Roger Daltrey


Mit einer dicken Erkältung war Roger Daltrey in Hamburg angereist, um zur Veröffentlichung seiner dritten Solo-LP, „One Of The Boys“, jede Menge Interviews zu geben. Im Gespräch mit dem Musik Express kam das Thema jedoch immer wieder auf die Who zurück – eine Institution, die ihm heiliger ist als alles andere auf der Welt.

Er ist klein wie die meisten Rock-Heroen angelsächsicher Herkunft, hat ungewöhnlich wasserblaue Augen und kein Gramm Fett angesetzt: Roger Daltrey, 32, vitaler Sänger der beständigsten Rockgruppe der Welt, sagt: „Ich will nichts anderes sein als Sänger bei den Who, klar? Who-Musik ist eine sehr eigenständige Sache. Sie ist sehr stilisiert. Und wenn du zehn Jahre lang bei ein und derselben Gruppe warst, dann überlegst du schon einmal, was du hättest machen können, oder was du tun willst. Als ich anfing, Solo-Alben zu machen, geschah das, um einmal da herauszukommen, mal mit anderen Musikern zusammenzuarbeiten. Es hat meinen Horizont erweitert, und das ist alles.“

Eine parallelgeschaltete Solo-Karriere kommt fürRogerDaltrey nicht in Frage, obwohl er dafür verlockende Angebote ausschlagen muß. Nicht nur, weil es ihn zuviel Energie kosten würde, erklärt er, sondern weil es negative Auswirkungen auf sein Ego haben könnte: „Man muß eines verstehen: Bei den Who bin ich, wer ich bin; ein Viertel von dem, was sich auf der Bühne abspielt. Als Solo-Artist müßte ich mein Ego weitaus mehr aufbauen. Okay, das ist großartig. Aber was passiert, wenn ich zu den Who zurückgehe? Das könnte sehr gefährlich werden. Innerhalb der Band weißt du immer, daß die anderen einen ebenso großen Namen haben wie du,da behältst du einen klaren Kopf. Aber wenn du rausgehst und dir bebewußt wird, daß jeder nur kommt, um dich zu sehen, da kannst du dir einige schlechte Angewohnheiten zulegen. Eine Gruppe wie die Who, das ist eine derart starke Einheit! Es passiert vielleicht einem unter Tausenden, daß er mit so total verschiedenen Charaktären zusammenarbeitet und gemeinsam mit ihnen so etwas absolut Magisches auf die Beine stellt. Es ist so ein fantastisches….hmm… es ist so schwer zu erklären, was die Who sind….es ist magic, fucking magic. Und weil es so delikat, so zerbrechlich ist, weil wir alle so verschieden und so temperamentvoll sind, muß man sehr vorsichtig damit umgehen.

Man könnte zwar sagen, daß die Who nicht ewig existieren können, aber von mir aus schon! Ich sehe noch kein Ende. Wir haben die Füße noch immer am Boden. Ich bin jetzt 32, und ich fühle, daß der Act immer besser und nicht schlechter geworden ist. Und wenn wir eines Tages nicht mehr die Energie für die Bühne haben, können wir noch immer Platten machen.“

Apropos Platten. Die nächste Who-LP ist bereits in Arbeit und soll nach Daltrey’s Schätzungen noch vor Weihnachten auf dem Markt sein. Mehr will er nicht verraten. Nur soviel, daß sie in ihrer Aussage weitaus positiver wird als „Who By Numbers“. „Who By Numbers“ sei zwar in der Aussage ungeheuer negativ, aber auf der anderen Seite ein brillantes Album, sagt Daltrey, weil es die Gefühle von einem, der 30 wird, so fantastisch eingefangen hätte: „Es ist dieses ,Du-paßt-nicht-hierhindu-paßt-nicht-dorthin‘ – Gefühl, zu alt, um sich auszutoben, und zu jung zu sterben. Ich finde es großartig, daß die Who es fertigbrachten, diese Gefühle einer ‚betagten‘ Gruppe auf Platte einzufangen. Mittlerweile ist unsere Einstellung sehr positiv, denn wir wissen, was wir wollen. Es ist kein Versuch, an die junge Generation zu appellieren — es gibt einfach das wieder, was wir sind.“

