Die neuen Jazz-Rock Götter
Sogenannte Jazz-Rockes Gruppen gehören schon seit Jahren zum alltäglichen Bild des Rock. Vor allein die Formationen, die diesen äußerst umstrittenen Begriff geprägt haben: Bands wie Blood, Sweat & Tears, Chicago oder Colosseum. Aber von ihnen soll hier nicht, oder besser, weniger die Rede sein. Seit 1973 etwa beherrschen andere Namen die Jazz-Rock-Szene. Beherrschen im wahrsten Sinne des Wortes, denn ihre Synthese beider Stilrichtungen gilt heute als gelungener, interessanter und zukunftsträchtiger als die der älteren Gruppen. Eine treffende Umschreibung bzw. ein neuer Schubladenbegriff fehlt bisher noch, obwohl man gelegentlich von "Black Rock", "Electric Jazz" oder "Funky Music" spricht. Damit die, den Musikern wenig nützlichen Kategorisierungsversuche, nicht noch weiter ausgeweitet werden, belassen wir es vorerst bei dem Begriff Jazz-Rock.
DIE GÖTTER
Zu den Hauptakteuren der neuen Variante des Jazz-Rock zählen in vorderster Front Bands wie WEATHER REPORT, Chick Coreas RETURN TO FOREVER, das MAHAVISHNU O-CHESTRA. Larry Coryells ELEVENTH HOUSE, die HERBIE HANCOCK Group und die Gruppen der Schlagzeuger BILLY COBHAM und ALPHONSE MOUZON. Trotz der unterschiedlichsten Merkmale verbindet sie eines: Die Synthese zweier Stilarten mit einem möglichst breiten Spektrum an Aussagekraft und Einflüssen – der Jazz-Rock der siebziger Jahre mit seinem Drive, der Vielfalt und der „Schwärze“.
Auffallend ist. daß alle genannten Bands aus den USA stammen und England genaugenommen überhaupt nichts anzubieten hat. Englische Vertreter dieser Richtung wie Soft Machine, Nucleus oder Isotope besitzen ein völlig andersgeartetes Jazz-Rock Feeling. Außerdem sticht ins Auge, daß jede Formation mehr oder weniger von einer einzigen Persönlichkeit geführt wird, mit der die Gruppe steht und fällt. Im Gegensatz zu den frühen Jazz-Rockern besitzen die neuen einzig eine Jazz-, keinesfalls aber eine Rock-Vergangenheit. Während sich Ende der sechziger Jahre der Rock eher dem Jazz zuwandte (und zuwenden mußte), läuft der Annäherungsprozeß dieser Tage in umgekehrter Form ab. Und das hat sicherlich seine Gründe…
VORURTEILE
Schon seit jeher standen sich beide Lager feindselig gegenüber. Man hatte eben seine Vorstellungen von den Kollegen: Die Jazzer waren die „versponnenen. über-ernsten und mit Solo-Komplexen Beladenen“, während die Rocker nur „primitives Geklopfe, Geld. Geschrei und Frauen im Kopf hatten und nicht einmal richtig improvisieren konnten“. Gottseidank sind sich mittlerweile die beiden ehemals verfeindeten Lager etwas nähergekommen, wenn sich auch viele Musiker noch im Kriegszustand wähnen. Jimi Hendrix auf der einen und Miles Davis auf der anderen Seite sorgten für Interesse am gegnerischen Potential, freilich anfangs nur hinter vorgehaltener Hand. Die Jazz-Rock-Ehe wuchs nur sehr langsam, aber schließlich blieb ihnen nichts anderes übrig. Jede Seite hatte sich festgefahren. Oder festgebissen, was die damalige Situation weitaus treffender umschreibt.
ENGLAND
Aber es begann alles schon viel früher! 1963 gab es in London eine Gruppe namens Graham Bond Organisation. Wohl die erste, die Jazz-Elemente und Rock (damals noch R & B genannt) verband. Aus dieser legendären, mythenreichen Formation stammen Asse wie Jack Bruce. Jon Hiseman, Ginger Baker. John McLaughlin und Dick Heckstall-Smith. Ähnlich versprengten Samenkörnern breiteten sie sich aus und blühten mit den Jahren in den verschiedensten Bands auf. Bruce und Baker brachten in der Cream-Zeit mit King Eric erstmals lange Improvisationen in die Popmusik ein. Hiseman und Heckstall-Smith gründeten Colosseum, lange Zeit Englands Renommier-Jazz-Rocker. Und McLaughlin . . . wer kennt ihn nicht! Soft Machine, ebenfalls eine äußerst wichtige Rockband, die mit jazzigem Spiel aufwartete, konnte lange Zeit nach ihrer ’67er Grundsteinlegung noch als non plus ultra dieser Stilvariante in ganz Europa angesehen werden. Etwas später fiel in diesem Zusammenhang öfter der Name von Ian Carrs Nucleus.
