Deep Purple im Studio


‚Burn‘ heisst das neue Deep Purple-Album, das in diesen Tagen mit Spannung erwartet werden darf. Damit hat für eine der erfolgreichsten Rock-Gruppen der Welt ein neues Kapitel angefangen denn vorbei sind die Zeiten, in denen lan Gillan massgeblich das Image dieser Band prägte. Wir berichteten in früheren Ausgaben bereits ausführlich über die Krise bei Deep Purple, über den Split und über die neue Formation. Als Ritchie Blackmore, Jon Lord, lan Paice, Glenn Hughes und David (‚Dave‘) Coverdale neulich in Montreux in der Schweiz mit den Aufnahmen zu ‚Burn‘ beschäftigt waren, hatte ME-Redakteur Lutz Wauligmann Gelegenheit auf viele bislang unbeantwortete Fragen ausführliche Antworten zu bekommen:

Montreux liegt am Genfer See, ist eine verträumte Stadt und hat schon seit längerem eine besondere Beziehung zu Deep Purple – oder umgekehrt. Vor zwei Jan ren gab es hier einmal ein wun derschönes Kasino, in dem ein Frank Zappa-Konzert stattfand Nach dem Konzert gab es kein Kasino mehr, denn das hatte während des Zappa-Gigs Feuer gefangen und brannte bis auf die Grundmauern nieder. Deep Purple, damals noch mit lau und Roger, waren nur ein paar Minuten von brennenden Kasino entfernt damit beschäftigt ihr ‚Machine Head‘ Album aufzunehmen. Als sie die Feuerwehr-Sirenen hörten, brauchten sie nur die Studiotüren aufzureissen, um mit Weitblick auf die Rauchwolken über dem Genfer See die Inspiration für einen ihrer grössten Hits zu bekommen: ‚Smoke On The Water‘.

Ritchie: Wir Wollten ‚Burn‘ In Hamburg Aufnehmen

‚Smoke On The Water‘ spielte ausgerechnet in dem Moment im Radio, als Ritchie Blackmore und seine deutsche Frau Babs jenes italienische Restaurant in Montreux betraten, in dem ich mit unserem Fotografen Conny bereits Platz genommen hatte. Zufälle gibt’s vielleicht…! Ritchie ist eigentlich ein verhältnismässig schweigsamer Typ; deshalb erwies sich diese Gelegenheit als ganz günstig, um ein paar Worte aus ihm herauszubekommen. Natürlich wollte ich wissen, wieso Deep Purple schon zum zweiten Mal ausgerechnet in Montreux eine LP aufnahmen. Ritchie: „Das geschieht beinahe zufällig. Wir sind ja nicht an einen festen Ort gebunden, da wir das ‚Rölling Stones Mobile Studio‘ gemietet haben. Zuerst wollten wir ‚Bum‘ in Maschen bei Hamburg aufnehmen. Dort wollten wir unsere Instrumente in einer Diskothek aufbauen, die noch nicht eröffnet war. Mit dem fahrbaren Stones-Studio wäre das keine Problem gewesen. Wir bekamen allerdings nicht die amtliche Genehmigung, die wir brauchten, um in dem Club 24 Stunden am Tag arbeiten zu können.“

Im Studio

Wofür Deep Purple eine solche Genehmigung gebrauchte, war an diesem Abend in Montreux schnell zu erfahren. Während lan, Jon, Glenn und David zu einer Party in einen Club fuhren, begleitete Babs ihren Ritchie ins Kongress-Zentrum, in dessen Kellergeschoss das Stones Mobile‘ plaziert war. Aus diesem militärisch grün-grau bemalten Lkw führten ein paar dicke Kabel in eines der höheren Stockwerke, in denen Deep Purple sich einen provisorischen Aufnahmeraum zusammengebastelt hatten. Ein paar Wolldecken vor den Fenstern, ein paar schallschluckende Holzwände und eine Fernsehkamera, die den Sichtkontakt für den Tontechniker unten im Wagen ermöglichte – das war alles, was hier oben daran erinnerte, dass ein Album aufgenommen werden sollte.

Purple-Party

Ritchie wollte an diesem Abeno noch schnell seine letzten Gitarren-Solos einspielen, damit er am folgenden Nachmittag mit seiner Frau zurück nach England fliegen konnte. Während er ‚Nachtschicht‘ hatte, wurde es auf der Party gemütlich. Glenn, der Ex-Trapeze Bassist, schien neben Jon Lord bei den weiblichen Gästen der begehrteste Typ des Abends zu sein. Ob es wohl daran lag, dass er etwa wie ein fünf Jahre jüngerer lan Gillan aussieht? Glenn: „Viele Leute haben mir schon gesagt, dass ich lan äusserlich irgend wie ähnlich bin, aber was soll’s. Ich singe zwar auch, Deep Purple’s neuer Lead-Sänger heisst jedoch David Coverdale, und das ist gut so. Dave und ich, wir verstehen uns prima, deshalb fällt es uns nicht schwer zusammenzusingen. Seine Stimme klingt sehr tief, während meine wesentlich höher liegt – wir ergänzen uns also sehr gut gegenseitig.

