Van der Graaf Generator
Irgendwie ist es schon unheimlich: Van der Graaf Generator, britische Kultband seit 1969, lebt allen schwerwiegenden Problemen und dem nur zeitweise tröpfelnden Erfolg zum Trotz immer weiter. Eine neue LP kam jetzt heraus, und Bandchef Peter Hammill reiste zu Interviews nach Deutschland. Werner Zeppenfeld sprach mit ihm in Köln und rollt die bemerkenswerte Van der Graaf-Geschichte noch einmal auf.
Ob ich mich mal eines Stiefkinds der Musikkritik annehmen wollte, fragte der hh am anderen Ende der Leitung. Sogar im Rocklexikon glatt vergessen, aber da könne er nicht mosern, man hätte ja selbst im ME seit Jahr und Tag nicht mehr… Ja, ein Interview mit Peter Hammill von Van der Graaf Generator, das wäre doch eine alte Liebe von mir.
Eine einsame Gestalt an der Hotelbar
Es war, wenn auch eine fast vergessene. Nach dem Auflegen kratzte ich mein restliches Vorwissen zusammen: ein Konzertbesuch vor einem halben Jahr mal, ein paar Platten irgendwo im Schrank. Die längst versunkene Erinnerung, zum „Killer“ begeistert die Mähne geschüttelt zu haben, als pupertärer Pennäler im örtlichen Underground-Tempel. In dem hatte ich auch meine immer-noch-Freundin kennengelernt, und die erneuerte prompt ihre sechs Jahre alte Behauptung, daß Van der Graaf eine holländische Gruppe sei. So richtig dementiert hatte ich das nie, und es kam alles, wie es kommen mußte. Ich war zum vereinbarten Termin im Kölner Interconti aufgelaufen, hatte mich von einer achselzuckenden Rezeption aus der Fassung bringen lassen und mich schon damit abgefunden, wieder mal das richtige Datum verschlampt zu haben. Da entdeckte ich an der Bar eine einsame Gestalt, die so gar nicht in die plüschige Langeweile der Nobel-Absteige paßte. Ich raffte meinen letzten Funken Hoffnung zusammen und fragte den Mann, ob er vielleicht was mit Van der Graaf zu tun habe. Mein hagerer und schlecht rasierter Gegenüber lächelte entwaffnend und sagte:“Ja! Ich bin Peter Hammill.“ Peinlich, sowas.
Aus dem vorgesehenen dreißig^linuten-Standardinterview wurde dann unversehens ein sechsstündiger Diskussions-Marathon, über Musik im allgemeinen und (was sonst?) Punk im besonderen, über Arbeitslosigkeit in England und Rechtsradikalismus in Deutschland. Hammills Herz schlägt links, aber seine soziale Sensibilität bleibt seltsam konsequenzlos. „Im Interconti Interviews zu geben ist ein klares politisches Statement“, sinniert er — und bleibt sitzen. Er läßt sich überhaupt ungern festnageln. Auch nicht, wenn es um seine Band geht, seine Musik, sein künstlerisches Anliegen. Er ist Meister der sowohl-als-auch-Dialektik. „Es gibt zwei Schlüssel zu meinen Songs“, sagte er, „dich und mich. Selbstverständlich sind ihre Texte Spiegelbilder meines Innenlebens. Aber was dich betrifft, so kannst du herauslesen, was immer du willst, und es wird richtig sein. Ich bin nicht der Gralshüter unverrückbarer Wahrheiten.“
Ob es ihm etwas ausmachen würde, die ganze VDGG-History für mich einmal aufzuwärmen, fragte ich Peter Hammill. Er würde so selten Interviews geben, meinte er, lehnte sich aber nachdenkend zurück. Drei musikalische Abschnitte sind es, in die der 28jährige, streng katholisch erzogene ehemalige IBM-Programmierer die Generator-Geschichte einzuteilen weiß. Teil eins beginnt im Herbst 1967 an der Universität von Manchester.
