Tina Turner: Szenen einer Ehe


Mit 46 Jahren steht sie heute auf dem Höhepunkt ihrer zweiten Karriere. Allerorten Beifall und Respekt für eine Frau, die den langen Weg nehmen mußte. Über die Hölle, durch die sie zuvor ging, spricht heute allerdings keiner mehr. Gerd Augustin (l.), langjähriger Manager von Ike & Tina Turner, erinnert sich...

„And here are those lovely ladies we ´ve all been waiting for. Come on people, let’s get it on down & dirty for Tina Turner and the I-I-I-Ikettes!!!“

Zehn Jahre ist es her, seit ein – sich vor Hysterie fast überschlagender – Einpeitscher diese Worte zum letzten Mal ins Publikum schmetterte. 1975 trennten sich die Wege von Ike und Tina Turner – begleitet von filmreifen Schlägereien. Morddrohungen und mysteriösen Brandstiftungen.

Die Jahre vor dem großen Knall erlebte kaum jemand intensiver als ihr deutscher Manager Gerd Augustin, der von 1970 an das ungleiche Gespann betreute. Augustin, heute 43, war Ende der 60er Jahre bei der Plattenfirma United Artists in LA beschäftigt und speziell damit beauftragt, die Belange von Ike & Tina zu vertreten.

„Nachdem ich ihre erste große Europa-Tournee vorbereitet hatte – und auch Singles wie ,Proud Mary‘ und ,Nutbush City Limits‘ in Europa weitaus erfolgreicher waren als in den USA, fragte mich Ike, ob ich ihr Manager werden wolle. Dazu machte er mir ein Angebot, das ich einfach nicht ablehnen konnte.“

Beschäftigen wir uns einen Moment mit dem Mann, von dem Tina einmal sagte: „Wenn ich ihm nicht gedient hätte, würde ich heute vermutlich noch Baumwolle in Mississippi pflücken.“

„Ike“, so Augustin, „ist fast ein Analphabet. Er kann zwar lesen und schreiben, aber nur mit allergrößter Mühe. Verträge zum Beispiel hat er nie gelesen. Wenn es aber darum ging, einen Vertrag zu interpretieren, dann kannte er ihn in- und auswendig. Er ist heute 58, war also bereits im Musikgeschäft, als die Rassentrennung in den USA noch strikt praktiziert wurde. Hinzu kommt, daß er aus dem Süden stammt und vorzugsweise mit weißen Mädchen ausging; er stand praktisch immer mit einem Fuß im Gefängnis.

Das hat seinen Charakter sichergeprägt; ebenso die Tatsache, daß er zu Beginn seiner Karriere mehrfach übers Ohr gehauen wurde.

Eine Episode ist für ihn, glaube ich, ganz bezeichnend: Als für Kalifornien ein katastrophales Erdbeben vorausgesagt wurde, trommelte er Familie und Band zusammen, um sie nach Las Vegas in Sicherheit zu bringen. Er war durchaus ein family man und kümmerte sich auch rührend um seine früheren Frauen. Gleichzeitig aber war er in der Lage, selbst in die Präsidenten-Suite des Hiltons für 1200 Dollar die Nacht zu ziehen, während zehn Musiker zusammengepfercht auf dem Fußboden eines Motel-Zimmers übernachten mußten!“

Trotz diktatorischer Neigungen entwickelte sich Ike zum Magneten für farbige Musiker in den USA. Was Ray Charles, James Brown oder Curtis Mayfield nicht geschafft hatten, gelang als erstem Schwarzen Ike Turner: Er baute in Los Angeles ein eigenes Studio, in dem schon bald die gesamte Prominenz von Sly Stone und Marvin Gaye über Jimi Hendrix bis zu Stevie Wonder ein- und ausging.

„Für die Farbigen war er der Prototyp des erfolgreichen schwarzen Musikers, der es in der kapitalistischen Welt der Weißen zu etwas gebracht hatte. Er besaß 13 Autos. Rolls Royce, Bentley, Jaguar; 340 Eigentumswohnungen. Immobilien im Wert von 16 Millionen Dollar. Ray Charles etwa war bei weitem nicht so weit, weil er Millionen mit Drogen verpulverte.

Ike wußte immer, wie man mit Weißen umzugehen hatte. Er hat Bestechungsgelder gezahlt, z.B. an Präsidenten von Plattenfirmen, mit denen er dunkle Arrangements traf, die unter der Hand dann beiden zugute kamen.

