AC/DC


Leute, die ihnen freundlich gesonnen sind, bezeichnen AC/DC als machtvolle Powerband. Wer allerdings nichts von ihnen hält, ist schnell mit dem Etikett „in jeder Hinsicht überflüssig“ bei der Hand. Doch ob überflüssig oder nicht, die Heavyrocker vom fünften Kontinent schicken sich an, in die gesicherten Regionen des Hardrockestablishments- vorzudringen. Im Januar „78 hatte der ME sie noch als Außenseiter vorgestellt. Doch bei ihrer jüngsten Deutschlandtour waren die Hallen voll.

WEA lud zum Talk mit Vokalist Bon Scott anläßlich des Konzerts in Dortmund. AC/DC läßt an sich wenige Fragen offen. Man kann sie, ohne ihnen Unrecht zu tun, kinderleicht kategorisieren; ihre Texte bedürfen ebenfalls keiner Interpretationsakrobatik, und geschichtsträchtige Gruppendaten sind ebensowenig vorhanden. Sie kommen aus Australien; sollte man etwa fragen, wie’s um den dortigen Känguruhbestand bestellt ist? Warum sie nicht so ein Springtier mit Beutel auf die Bühne nehmen? Oder ob die Maisernte ergiebig war?

Bon Scott jedenfalls ließ keine weiteren Aspekte erkennen, sieht man mal davon ab, daß er bis ins Detail darüber Auskunft gab, warum er sich in jungen Jahren tätovieren ließ. „Bravo“ würde es bestimmt brennend interessieren. Ansonsten sprudelte der gute Bon geradezu über mit geklauten Uraltsprüchen vom Schlage „We’re only in it for the money“ etc. Wieder eines dieser sinnlosen Pressegespräche mit einem Austausch von eh bekannten Floskeln. Musiker bedienen sich in aller Regel einer immer wiederkehrenden Terminologie, die sich nur hin und wieder bei wirklich interessanten Gelegenheiten ändert. Aber was passiert, wenn Mr. Scott zusammen mit seinen Gleichgesinnten auf deutsche Bühnen steigt? In der kleinen Westfalenhalle war es ohne Verschulden der Gruppe zumindest zeitweilig nicht möglich, das zu verfolgen. Das bei Konzerten hin und wieder mal Dinge laufen, die gelinde gesagt bedenklich sind, ist nicht neu. Traurig aber, wenn Veranstalter Typen als „Ordner“ einstellen, die auch hartgesottene „Heils Angels“ nervös machen würden. Da hört der Spaß auf. Einer jener Schränke gelangte zu der Auffassung, daß Fotografen vor der Bühne mchts zu suchen hätten, folglich rollte er auf einen der Linsenmeister zu und riß ihm den Back-Stage-Pass ab. Seine eindeutige Geste unterstrich er mit der Aufforderung, schleunigst hinter die Absperrung zu verschwinden. Noch im Verlauf des Konzerts wurden einige Leute zusammengeschlagen, ohne Grund, ohne Warnung in irgendeiner Form. Es bleibt zu hoffen, daß seriöse Veranstalter wie Lippmann und Rau zukünftig auf Gehilfen dieser Art verzichten.

Was brachte das Konzert abgesehen von Blutergüssen und blauen Augen sonst noch? Zunächst einmal schmerzende Ohren, denn AC/DC knallte mit einer Phonstärke los, daß selbst für Taubstumme die Glocken läuteten. Lautstärke gehört zwangsläufig zum Repertoir, denn der löhnende Konsument soll möglichst aus der Halle kriechen und noch zuhause weiterzucken. Was wird denn da nun dermaßen lärmend an den Mann gebracht? Wenn man wieder zwischen Anhängern und Freunden der Australier unterscheidenmüßte, würden die einen urwüchsigen, knallharten, energiegeladenen, guten Rock’n’Roll, die aus dem anderen Lager schwachsinnigen, mit dem Holzhammer verabreichten, unproduktiven Mist attestieren. Können überhaupt objektive Kriterien angewendet werden? Vielleicht schon, denn man wird mit Flug und Recht behaupten können, daß Vokalmann Scott von der nun mal notwendigen Stimme her herzlich wenig zu bieten hat, kaum variabel ins Geschehen eingreifen kann und schon gar nicht umwerfende Texte zu Papier bringt. Virtuosen stehen keinesfalls auf der Bühne, macht auch nichts weiter. Aber wer der Ansicht ist, daß ein pausenlos hin und her hetzender Gitarrist – bei AC/ DC übernimmt Angus Young diesen Part – originell genug ist, muß ein zutiefst genügsamer Mensch sein. AC/DC ergeht sich in verbalen Kraftmeiereien, die einfach zutiefst ausdruckslos wirken, nicht einmal die Show passend umrahmen, sondern streckenweise geradezu platt wirken. Soli sind selten zu vernehmen und wenn’s doch geschieht, wird man das unterschwellige Gefühl nicht so recht los, als wenn man’s schon mal beim Heavyboom anno 72/73 mitbekommen hätte.

Man kann sich an Äußerlichkeiten aufhalten, wie z.B. die phantastische Lightshow in den höchsten Tönen loben, oder dem Mixer ein dickes Lob aussprechen, aber was hat dies letztlich mit dem zu tun, was eigentlich Sache ist? Bei Phonstärken dieser Größenordnung kann jedes Zupfen am Baß wie ein Erdbeben klingen oder jeder Schlag über die Stratocastersaiten ein halbes Orchester suggerieren. Folglich übernimmt die gigantische Anlage mehr eine Showfunktion denn die Aufgabe, echten Sound herüberkommen zu lassen. Das monotone Gegrolle der Herren Scott, Young & Co ließe sich am zutreffendsten mit Hilfe ihres Gruppennamens beschreiben. AC/DC steht im Englischen für Gleich-/Wechselstrom. Was hier geboten wird, ist aber nur schlichter Gleichstrom,der auch durch einen Transformator nicht mehr gerettet werden kann.

So einfach könnte man es sich machen, doch die erstaunliche Resonanz bei den Leuten vor der Bühne wird dabei übergangen. Die Westfalenhalle steht zwar nach wie vor unverändert an ihrem Platz (im Gegensatz zu einigen Stuhlreihen im Hamburger Audimax, wo AC/DC auch wüteten), die Begeisterung führte auch nicht dazu, daß man sich die Finger wundklatschte, aber Krawall und Ausflippen war Trumph. Die Motivation, zum Ohrenauspusten zu gehen, lag klar auf der Hand.

Interessant dürfte in diesem Zusammenhang die Tatsache sein, daß AC/DC in Deutschland mehr schwarze Scheiben über die Theke gehen lassen als in der Punk-Hochburg England. Bei AC/DC wird nicht die Aggressivität nach draußen getragen, sondern reagiert sich in der Halle recht unkompliziert in Gröhlen ab. Punker, wollen echtes Blut sehen, daihre Situation hoffnungslos ist; deutsche Lehrlinge dagegen haben’s mal ganz gerne, wenn einer ’ne Ketschupampulle durchbeißt und ansonsten ganz anständig Zoff macht. AC/DC machen, so simpel es auch sein mag, anständig Zoff, ohne extrem zu werden. Auf die Bedürfnisse deutscher Jugendlicher bestens zugeschnitten, bieten die fünf Australier unverfänglichen Krach fern ab von destruktiver Zerstörungswut und ambitioniertem Rock’n’Roll.