Ritchie’s Idee

Glenn, warum Bist ausgerechnet Du der neue Bassist von Deep Purple geworden? Glenn: „Weihnachten 1972 hab‘ ich die Gruppe zum ersten Mal auf einer Party in Miami Beach/Florida getroffen. Wir sind dort auf Anhieb gute Freunde geworden. Deep Purple schauten sich daraufhin ein Trapeze-Konzert in Los Angeles an. Dadurch wurde unsere Freundschaft noch vertieft, und vier Monate später bat mich die Gruppe ihr neuer Bassist zu werden. Obwohl wir uns schon sehr gut kannten, war ich doch sehr überrascht über ihre Entscheidung.“ Ist es nicht ein grossartiges Gefühl plötzlich Mitglied einer so bekannten Band zu sein? Glenn: „Ja und ob! Ich habe Deep Purple schon immer bewundert und ich halte die einzelnen Leute in der Band für hervorragende Musiker und dufte Typen. Es hat mich natürlich wahnsinnig gefreut jetzt zu ihnen gehören zu dürfen.“ Roger Glover und lan Gillan sind durch dich und David ausgetauscht worden. Unterscheidet aich der Sound der neuen Deep Purple nun wesentlich von dem, was man bisher von der Gruppe hören konnte? Glenn: „Nun, im Grunde genommen hatte Deep Purple schon seit längerem vor sich einen neuen Sound zuzulegen – unabhängig davon, dass es jetzt auch personelle Veränderungen gegeben hat. Mit zwei Sängern hört sich die ganze Sache schon etwas anders an.“ Wie lange habt ihr für die Aufnahme des neuen Albums gebraucht? Glenn: „Acht Tage. Es ging alles sehr schnell, weil wir gut gelaunt waren und Bock drauf hatten Tag und Nacht zu arbeiten.“ Sicher habt ihr euch aber sehr gut auf den Studio-Termin vorbereitet, oder? Glenn: „Oh ja. Wir lebten sechs Wochen lang in einem Schloss in Wales (England), bevor wir in die Schweiz kamen. In der Zeit haben wir geprobt und die meisten neuen Stücke geschrieben.“ Wer von euch ist auf die Idee gekommen, das neue Album ‚Burn‘ zu nennen? Glenn: „Das war Ritchie’s Idee.“

Purple Records

Was macht eigentlich Roger Glover, dein Vorgänger? Glenn: „Der ist jetzt der Chef von Purple Records und produziert ausserdem noch unter anderem ,Nazareth‘ und die ‚Spencer Davis Group‘. Roger macht auf mich einen sehr zufriedenen Eindruck. Er nimmt momentan zusätzlich noch ein Solo-Album auf. Es würde mich gar nicht wundern, wenn er in absehbarer Zeit mit einer eigenen Band auf Tour geht.“ Und lan Gillan? Glenn: „lan bastelt noch immer fleissig an seinem Studio herum. Was er im Augenblick genau macht, weiss ich nicht. Eine eigene Platte nimmt er meines Wissens

nach nicht auf. Er arbeitet übrigens auch nicht mehr mit ‚Purple Records‘ zusammen.“

Unverbrauchte Energien

Es gibt Gruppen wie Rod Stewart & The Faces oder die Rolling Stones, die einen sehr eindrucksvollen Stage-Act haben. Wird Deep Purple in Zukunft diesem Trend folgen und auch showähnliche Konzerte geben oder bleibt es dabei, dass die Sand einfach auf die Bühne -ommt und einfach ihre Stücke Herunterspielt? Glenn: „l don’t no, Rod Stewart ist nicht gerade ein Alice Cooper, wenn es um Stage-Act geht. Bei Mick Jagger list die Show perfekt. Ich denke, (wir werden uns in Zukunft auch mehr um Show-Effekte bemühen ‚als das früher bei dieser Gruppe der Fall war.“ Glaubst Du zum Beispiel, dass David, euer Sänger, ein geborener Show-Typ ist? Glenn: „Nein, David ist nicht der Typ, der wild auf der Bühne herumspringt, aber die Musik wird uns alle – auch David – in Schwung bringen. Wir sind eben eine neue Band, wir haben noch soviel unverbrauchte Energien.“ Wird David genau wie lan Gillan auch Congas spielen? Glenn: „Nein. Dave ist ausschliesslich Sänger.“ Wenn ihr im Frühjahr mit der neuen Besetzung nach dem Dezember-Gig in Frankfurt zum zweiten mal in Deutschland auftretet, werdet ihr dann auch Stücke bringen, in denen überhaupt kein Gesang vorkommt? Glenn: „Wir spielen ein Instrumental-Stück, damit lan Paice mit seinem Schlagzeug-Solo loslegen kann.“ Werdet ihr wohl noch alte, bekannte Deep Purple-Nummern ‚live‘ bringen? Glenn: „Nur noch ‚Smoke On The Water‘, ‚Space Truckin‘ und am Ende von lan’s Drum-Solo ‚The Mule‘. Ansonsten spielen wir nur noch Stücke vom neuen Album.“ Es gibt also kein ‚Child In Time‘ mehr… Glenn: „Richtig. Die Sache ist die: ‚Child In Time‘ ist I inzwischen zu einer Art Deep Purple-Klassiker geworden. Unser Publikum wird sicher den einen oder anderen alten Purple-Song vermissen. Ich glaube aber, kein Mensch würde sich an einem lan Gillan-Song wie ‚Child In Time‘ herantrauen, ganz einfach, weil sie zu stark mit der persönlichen Ausstrahlung von lan Gillan verknüpft sind. Wir könnten von dem Titel nur eine schwache Kopie liefern, aber das lassen wir schön sein und stürzen uns lieber voll auf unser neues Material. ‚Smoke On The Water‘ ist gerade erneut ein internationaler Hit gewesen, deshalb bleibt der Song noch eine Weile in unserem Repertoire und ‚Space Truckin‘ ist eben ein wahnsinnig guter Abschluss für unsere Gigs.“