Die Schwarzen in den USA sind nun mal oft ,weißer‘, d.h. geldorientierter als die Weißen selbst. Einfach deshalb, weil es für sie so viel schwieriger ist, in der Geschäftswelt Fuß zu fassen. Das ,big business‘ in den USA machen die Weißen-Engländer, Iren, Deutsche; das `teeny weeny business‘, also die mittlere Größenordnung, beherrschen die Juden. Dann kommen die Schwarzen – und danach erst die Mexikaner.

Ike hatte es in dieser Welt also geschafft. Und darüberhinaus besaß er unglaubliches Charisma. Die Musiker vergötterten ihn – selbst wenn sie praktisch ohne jeden Lohn für ihn schufteten! Seine Studiomusiker bekamen oft kein Geld, sondern nur Essen, Trinken und freie Logis. Morgens eine Tomatensuppe, mittags Kentucky Fried Chicken, abends Hamburger. Dafür gab’s Pflaumenschnaps und Drogen reichlich. Wer aber eine Cola trinken wollte, mußte sie selbst im Automaten ziehen.

Wenn er dann gerade mal Bargeld in der Tasche hatte, konnte er durchaus auch großzügig sein. Er verschenkte Autos oder teure Uhren – allerdings unter Besitzvorbehalt! Wenn der betreffende Musiker nicht parierte, brachte Ike es kaltlächelnd fertig, ihm das Geschenk wieder abzunehmen.

Es war eine strenge Hierarchie, die er sich im Laufe der Jahre aufgebaut hatte. Er hatte überall Spitzel, die ihm auch zusteckten, was er über Tina erfahren wollte. In jedem Zimmer seines Hauses als auch des Studios war eine Kamera installiert, die er von seinem Mischpult aus bedienen konnte.

Oft standen Musiker stundenlang vor seinem Studio, weil sie wußten, daß er da war aber nicht wußten, ob Ike sie auf seinem Monitor gesehen hatte oder nicht.

Einmal fuhr beispielsweise Sly Stone in seinem Rolls Royce vor – begleitet von zwei riesigen Bodyguards, jeder mit einem tragbaren Telefon. Aber Ike sagte nur: ,Sly, you wait outside‘. Er ließ ihn eine Stunde draußen warten, nur um das Kräfteverhältnis zu demonstrieren. Und trotzdem wurde Ike von allen bewundert. Er besaß einfach unglaubliches Charisma.“

Als Tina Turner, damals noch Ann Mae Bullock, diesen Mann traf, war sie gerade 17 Jahre alt. Ein unbedarftes Mädchen aus der Provinz, das eines Tages auf die Bühne sprang, alles stehen und liegen ließ und mit Ike Turners „Kings Of Rhythm“ kreuz und quer durch Amerika zog. Die Weichen ihres Verhältnis‘ schienen gleich zu Beginn gestellt…

Ike hat Tina immer wie ein kleines, dummes Mädchen behandelt. Tina Turner ist zwar schulisch ungebildet, aber menschlich eine ungeheuer reife Person. Sie hat hart an sich gearbeitet, viel gelesen – während Ike in dieser Beziehung keinerlei Ambitionen hatte.

Ike war anfangs sicher eine Vaterfigur für sie, auch ein Vaterersatz. Er hatte ihr Talent sofort erkannt und seine ganze Show um sie herum aufgebaut. Im Grunde ist Tina ein Produkt von Ike: Er hat ihr Auftreten und ihre Show total geformt.

Tina wollte tanzen, toben. Sie wollte exotisch und sexy sein. Sie hatte das ganz natürlich drauf, ohne sich je als Sexobjekt zu fühlen.

Sie fühlte sich auch nie als Negerin: von Anfang an trug sie beispielsweise eine Perücke. Sie liebte es, beim Publikum anzukommen. Es frustrierte sie nur, daß sie überhaupt keinen Busen hatte – eine Nachlässigkeit der Natur, die inzwischen künstlich korrigiert wurde.

Man sollte allerdings von ihrer Show keine Rückschlüsse auf den Charakter ziehen: Wenn Tina von der Bühne kommt, ist sie eine völlig andere Frau eine disziplinierte Künstlerin, die sich nur auf ihre Karriere konzentriert.