Kapitel eins: Der Untergrund blüht
Peter Hammill absolvierte dort das erste Semester eines wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Studiums. Über den „urban blues“ in der John-Lee-Hooker-Tradition kam der bislang ausschließlich poetisch veranlagte „Kursus-Freak“ (Hammill über Hammill) auch zur Musik und gründete mit seinen Kommilitonen Chris Smith (dr) und Nick Pearne (org) eine Band namens Van der Graaf Generator: „Chris hatte eine ellenlange Liste mit durchgedrehten gruppennamen, und VDGG war darunter. Er wußte selbst nicht, was es bedeuten sollte.“ Aber es schien der richtige Name zu sein für eine Underground-Band jener Tage, da bizarre Wortschöpfungen zum guten Ton gehörten. Pink Floyd etwa nannte sich eine andere Band, die im Londoner UFO-Club gerade für Furore zu sorgen begann.
Van der Graafs Aktivitäten allerdings blieben auf die Campus-Szene in der Umgebung von Manchester beschränkt. Bis zum Sommer des Jahres 1969 machte die Band vier verschiedene Formationen durch. In der Besetzung Peter Hammill (voc, ac. git), Hugh Banton (org), Guy Evans (dr) und Keith Ellis (b) brach sie schließlich auseinander. Zermürbende Arbeitsbedingungen, miserable Einnahmen („Wir lebten wochenlang von Reis, nichts als Reis“) und zu guter Letzt der Diebstahl ihrer kompletten Anlage hatten der Band den Rest gegeben. Peter hatte als einziger einen Plattenvertrag mit Mercury geschlossen, und der war so hundsmiserabel, daß keiner seiner Mitstreiter ihn ebenfalls zu unterzeichnen bereit gewesen wäre. So nahm er die „Aerosol Grey Machine“ zunächst im Alleingang in Angriff, ein Album, das wegen der allmählichen Mitwirkung der Rest-Generatoren dann schließlich doch als VDGG-Longplayer herauskam — aus unerfindlichen Gründen allerdings nur in den USA. Die Platte war der Grundstein für das zweite, das legendäre Hauptkapitel der Generator-Geschichte. Es lief ab ohne Bassmann Keith Ellis, der zusammen mit Glenn Campbell Juicy Lucy formierte. In Campbeils vorheriger Band, der Misunderstood, hatte auch Trommler Guy Evans vorübergehend Unterschlupf gefunden. Er brachte als Ellis-Ersatz den „unverstandenen“ Bassmann Nick Potter mit in die reformierte VDGG ein. Als zusätzlicher Generator mit von der zweiten Partie war Saxophonist David Jackson, der aus einer unbedeutenden Gruppe des abtrünnigen Gründungsmitglieds Chris Smith hervorgegangen und Meister synchroner Stakkatos auf zwei Instrumenten war.
