Yello


Noch 'ne Synthesizer-Band? Und obendrein aus der Schweiz? Muß das denn sein? Haben wir nicht schon genug neureiche Dilettanten, die elektronisches Spielzeug auftürmen und schon meinen, sie seien Künstler...?

Yello ist anders. Anders als Kraftwerk,anders als Tangerine Dream samt Epigonen, anders als die englischen Elektro-Popper. Yello macht Synthi-Musik ohne die übliche Kälte und Kopflastigkeit. Witzig, visuell und voll freakiger Phantasie. Filme aus Tönen. Filme, die dich in eine mittelamerikanische Bananenrepublik versetzen können, in einen französischen Spielfilm der fünfziger jähre oder aber in die Neon-Bar an der Ecke. Alles ist möglich.

„Viele Titel von uns“, so Sänger Dieter Meier, „sind wie Kurzfilme, wie Szenen einer Oper. Das hat einfach mit unserer Arbeitsweise zu tun. Wir sind keine Band, die jammt oder übt oder die Idee eines Titels gemeinsam erarbeitet. Wir reden über die Möglichkeiten einer musikalischen Stimmun . Boris setzt sich ins Studio und erarbeitet in völliger Abgeschiedenheit die backing tracks. Ich trete dann als Sänger in ein Klangbild und versuche, mich mit meinen Melodien wie eine Figur darin zu bewegen. Es ist also nie meine natürliche Stimme. Es ist eine Kunstfigur, die ich erfinde — dann allerdings mit allen nur möglichen Mitteln zum Leben erwecken zu suche. Wir haben unsere Arbeitsweise einmal in das Bild des Fem-Schachspielers gebracht, der seinem Partner aus Distanz den nächsten Zug zuschickt und nie Auge in Auge mit ihm an einem Brett sitzt.“

Doch stellen wir die unorthodoxe Schachrunde zunächst einmal näher vor. Da ist Dieter Meier, Senior und wortgewandtes Sprachrohr der Gruppe, der nebenher gerade seinen ersten .Spielfilm Jetzt und Alles“ fertigstellte (s. Review S. 56), bereits früher aber schon mit den verschiedensten Medien experimentierte und sich in Kunstkreisen mit Happenings und Performances einen Namen machte. „Hier in Zürich“, so Dieter, „habe ich einmal überall Plakate geklebt, da stand oben „Bekanntmachung“ drauf— und da war angesagt, daß die Leute auf ein bestimmtes Konto Geld einzahlen können — und daß, wenn 10.000 Franken zusammenkommen, das grundlose Zusammenkommen dieser Summe zum Kunstwerk erklärt wird. Falls diese Summe nicht erreicht werden sollte, so hieß es weiter, würde ich das Geld zurückschicken. Ich glaube, es kamen 5.900 Franken zusammen, die ich auch fein säuberlich zurückgeschickt habe.“

Bei einer Kunstausstellung in New York sorgte er auf andere Weise für offene Münder: „Ich stellte einen Stand auf die Straße und lud die Passanten ein, sich vor mich zu stellen und entweder „Yes“ oder „No „zu sagen. Egal, was sie sagten, sie bekamen jeder einen Dollar von mir.“

Auf der Documenta in Kassel schließlich hinterließ Dieter Meier seine Spuren, als er vor dem Hauptbahnhof eine Eisenplatte in den Boden einließ, auf der zu lesen war (und ist): „Auf dieser Platte wird Dieter Meier am 23. 3. 1994 von 15-16 Uhr stehen.“ „Der Dieter“, so Boris über ihn, ist für uns eine sehr wichtige Kraft, was die Inspiration betrifft“.

