Mc Garrigle
Tourneen mögen die Schwestern überhaupt nicht. Als sie Anfang dieses Jahres durch England reisten, bekannten sie unumwunden: „Eigentlich wären wir jetzt viel lieber zu Hause. Aber unsere Plattenfirma hat viel Geld in uns investiert, und so müssen wir eben Konzerte geben!“ Kate und Anna McGarrigle wirken im Showbusiness fehl am Platze. So offenherzig und verletzlich wie ihre Lieder (vergleiche Plattenkritiken im ME 4/77) sind sie auch persönlich: Hilflosigkeit macht sich zum Beispiel bei ihren Konzerten breit, wenn die Technik nicht richtig funktioniert und der Sound schief liegt. Aus solchen Gründen war auch ihr Auftritt in der bundesdeutschen TV-Sendung „Rockpalast“ vor einigen Monaten ein glatter Reinfall: „Da klappte überhaupt nichts, die Monitore funktionierten nicht, wir konnten uns nicht hören“, erzählten sie nach diesem Gastspiel.
Wer die McGarrigles auf der Mattscheibe gesehen und womöglich genervt abgeschaltet hat, sollte ihnen eine weitere Chance geben und einmal in die Alben „Kate & Anna McGarrigle“ und „Dancer With Bruised Knees“ hineinhören. Bislang kenne ich nämlich niemanden, der in ihrer Musik rein gar nichts entdeckte, das ihn anspricht. Im Gegenteil: In der Bundesrepublik ist sich die seriöse Musikpresse von „Sounds“ bis „Stereo“ einig im Lob über die Songs der kanadischen Schwestern, und in England wählten die Mitarbeiter des „Melody Maker“ die LP „Kate & Anna McGarrigle“ 1976 aus heiterem Himmel zum Album des Jahres!
Album des Jahres
„Seit Carole Kings ‚Tapestry ist die weibliche Stimme nicht mehr mit solch makelloser Intimität aufgenommen worden“, schwärmt das US-Magazin „Rolling Stone“. In der Tat: In den Liedern von Kate & Anna gibt es keine falschen Zwischentöne, keine Anmache, keine Verstellungen, keine Maske. Ihre Songs sind persönlich, unbekümmert, gefühlvoll ohne peinliche untertöne. Genaugenommen sind sie erfrischend altmodisch, weil sie so menschlich sind, also in hartem Kontrast zur Unmenschlichkeit unseres Alltags stehen. Es sind Songs aus einer heilen, oder besser: unverdorbenen Welt. Und für den, der sie hört, schwingt in ihnen das faszinierende Prinzip Hoffnung mit.
Kate & Anna McGarrigle bauen auf das weite Feld der Folk-Musik, auf die englischen und französischen Lieder ihrer Heimat Quebec. Sie greifen zusätzlich zurück auf den Blues und den Jazz der zwanziger Jahre,lassen sich von Kirchenliedern und Rocknummern.von Songs aus Irland.Wales und den Bahamas.von aktuellem Country-Rock und von den im 19. Jahrhundert in Amerika beliebten Salonliedern des Unterhaltungskünstlers Stephen Foster beeinflussen.
Die Musik die die McGarrigles aus all diesen so verschiedenen Stilen, aus diesen Spiegelbildern formen, wirkt nahtlos und eingängig; sie ist kein gutes Stück aus dem Museum der Liedkunst, sondern quicklebendig; nie trivial, sondern immer aufrichtig. Wenn Linda Rohstadt „Heart Like A Wheel“ singt, vermittelt die Ballade ein Stück amerikanischer Plastik-Kultur. Die begabte kanadische Rockgruppe McKendree Spring konnte aus dieser Kompostion von Kate & Anna nur belanglose Hintergrundmusik machen. Die Version allerdings, die die Mc Garrigles selber singen, jagt mir heiße Schauer die Wirbelsäule entlang, und dies vom ersten Ton an.
Sündhaft teuer
Maria Muldaur hat etliche Kompositionen der Schwestern aufgenommen und damit ihre Plattenfirma so beeindruckt, daß auch die Verfasser der Songs ihre Chance bekamen. Die Produktion des Debütalbums von Kate & Anna war sündhaft teuer und ein Meisterstück des Produzenten Joe Boyd und des Tontechnikers John Wood. Sie schafften es mit schier unglaublichem Arbeitsaufwand, das natürliche Flair und all die faszinierenden Stimmungen der McGarrigle-Songs zu erhalten, sie aber dennoch perfekt für die elektronischen Medien aufzubereiten. Der Preis für das unverfälschte Stück Natur: 100.000 Dollar.