Steve Hillage – Zwischen Flower Power und Utopia
Es war einer jener seltenen Glücksfalle, der mich mit dem Ex-Gong Gitarristen Steve Hillage zusammenbrachte bei einem lukullischen Abendessen während des Reading Festivals im August. Denn heute, drei Monate später, ist der allzeit freundlich lächelnde Engländer nur noch schwer vors Mikrofon zu bekommen. Seit seiner zweiten Solo-LP, „L“, und dem Free Concert im Londoner Hyde Park am 18. September 76 vor 50 000 Leuten feiert die englische Fachpresse den 24jährigen als „den kommenden Gitarren-Helden“ und prophezeit ihm eine große Karriere: „Er könnte der wichtigste improvisierende Gitarrist nach Jimi Hendrix werden.“
Obwohl Steve Hillage für viele scheinbar aus dem Nichts aufgetaucht ist, kann er auf eine bunte musikalische Vergangenheit zurückblicken. An der City School of London gründete er seine erste Gruppe, Uriel, aus der später Egg wurde. An der Universität von Canterbury lernte er Caravan und Soft Machine kennen und formierte die Band Khan, von der 1972 die LP „Space Shanty“ erschien (vielleicht kann sie die Metronome wieder veröffentlichen?). Danach entstand mit den Ex-Egg-Musikern eine 12-Mann Rock-Big Band, Ottawa Company. 1973 spielte Steve ein wenig in Kevin Ayers Gruppe Decadence; mit dieser Formation nahm er die LP “ Bananamour“ auf. Und dann schloß er sich Gong an, die er nach drei LPs („Radio Gnome Invisble“, „Angel’s Egg“, „You“) verließ. Warum? „Ich vermißte David Allan und Tim Blake (beides Ex-Mitglieder der Gong) und auch genau diese Musik, wie wir sie zusammen gemacht haben. Die anderen wollten mehr funky Rhythmusmusik machen. Ich aber mag vor allem spacey Sachen kombiniert mit Funk.“
Fish Rising Noch während Steve Gong-Mitglied war, veröffentlichte er – 1975 – sein erstes Solo-Album, „Fish Rising“. Und bereits zu jener Zeit lobten viele seine beachtliche Gitarrenvirtuosität und seine märchenhaft versponnenen Texte. Ich habe Steve Hillage zum erstenmal am 9. Dezember 1974 in der Royal Albert Hall gesehen, wo er für die Orchesteraufführung der Mike Oldfield-Kompositionen „Tubular Beils“ und „Hergest Ridge“ Oldfield’s Gitarrenpart übernahm. Und jene knappen zehn Minuten waren allein das ganze Konzert wert und machten Hillage bekannt. Er selbst erinnert sich lachend an diesen Abend: „Das war sehr komisch. Ich kam direkt vom Flughafen zum Konzert, spielte, und mußte gleich wieder weg. Ich hätte natürlich einen Nachmittag mit dem Orchester üben müssen. Wenn man sowas macht, muß man sich gegenseitig mögen. Als ich zu ihnen auf die Bühne kam, ging erst mal ein Getuschel durch die Reihen. Aber als sie zu spielen anfingen, merkte ich, daß ich sie mochte. Und als ich zu spielen anfing, begannen sie alle zu klatschen. Ich wußte aber nicht, ob sie mich ernst nehmen oder über mich lachen. So beschloß ich, daß sie mich mögen und sofort war die Barriere weg.“
Für einen Musiker wie Hillage, der fast ausschließlich improvisiert spielt, muß das eine merkwürdige Situation gewesen sein: „Ja, allerdings. Ich kam mir vor wie Salvadore Dali. Aber ich find’s gut, Sachen zu verbinden, die eigentlich gar nicht zu verbinden sind. Als wir in Glasgow „Hergest Ridge“ spielten, passierte etwas ganz komisches. Das Orchester war plötzlich richtig im Rock’n’Roll drin, sie wollten mit ihren Celli und Geigen schuwidu machen. Also redete ich mir ein, daß sie eine Rockgruppe wären und spielte dazu Rock’n’Roll-Gitarre.“