Während es oft die visuellen Anregungen sind, die Dieter in die Musik einbringt, ist Carlos Peron — gewöhnlich auch Martin genannt — der Tape-Spezialist und Zulieferant von obskuren Sound-Effekten. „Carlos“, beschreibt Boris seine Funktion, „ist derjenige, der Tonbandaufnahmen macht, z.B. Geräusche auf der Straße. Er jagt prinzipiell nach ungewöhnichen Effekten und kommt immer mit neuen Überraschungen.“

Die akustischen Zutaten und visuellen Anregungen von Carlos und Dieter verarbeitet Boris Blank schließlich zu einer ersten rohen Fassung, die von allen dreien dann durchdiskutiert und weiterentwickelt wird. „Das Wichtigste an Boris‘ Arbeitsweise“, so Dieter, „ist meiner Meinung nach, daß er nicht mit einer Klangidee an seine Instrumente herangeht und sie dann mit dieser Idee vergewaltigt. Wer so etwas macht, dem geht es wie dem Esel hinter der Rübe: Letztlich steht er doch in einer Abhängigkeit und hat sozusagen ein Nutten-Verhältnis zu seinen Maschinen. Stattdessen zieht Boris die Maschinen in den Arbeitsprozeß mit ein. Es ist quasi ein Dialog mit diesen Maschinen, was bei elektronischen Instrumenten sicher schwieriger ist als bei einer Gitarre, die ein viel unmittelbareres physisches Erlebnis für den Musiker zuläßt. Deswegen ist auch Synthi-Musik oft so kalt und kopfbetont, weil die meisten Leute ein Nutten-Verhältnis zu diesen Maschinen haben, sie nicht wirklich lieben, sich mit ihren Maschinen nicht wie mit einer Geliebten bewegen. Wenn ich Boris inmitten seinerSynthi-Türme und 8 Track-Maschinen sehe, dann kommt er mir so glücklich vor wie ein paradiesischer Affe, der auf irgendwelchen Palmen herum hampelt.“

Zu den von Boris erarbeiteten Rohfassungen macht Dieter dann „Gesangsvorschläge“. Boris schildert den Vorgang: „Dieter stellt sich vor’s Mikro, ohne oft nur die leiseste Ahnung zu haben, was er nun singen soll. Er geht ganz spontan an die Sache heran, macht seinen Indianer-Gesang und dann heißt es:

‚Dieter, komm mal nach vorn, hör dir das mal an.’Und dann ist er immer selbst ganz baff.“

Die Spontaneität und Improvisationsfreude, die die Yello-Musik einerseits so originell und witzig macht, bringt allerdings auch ihre Problematik mit sich: Zum einen braucht die Gruppe ein eigenes Studio, denn – so Dieter: „Das Studio ist unser Arbeitsinstrument, das die Entstehung eines Stückes selbst bedingt. Es ist ja bei unseren Nummern nicht so, daß uns ein fertiges Endprodukt vorschwebt, an das wir dann möglichst nahe heranzukommen suchen. Wir lassen die Entwicklung so geschehen, daß das Endprodukt völlig anders aussehen kann als die Grundidee. Und um so arbeiten zu können, brauchen wir ein eigenes Studio – so wie ein Rock’n’Roller seine Gitarre braucht.“

Das Problem ist inzwischen gelöst, insofern Yello ihr bescheidenes 8-Spur-Studio im Zürcher Kommunikationszentrum „Pote Fabrik“ auf 24 Spuren umrüstet und dadurch auf kostspielige Buchungen anderer Studios künftig verzichten kann.

Ungelöst hingegen ist ein anderes Problem: Wie kann man wenn überhaupt – diese Musik, die in so großem Maße vom Experiment im Studio lebt, überhaupt auf einer Bühne präsentieren? Erst einmal, bei einer Modenschau in Zürich, ist Yello live aufgetreten und ist sich nach wie vor unschlüssig, wie dieses Dilemma zu lösen sei.