UND AMERIKA…
Aber in Amerika schlief man nicht. Die Antennen waren auf Empfang gestellt, und auch dort hatten sie ihre Graham Bond Organisation. Nur hieß sie hier Blues Project. und ihre Mitglieder sollten für den Jazz-Rock-Kreuzzug ebenso wichtig sein wie die Engländer. Steve Katz und AI Kooper führten (neben Danny Kalb) die Gruppe an, nach zwei Jahren jedoch verließen sie 1967 die Band, um ihr eigenes Projekt an-
zuleiern. Sie riefen Blood, Sweat & Tears ins Leben, die nach außen hin meist als eigentliche Jazz-Rock-Pioniere angesehen werden. Im Zuge des B, S & T-Erfolges erschienen andere Gruppen auf der Bildfläche, wie Chicago (etwas rockiger). Flock (etwas klassischer). Electric Flag (etwas souliger) und Dreams (etwas südlicher). In der letztgenannten Band trommelte ein junges Talent, dem einige Jahre später die gesamte Kritikerelite zu Füßen liegt: Billy Cobham. Auffallend an all diesen Beispielen ist. daß jedes von ihnen bei der Plattenfirma CBS unter Vertrag stand. Entweder war diese Firma ein genialer Trendentdecker, oder der Verdacht liegt nahe, daß der damalige Jazz-Rock nur entstand, um ein neues. erfolgreiches Etikett vermarkten zu können.
…NICHT PERFEKT
Noch etwas verbindet diese Gruppen. Nämlich die nicht sonderlich geglückte Verschmelzung beider Stilrichtungen. Neben einer rein rockigen Rhythmus-Sektion (und der gequälten Gitarre), blies sich ein rein jazziger Bläser-Satz die Seele aus dem Leib. Ein Nebeneinander herrschte – kein Miteinander aber. Blood. Sweat & Tears stellten sich dabei noch am geschicktesten an. Das waren wie gesagt, immer noch Rockmusiker. Bei den Jazzern fällt der Groschen erst 19~0, als ihn Miles Davis – überall hörbar fallen läßt. Nun erscheinen ihnen plötzlich die Rockeinflüsse spielbar, nicht mehr unter ihrem Niveau. Eigentlich ist „Britches Brew“. Miles‘ Album, das die Revolution einleitete, eine härter dreinschlagende Rhythmusgruppe mit jazzigen Solisten. Nichtsdestotrotz, jetzt hatten sie alle Bock-auf Rock!
TONY WILLIAMS UND MILES DAVIS
Neben Miles gab es noch einen oft unterschätzten Fürsprecher der Synhese: Tony Williams. Schon ein Jahr vor Davis hatte er seine „Lifetime“ beisammen, eine Band, in der der Organist Larry Young und John McLaughlin saßen, mit Tony am Schlagzeug. Große Aufregung gab es. als Jack Bruce ein Jahr später zu ihnen stieß, der in keinem Interview zu sagen vergaß, daß sie doch die beste Band der Welt wären, womit er gar nicht mal so Unrecht hatte. Tony spielte z.B. Schlagzeug, wie man es bis dahin nie gehört hatte. Er spielte völlig frei —stilfrei! Bis Billy Cobham ihn ablöste, galt er lange Jahre als weltbester Drummer. Miles‘ Wichtigkeit erklärt sich eher in seinen Besetzungslisten. Wer bei ihm mitgewirkt hatte, wußte schlichtweg, worum es ging. Fast alle gesondert angesprochenen Jazz-Rock-Größen hier hatten irgendwann einmal etwas mit Miles oder einer seiner Gruppen zu tun.
