Jon Lord: Früher oder später wäre Deep Purple doch kaputt gegangen


Ganz am Anfang gehörten zu Deep Purple Jon Lord, Ritchie Blackmore, Ian Paice, Rod Evans und Nie Simper. In dieser Besetzung war die Gruppe in Amerika bereits sehr erfolgreich. Ihre Version von ‚Hush‘, einer Joe-South-Komposition, schaffte sogar den Platz Eins in den amerikanischen Charts. Kurz bevor die Popularitätskurve auch in England mächtig anstieg, wurden Rod und Nic durch Roger Glover und Ian Gillan ersetzt. Mit ihnen ging es dann so richtig los. Plötzlich war Deep Purple nicht nur in England, sondern in der ganzen Welt eine der gefragtesten heavy-Bands. Vor einem halben Jahr kam sowas wie ein negativer Wendepunkt: Ian Gillan und Roger Glover hatten keinen Bock mehr und Deep Purple musste zum zweiten Mal von vorne anfangen …

Wir fragten Jon Lord, den Organisten und Gründer der Band, ob er froh ist, dass es jetzt mit seiner Gruppe wieder bergauf geht und er schon sehr bald mit zwei neuen Leuten auf Tournee gehen kann. Seine Antwort darauf heisst kurz und bündig: Ja. „Es ist ein komisches Jahr für Deep Purple gewesen. Wir waren in Japan, als Ian damit rausrückte, dass er es nicht mehr witzig fand, dauernd so weit von zu Hause weg zu sein. Lieber wollte er die Gruppe verlassen. Es war ihm klar, dass wir durch seinen Entschluss in grosse Schwierigkeiten geraten würden und deshalb gab er uns ein Jahr Zeit, um Ersatz für ihn zu suchen. Kurz darauf kündigte uns auch Roger aus den gleichen Gründen sein Ausscheiden an. Roger hat sich einen Job als Producer bei Purple Records ausgesucht. In naher Zukunft wird er ausserdem ein Solo-Album herausbringen, Ian Gillan kümmert sich um sein eigenes Aufnahme-Studio. Nebenbei besitzt er auch noch eine Autovermietung.

Deep Purple war eine sehr erfolgreiche Band, soweit es Geld und Popularität betrifft, aber mehr als einmal musste ich daran denken, dass die Gruppe in ihrem bisherigen Sound festgefahren war. Als Ian und Roger ankündigten die Gruppe zu verlassen, konnten wir zwei Dinge tun: Ganz aufhören, oder in einer anderen Besetzung neu beginnen. Lange Zeit wussten wir nicht, was wir tun sollten. Schliesslich dachten wir, es wäre feige aufzuhören. Ausserdem haben wir mit einer neuen Besetzung mehr Möglichkeiten. Ich will kein schlechtes Wort über die alte Besetzung hören aber es ging nicht mehr so richtig los. Auf der Bühne passierte nichts Neues mehr. Der Wille, andere dufte Sachen zu bringen, war nicht mehr da. Die Gruppe wäre daran früher oder später doch kaputtgegangen. Ich glaube, dass die neuen Deep Purple die Gruppe werden, die ich immer in meinen Wunschträumen vor mir gesehen habe.

GLEN HUGHES

Es war nicht einfach, für Gillan und Glover einen guten Ersatz zu bekommen. Wir fanden zuerst einen neuen Bassisten. Sein Name: Glen Hughes. Schon früher hatten verschiedene Purple-Mitglieder diesen Bassisten, Sänger, Komponisten und Leader der Gruppe Trapeze bewundert. Trapeze war eine der britischen Gruppen, die in Amerika unheimlich populär war, bevor man sich in England für sie interessierte. Weil er keinen Bock mehr hatte, in einer verhältnismässig erfolglosen Gruppe zu spielen, kam er natürlich mit Freuden zu Deep Purple. Ein viel grösseres Problem aber war einen Sänger zu finden, Ian Gillan war das Gesicht von Deep Purple und seine Stimme die Verkaufsmarke der Gruppe. Wir suchten jemanden, der sich dieser Verantwortung bewusst war und dazu imstande war, neue Dimensionen der bestehenden Deep-Purple-Musik hinzuzufügen. Glen ist ein dufter Sänger, aber wir brauchten noch einen zweiten Mann.

