Men Without Hats – Kampf den alten Hüten
Daß sich „Safety Dance“ allerorten als Hit entpuppte, hat sie natürlich gefreut. Doch lieber verzichten sie auf Ruhm und Reichtum-als sich vom Business vereinnahmen zu lassen. Behauptet jedenfalls Sänger Ivan, Sprachrohr der zornigen jungen Männer aus Kanada.
Überall auf den Korridoren im Fernsehstudio schleichen die Fotografen herum. „Macht die verdammte Tür zu!“ raunzt Ivan der Haupt-Man Without Hats. als ein paar seiner Roadies in die Garderobe kommen. „Hier wimmelt’s überall von denen.“ Ivan streicht sein langes Haar hinters Ohr und funkelt böse mit den Augen. „Wir kommen aus Kanada, richtig? Und wir sind zum ersten Mal hier, richtig? Also wissen wir noch nicht, wie die ganze Szene hier abläuft. Wir sind gebrannte Kinder. Und wir haben kein Interesse, uns als Idole für Teenager verbraten zu lassen.“
Ivan blickt durchs Zimmer, schaut zu seinen Kollegen, den Brüdern Colin und Stefan Doroschuk und Allan McCarthy. Für ein paar Minuten haben alle vier einen hitzigen Meinungsaustausch in kanadisch französischer Mundart, dann fährt Ivan fort:
„Ich bin sauer auf mich selbst, auf die Band, weil wir die Art und Weise, wie wir präsentiert werden, nicht sorgfältig genug kontrolliert haben. Unwissenheit ist keine Entschuldigung. Wir sind absolut gegen die Manipulationen der Medien und würden uns freuen, wenn andere Bands und andere Leute in der Industrie gemeinsam dagegen vorgehen würden. Denn wenn das wirklich eine neue Generation mit neuen Ideen werden soll, dürfen wir nicht weiterhin die Marketing-Verbrechen der 60er an ihnen begehen. „
Laurie Dünn, der Boss der englischen Plattenfirma Statik, bei der die Men Without Hats zuerst unterschrieben hatten, unterbricht ihn: „Aber wo ziehst du die Grenze? Mit wem willst du noch reden?“
„Das ist nicht leicht, ich weiß“, stimmt Ivan zu. „Und es wird wahrscheinlich schwieriger für uns. wenn wir zu unserer Meinung stehen. Aber die Medien sollten ein nützliches Instrument für uns sein, über das wir unsere Botschaft rüberbnngen. Wir sind nicht gegen die Presse. Wir werden mit jedem Journalisten reden, von dem wir den Eindruck haben, daß er ehrlich ist und seinen Job ernst genug nimmt, um dem Publikum unsere Ansichten wahrheitsgetreu weiterzugeben. Aber es gibt bestimmte Situationen, in denen ein Musiker merkt, daß er bloß eine Figur in dem Spiel ist…
In Kanada und in den Staaten versuchen wir, uns die Medien, mit denen wir arbeiten wollen, auszusuchen. In Toronto gibt es eine Zeitung, die heißt, witzig genug, ,Music Express‘ – und die waren zwei Jahre lang hinter einem Interview her. Aber wir haben gesagt: ,Nein‘ Wir kennen euer Blatt und wir findens ätzend. Leckt uns.‘ Wir hatten neulich die Chance, in einer der größten amerikanischen Fernsehshows aufzutreten. Die Bands mimen zu Playbacks: hinter ihnen ist jedesmal eine Wand aus Mädchen mit dicken Titten, die in der Gegend herumtanzen. Wir haben nein gesagt. Sie haben uns daraufhin einen Spot ohne Mädchen angeboten. Wir haben immer noch nein gesagt, wir finden das Ganze beschissen.
Schau, wir haben in Kanada ohne irgendwelche Werbung Gold geholt. Und ohne große Hochglanzfotos von uns zu verkaufen. Men Without Hats ist für Individualismus und gegen Mode. Schreib das auf. Es gibt keinen Men Without Hats-Look. „
Er schwenkt seinen Arm in Richtung Band. Stimmt, sie sehen alle anders aus: die drei Doroschuk-Brüder sind sich sogar im Gesicht nur entfernt ähnlich. Stefan, sein blonder Bruder, sieht Tom Petty nicht unähnlich; Colin, der hübscheste der drei Brüder, ist kleiner und dunkler; könnte gut ein griechischer Gigolo sein. Und Allan McCarthy sieht mit seiner zurückgekämmten Rockabilly-Frisur absolut 50er-mäßig aus.
Während ich mir dieses Bild anschaue, sprudelt Ivan, der redseligste Popstar seit U2s Bono Vox. munter weiter und setzt uns Men Without Hats „message“ auseinander.
“ Wir wollen einer Zeit, die hauptsächlich negativ ist. etwas Optimismus bringen. Man kann sogar sagen, daß wir eine Tanzband sind. Aber wir wollen euch nicht so zum Tanzen bringen, wie Kajagoogoo euch zum Tanzen bringen will. Kajagoogoo will euch mit all diesem ,too shy too shy‘-Zeug nur neurotisch machen. Men Without Hats sagen: ,Tanz, aber denk! Nutz deinen Körper im Tanz und motivier dich selbst. Aber gib deinen Verstand und deine Freiheit nicht auf.“
Starker Tobak. Ich frage, ob es für Ivan bei seinem Mißtrauen gegenüber dem Musik-Business überhaupt irgendwelche Künstler gibt, die Erfolg gehabt haben und dabei vollkommen integer geblieben sind.