DER UNTERSCHIED
Was den neuen Jazz-Rock grundsätzlich schmackhaft werden läßt, ist das veränderte Bewußtsein seiner (Jazz) Delegation. Endlich ist man gewillt, vom Rock Dinge zu übernehmen, die lange Zeit als verpönt und lächerlich galten. Vor allem den Rhythmus. So sind denn auch Drummer und Bassisten die Garantie für eine erfolgversprechende Verbindung. Von der Elektronisierung der Instrumente hat man schon genug gehört, was aber oft vergessen wird, ist das Soundverständnis der einzelnen Instrumentalisten. Lange Zeit galt ein E-Baß-Sound erst dann als optimal, wenn er wie ein lauter, akustischer klang . . . Das neu erkämpfte Feeling — warum man seine Musik spielt und für wen brachte ebenso wichtige neue Aspekte mit sich. Und insbesondere die Haltung des Solisten wurde kritisch beleuchtet und als schlecht empfunden. Erstmals begannen Jazzer, im Kollektiv zu improvisieren, sich als Band, als Einheit zu fühlen und ein lange vermißtes Gruppenbewußtsein zu entwickeln. Bei all dem muß man vor Augen haben, daß diese Musiker als bessere Instrumentalisten gehen und sich lange mit fremdländischen Musiktraditionen (speziell der afrikanischen und asiatischen) auseinandergesetzt haben. Kein Wunder also, wenn ihre Jazz-Rock-Synthese als weitaus brillanter, interessanter und reifer angesehen werden kann, als die der Chicago und Blood, Sweat & Tears-Ara.
Nachdem sich die beiden ungleichen Brüder gefunden und geeint haben, bleibt abzuwarten, was sich in den nächsten Monaten tun wird. Die verjazzte Form des Soul, der Funk, besitzt schon jetzt ein so immenses Potential, daß kein Weg mehr an ihm vorbei führt. Sein Rhythmus bringt selbst den borniertesten Snob zum Mitsnappen. Die neuen Jazz-Rock-Götter schwimmen förmlich in „funky-Rhythmen. und es wäre gut, ihrem Beispiel zu folgen. Vielleicht erscheint in ein bis zwei Jahren ein Artikel mit der knalligen Überschrift: Funk Rock oder Wie man den Sweet den Teufel austrieb!
Chick Corea’s RETURN TO FOREVER
Er ist einer derjenigen, auf die sich der Einfluß McLaughlins nicht sonderlich positiv auswirkte. Als sein Album „Hymn Of The Seventh Galaxy“ „74 erschien, standen viele vor einem Rätsel. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Chicks Return To Forever bereits einen völlig eigenwilligen Stil, der mit „locker swin- [ gend“ und „etwas südamerikanisch inspiriert“ zu umschreiben ist. In dieser I Art entstanden sein erstes Gruppenalbum und die fantastische LP „Light As A Feather“. Er aber wollte breitere Publikums-Schichten erreichen und änderte die Zielrichtung: Er siedelte sich in der Umgebung des Mahavishnu Orch. an. Insbesondere Stanley Clarke, der z.Z. wohl technisch beste Bassist, sorgte dafür, daß der Stilwechsel zwar stattfand. Sein neuestes Werk („No Mystery“) wirkt aber, dem Himmel sei Dank, wie- j der „eigener“. Stanleys erste Solo-LP wies ihn bereits als den McLaughlin des Basses aus, mit seiner zweiten jedoch dürfte er selbst Chick den Schweiß auf die Stirn treiben. Beide Freunde, Chick [ und Stan, hatten ihre Miles-Davis-Lektionen gut gelernt . . . Corea erregte erstmals weltweit Aufsehen, als er seine früheren LP’s „Piano Improvisations Vol. I und II“ vorstellte. Neben dem Pianisten Keith Jarrett ebnete er dem unbegleiteten Solo den Weg und gilt heute mit Jarret als sein würdigster Vertreter. „Return To Forever“ lautet nicht nur der Name von Chicks Gruppe, sondern auch der Wunsch aller, die jemals die Möglichkeit hatten, sie zu hören.
Drummer-Bands (BILLY COBHAM und ALPHONSE MOUZON)
Sowohl Billy als auch AI entstammen wichtigen, stilprägenden Bands: Dem Mahavishnu Orchestra und Weather Report bzw. Coryell’s Eleventh House. Vielleicht rührt daher das Gerücht, sie würden sich überschätzen. Sicher ist, daß sie schon lange vorher größten Einfluß als Schlagzeuger besaßen und daß sie dieser Tage die mit Abstand fähigsten Jazz-Rock-Drummer darstellen. Wie i schon gesagt, bildet insbesondere die Rhythm-Section die Gewähr einer Güteklasse für neue Jazz-Rocker. Ob Technik und Brillanz ausreichen, um eine gute Band am Laufen zu halten, ist freilich eine andere Sache. Billy Cobhams bisherige vier Alben haben eines gemeinsam: Die supercleane, keimfreie Aufnahme- und Arrangement-Technik. Das gefällt nun mal nicht jedem! Al dagegen hat erst drei LP’s auf dem Markt, von denen die erste noch am interessantesten erscheint. Besonders sein brandneues „Mind Transplant“ wirkt irgendwie, substanzlos, vielleicht weil er versucht, mit Rockleuten zusammenzuarbeiten. Nach dem anfänglich überraschten „oohh“, macht sich schnell ein Gefühl breit, daß hinter all dem nichts steckt. Zuviel Technik schadet den beiden offenbar mehr, als sie ihnen nützt. Würden sie mit diesen Schwierigkeiten fertig werden, könnte man sie vorbehaltlos zu den restlichen neuen Jazz-Rock-Göttern zählen.