Der Generator kommt langsam, aber sicher immer mehr auf Touren
Zwischen dem Herbst 1969 und dem Sommer 1972 kam der Generator langsam aber sicher auf Touren. Tony Stratton-Smith, der frühere Nice-Manager, brachte das Quintett auf seinem neugegründeten Charisma-Label unter, und die Insider-Gefolgschaft einer typischen Kult-Band wuchs heran, in England, in Frankreich, und – später, aber am ausgeprägtesten — in Italien. Die deutschen Rock-Kunden vermochten ganz zu Anfang kaum etwas mit dem unkonventionellen Line-up der Band (Saxophon statt E-Gitarre) anzufangen. Die Gruppe hatte damals längst zu einem unverwechselbaren musikalischen Stil gefunden, der bis heute einzigartig bleiben sollte. Sein prägendes Merkmal war (und ist) jene zeitlose Durchdringung von Form und Inhalt, die schaudern machte angesichts der Düsternis und des Weltschmerz-Pathos, der grandiosen Einsamkeit und Verzweiflung in Hammills surrealistischen Rock-Parabeln.Der Bandboß verlor sich in einer unirdischen Traumwelt, deren einziger Fixpunkt sein eigenes, depressives Künstler-Ego war: „There is a house with no bell, but then nobody calls/ 1 sometimes find it hard to teil if any are alive at all outside“ (House With No Door). Da hatte sich ein Exzentriker im Elfenbeinturm verschanzt, ließ seinen Themenkanon von Liebe und Sex, von Drogen, Religion und Tod unablässig in sich selbst kreisen. Er inszenierte seine Visionen mit einer Stimme, deren bizarrer Reiz aus dem Kontrast von ! schriller Aggressivität und verhaltenem Gemurmel erwuchs, und die eingebettet war in einen Soundtrack, der ohne jede Rücksicht auf musikalische Modeströmungen naive Rock-Poesie und jazzige Destruktion zu kühnen Melodiebögen türmte. Van der Graaf schaffte die bruchlose Verschmelzungvon Romantik und Avantgarde.
Aber auch der langsame Erfolgs-Zuwachs in den frühen Siebzigern war keine Basis für Beständigkeit. Die Band, die von Plattentantiemen kaum existieren konnte, verheizte sich in pausenlosen Live-Auftritten, lebte von der Hand in den Mund und von einer Woche zur anderen. Interne Reibereien kamen hinzu, und ein paar Wochen vor den geplanten Aufnahmen zum sechsten Bandalbum brach der Generator im Sommer 1972 erneut auseinander. „Es ist überhaupt nur solange gut gegangen“ erklärt Peter Hammill, „weil wir alle besessen waren. Van der Graaf war eine regelrechte Weltanschauung für uns, auch, nachdem Nick Potter uns Ende 1970 wieder verlassen hatte (er ging zu Rare Bird und kehrte erst im Dezember ’76 zurück). Bei jedem Auftritt war immer ein zusätzliches magisches Bandmitglied auf der Bühne, das nie jemand gesehen hatte, aber von dem alle ] wußten, daß es existierte. Es hatte sogar einen Namen.“ Aber den hat Hammill mittlerweile vergessen.
Kapitel drei: Großes Comeback
Die Durststrecke bis zur Reformierung der VDGG im Januar 1975 dauerte zweieinhalb Jahre. Hammill schlug sich mit drei Soloalben durch, David Jackson überlebte in der Band Juggernaut, Guy Evans gründete Charlie And The Wideboys, Hugh Banton mischte bei Seventh Wave mit. Im Juni 1975 wurde in alter Besetzung „Godbluff“ eingespielt, das nahtlos an die Brillanz der besten Vorläufer anknüpfte. Nach Probeläufen in Frankreich und Italien schaffte das Quartett dann Anfang August auch ein bejubeltes Live-Comeback im Londoner Victoria Palace. Zwei Jahre und drei Platten lang hielt Hammill seine Individualisten – Truppe („Wir sind eine reine Bühnengemeinschaft. Zusammen leben könnten wir nicht“) beieinander. Der Sound wurde kompromißlos weiterentwickelt. Die großen, klaren Linien wurden zusehends von anarchischen Klangkonstrukturen überwuchert, von hektischen Albträumen verdüstert. Peter Hammill: „Früher habe ich relativ einfache Musik geschrieben, und meine Lyrics waren es im Grunde ebenfalls – auch wenn sie äußerlich den Anschein von Vertracktheit erweckt haben. Heute ist es umgekehrt, und ich habe nicht vor, mich mit irgendeinem vermeintlichen Mehrheitsgeschmack zu arrangieren. So haben wir es schon immer gehalten, übrigens auch bei unseren Live-Auftritten. Du wirst keine zwei finden, die einander vollends geähnelt hätten. VDGG war immer gut für Spontaneität und Improvisation. Wenn es nicht so wäre, würde ich aufhören, Musik zu machen.“
Lieder für Leute, die mit der Welt nicht klarkommen
Ob es trotz aller Wandlungen einen beständigen Generalschlüssel gäbe, der Zugang zur Gedankenwelt des Song-Autors Hammill eröffne, will ich wissen. Mein Gegenüber winkt nach langem Grübeln ab, das könne man unmöglich auf einen Nenner bringen. Er entschuldigt sich, verschwindet, kommt nach fünf Minuten zurück und gestikuliert schon von weitem mit unverhohlener Begeisterung. Es sei ihm unterwegs eingefallen, freut Hammill sich: Er mache Lieder für Leute, die auch nicht klarkämen mit der Welt. „Hymns to the strangeness“ — das wäre die exakte Beschreibung all seiner Arbeiten.
