Ich höre, also bin ich: Jarvis Cocker über prägende Songs


Der Pulp-Sänger gesteht, Madonna seine erste Liebe zu schulden. Der Behauptung, er würde seinen Sohn mit Alkohol ruhig stellen, widerspricht er aber vehement.

 

Der erste Song, den ich je gehört habe …

Peter Sarstedt – Where Do You Go To (My Lovely) (1969). Mich interessiert die Art und Weise wie Songs hängen bleiben und in verschiedenen Situationen unterschiedliche Bedeutungen haben. Als ich vier oder fünf Jahre alt war, hat mir dieses Stück wirklich Angst gemacht, wegen der Textzeile: „I can look inside your head“. Jahre später war ich in Amsterdam und wollte meiner damaligen Freundin den Song vorspielen.

Dabei wurde ich beinahe von einem Passanten an die Polizei verpfiffen, weil der scheinbar mit meiner Darbietung nicht einverstanden war. Erst kürzlich schaute ich mir eine furchtbare Reportage von Piers Morgan (britischer Reporter, Anm. d. Red.) über Monte Carlo an und wurde wieder an den Song erinnert, denn er beschreibt ein armes Mädchen aus Neapel, dass ein Leben im Jet-Set führt.

Meine erste Liebe …

Madonna – Burning Up (1983). Ich fing an, mich mit diesem Mädchen zu treffen, als ich 21 war – ich war ein Spätentwickler – aber sie interessierte sich nicht für Musik. Sie besaß drei Alben: Madonnas Debüt MADONNA, PARADE von Prince und, seltsamerweise, ein Soloalbum von Howard Devoto (vormals bei Buzzcocks, Magazine, Luxuria, Anm. d. Red.).

Zu dieser Zeit hätte ich mir niemals Madonna angehört, doch dank des Musikgeschmacks meiner Freundin hörte ich diesen Song immer wieder, und begann, ihn zu mögen. Das war eine gute Lehre in Sachen musikalischer Arroganz. Wenn ich den Song heute höre, erinnert er mich an eine glückliche Zeit in meinem Leben.

Die Jahre an der Kunsthochschule …

Lil Louis – French Kiss (1989). Ende der 80er begann meine Rave-Phase und dieser Song bringt diese Zeit auf den Punkt. Müsste ich den Song beschreiben, würde ich sagen, er ist eine Art sexuelle Anspielung, denn es ist eine Frau zu hören, die einen Orgasmus vortäuscht. Das ist revolutionär. Es gibt nur dieses eine Riff, dass die ganze Zeit zu hören ist.

Und wenn man sich auf einer dieser typischen Partys befindet und unter dem Einfluss bestimmter Substanzen steht, macht das alles Sinn. Der Song existiert in seinem eigenen Raumzeit-Kontinuum und ist eigentlich kein Song im herkömmlichen Sinn: er ist mehr ein Anreiz zum Tanzen, aufgebaut auf einem simulierten Orgasmus.

Der Song, der mich an meinen Sohn erinnert …

Dr. Feelgood – Milk And Alcohol (1978). Es ist unglücklich, dass ich gerade diesen Song mit meinem sechsjährigen Sohn verbinde. Und das bedeutet nicht, dass ich versuche, ihn mit Alkohol zu beruhigen. Ich habe mir bei iTunes die Liste mit den meist gespielten Songs angesehen – das ist sehr interessant, denn man erstellt heutzutage seine persönlichen Charts auf diese Weise – und ich war überrascht, dass dieser Song unter den ersten fünf war.

Dann wurde mir klar: mein Sohn hat gelernt, den Computer zu benutzen und er hat sich immer wieder „Milk And Alcohol“ angehört. Der Komponist Raymond Scott schreibt großartige elektronische Musik für Kinder, allerdings wird die meist wieder gelöscht, sobald ich sie auf den Computer geladen habe. Warum mein Sohn Dr. Feelgood so sehr mag? Ich habe keine Ahnung.

Der letzte Song, den ich gehört habe …

Legendary Tigerman – The Whole World’s Got The Eyes On You (2008). Es ist wichtig, sich nach neuen Dingen umzusehen, interessiert zu bleiben. Neulich schlenderte ich durch Paris und bin ich einen neuen Plattenladen gegangen. Dort haben sie diesen Song gespielt. Legendary Tigerman scheint ein Typ aus Portugal zu sein, der nicht das beste Gefühl für die englische Sprache besitzt, wie man am Titel sieht.

Der Song klingt ein wenig nach Alan Vega von der Band Suicide, zu der Zeit, als er Solo unterwegs war – reduzierter Rockabilly von einem Typen mit Gitarre und Drumcomputer. Tigerman hat eine sehr auffällig gestaltete Webseite und er mag Fotos von sich, zusammen mit nackten oder halbnackten Frauen.