WEATHER REPORT
Die einzige Formation der großen Fünf, bei der nicht einer, sondern zwei Musiker den Kurs bestimmen: Josef Zawinul und Wayne Shorter. Beide zählen schon seit Jahren zu den Renommiertesten im Jazz-Lager. Als sie sich 1970 entschlossen, gemeinsam zu arbeiten, war das eine mittlere Sensation, und ihre Plattengesellschaft gab ihnen, ohne den geringsten Ton gehört zu haben, spontan einen Plattenvertrag. Joe Zawinul, der gebürtige Wiener Pianist, schrieb in der Zeit, in der er dem Cannonball-Adderly-Quintett angehörte, einen der ersten Jazz-Hits mit „Mercy Mercy“. Er war schon immer etwas melodiöser und erdhafter veranlagt als sein Freund Wayne, den er, wie könnte es anders sein, bei Miles Davis traf. Wayne ist der Prototyp des Jazzmusikers, oder genauer, er war es, bis Weather Report geboren wurde. Ein wenig von den alten Vorstellungen ist wohl hängengeblieben, aber vielleicht ist es gerade dieser scheinbare Zwiespalt, der der Gruppe verhalf, die reifsten Früchte zu ernten. Wayne brachte in den Jahren zuvor insgesamt neun Solo-Alben mit Session-Charakter, was die Besetzung betrifft, heraus. In der Geburtsstunde von Weather Report standen auch der Bassist Miroslav Vitous (ein polnischer Davis-Schüler) und Drummer AI Mouzon Pate. Die Percussionisten und oft auch die Rhythmen-Section wurden fast von LP zu LP ausgewechselt. Das Debut-Album und sein Nachfolger kündigten schon an, was mit „Sweetnighter“ und „Mysterious Traveller“ in die Tat umgesetzt wurde: Eine unglaubliche Geschlossenheit, komplex, ausdrucksstark und mit Kollektivimprovisationen, wie sie kompakter nie gehört wurden. Sie sind einfach die Größten!
John McLaughlin’s, MAHAVISHNU ORCHESTRA
Kein Jazz- oder Jazz-Rock-Gitarrist wäre heute ohne ihn denkbar. Alle wurden sie von ihm beeinflußt. Meist zum Vorteil, oft jedoch auch zum Nachteil. McLaughlins Stil ist pure Energie und lichtschnelle Geschwindigkeit. Daß dabei mitunter das Feeling zu kurz kam, hat sich inzwischen gezeigt. Johns besondere Stellung unter allen Gitarristen bezieht sich auch auf seine elektrizistische Ader, dem Vereinen und Verarbeiten verschiedenster Stilrichtungen, angefangen bei der Klassik bis zur asiatischen Spielart. So wie er selbst aus der unausweichlichen Schule von Miles Davis kommt, so traten aus seinem Mahavishnu Orch. ungemein starke Musikerpersönlichkeiten hervor, die z.T. (wie Billy Cobham) schon eigene Bands formiert haben. Als sie sich ’71 zusammenschlossen, war der Zusatz Orchestra für nur fünf Musiker nicht übertrieben. Sie schufen einen Sound, der nie zuvor so dicht, so energiegeladen und so mächtig gehört worden war. Jerry Goodman, der Ex-Flock-Geiger, Jan Hammer, der tschechische Pianist, John selbst setzten die Maßstäbe für alle folgenden Jazz-Rock-Vertreter. McLaughlin, der mit Sicherheit technisch versierteste Gitarrist heutzutage (übrigens der einzige Engländer im Jazz-Rock-„Olymp“), spielte nach seiner Graham Bond-Zeit unter anderem mit Brian Auger und Georgie Fame, tourte in den Staaten mit Soulern wie Wilson Pickett und den Four Tops und natürlich mit allen möglichen Free-Jazzern. 1968 gründete er mit Tony Williams die „Lifetime“ und traf einige Monate später seinen künftigen Guru Sri Chinmoy, durch den sich nicht nur seine Musik stark wandelte. Anfang des vergangenen Jahres löste er unvermittelt das Orchestra auf, oder genauer, er trennte sich von den alten Mitgliedern und suchte sich elf(!) neue. Aber die neue Crew befriedigte nicht mehr so recht, ebensowenig wie seine diversen Ausflüge mit Carlos Santana. Ohne John ist die Band nicht denkbar, weshalb sein Ruf weiter bestehen bleibt. Nur bleibt gelegentlich ein etwas schaler Geschmack zurück.
