„Ich muss L.A. nicht wie eine Fahne vor mir hertragen“


Kendrick Lamar

Mit Good Kid, M.A.A.D. City veröffentlichte Kendrick Lamar eines der spannendsten HipHop-Alben der letzten Jahre – und hatte sofort einen bis zum Bersten gefüllten Tour- und Terminkalender. Auch Deutschland stattete der Mann aus Los Angeles im Februar einen Besuch ab. Der Promo-Trubel schien dabei Spuren hinterlassen zu haben: Beim Konzert in Berlin wirkte er fahrig, außer Puste. Wir haben nachgefragt: Wie geht es dem Mann, der die US-Westküste zurück auf die HipHop-Landkarte gebracht hat?

Du bist seit Wochen nicht daheim in L.A. gewesen, steckst seit Monaten tief in der Albumpromo. Wie geht’s?

Hervorragend! Mir ist erst heute Morgen bewusst geworden, wie gut es mir eigentlich geht. Beim Frühstück fragte mich jemand, was ich beruflich mache. Früher habe ich es gehasst, den Leuten zu erzählen, dass ich rappe. „Und was machst du so?“ – „Ich rappe.“ Was für ein Klischee! (lacht) Das steckt irgendwie immer noch in mir drin.

Was hast du stattdessen gesagt?

Wenn ich im Restaurant oder beim Einchecken im Hotel gefragt werde, womit ich meinen Lebensunterhalt verdiene, dann antworte ich meistens: „Ich bringe Menschen zum Lächeln.“ Mittlerweile kann ich zum Glück noch nachschießen, dass ich außerdem gerade eine Million Einheiten von meinem Debütalbum verkauft habe.

Das ist nach heutigen Maßstäben eine ganze Menge Holz. Dabei hattest du keine Hitsingle, keine spektakuläre Lebensgeschichte, die durch die Massenmedien gegangen ist, nicht mal eine besonders aufwendige Werbekampagne. Hast du eine Erklärung dafür, wie all das passieren konnte?

Eigentlich nicht. Aber irgendwie war das immer schon so in meiner Karriere. Die Musik hat eben für sich gesprochen. Der Rest lief über Mundpropaganda. Ich musste noch nicht einmal auf Twitter rumerzählen, dass ich der Beste bin, oder irgendwelche verrückten Sachen auf Instagram posten. Das gibt es heutzutage eigentlich gar nicht mehr.

Du bist der erste erfolgreiche Westcoast-Rapper seit einer ganzen Weile. Im Gegensatz zu befreundeten Künstlern wie Snoop oder The Game nimmst du in deiner Musik allerdings so gut wie nie Bezug auf deine Heimat. Warum ist das so?

Keine Ahnung. Ich bin Los Angeles durch und durch. Das ist meine Stadt, meine Welt, mein Leben. Aber das muss ich nicht unbedingt wie eine Fahne vor mir hertragen. Zwischen den Zeilen steckt es in meinen Raps, und wer sich ein wenig auskennt, wird es heraushören. Ich möchte auch nicht so viel über andere Generationen oder andere aktuelle Rapper aus Los Angeles sprechen.

Wieso nicht?

In dieser Stadt hocken alle eng aufeinander. Jeder kennt jemanden, der jemanden aus einer Gang kennt. Auch wenn man nicht direkt bei den Bloods oder Crips (die größten Straßengangs in Los Angeles, Anm.) ist, wir alle sind maximal eine Ecke von dieser Welt entfernt. Da werden Bemerkungen schnell missverstanden und ehe du dich versiehst, wird aus einer Rap-Streiterei ein echtes Problem.

Mit dem klassischen G-Funk deines neuen Labelchefs Dr. Dre hat deine Musik auch nur am Rande zu tun.

Es ist noch gar nicht so lange her, da musste man, um erfolgreich zu sein, als Rapper möglichst alle gerade angesagten Sparten und Spielarten abdecken. Heute scheint genau das Gegenteil der Fall zu sein. Neue Rapper wie A$AP Rocky oder Drake haben ihren ganz eigenen Sound. Bei mir ist das auch so. Und genau das war schon immer mein Plan. Diese Idee eines komplett eigenen Styles hat mich immer schon umgehauen. Dass es keine fünf Sekunden dauert, bis die Leute wissen: Ah, der Typ, der da rappt, das ist Kendrick Lamar.

