Fucked Up: Fuck You Very Much


Die Hardcore-Band Fucked Up spielte im Vorprogramm von Arcade Fire. Zu deren Musik passen sie so gut wie Kotelett zu Kirschkuchen. Und trotzdem begeistert die Band immer mehr Menschen, die sonst nicht dorthin gehen, wo es wehtut.

Punk ist nicht tot. Er blutet nur ein bisschen. Und selbst das nur manchmal, wenn ihm danach ist. So richtig verheilen jedenfalls will die Stelle auf der hohen Stirn von Damian Abraham nicht mehr, dort, wo er sich auf der Bühne gerne mal die Stirn aufschlitzt und es dann einfach laufen lässt.

Es war ein später Nachmittag in Berlin, und als die sechs Mitglieder von Fucked Up endlich mit einem weißen Ford-Transporter aus Amsterdam ankamen, ging gerade ein Regenschauer über dem Festsaal Kreuzberg nieder. Aus dem Auto stiegen genau sechs Leute. Das ist die komplette Band. Sonst niemand. Kein Fahrer, kein Typ von der Plattenfirma, kein Roadie, kein Manager. Hinter dem Steuer saß Sandy Miranda, die Bassistin.

Diese Arbeitsteilung ist schon Teil der Geschichte dieser erstaunlichen Hardcore-Band, wie Abraham auf die Empore des Clubs freundlich erläutert: „Wir machen alles selbst. Zusammen arbeiten wir an der Musik, dann kümmert sich jemand um das Cover oder das Booking, sucht Venues aus, bucht Flüge und mietet den Wagen.“  Ist das nicht sehr viel Arbeit? Damian Abrahams Augenbrauen hüpfen nach oben: „Oh ja, viel, viel Arbeit. Es hat aber auch etwas mit Integrität zu tun. Wenn ich den Do-It-Yourself-Ethos des Punk wirklich ernst nehme, tja, dann muss ich es eben auch alles selbst machen, alles, dann beschäftigt man keinen Manager. Dazu kommt, dass wir alle ursprünglich kein Instrument spielen oder stimmen konnten. Aber auch das konnte uns nicht abhalten.“

Viel Arbeit, in der Tat. Fucked Up sind seit ihrer Gründung 2001 mit ihrer in wirklich jeder Hinsicht eigenbrötlerischen Eigenwilligkeit ziemlich weit gekommen. Manche behaupten sogar, die Band wäre inzwischen im Mainstream angekommen. Zwar ist David Comes To Life, die neue Platte, ein klassisches Konzeptalbum insofern, als es eine durchgehende Geschichte erzählt; zwar gewannen Fucked Up 2009 für ihr zweites Album The Chemistry Of Modern Life den mit 20 000 Dollar dotierten Polaris Music Prize – eine Art kanadischer Grammy, nur in gut – zwar spielten sie 2010 im Vorprogramm von ausgerechnet Arcade Fire, zu denen ihre Musik so perfekt passt wie ein blutiges Steak auf einen Kirschkuchen. Womöglich ist das alles nur ein Missverständnis, oder? Abraham nickt eifrig: „Natürlich ist es das. Ich meine, der Erfolg freut uns, klar. Erklären können wir es uns aber nicht. Schließlich sind wir ja nun nicht Green Day oder Rise Against.“

 

Damian Abraham, das muss man wissen, ist ein Teddybär von einem Bullen von einem Mann. Mit Glatze, Vollbart, veritabler Wampe und beachtlichen Speckbrüsten wirkt er nicht wirklich wie der geborene Frontmann. Indem er aber seine Schwächen stärkt und ausstellt, wird er bei Konzerten genau das: ein geborener Frontmann unter Strom in kurzen Hosen und viel nacktblasser Haut, der stets den verschwitzten Kontakt mit dem Publikum sucht, Hände abklatscht, von der Bühne springt und einfach dort bleibt bei den Leuten. Es ist indes genau diese Hässlichkeit, die Fucked Up für einen nach Sensationen gierenden Mainstream so reizvoll macht.