„Arlo Guthrie“, sagt er. „Arlo Guthrie?“ frage ich ungläubig zurück.
„Klar“, meint Ivan grinsend. „Wir haben neulich ein Wochenende mit ihm verbracht. Ich sag dir. der Bursche hat mir echt den Glauben an die Woodstock-Generation zurückgegeben. Der hat sein Leben wirklich in den Griff gekriegt. Er hat seine rFarm, eine wirklich nette Frau, einen Haufen Kinder, die Band sind seine engsten Freunde …“
Ich mag durchaus ein paar von Guthries Songs, kann aber beim besten Willen nicht finden, daß er in derselben Klasse spielt wie Men Without Hats. Abgesehen davon, daß er Anfang der 70er mit „City Of New Orleans“ einen bescheidenen Single-Hit in Amerika hatte, kam seine Popularität nie richtig über die Folk-Clubs hinaus.
„Gut. die Folk-Clubs wären mir auch recht“, unterbricht mich Ivan. „Es ist mir egal, ob meine Platten Nummer eins werden oder nicht. Lieber verdiene ich weniger Geld und spiele jeden Tag in Folk-Clubs, als daß ich meine Seele an die Musik-Industrie verkaufe.“
Da fällt mir Men Without Hats erste Veröffentlichung ein, eine privat gepreßte EP mit dem Titel „Folk Of The 80’s“.
Für eine Band, die sich zumindest oberflächlich – nicht sonderlich von ein paar Dutzend Synthesizer-Truppen unterscheidet, haben sie einen merkwürdigen Werdegang. Die Doruschuks haben alle eine klassische Ausbildung. Ivan war klassischer Pianist, sein Bruder Stefan galt als Geigen-Wunderkind – und bei Bruder Colin wechseln sich immer noch Rock-Auftritte mit Opern-Studien ab. Kürzlich hat er die erste Stimme in einer Operette von Gilbert & Sullivan gesungen; sein Traum ist es, einmal Wagner zu singen.
„Gestern Nacht sitzen wir im Holiday Inn rum und philosophieren vor uns hin“, lacht Ivan, „Colin hat neulich erst Piatos ,Republik‘ gelesen: Der alte Knabe hat geschrieben, daß sich die Kinder in seinem idealen Staat bis zum 12. Lebensjahr nur mit Musik und Sport beschäftigen sollten. Tja – ha, ha – das ist ungefähr das, was wir gemacht haben. Unser Vater war Sportlehrer, unsere Mutter Musik-Professorin an der Universität.“
Als Teenager waren alle Doruschuks glühende Verehrer von Roxy Music, Bowie und Lou Reed. Als Ivan 1980 die ersten Men Without Hats startete, hatte er die „europäische Film-Atmosphäre“ von Roxy Music vor Augen.
„Die Band bestand damals nur aus mir und einem Schlagzeuger. Er spielte die ganze Zeit diesen schweren, harten Beat, wie ein Metronom, und ich hatte einen Berg Synthesizer, mit denen ich nicht richtig umgehen konnte. Die Keyboard-Technik hatte ich drauf, aber mit der Computer-Technologie kam ich nicht klar. Die besten Gigs waren, na ja. interessante Unfälle.“
Nachdem der Drummer abgewandert war, holte sich Ivan Allan McCarthy an den Schlagzeug-Synthesizer: dann kam Stefan an Geige und Gitarre dazu. In dieser Besetzung nahmen sie das Album RHYTHM OF YOUTH mit dem Hit „Safety Dance“ auf. Schließlich stieg Colin Doruschuk, bis dahin gelegentlicher „Special guest“, fest ein; er spielt Synthesizer, Gitarre und singt.
Die neuen Men Without Hats haben bereits ihr zweites Album und ausgedehnte Nordamerika-Tourneen hinter sich. „Wir haben gerade ohne Pause 40 Konzerte quer durch Kanada gegeben“, erzählt Ivan, „und, Mann, danach hatten wir’s wirklich drauf. Es kam so weit, daß wir improvisieren und mit Ideen nur so um uns werfen konnten. Ich war überrascht, daß wir die Songs so weit öffnen konnten. Wir arbeiten eine Menge erst auf der Bühne aus und üben fast nie. Da bin ich vollkommen einer Meinung mit Robert Fripp. Der hat gesagt „Durch Üben wird man nur gut im Üben“. Absolut meine Meinung.“
Es wird Zeit für Men Without Hats, ihre Nummer für „Vorsicht Musik“ aufzunehmen – backstage redet ein überschäumender Ivan auf verschiedene Mitglieder von Trio, Helen Schneiders Band und den Stray Cats ein. Die Cats, nicht gerade berühmt für Geist und Schlagfertigkeit, hören seinem Wortschwall mit offenem Mund zu. Dann ist er verschwunden.
Slim Jim und Brian Setzer sehen sich an.
„Ui… ein netter Kerl“, meint Brian.
„Ja“, sagt Slim. „Wer war das?“