Jede Menge Konzerte

Noch einmal zurück zum Stage-Act. Wie soll das konkret aussehen? Glenn: „Nun, es wird nicht so sein, dass wir auf der Bühne wie verrückt herumrennen oder sonstwas treiben. Wir werden uns vielmehr einfach von der Musik auflockern lassen. Es wird ein sehr natürlicher Stage-Act sein – nichts Gekünsteltes oder so. Sowas könnte ich nicht. Ich könnte nichts auswendiglernen, wann ich mein rechtes und wann mein linkes Bein zu bewegen hätte. Wenn ich Musik mache, dann weiss ich eigentlich überhaupt nicht, was ich mache – ich mach’s einfach.“ Zurück zum ‚Burn‘ Album. Welcher der neuen Songs wird auch als Single erscheinen? Glenn: „Das steht noch nicht fest. Vermutlich er ‚Sail Away‘, weil es ein sngsamer Funky-Titel ist.“ Wie sieht es mit der nächsten grossen Europa-Tournee aus? Glenn: ‚m März beginnen wir eine rie“,ge Tour und Ende April werden wir dann auch jede Menge Konzerte in Europa geben.“

Gute Laune

Man konnte hier in Montreux feststellen, dass alle in der Gruppe in sehr guter Laune sind, anders als man die alten Deep Purple in ihrer Endphase erleben konnte… Glenn: „Überall wo Deep Purple früher nicht auftreten wollte, werden werden ir jetzt spielen, you know, da bin ich mir ganz sicher. In Italien und in Amsterdam hat es bei Konzerten Unruhen gegeben; dabei wurde auch einer aus der Gruppe verletzt, aber das ist längst alles vergessen. Wie gesagt, wir fahren auch dort wieder hin.“ Ritchie Blackmore wird von vielen als der Deep Purple-Boss betrachtet. Nun hat er schon zwei Tage vor Abschluss der Aufnahmen Montreux verlassen. Stimmt also die Vermutung, dass Ritchie doch kein ‚Boss‘ ist, sondern nur ein gewöhnliches Mitglied der Band, das die anderen nicht unbedingt immer kontrolliert? Glenn: „Well, Ritchie musste zurück nach England, weil er seine Hunde und i sein Haus nicht so lange allein lassen wollte. Für ihn als Gitarristen sind die Aufnahmen zu diesem Zeitpunkt auch bereits schon abgeschlossen. Jetzt müssen nur noch einige Gesangs-Parts von David und mir aufgenommen werden, und wir arbeiten eben alle sehr selbstständig, was keine Probl eme bringt, weil wir ein sehr gutes Vertrauensverhältnis untereinander haben.“ Und es gibt keinen Boss bei Deep Purple? Glenn: „Es gibt keinen Boss bei uns. In der Vergangenheit hat es zwar zwischen Jon und Ritchie Konflikte gegeben, aber ich glaube, sie haben diese in Interviews mit Absicht ein wenig übertrieben dargestellt. Ritchie ist nun einmal eine sehr hervorstechende Persönlichkeit auf der Bühne und im Allgemeinen. Er ist zwar sehr schüchtern, aber eben auch ein wahnsinnig guter Gitarrist, und er möchte, dass die Band seine Gefühle mitfühlen kann. Trotzdem achtet er darauf, dass jeder der Musiker seine eigenen Ideen im Deep Purple-Sound wiederentdecken kann.“

Fortsetzung im März: Jon Lord-Interview

Diese Deep Purple-Reportage wird im nächsten Monat fortgesetzt. Dann spricht Jon Lord über die Hintergründe, die zur Entscheidung führten das ‚Burn‘ Album in Montreux aufzunehmen. Ausserdem behandelt er die Themen ‚Gemini Suite in München‘, ‚Krach mit Ritchie Blackmore‘, ‚Warum Paul Rogers von ‚Free‘ nicht unser neuer Sänger wurde‘, ‚Schwierigkeiten bei den Aufnahmen zu ‚Made In Japan‘ und Who Do You Think We Are‘, ‚Meine Hobbies‘, ‚Probleme mit der Plattenfirma‘ und ‚Purple-Singles‘ Also aufgepasst, Deep Purple-Fans, verpasst die ME-März-Ausgabe nicht!