Musik zum Lesen
Was populäre Musik betrifft, so bietet der hiesige Buchmarkt, im Vergleich etwa zum englischen, einen eher dürftigen Anblick egal, ob die Kriterien nun Quantität, Qualität oder Aktualität heißen. Doch gerade in diesem Sommer (vermutlich sind meteorologische „Top Secrets“ aus dem Wetteramt vorab in das Verlegerlager durchgesickert) liegt eine ganze Reihe bundesdeutscher Neuerscheinungen in den Läden parat. Und das nicht nur als Urlaubslektüre für trübe Regentage.
Auf die von Siegfried Schmidt-Joos edierte „Idole“-Reihe hatte Bernd Matheja bereits in ME/Sounds 3/84 hingewiesen; der zweite Band mit dem Titel „Zwischen Poesie und Protest“ wird in diesen Tagen veröffentlicht. Neben Beiträgen über John Lennon (Schmidt-Joos) und Jacques Brei (Anne Bauer), darf man sich besonders auf die Van Morrison-Studie von Manfred Maurenbrecher und Heinz Rudolf Kunzes intelligentes Randy Newman-Porträt freuen – beides leicht überarbeitete Hörfunk-Features für den NDR.
Weitere „Idole“-Folgen sind bereits fest eingeplant: Band III (Titel: „Hits aus dem Getto“), der im Dezember erscheinen soll, bringt Beiträge über Sly Stone, Stevie Wonder (beide Peter Urban), Ray Charles (Schmidt-Joos) und Bob Marley (Teja Schwaner). Die Themen der für März ’85 anvisierten Nummer 4: Pete Townshend, Frank Zappa, David Bowie und Craig Russell. (Ullstein-Verlag, Preis pro Band 7,80 DM)
Rechtzeitig zum dritten Todestag von Bob Marley (Merke: „Legenden“ lassen sich nun mal besonders qut vermarkten, wenn sie bereits das Zeitliche gesegnet haben) gibt’s nicht nur ein neues „Greatest Hits“-Album – Timothy Whites Standardwerk „Catch A Fire/The Life Of Bob Marley“ liegt jetzt, übersetzt von Teja Schwaner, mit dem Titel „Bob Marley, Reggae, Rastafari“ endlich als erschwingliche deutsche Taschenbuchausgabe vor. Intensive Recherchen ermöglichten es White, gerade auch Marleys historischen, politischen und religiösen Kontext nachzuzeichnen, ohne den seine Musik nicht verständlich ist. Hervorragend die ausführliche Discographie/Bibliographie, etwas ärgerlich dagegen die Aufmachung: Was sollen Klischeekürzel wie „Ein kurzes, schnelles Leben“? (Heyne-Verlag, 9.80 DM)
Wer es lieber im Großformat, zudem reichhaltig und vorzüglich bebildert mag, kann zu diesem Thema, notwendige Sprachkenntnisse vorausgesetzt, auch auf eine neue englische Biographie zurückgreifen; „Bob Marley – Reggae King of the World“ (von Malika Lee Whitney und Dermott Hussey) liefert mit zahlreichen Interviews und Presseausschnitten vor allen Dingen gutes Dokumentationsmaterial. Rita Marley schrieb das Vorwort. (Plexus, 28,80 DM)
Der arg gebeutelte STERN hatte unlängst bekanntlich nichts Besseres zu tun, als für einen Titel und die nachfolgende Serie den „Sex, Drugs, Rock ’n‘ Roll‘-Mythos um die Stones aufzuwärmen. Vorab zu lesen waren dort Auszüge aus einem Buch von Philip Norman, das jetzt, ein Novum, fast gleichzeitig sowohl im Original als auch in deutscher Übersetzung erhältlich ist; an den schlichten Originaltitel „The Rolling Stones“ wurde bedeutungsvoll „Die Geschichte einer Rocklegende“ drangehängt.
Nach einem kurzen Prolog, der Vorbereitungen und Auftaktkonzerte der 81er US-Tour schildert, widmet sich der Autor insbesondere den 60er und frühen 70er Jahren‘. Denn die waren ja schließlich skandalträchtiger als die Zeit danach.
Interessierte Leser sollten, nicht nur des wirtschaftlichen Aufschwungs wegen, die deutsche Ausgabe erstehen: Sie ist handlicher, optisch attraktiver (abgesehen von der Umschlag-Rückseite, wo „Großkommentatoren“ wie Gottschalk, Simon & Co. Unwichtigkeiten verbreiten dürfen) und erheblich billiger.
Wie zu hören ist, sollen alle Stones-Biographen demnächst von kompetenter Seite Konkurrenz bekommen: Stones-Archivar Bill Wyman und Mick Jagger planen, jeder für sich, definitive Werke. Wymans kluger Kommentar: „Ich muß ja wissen, wie es wirklich war – schließlich war ich dabei!“ (Elm Tree Books, 49,80 DM/dtsch.: Droemer Knaur Verlag, 29,80 DM)
Etwas zum Schmökern: „Das Rowohlt Lesebuch der Rockmusik“ versammelt in einer subjektiven Auswahl von Herausgeber Klaus Humann auf gut 300 Seiten etliche Highlights aus rund 15 Jahren Rockjournalismus. Da kann der Leser noch einmal über Jörg Guldens herrlichen Chuck „Das war Kack“ Barry-Verriß lachen, oder sich über die köstlichen Grateful Dead-lmpressionen des unvergessenen Lester Bangs amüsieren, der diese gelungene Zusammenstellung mit seinem Monster-Aufsatz „Was wir brauchen, ist viel weniger Jesus, dafür aber jede Menge mehr Troggs!“ auch beschließt. (Rowohlt-Verlag, 7,80 DM)
„Neue deutsche Welle -Kunst oder Mode?“ fragen M.O.C. Döpfner/Thomas Garms, beides Musikwissenschaftler und freie „FAZ“-Mitarbeiter, in ihrer „sachlichen Polemik für und wider die neudeutsche Popmusik“. Wie fast immer, wenn gelehrte Häupter sich mit populären Klängen auseinandersetzen, so ist auch hier Vorsicht geboten. Gerade der Versuch, ausgewählte Songbeispiele musikwissenschaftlich zu analysieren, wirkt nicht nur unpassend, sondern auch erheiternd; etwa wenn bei Trios „Da, Da, Da“ gleich zu Beginn ein „homophil timbriertes aha, aha, aha“ aufgespürt wird.
