluss machen.
Was machst du heute noch mit deinem Tag?
Vielleicht proben wir noch was von Kiss.
Du preist nicht nur Kiss, sondern zum Beispiel auch die Scorpions. Damit tust du dir auch nicht unbedingt einen Gefallen.
Ich verstehe nicht, was du meinst.
Die Scorpions sind keine gute Band.
Ich will nicht so tun, als hätte ich eine Ahnung von deutscher Kultur. In Amerika jedenfalls mag man die Scorpions, vielleicht reagiert ihr ja deshalb auf die Band so … merkwürdig. Uns gefällt die positive Einstellung der Scorpions. Ich hing schon oft mit Klaus Meine ab. Er ist einfach immer gut drauf. Und ich bin halt sehr generös, zeige offen, was ich bewundere. Ich mag Hardrock. Vor zwei Tagen schaute ich mir den Led-Zeppelin-Konzertfilm „The Song Remains The Same“ an. Led Zeppelin spielen darin auf einem so hohen Level, der „Rain Song“ ist unerreicht. Was sollte man denn bitte Led-Zeppelin-Fans vorwerfen? Ich mag einfach keine Ismen. Classism, Klassendenken etwa. Falls dieses Wort in der Musik überhaupt existiert. Unausstehlich, so was.
Albumkritik S. 88
Smashing Pumpkins heißt die Band des heute 45-jährigen Musikers, Produzenten und Teilzeit-Dichters William Patrick „Billy“ Corgan. Er gründet sie 1987 in Chicago. Als erster Gitarrist, Sänger und Songwriter führt er sie durch erfolgreiche Jahre der Alternative-Rock-Neunziger. Ihr Debüt Gish (1991) wird von Butch Vig (u.a. für Nirvanas Nevermind verantwortlich) produziert, das Doppelalbum Mellon Collie And The Infinite Sadness (1995) ist bis heute der größte Erfolg der Band, die weltweit über 30 Millionen Alben verkauft hat. Nach einigen Umbesetzungen, zwischenzeitlicher Auflösung (2000-2005), einem Bandprojekt namens Zwan und einer Soloplatte heißt auch Corgans aktuelle Band Smashing Pumpkins.