Warum Rummelsnuffs Bosstransformation den bloßen Body Mass Index überschreitet
Die Muskeln und die popkulturelle Reichhaltigkeit, die mit der Actionfigur Rummelsnuff einhergehen, verstellen für manch einen den Blick auf die Songs. Allzu schade. Plädoyer für einen verkannten Helden der Popmusik.
Damit Medien zu den Erscheinungsdaten von Platten Storys, Beiträge und Gespräche anbieten können, gehen Künstler vorab auf sogenannte Interviewreisen. Dies ist an sich eine vernachlässigbare Anmerkung zur Organisation des Musikbetriebs, im Falle Rummelsnuff schrieb sie allerdings eine eigene Geschichte.
Der streitbare Musikmanager Alfred Hilsberg, der sich unlängst noch von seiner eigenen Biografie „Das ZickZack-Prinzip“ distanzierte, hatte eingeladen. Es war das Jahr 2008, und er stellte seinen neuesten Künstler vor, ein irritierendes Kraftpaket, das die Weißbrot-Anmutung von „The Thing“ der Superheldentruppe „The Fantastic Four“ besaß.
Über Rummelsnuff waren bis dato nur Gerüchte im Umlauf. Sollte die Inszenierung etwa camp sein? Oder war dieses Seemann-Image der Debütplatte eine nautische Version der Village People und letztlich total schwul? Oder handelte es sich hier doch einfach um einen gemeingefährlichen Skinhead, der jemand Schwächerem ein Keyboard abgenommen hatte?
Fragen, die sich im Interview nicht klären ließen, denn den allergrößten Teil des Gesprächs bestritt sein Manager. Dies sollte damals einen (vermeintlich) medienscheuen Musiker vor sich selbst schützen, hinterließ allerdings den Eindruck, man habe es hier tatsächlich mit einem wortkargem, wenig schlauem Golem zu tun. Dabei brauchte es bloß ein bisschen Recherche, um festzustellen, dass Roger Baptist, der Mann hinter der Actionfigur Rummelsnuff, nicht einfach aus dem Fitnessstudio gefallen war.
Roger Baptist fuhr zur See – und kehrte als Rummelsnuff zurück
Schon zu DDR-Zeiten spielte er in Bands, Kein Mitleid hieß die erste und sah sich inspiriert von Joy Division. Mit der Wende entstand das Artrock-Kollektiv Freunde Der Italienischen Oper, danach das kommerziell (fast) erfolgreiche, düstere Electro-Duo Automatic Noir. Der Legende nach hatte Roger Baptist zur Jahrtausendwende dann die Schnauze voll vom Musikbetrieb, fuhr zur See, erkundete Hammerfest bis Sansibar – und kehrte als muskulöse Neuerfindung zurück, als Rummelsnuff. Ein Mann mit solch erstaunlicher Vita sollte doch für sich selbst sprechen können. So geschah es; die Wege von Rummelsnuff und Hilsberg trennten sich.
Rummelsnuffs fast fiktionaler Körperbau hatte da längst aus dem allgemeinen Anfangsinteresse eine stattliche Popularität geschaffen. Dabei hatte sich herumgesprochen, hier handle es sich um das bekannte und nun Fleischberggewordene Narrativ von „Harte Schale, weicher Kern“. Rummelsnuff war der herzensgute Berghain-Türsteher mit dem leicht ulkigen Musikprojekt. Seine Nahbarkeit machte ihn bald zu einer Art kumpeligem, viel fotografiertem Hausmeister der urbanen Hipsterkultur. Diese Verortung ging sogar so weit, dass die bloße Nachricht, Rummelsnuff werde an einer Durchgangsschleuse als Edel-Bouncer auf dem Melt! eingesetzt, weit höhere Wellen schlug, als sein eigentliches Konzert auf jenem Festival.
Die Kenntlichkeit der Figur stieß nicht nur hier an die Grenze ihres Nutzwerts für den Künstler. Schließlich handelt es sich bei Rummelsnuff zwar um eine üppige Inszenierung, aber eben vornehmlich um einen Musiker, der auch gehört werden möchte. Mit RUMMELSNUFF UND ASBACH ist nun bereits das fünfte Album seit 2008 erschienen und führt vor, welche Meisterschaft der gebürtige Sachse in seiner Nische (irgendwo zwischen EBM, Freddy Quinn, Fit For Fun und „Salzig schmeckt der Wind“) erreicht hat. Pupsende Tuba-Sounds geben Songs ihren Rhythmus vor, und die unverkennbar krächzige Null-Oktav-Stimme des Künstlers sprechsingt die per- fekte Entsprechung dazu. Kurz ausgestoßene Worte und Töne gestalten die schunkelige Tanzbarkeit jedes Stücks. Rummelsnuff erweitert seinen auch an Front 242 geschulten Ansatz allerdings um das schwülstige Element des Chansons, bei dem sich der Schwerpunkt immer mehr von Seefahrt in Richtung Muckibude verschiebt. Die Mensch-Maschine beweist darin Humor und echtes Gefühl, in den Songs lässt sich hinter dem Kauzigen stets auch das Künstlerische finden, hinter dem Albernen stets auch eine sehnsuchtsvolle Tiefe. Über die Jahre hat sich in Rummelsnuffs Werk eine tatsächliche Bosstransformation erfüllt, sie überschreitet dabei weit den bloßen Body-Mass-Index und ist es wert, gehört zu werden.
4 weitere wissenswerte Fakten über Rummelsnuff:
- In der DDR erhielt Rummelsnuff alias Roger Baptist eine Ausbildung zum Fagottisten.
- 2008 bekleidete Rummelsnuff eine Gastrolle in der Komödie „Morgen, ihr Luschen!“ von Ausbilder Schmidt.
- Auf dem Duett „Schiffbruch“ von 2013 ist als zweite Stimme Bela B. von den Ärzten zu hören.
- Mit „Crystal Ball“ findet sich ein gänzlich untypischer Song auf dem aktuellen Rummelsnuff-Album. Gesungen wird er vom langjährigen Wegbegleiter Christian Asbach – und erinnert an die Magnetic Fields.