Ist das für dich wichtiger als Nummer-eins-Hits?

Ja! Wahrscheinlich ist es mittelfristig auch besser für meine Karriere. Ich habe vier, fünf Stammproduzenten, Leute wie Sounwave oder Terrace Martin. Das reicht. Wenn ich wirklich Spuren in der Szene hinterlassen will, dann muss ich meinen eigenen Weg beschreiten und darf nicht nur in anderer Leute Fußstapfen treten.

Die Ära von Superproduzenten wie Timbaland oder Pharrell Willams scheint ohnehin vorbei zu sein. Liegt das daran, dass es heute schlicht so leicht ist, gute Beats zu machen?

Hm. Könnte sein. Guter Gedanke eigentlich. Es ist wirklich nicht mehr besonders schwierig. Du besorgst dir einen Laptop und einen YouTube-Zugang, und am nächsten Tag hast du eine realistische Chance, der nächste heiße Producer zu sein.

Bist du immer dabei, wenn deine Produzenten an neuen Beats arbeiten?

Auf jeden Fall. Das ist vielleicht mein größtes Alleinstellungsmerkmal als Rapper. Ich muss bei allem dabei sein und bei allem mitreden. Ich bin da manisch. Gut, seit ich so viel auf Tour bin, läuft auch viel über Telefon oder Internet. Aber mitreden muss ich auf jeden Fall.

Nimmst du denn viel auf?

Ständig. Eigentlich jeden Tag, meistens mehrere Songs. Aber ich mag es auch sehr gerne, eigentlich gar nicht so verkehrtes Material zurückzuhalten oder sogar wegzuwerfen. Das gibt mir dieses Dr.-Dre-Gefühl: „I need to make an executive decision here!“ (lacht) Ich wollte auf meinem Album eigentlich auch nur zwölf Stücke haben. Wie früher. Ich war richtig sauer, als man mir erklärte, dass ich auch noch Bonus-Tracks für iTunes und so bräuchte. Das hat mein ganzes Konzept über den Haufen geworfen. Aber die Fans lieben es offenbar. Man sollte mich wohl nie zum Herren meiner Finanzen machen. Das würde unschön ausgehen.

Man hört deiner Musik an, dass du ein großer Rap-Fan bist. Warst du früher auf vielen Konzerten?

Nie. Wirklich nie. Wir in Compton haben das irgendwie nie mitbekommen. Wir waren wahrscheinlich mit anderen Dingen beschäftigt (lacht). Das allererste Konzertticket, das ich in meinem Leben überhaupt gekauft habe, war allen Ernstes letztes Jahr für einen Auftritt von Jay-Z und Kanye West. Und jetzt kann ich nie wieder auf ein Konzert gehen, weil keines jemals wieder so gut sein wird wie das. Kein Spaß: Besser als die beiden kann man das schlicht nicht machen.

Dein Online-Album Section.80 drehte sich vor allem um deine Umgebung und dein Umfeld. Auf good kid, m.A.A.d city geht es um dich persönlich. Was wird die Geschichte deiner dritten Platte sein?

Keine Ahnung. Auch um das herauszufinden, brauche ich vermutlich ein paar Tage in Los Angeles. Ich muss mir da echt bald wieder eine Bleibe suchen.

Wo wohnst du denn gerade?

Im Tourbus. Streng genommen bin ich gerade obdachlos. Ich habe keinen Wohnsitz, an dem ich fest gemeldet bin. Aber trotzdem: Los Angeles wird immer meine Heimat bleiben.

Ein Videodreh von Tupac Shakur und Dr. Dre, so heißt es, war das Erweckungserlebnis des jungen Kendrick Lamar: Direkt vor seiner Haustür in Compton wurde der Clip zu „California Love“ in Szene gesetzt. Heute ist Lamar 25 Jahre alt und selbst einer der wichtigsten Rapper der Vereinigten Staaten. Im vergangenen Herbst erschien sein Major-Debüt GOOD KID, M.A.A.D CITY.