„Daß wir bisher keine weiteren Auftritte gemacht haben“, erklärt Dieter, „liegt an der Arbeitsweise von Boris und Carlos, die sich auf der Bühne eigentlich nicht wiederholen läßt. Das ist wie das Malen eines Freskos – und die Idee stinkt uns einfach, daß wir auf der Bühne bluffen müßten mit vorbespielten Tapes und vorprogrammierten Synthie-Signalen und dazu mit den Ärschen wackeln und auf Enthusiasmus machen. Das wäre ein abgefuckter Bluff – vor allem für die beiden Instrumentalisten. Ich als Sänger habe da mehr Freiheit und kann hierund da schon mal ein wilder Junge sein. Aber wir waren nie besonders scharf darauf, die Hosen runterzulassen und uns auf dieser Ebene zu exponieren – vor allem eben Boris und Carlos.“

„Man sollte“, ergänzt Boris, „erst dann auf die Bühnegehen, wenn eine Idee dafür ausgereift ist -und bis jetzt war der Zeitpunkt einfach noch nicht gekommen. Ich glaube, der Dieter möchte schon gerne auf die Bühne, aber warum sollten wir

das zu diesem Zeitpunkt forcieren?“

Dieter: „Ich bin tatsächlich Anhänger des ‚absolutely live‘-Konzeptes. Das ließe sich auch finanziell einigermaßen realisieren. Ich finde dieses Prinzip gründsätzlich besser als die seelenlose Perfektion, die ja vielleicht immer einen gewissen Standard garantieren mag. Aber das Scheitern muß eingebaut sein. Ein Immer-Gelingen muß zwangsläufig seelenlos sein. Es ist nun meine Aufgabe, Boris – der sich mit Händen und Füßen dagegen sträubt – davon zu überzeugen.“

Bis dahin wird es also Yello-Musik nur auf Platte geben. Das zweite Album CLARO QUE SI ist gerade in Deutschland erschienen, nachdem das Debüt SOLID PLEASURE zunächst nur auf dem Alternativ-Label Ralph Records in San Francisco veröffentlicht wurde. Boris und Carlos hatten bei einem US A-Auf enthalt das Label ihrer Lieblinge Residents besucht und dabei eine – damals noch amateurhafte – Cassette ihrer eigenen Musik zurückgelassen. Ralph als auch die Residents waren beeindruckt, meldeten sich in Zürich und veröffentlichten SOLID PLEASURE zunächst in den USA. Was zur Folge hatte, daß selbst die Insider im Land der glücklichen Kühe hinter Yello eine Band aus Californien vermuteten.

Das neue Album CLARO QUE SI kann an den Witz und die Originalität der Debütplatte leider nicht so recht anknüpfen. Zu offensichtlich scheint das Bemühen, Yellos musikalische Extravaganzen diesmal auch einem größeren Publikum zugängig zu machen. Dem kreativen Potential, das in der Kombination dieser drei Leute liegt, tut das indes letztlich keinen Abbruch. Es wird für sie darauf ankommen, ihre Kreativität künftig in die richtigen Kanäle zu leiten.

Carlos Peron übrigens wird in Kürze eine Solo-LP veröffentlichen, (eine Platte wohl nur für beinharte Freunde experimenteller Musik), während Dieter Meier im nächsten Frühjahr seinen zweiten Spielfilm in Angriff nehmen will. Jetzt und Alles“, Opus Nr. 1, ist gerade in die Kinos gekommen und erfreut sich durchweg positiver Kritiken.

Als einen „Szene-Film“ will Dieter Meier seinen Film indes nicht verstanden wissen: „Ich habe versucht, daß die Figuren des Films nicht eine psychologistische Deutung ermöglichen, sondern daß sie agieren fast wie im Kasperle-Theater. Gerade weil die Figuren dort aus Holz sind und keine Emotionen herüberbringen können, lassen sie dem Zuschauer viel an Interpretationsmöglichkeiten offen. Ein Interviewer hat mich neulich gefragt, warum der Hauptdarsteller, der ‚Sehnsucht nach Allem‘ hat (so der ursprüngliche Filmtitel – Red.), überhaupt eine aktuelle Figur sei. Ich habe daraufhin geantwortet, daß der Hauptdarsteller gegen den höllischen Irrsinn dieser Welt nicht mehr ankämpft, sondern in dieser Hölle zu tanzen versucht. Nur – dieser Tanz will gelernt sein! Der Tanz in dieser irgendwie schon apokalyptischen Welt ist ein schwieriger Tanz, wenn man nicht im Knast oder Irrenhaus landen sich aber trotzdem beim Tanzen amüsieren will.“