Ike hatte jedenfalls instinktiv gespürt, daß er diese Frau brauchte. Er selbst ist ein unglaublicher Musiker – ein sensationeller Gitarrist, ein überdurchschnittlicher Pianist, er spielt von Saxophon über

Schlagzeug bis Trompete alle Instrumente. Trotzdem wußte er, daß diese Frau in den Vordergrund mußte. „

Nichts als eine Zweckehe also?

„Sicher haben sie sich anfangs geliebt, doch das Verhältnis verschlechterte sich, als Tina merkte, daß sie als Aushängeschild seiner Show mißbraucht wurde. Ike hat sie nie als Ehefrau und Mutter seiner Kinder behandelt. Er hat sie geschlagen, hat tagelang nicht mit ihr geredet. Sie konnten sogar im gleichen Zimmer sein und Ike sagte zu einem Dritten: ,Sag Tina, daß sie das und das tun soll‘!“

Hinzu kam bei Ike eine extrem ausgeprägte Neigung, fremden Röcken nachzusteigen. War man auf Tour, so wurden grundsätzlich drei Hotel-Suiten angemietet: eine für Ike, eine für Tina – sowie ein Partyroom, in dem man sich nach dem Konzert amüsierte. Doch während Tina nach der Show Geritol und Aufbaumittel nahm und ins Bett ging, begab Ike sich zur Party-Suite, um dort ausgiebig Drogen und (weißen) Groupies zuzusprechen.

„Das ging so weit, daß Ike offiziell mit einer zweiten Frau lebte und mit ihr auch einen Sohn hatte. Während Tina im gemeinsamen Haus war, lebte Ike mit Ann im voll eingerichteten Studio. Beide Frauen waren völlig gleichgestellt. Und Tina wußte genau, wann er gerade mit ihr schlief.

Trotzdem war das nicht der Auslöser ihrer Entfremdung. Ike sah in ihr nur ein Objekt, nie die Frau, die man liebt. Wenn er sie so behandelt hätte, wäre sie heute noch bei ihm.“

Er tat es nicht. Die Dinge nahmen ihren Lauf. Gleichzeitig aber näherte sich der kommerzielle Erfolg von Ike und Tina Turner einem vorläufigen Höhepunkt. 1971 hatte man im Vorprogramm der Stones-US-Toumee die Hauptgruppe oft geradezu an die Wand gespielt.

Und noch in anderer Beziehung löste die Begegnung mit den Rolling Stones bei Ike Turner Veränderungen aus: Ike ging das Licht auf, daß die Stones anfangs auch nur Chuck Berry, Memphis Slim, John Lee Hooker nachgespielt hatten dann aber auch mit eigenen Songs erfolgreich waren. Das gab ihm zu denken. Und da er selbst keine Texte schrieb, wurde Tina damit beauftragt.

„,Nutbush City Limits‘ ist so z. B. entstanden. Ike hatte einen Instrumental-Track fertiggestellt, der ihm besonders gefiel.

Dazu hatte er ein paar Satzfragmente wie ,churchhouse, ginhouse‘. Tina hörte das und sagte: ,Ich schreibe einfach über den Ort, in dem ich aufgewachsen bin.‘ Von Tina stammt der Text, von Ike die Musik.

Trotzdem hat er – dummerweise den Titel verlagsrechtlich nur auf Tina angemeldet. Später erwies sich der Song als stärkster Titel seines Repertoires doch er verdiente keinen Pfenning mehr daran.“

Tinas Stellenwert innerhalb der Organisation hatte im Laufe der Jahre zugenommen. Sie ging gelegentlich gar ohne Ike auf Tournee und übernahm auch die Kontrolle über die Ikettes, jene beinwerfenden, schwitzenden Furien, die Tina Turner auf der Bühne unterstützten.

Der Strafen-Katalog, den Ike für die Ikettes und Musiker ausgearbeitet hatte, war drakonisch. Wer beim Konzert einen falschen Ton gespielt hatte – 25 Dollar Strafe! Wer den ganzen Abend schlecht gespielt hatte – 50 Dollar Strafe! Gerissene Kleidernähte, schlampiges Make-up und Alkohol vor dem Konzert schlugen mit 75 Dollar zu Buche. Hüpfte beim Konzert ein Busen aus dem Ausschnitt, waren 100 Dollar fällig. Wer sich über diese Verträge in der Öffentlichkeit ausließ, wurde auf der Stelle gefeuert. Ebenso derjenige, der sich Geld von anderen Bandmitgliedern pumpte. Ebenso derjenige, der ohne triftigen Grund Ike und Tina mit einem Problem belästigte: Mit Fragen ging man zunächst zum Roadmanager; nach zwei (ergebnislosen) Anläufen dann zum Manager (Augustin); nach zwei (ergebnislosen) Anläufen dann zu Ike & Tina. Wer diesen Weg nicht einhielt, fand sich augenblicklich auf der Straße wieder. Kein Wunder, daß sich in rund 15 Jahren über 250 Ikettes die Türklinke in die Hand gaben.