Der kanadische Arm von MTV holte Fucked Up deshalb gleich zweimal vor die Kamera, und beide Male machte die Gruppe ihrem Namen alle Ehre: Beim ersten Mal wurde die Band verschämt als „F…ed Up“ angekündigt (gesprochen: „Effed Up“), der Saal wurde demoliert und Blut floss. Beim zweiten Mal wollte man bei MTV cleverer sein – und hielt es für eine smarte Idee, Fucked Up vorsichtshalber auf der Herrentoilette des Senders spielen zu lassen. Und alles kam noch viel schlimmer. Schon bei den ersten Takten von „Twice Born“, rammt Abraham mit dem Mikroständer die Rigipsplatten aus der abgehängten Decke und zertrümmert sie mit der Stirn, Blut fließt, das Licht flackert, jemand sprüht „Kurt R.I.P.“ an die Wand über den Pissoirs. Das Publikum, das draußen vor der Tür warten sollte, drängt in den engen Raum und rennt dabei einen Kameramann um. „Das eigentliche Problem“, erinnert sich Abraham und lächelt dabei wie ein Kind, das etwas ausgefressen hat, „war das Motorrad, das MTV als Requisite in eine Ecke gestellt hatte. Irgendwann jedenfalls fiel das Motorrad um und das Benzin lief aus. Am Ende stand das Publikum in einer Pfütze aus Benzin. Das war … brenzlig.“ Ein Lehrstück darüber, wie echter Hardcore der Ausbeutung durch den Kommerz entgehen kann: Ihr wollt etwas wirklich Hartes, Krasses, Chaotisches? Okay, fresst das!

MTV stellte der Band die Kosten für die Renovierung der Toilette in Rechnung und verbannte sie für immer vom Äther, damit war für den Plastiksender die Sache vergessen. Im Gegensatz zu Fucked Up selbst, deren radikaler Auftritt ihnen nur noch mehr Fans bescherte. Unter anderem beim amerikanischen „Rolling Stone“, der die interessanten Newcomer mit einem „Indie Rock Universe“-Special vorstellte – im Rahmen einer kaum verhohlenen Werbung für Zigaretten von Camel: „Es war einfach offensichtlich, und wir fühlten uns ausgebeutet. Also taten wir genau das, womit man beim ,Rolling Stone‘ nicht rechnete: Wir verklagten die Zeitschrift“, erzählt Abraham: „Leider verloren wir in der ersten Instanz. Und unser Anwalt, der das für uns alles auf Freundschaftsbasis ausgefochten hatte, konnte nicht umsonst weitermachen. Immerhin hat uns der ,Rolling Stone‘ die Anwaltskosten erlassen.“

Auf der jüngsten Arcade-Fire-Tournee dürfte es nicht wenige Menschen gegeben haben, die sich fragten: Warum darf so eine Band hier spielen? „Gute Frage!“, sagt Abraham und erklärt: „Sie mochten einfach unsere Platte. Und die Szene in Kanada ist noch immer ziemlich übersichtlich. Man kennt sich, so wie wir Owen Pallett (ehemals Final Fantasy – Anm. d. Red.) kennen und schätzen und mit ihm arbeiteten. Andererseits: Wer sollte vor Arcade Fire spielen? U2? Es ist also schon ziemlich originell, eine Hardcore-Band auf sein Publikum loszulassen, um es sozusagen weichzuklopfen.“ Und goutiert das Publikum die Provokation? „Meistens wurden wir freundlich empfangen. Nur einmal – in München glaube ich – war eine Frau im Publikum, die hat geweint, als sie uns gesehen und gehört hat.“

 

Und was soll die Sache mit dem Blut? Nur Show? „Was heißt ‚nur Show‘? Andere Leute zertrümmern Gitarren auf der Bühne, was ich dekadent finde. Die sollten sie lieber den Kids spenden, die sich keine Gitarre leisten können, verdammt. Aber die Sache mit dem Blut ist einer der billigsten und eindruckvollsten Special Effects. Ich schummele ein wenig, weil ich eine Rasierklinge verwende. Dennoch merkt das Publikum: Der nimmt seine Sache ernst. Und das Leben ist schließlich auch eine wirklich ernste Angelegenheit.“