Geboten wird außerdem ein historischer NdW-Abriß (mit diversen groben Schnitzern), einige eher oberflächliche soziologische Umfeldbetrachtungen (Mode, Sprache etc.), überlange Porträts der Hitfabrik Rakete und von Markus-Produzent Klopprogge (der genüßlich auseinandergenommen wird), sowie ein Anhang mit ausgewählten, neudeutschen Biographien. Hochgeschraubte Alleinvertretungsansprüche (dieses Buch zeige, klotzt der Klappentext, „wie Musik-Kritik heute geschrieben werden muß“) tun ein Übriges, um von dieser Lektüre abzuraten. (Ullstein-Verlag. 8,80 DM)
Um die neuere deutsche Rockmusik geht es auch in „Plant uns bloß nicht bei euch ein“ von Hubert Skolud/Horst Stasiak, das „Töne vom Zustand der Nation“ (Untertitel) vermitteln will. Herausgekommen ist eher ein weiterer Beweis für den dürftigen Zustand hiesiger Musikbücher: Recht zusammenhanglos und reichlich unaktuell stellen die Autoren in Interviews. Konzertimpressionen und Songtexten einige Protagonisten (BAP, Ideal etc.) vor. Einem langweiligen Spliff-Interview werden allein über 30(!) Seiten gewidmet. Ein Buch, das niemand braucht.
Ähnlich überflüssig auch Klaus Dewes‘ „BAP für metzenemme“, von dem sich selbst Maestro Niedecken bereits gehörig distanziert hat (Beide Bastei-Lübbe-Verlag, 9,80 bzw. 7.80 DM)
Schon lange überfällig, gerade nach der wahren Flut an Bands und Interpreten, die in den letzten drei bis vier Jahren den bundesdeutschen Markt überschwemmten, war eine aktualisierte Version des Lexikons „Rock In Deutschland“. Es liegt jetzt endlich in dritter, stark erweiterter Auflage vor. Die Autoren Günter Ehnert und Detlef Kinsler liefern in einer sicheren Kombination aus Fakten und Meinungen substantielle, gut lesbare Biographien von rund 180 alten und neuen deutschen Bands und Interpreten, ergänzt jeweils durch Discographien und ein Personen-/Gruppenregister im Anhang. Die Krux liegt, wie bei allen Lexika, auch hier in der Vollständigkeit, auf die aber ohnehin kein Anspruch erhoben wird: Jede(r) dürfte vermutlich einige Namen finden, die er hier nicht findet Doch wirkt die vorgenommene Schwerpunktsetzung schlüssig und macht „Rock in Deutschland“ zu einer wertvollen Orientierungshilfe. (Taurus Press, 17.80 DM)
Unser aller Liebling Michael Jackson bescherte der geplagten Plattenindustrie nicht nur einen wahren Umsatz-„Thriller“. sondern animierte auch einige Verlage, flugs zusammengebastelte Hochglanzbroschüren auf den Markt zu werfen. Es sei an dieser Stelle vor allem auf die bereits im letzten Heft erwähnte Jackson-Biographie von John Abbey (bearbeitet von ME/Sounds-Soulspezialist Ulli Güldner) hingewiesen. Auch hier dominiert größtenteils farbiges Bildmaterial, dem allerdings ein kompetenter Begleit- bzw. Zwischentext entgegengestellt wird. (Rombach-Verlag, 24,80 DM)
Abschließend noch ein kurzer Blick über den Kanal: Einige englische Verlage sind insbesondere auf meist gut recherchierte, flüssig geschriebene und illustrierte Biografien spezialisiert, die fast immer aktuell und umfassend wesentliche Bands/Interpreten porträtieren. Neu in dieser Sparte sind jetzt die offizielle Soft Cell-Bio von Simon Tebbutt (ca. 130 Seiten, hervorragende Fotos. Vorwort von Marc Almond). sowie eine, ebenfalls in Zusammenarbeit mit der Band entstandene, Dire Straits-Biographie von Michael Oldfield, der Mark Knopfler bereits seit ihren gemeinsamen Tagen auf einer Journalistenschule kennt – ca. 150 Seiten, gute S/W-Fotos. ausführliche Discographie. Für den Herbst ist eine deutsche Veröffentlichung geplant.
Etwas dürfte dagegen „The Book of Genesis“ von Hugh Fielder, der lediglich etliche Fotos mit zahllosen Interview-Schnippsein kombiniert und den Mut zum eigenen Urteil vermissen läßt Als Dokumentation jedoch brauchbar. Alle Sidgwick & Jackson, jeweils 28,80 DM bzw.(SoftCell) 25,80 DM.