„Auch wenn ihr Ike gewisse Privilegien einräumte, so hatte sich an ihrem grundsätzlichen Verhältnis doch nichts geändert: Tina war für Ike nur ein Objekt: er versuchte mit allen Mitteln, ihre menschliche und musikalische Emanzipation zu verhindern.

Sie bekam beispielsweise laufend Film- und Fernseh-Angebote. Jedes Manuskript aber wurde von Ike postwendend und ungeöffnet zurückgeschickt. Er überlegte nicht, ob ’s gut oder schlecht war, ob’s vielleicht Geld bringen würde, sondern blockte alles radikal ab, da er befürchtete, Tina könne zu unabhängig werden.

Bei, Tommy‘, wo sie die ,Acid Queen‘ spielte, war es dann anders. Hauptsächlich deshalb, weil sie den Produzenten Robert Stigwood (,Saturday Night Fever‘, Bee Gees) persönlich kannte. Eine der Wahrsagerinnen, die sie überall aufsuchte, hatte ihr prophezeit, daß dieser Mann einmal den Platz in ihrem Herzen einnehmen würde, der früher für Ike reserviert war. Also schrieb sie ihm seitenlange Liebesbriefe, obwohl sie genau wußte, daß Stigwood stockschwul war.

Ike gegenüber sagte sie: `Ich kann in dem Film einen Song singen – das bringt uns Erfolg. Ich will’s machen!` – ,Okay‘. hat Ike gesagt, ,du hast genau acht Tage Zeit: dann bist du wieder zurück.“

Obwohl zwischen Tina und Stigwood rein gar nichts lief, obwohl Tina auch in den Jahren zuvor jedem Seitensprung aus dem Weg gegangen war, erwies sich das Verhältnis zu Ike als irreparabel. Das gegenseitige Mißtrauen war unüberwindbar geworden. In Dallas kam es zum Knall…

„Auf dem Weg vom Flughafen zum Hotel passierte es und war eigentlich eine Bagatelle. Ike hatte drei, vier Nächte nicht geschlafen und war gereizt. Tina wollte ihm eine Bockwurst rüberreichen, die aber samt Senf auf seiner Hose landete. Ike freakte aus. Er prügelte sie wie wohl nie zuvor.

Im Hotel ging sie dann ruhig und unbewegt mit aufs Zimmer, wartete bis er eingeschlafen war – und lief dann zum Hyatt Regency gegenüber, wo sie dem Hotelmanager sagte, daß sie Tina Turner sei und Probleme habe.

Sechs Wochen lang tauchte sie danach in Los Angeles unter, und zwar bei der Frau von Herbie Hancock. Außer mir wußte keiner, wo sie sich aufhielt. Obwohl Ike alle Hebel in Bewegung setzte, um sie ausfindig zu machen und – später unter Druck zu setzen! Oder aber sie zu vernichten! Das ging so weit, daß er ihr Haus und Auto anzünden ließ daß ihm jedes Mittel recht war, um sie einzuschüchtern.

Um die Scheidung zu vereinfachen, hat Tina auf absolut alles verzichtet. Und das waren Millionen! Nur ihren Namen wollte sie behalten. Denn selbst der gehörte Ike: er hatte den Namen ,lke & Tina Turner‘ in Washington patentieren lassen.

Sie bekam schließlich den Namen – und die nackte Freiheit. Während es mit Ike trotz des materiellen Gewinnes ständig bergab ging.

Wenig später stand plötzlich sein Studio in Flammen. Die Polizei, die hier einen Umschlagsplatz für Drogen vermutete, hatte eine Razzia gemacht, es wurde geschossen und das gesamte Studio auf den Kopf gestellt. Wenig später brannte es lichterloh.

Ich habe Ike später einmal gefragt, wie es passiert sei. ,I didn’t put fire to it‘, sagte er. ,It just burned down‘.“