Derlei Hymnen produziert der Generator mittlerweile in neunter Besetzung. Nach dem familär begründeten Ausscheiden von Organist Hugh Banton und Saxophonist David Jackson sind neben Alt-Bassist Nick Potter jetzt als Ersatz zwei Streicher zur Band gestoßen: zunächst Violinist Graham Smith (von String Driven Thing), der schon auf Hammills sechstem Soloalbum „Over“ ausgeholfen hatte, und jüngst Cellist Charles Dickie. Es geht halt nichts über ein ausgeflipptes Line-up.
Van Dar Graaf Generator:
Kommentierte Discographle
THE AEROSOL GREY MACHINE (1969). Dm Plattendebüt ist noch weithin ungeschliffen, tastend und atypisch. Aber mit ( romantischer Zerbrechlichkeit („Afterwards“) und drohender Düsternis („Necromancer“) ist bereits die künftige Generator-Bandbreite markiert.
THE LEAST WE CAN DO IS WA VE TO EACH OTHER (1970). Dies Album läßt aufhorchen. Mit „Refugees“ schreibt Hammill einen jener zeitlos-schönen Songs, die man einmal hört und nie vergißt, und auf „Darkness“ gewinnen seine surrealen Lyrics auch musikalisch überzeugend Gestalt.
TO HE WHO AM THE ONLY ONE (1970). Das erste VDGG-Highlight, elegisch und von bislang nicht erreichter atmosphärischer Dichte („Killer“). Material dieser drei Alben erschien auf dem „Reflection“-Sampler Phonogram 9286 002. PAWN HEARTS (1971). Es wird die Konzept-Krönung Hammillscher Rock-Exzentrik, das bestverkaufende Album und numero uno der italienischen Charts. Ein collagenhaftes Crescendo zwischen Wohlklang und Widerborstigkeit, voll diabolischer Dissonanzen und atemberaubender Stakkatogesänge.
GODBLUFF (1975). Ein furioser Neubeginn. Die musikalische Intensität des bizarren Songzyklus „The Undercover Man“/“Scorched Earth“ bleibt unerreicht auf den Folgealben STILL LIFE (1976),das in der Hauptsache von konzertanter Melodik lebt, und WORLD RECORD (1976), nicht mißlungen, aber stets in der Gefahr, in improvisierte Endlostrips zu zerfasern.
THE QUIET ZONE THE PLEASURE DOME (1977). Es ist die sicherlich „extremste“ (Peter Hammills Lieblingswort), bislang kompromißloseste VDGG-Einspielung. Die Geige erweist sich den immer jazziger werdenden Rock-Gespinsten als angemessener denn die bislang verwendete Orgel. Mit diesen impressionistischen Klangstrukturen ist Hammill wieder hautnah an der Genialität seiner „Pawn Hearts“.
PETER HAMILL SOLO: Fools Mate (1971); Chamäleon In The Shadow Of The Night (1973); The Silent Corner And The Empty Stage (1974), In Camera (1974); Nadirs Big Change (197S); Over (1976).