HERBIE HANCOCK Group
Wenn es jemanden gibt, dessen Musik als „Funky Music“ bezeichnet werden kann, dann ist das Herbie Hancock. Er ist Mr. Funky — er IST funky! Seine Vorliebe für Sly Stone, den alten Soul-Hasen, und andere Soulgeister, ließen den zu Beginn eingefleischten Jazzer schnell seine Arroganz vergessen. Und Miles Davis . . . aber das könnt Ihr Euch ja denken. Sly & The Family Stone hatten in mühevoller Arbeit Rhythmusfiguren geschaffen, die so ausgetüftelt und raffiniert waren, daß sich daraus ein ganz spezieller Soul ergab, der denn auch schnell seine Kreise zog. Auch Herbie griff zu. Diese Rhythmen, heute würde man ohne viel Federlesens „Funk“ dazu sagen, gepaart mit Hancocks langjähriger Erfahrung als Tastenmann und die Vorliebe für ausgefallene Elektronik, ergaben seinen Stil, der nach wie vor an Konsequenz seinesgleichen sucht. Nachdem Herbie ein Sextett gegründet und geleitet hatte, das sehr schnell als große Hoffnung apostrophiert wurde, suchte er die Verständigung mit seinen Zuhörern. Richtig funky war das Sextett ohnehin noch nicht, also folgten Krach und die Auflösung. Nur der Saxophonist Bennie Maupin überlebte den Bruch. „Headhunter“ erscheint noch im Jahr der Umbesetzung und läßt alle kopfstehen. Noch nie hatte ein Jazz-Album den Sprung in die Charts geschafft. „Headhunter“ stürmte bis auf Platz 13 vor! Niemand konnte es fassen. Seither glaubt jeder, „Funk“ spielen zu müssen.
Larry Coryell’s ELEVENTH HOUSE
Larry war einer der ersten „freien Geister“, die schon anno ’67 mit Rock- und Jazzeinflüssen herumexperimentierten. Er spielte Rock in der Schulzeit. Jazz danach und manchmal an einem Abend in zwei grundverschiedenen Bands. Spätestens als Hendrix‘ Klangeskapaden an sein Ohr drangen, stand es fest: Der Rock konnte nicht links liegengelassen werden! Larry gründete die „Free Spirits“, die Vorläufer allen Jazz-Rock-Strebens. Am Schlagzeug saß Bobby Moses, der in den darauffolgenden Jahren in vielen Gruppen Sorge trug, daß es rockte. Er war, wie Larry an der Gitarre, der erste echte Jazz-Rocker des Schlagzeugs. Nach den „Free Spirits“ zog es Coryell wieder zurück in den Schoß des Jazz. Zu den Gruppen von Gary Burton und Herbie Mann – was ihn auf die Dauer aber auch nicht befriedigte, so daß er sich um 1969 herum selbständig machte. Die bis zur Gründung von Eleventh House erschienenen acht Solo-LP’s zeugen davon, wie unbeschränkt unausgereift seine Technik mit den Jahren wurde. Nach dem sensationellen Erfolg des Mahavishnu Orchestra entschloß er sich dennoch, eine neue Band ins Leben zu rufen. Sie hieß Eleventh House und schlug ’74 voll in die Jazz-Rock-Aktivitäten hinein. Mit dem Drummer AI Mouzon hatte er wieder mal einen guten Fang gemacht. Nach einer erstaunlichen Debut-LP war lange nichts von ihnen zu hören. Larry nahm zwischenzeitlich mit Mitgliedern von „Oregon'“ ein Spezial-Album auf, was bewies, daß er ohne die hemmende Zwangsjacke einer Gruppe, als Solokünstler und „Eigenbrödler“, doch weitaus überzeugender und anspruchsvoller agieren konnte.