Auf seiner ersten LP, deren Mitspieler samt Instrumenten allesamt ein ,,-fish“ als Endsilbe bekamen, spielte Hillage nur Gitarre, auf „L“ ist er auch am Sythesizer zu hören. Und über dieses Instrument gerät er geradezu ins Schwärmen: „Synthesizer sind riesig. Sie haben die Möglichkeiten, Musik zu hören einfach erweitert. Man sollte sie in allen Schulen vorstellen, weil es toll ist. In England haben sie auf einigen Colleges schon damit angefangen; das ist eine gute Sache. Ich wußte über Elektronik überhaupt nichts, bis ich vor einem Sythesizer saß. Ich konnte Gitarre spielen, und dann lernte ich, rnit dem Synthesizer umzugehen und plötzlich wurde mir einiges klar. Ich weiß nicht genau was… , aber meine Vorstellungskraft wuchs. Ich verstand z.B. plötzlich genau, was passiert, wenn ich einen Klang erzeuge. Der Synthesizer hilft dir, jedes Instrument zu verstehen und zu beherrschen und jede Art Musik zu mögen.“
Um Steves Musik zu mögen, muß man eine Vorliebe für die Psychedelic-Zeit oder der 60er Jahre haben, für Fabeln und fantastische Geschichten. Denn Steve ist ganz und gar ein Flower Power-Kind, aber kein Nostalgiker und kein Späthippie; für ihn ist Psychedelic etwas Zeitloses, eine Lebensform, ein Teil seiner Persönlichkeit. „Ich will Musik machen, die ich wirklich mag, und die man, wenn man sie hört, auch gleich mag. Musik, die die Leute sehr glücklich macht. Sie sollen von der Musik high werden, damit sie was anderes gar nicht mehr brauchen. Ich spiel viel in Dur, versuch die Musik möglichst positiv klingen zu lassen.“
Engel und Rosen
In einer Zeit, wo Destruktion in der Musik Zerstörung und Negatives sich breitgemacht haben, ein wahrhaft positiver Ausblick. Und nicht das Glück, sondern die Vorsehung war Steve offenbar hold, als er den amerikanischen Musiker und Produzenten Todd Rundgren für seine zweite Solo-LP gewinnen konnte. Sogar seine Band „Utopia“ hat Rundgren ihm ausgeliehen. „Wir rannten eigentlich so richtig ineinander. Als ich mit Gong auf Tournee war, kamen die Leute immer mit Utopia-Platten zu unseren Konzerten, und gleichzeitg passierte dasselbe mit unseren Platten bei Utopia-Konzerten. Als ich Gong verließ, schrieb ich Todd einen Brief: „Hallo, ich mag deine Platten, wir‘ arbeiten auf ähnlicher Wellenlänge. Vielleicht können wir uns mal treffen.“ Und als Virgin-Records einen Produzenten für meine Platte suchte, schrieben sie auch Todd. Der antwortete sofort. Also fuhr ich nach Amerika.“ Hat Todd denn auf der Platte auch gespielt? „Ein paar kleine Sachen, Füller. Er war unheimlich beschäftigt, weil er gleichzeitig mit Utopia für eine neue LP geprobt hat. Und so wurde es weniger , als eigentlich geplant war. Leider.“
Nun ist „L“ ein ziemlich ungewöhnlicher Titel für eine LP, doch Steve Hillage kann eine nette Geschichte erzählen, was das zu bedeuten hat: „Es bedeutet dasselbe in Deutschland wie in Indien. Es ist der Anfang vieler wunderschöner Wörter wie Liebe, Leben… und der Schlußbuchstabe von Engelsnamen wie Gabriel, Michael, Rafael, Uriel… es ist einfach ein schöner Buchstabe. Er ist wie eine Rose.“