Mit „Seven up“ lässt Drogenguru Timothy Leary wieder alle Welt aufhorchen
Nachdem Timothy Leary mehr als zwei Jahre nichts von sich hören liess, kommt er nun mit einer sensationellen Platte wieder an die Öffentlichkeit. Leary war Anfang 1971 in Amerika zu 30 Jahren Gefängnis wegen Drogenbesitzes verurteilt worden, floh aber nach Algier und von dort ein halbes Jahr später in die Schweiz. Am Luzerner See hatte er von Freunden ein Haus zu Verfügung gestellt bekommen. Hier war es auch, wo ihn ‚Ohr‘ und ‚Pilz‘-Produzent R. U. Kaiser im Mai 72 besuchte und ihm seine Idee mit der Produktion vortrug, die dann ja Realität wurde. ME sprach als Erster mit dem Initiator über Konzeption, Entstehen und Produktion dieses Albums.
Wie kam es zu „Seven Up‘?
KAISER: Ich hatte schon längere Zeit die Idee, mit Leary eine Platte zu machen. Auch wenn dieser nur auf ein bespieltes Band eine Art ‚Message‘ an die Jugend Europas richten würde. Als ich jedoch im Frühjahr letzten Jahres zu ihm fuhr, ihm meine Pläne vortrug, kam es anders als erwartet. Er war anfangs zwar noch sehr skeptisch, hatte aber grundsätzlich nichts gegen meine Vorschläge.
ME: Wie konntest du ihn dann doch noch überreden und warum entschied er sich ausgerechnet für ‚Ash Ra Tempel‘?
KAISER: Ich spielte ihm kurze Zeit später die Ash Ra Tempel-Platte ‚Schwingungen‘ vor und er war danach mehr als zufrieden mit der Gruppe. Ich hatte zuvor mit Hartmut Enke über meine Idee gesprochen und er war begeistert, also ging er gleich mit in die Schweiz. Er sprach dann auch sehr detailliert über die Musik mit Leary.
ME: Inwieweit hat Leary an der Konzeption der Platte mitgewirkt?
KAISER: An sich ist die ganze Konzeption von ihm alleine. Während er ‚Schwingungen‘ hörte, notierte er sich 7 Satzfragmente auf einen kleinen Zettel, die später dann ausgearbeitet wurden und in Kooperation mit der Gruppe dann auf der Platte erschienen Ferner fügte er zu jedem dieser sieben Teile seine etwaigen Vorstellungen über die Musik bei. Das half der Gruppe dann natürlich sehr beim komponieren. Ausserdem singt Leary bei allen Stücken selbst mit.
ME: Wie kam es zur Aufnahme der LP und zu dieser einmalige Synthese aus Musik und Text?
KAISER: Ja, mit diesen Fragmenten zogen wir dann überglücklich nach Berlin zurück. Dort nahm Hartmut mit dem Rest der ruppe ein erstes Demo-Band auf, was Leary aber nicht voll befriedigte. Also wurde ein zweites Band angefertigt, dass dann seinen Erwartungen entsprach. Wir mieteten dann in Bern ein Studio, doch vorher lebten wir auf einem Bauernhof bei Bern noch ein paar Tage zusammen, um gegenseitig besser aufeinander eingehen zu können. Das war auch der Grund, warum wir schon am ersten Abend im Studio die zweite Seite im Kasten hatten. Durch die Erfahrungen und Gespräche die alle Beteiligten mit Leary hatten, erhielten wir ein Erlebnis, dass keiner von uns wohl je wieder vergessen wird.
ME: Die Platte hat doch in Amerika bestimmt viel Staub aufgewirbelt?
KAISER:
Als das Projekt bekannt wurde, erhielten wir natürlich viele Angebote, besonders aus Amerika. Die höchsten liegen bei etwa 100 000 Dollar. Der amerikanische ‚Rolling Stone‘ reiste sofort in die Schweiz zu Leary um einen Bericht zu erhalten. In Amerika kommt mit dem Erscheinen der Platte das neue Buch von Leary auf den Markt, dass einer Nachricht zufolge 1 Million Dollar Vorauszahlung erzielte. Für Ash Ra Tempel ist das ganze natürlich ein Riesen-Aufhänger und wir merken schon wie das Ausland neugierig auf die Erscheinung von ‚Seven up‘ wartet.
Die Konzeption von „Seven Up“
Diese besteht wie schon erwähnt aus 7 zusammenhängenden Kapiteln, die wiederum in zwei Oberbegriffe aufgeteilt sind. Die erste Seite wird von Leary ‚Space‘ (Raum) genannt, wobei aber nicht Weltraum, sondern die begrenzte Dimension Raum gemeint ist. Nennen wir es einmal Schicksalsrad. Diese vier Songs enthalten die Eindrücke die der Mensch durch Erziehung und Umwelt erhält und von denen er geprägt wird.
Im ersten Stück (Downtown) wird der Säugling aus der Geborgenheit des Mutterleibes in die Ungeborgenheit der Umwelt versetzt. Im zweiten (Powerdrive) erlebt er die Erfahrung des Gehens und der Schwerkraft, wobei er sich der Macht und der Ohnmacht bewusst wird mit der er zu leben hat. Im dritten Song (Right Hand Lover) entdeckt der Mensch die Manipulation am Beispiel seiner Hände und gleichzeitig, dass der Ausgleich durch sein Gehirn erfolgen muss. Im letzten Stück auf dieser Seite (Velvet Genes) erfährt er dann den Reiz und den Trieb zum Sexuellen und Geschlechtlichen. Die natürliche Folge dieser Vereinigung ist ein Kind.
Dieses Kind beginnt nun das Schicksalsrad von Neuem zu drehen, während für die Eltern die Geschichte bendet ist. Dieser endlose Lauf kann aber laut Leary unterbrochen werden, in dem durch Erlebnisse das Bewusstsein erweitert wird und die chemischen Prozesse im Körper dadurch aufgebrochen werden. Sind diese Schritte vollbracht, so besitzt man die totale Unabhängigkeit über alle Einflüsse, die auf einen einwirken. Seite 2 nun handelt davon, dass man dies erreicht hat und ist daher mit ‚Time‘ (Zeit) umschrieben, also die unbegrenzte Dimension. So erklärt es sich auch, dass auf der ersten Seite Blues, Rock und andere Pop-Elemente verarbeitet werden, während auf der zweiten die unbegrenzten Möglichkeiten der Elektronic eingesetzt werden.
Der erste Teil drückt die Freude, das Vergnügen aus, aber nicht im Sinne von z.B. sexuellen Gegenparts, sondern die Freude am Sein, an der Musik oder am eigenen Körper. Der zweite Teil ist der wahrscheinlich wichtigste auf ‚Seven up‘, da hier die Organisation des Körpers, das Nervensystem behandelt wird. Denn erst nach dem Kennen dieses Systems ist das Erkennen des Körpers möglich, so Leary. Dieser Teil beinhaltet auch die Erkenntnisse, die der Harvard-Professor in den letzten Jahren erarbeitet hat. Im letzten Teil der Platte wird dann die Zelle, die Urkraft des Lebens in allen Wesen, versucht in Musik umzuwandeln, was mit dem weissen Rauschen des Synthesizers verdeutlicht wird.
Man kann ohne Übertreibung sagen, dass die Synthese aus Musik und Text hier auf dieser Platte glänzend gelungen ist, was nicht zuletzt auf das Konto von Ash Ra Tempel geht.