Die who, so betont Daltrey, hätten niemals vorgegeben, für die junge Generation zu sprechen, sie hätten nur ständig die jeweilige Situation verarbeitet‘ und wiedergegeben. Trotzdem sieht er eine deutliche Parallele zwischen den frühen Who und den Punk-Rock-Bands der Londoner Szene. Seine Sympathie gehört den Jungs, „die heute noch viel beschissener dran sind als wir damals“. Nicht umsonst ließ er sich unlängst als Bilderbuch-Punk verkleidet ablichten.

Roger: „Es ist wirklich komisch. Wenn, du ihre Interviews liest und sie mit denen vergleichst, die wir vor acht oder zehn Jahren gegeben haben es ist genau dasselbe. Die Stranglers finde ich gut, sie sind den Doors sehr ähnlich. Sie und die Clash, die werden überleben. Die Sex Pistols habe ich noch nie gehört, aber was die machen, ist in meinen Augen das totale Image, das ist mir alles zu offensichtlich. Obwohl ich finde, daß Johnny Rotton auf seine Art brillant ist. Ich glaube nicht einmal, daß die Sex Pistols mit „Good Save The Queen“ der Queen tatsächlich ¿ eins ausgewischt haben.

Es ist ganz einfach ein Angriff auf die gegenwärtige Situation.“

Zu einem Zeitpunkt, als die englische Musikszene ziemlich flau war, sagte Alexis Korner einmal: „Wenn die Zeiten schlechter werden, dann wird auch die Musik wieder besser.“ Genau das sei der Punkt, meint auch Roger Daltrey, aber: „Obwohl wir sehr arm waren, als wir mit der Band anfingen, glaube ich, daß die Who ihr bestes Material noch zu schreiben haben. Denn wir haben die Kehrseite der Medaille gesehen. Für uns sind die Dinge besser geworden, aber du weißt, dort, wo du herkommst, hat sich überhaupt nichts geändert. Das macht dich noch verzweifelter, frustriert dich noch mehr, weil du nicht zurückgehen kannst.“

Aber was hält er nun von seinem Solo-Produkt? „Ich halte es für das beste bisher,“ meint er, „obwohl ich nicht ganz glücklich damit bin. Mit der amerikanischen Fassung bin ich zufrieden, weil ,Written On The Wind‘ dort in der ungekürzten Version übernommen wurde.“. (Hierzulande wurde ein langer Instrumentalpart herausgekürzt, um LP- und Single-Fassung identisch zu halten).

Die musikalische Form von „One Of The Boys“ geriet nicht halb so aufregend, wie die Gästeliste vermuten läßt, sondern streckenweise recht zähflüssig. Roger engagierte die Gitarristen Eric Clapton, Hank Marvin, Alvin Lee, Jimmi Mc Culloch und Andy Fairweather-Low, Jolin Entwistle spielte Baß, Stuart Tosh Drums, und Rod Argent saß an den Keyboards. Immerhin hat er als eingefleischter Engländer dem Trend widerstanden, für Solo-Produktionen in die Staaten zu gehen. „Ich bin zu englisch,“ gesteht er, „in den USA würde ich mich wie ein Fisch auf dem Trockenen fühlen.Ich habe dieses ,Hey Man – Keep Cool, Baby‘ einfach nicht drauf, das ödet mich an.“

Und da ist noch Steve Gibbons, Rogers speziellesPflegekind und Autor des Songs „One Of The Boys“. „Er ist ein fantastischer Songschreiber“, erklärt Daltrey. „Für mich ist er ein zweiter Townshend, doch er braucht unbedingt eine vernünftige Band. Er hat in den vergangenen fünf Jahren so einen Haufen erstklassiger Songs gesammelt, daß es langsam Zeit wird für ihn, sonst geht das ganze Material noch unter.“ Zeit wird es jetzt auch für Roger, denn er muß hinauf zu einer Pressekonferenz. Im Oktober, sagt er, werden die Who wahrscheinlich auf Tournee gehen: Deutschland, Frankreich, USA, Japan.