PAUL RODGERS

Langsam aber sicher wurde uns klar, dass wir einen Sänger haben mussten, der einen bestimmten Song an einem bestimmten Abend anders singen kann, weil er sich an diesem Abend anders fühlt oder weil die Stimmung einfach anders ist. Ausserdem musste derjenige Talent zum Songwriter haben. Schliesslich landeten wir bei Paul Rodgers von den Free. Er hatte einige Jahre lang in einer prof. Band gespielt und wir dachten, das ist unser Mann. Aber es geschah nichts …“ Es dauerte nicht lange und ganz England wusste, dass Deep Purple einen neuen Sänger suchte. Die Gruppe wurde mit Tapes von Gillan-Anwärtern eingedeckt. Alle Bänder wurden sorgfältig sortiert und angehört. Das Resultat schwankte zwischen ‚Ganz gut‘ und ‚äusserst mies‘. In Redcar (Nordengland), wohnte ein Sänger, der bereits einige Jahren Erfahrung in Profi- und Semi-Profi-Gruppen gesammelt hatte. Es war ein abgebrühter Bursche, weil das Publikum in den nordenglischen Minenbezirken nicht gerade das freundlicheste ist. Er hatte ein tape an Bell Records geschickt und bekam es mit gleicher Post wieder zurück mit der Mitteilung: ‚Nicht nötig‘.

Freunde aber überredeten ihn, das Band zu Deep Purple zu schicken und meinten, er hätte doch nichts zu verlieren.

DAVID COVERDALE AUS REDCAR

Jon Lord sass im Wohnzimmer seines Hauses und besah sich bedenklich einen Stapel neuer tapes, die vor ihm auf dem Tisch lagen. „Fangen wir wieder von vorn an“, dachte er und legte das erste Band auf. Es kam aus Redcar… „Es war eine furchtbar schlechte Aufnahme … unglaublich, wirklich. Ich hatte den Eindruck, als wäre bei den Aufnahmen unheimlich viel Alkohol geflossen. Trotzdem liess ich das Band auf dem Recorder und spielte es den anderen Deep Purple’s vor. Der Knabe besorgte mir eine Gänsehaut und wir diskutierten eine ganze Nacht über ihn. Schliesslich Hessen wir ihn für eine Jam-Session nach London kommen … Eigentlich war es eine Art Probe, wir wollten seine Möglichkeiten kennenlernen, aber der Knabe bestand jeden Test ohne auch nur mit der Wimper zu zucken und noch bevor ein Tag vergangen war, war David Coverdale der neue Leadsänaer der Deep Purple.“

NEUE LP

Inzwischen ist der negative Wendepunkt wieder vergessen und Deep Purple arbeitet in der neuen Besetzung an einer neuen Langspielplatte. Die letzten zwei Monate komponierten sie neues Material und die Aufnahmen werden mit dem mobilen Studio der Rolling Stones gemacht. Die Tournee ist inzwischen angekündigt und bringt die Gruppe im Januar nach Amerika. Sie hofft aber, vorher noch eine kurze Tour durch Europa machen zu können. Bei unserem Weggehen, grinst Jon: „Es ist natürlich komisch, so plötzlich ohne Ian und Roger, aber unser grösstes Problem im Augenblick ist, Glen und David anzugewöhnen ‚wir‘ zu sagen, anstatt immer wieder ‚ihr‘.

DISCOGRAFIE

Shades Of Deep Purple (1968)

Book Of Taliesyn (Juni 1969)

Deep Purple (Sept. 1969)

Concerto For Group And Orchestra

(Dez. 1969) Fireball (1971)

Gemini Suite (Jon Lord) (1971)

Machine Head (1972)

Made In Japan (1972)

Who Do We Think We Are (1973)