Goldfinger
DIE PRODUZENTEN
Manche geben vor, Götter zu sein andere begnügen sich, stille Geburtshelfer zu bleiben. Der eine ist mit 19 Millionär- der andere endet mit seinen künstlerischen Ambitionen auf dem Sozialamt. Für viele sind die „Extras“ die eigentliche Motivation-für andere ist das Highlife mit Stars und chemischen Stärkungsmitteln eher die Kehrseite der Medaille. Steve Lake, der bei sechs Sessions selbst seine Finger am Regler hatte, sah sie sich genauer an Damals, als man sich wegen Alan Bangs auch die Moderation des „Rockpalast“ noch ansehen konnte, wurden Cheap Trick mit folgender Frage konfrontiert. „Eure letzten drei Alben“, bemerkte Bangs, „wurden produziert von George Martin, Roy Thomas Baker und Todd Rundgren. In welcher Beziehung unterscheiden sich diese Produzenten voneinander?“
Rick Nielsen und Robin Zander schienen eine Ewigkeit für die Beantwortung der Frage zu brauchen: die Uhr der Livesendung tickte laut.
„Nun“, sagte Nielsen schließlich, „sie sehen alle vollkommen verschieden aus.“ Alles brach in Lachen aus. Läßt man einmal den fetten und struwweligen Thomas, den aristokratischen Martin und den hageren Rock n Roller Todd im Geiste Revue passieren, so wird die Heiterkeit vollends verständlich.
Rick unternahm einen neuerlichen, mühsamen Versuch, die Frage ernsthaft zu beantworten. Und doch hatte er es eigentlich schon geschafft, anschaulich zu machen, wie schwer sich definieren läßt, was Produktion eigentlich ist. Was, zum Teufel, produziert ein Produzent?
In der Filmwelt ist es anders und gewöhnlich unkompliziert: Der Produzent trägt die finanzielle Verantwortung für ein Projekt – er ist Geldbeschaffer und Buchhalter in einer Person. Er zieht den Finanziers die Kohle aus der Nase und sitzt dann dem Regisseur im Nakken. damit der Film sein Budget nicht überschreitet.
Der Plattonproduzent braucht sich nur selten mit derartigen, zu Magengeschwüren führenden finanziellen Zwängen abzuplagen. Die Plattenfirma schießt die Herstellungskosten eines Albums vor und bekommt ihr Geld aus den Tantiemen der Künstler zurück (Man stelle sich nur vor, wenn Schauspieler die Kosten eines Films zu tragen hätten!).
Auch der Produzent bekommt einen manchmal nicht unerheblichen Anteil der Tantiemen. Und was genau hat er dafür zu tun? Die Platten-Bosse scheren sich nicht darum, solange ihnen am Ende der Arbeit ein Master-Tape vorgelegt wird. Sie hoffen nur, daß sich ihre Investition ammortisiert.
„Der Erfolg einer Produktion“.
sagt Muff Winwood, der mit dem Debüt-Album der Dire Straits seinen Reibach machte, „wird in Verkäufen gemessen, nicht in musikalischer Qualität. „
Und dann schildert er eine nicht untypische Situation. „Manchmal schaut ein Produzent nur einmal kurz ins Studio und sagt: Hört mal. macht das hier als Single! Und dann hab ich hier noch einen Song versucht euch mal dran. Und selbst wenn er in den vier Wochen, die er mit der Band arbeitet, nichts anderes macht, sondern höchstens am Telefon sitzt oder mal Tee aufgießt oder… wirklich, es gibt einige Produzenten, die sind im Studio nicht zu blicken… dann mögen diese Vorschläge reichen, daß er sein gutes Geld verdient. Wie viele großartige Mittelstürmer, die schöne Tore schießen, arbeiten 90 Minuten ununterbrochen? Nur sehr wenige. „
Um bei dem Bild zu bleiben: Die Mittel, mit denen man Tore schießt, sind in der Plattenproduktion unendlich vielfältig. Der verstorbene Guy Stevens, dem es absolut an technischem Know-How fehlte, arbeitete ausschließlich mit Einschüchterung. Als er LONDON CALLING von den Clash produzierte, schrie und tobte er. ja warf mit Stühlen durch die Gegend, bis die Gruppe fickrig und eingeschüchtert, alles nach seinem Willen machte nur damit er mit der Schreierei aufhörte.
Das andere Extrem verkörpert Steve Levine (Culture Club, Beach Boys, David Grant, Helen Terry), der bei den meisten Produktionen gleichzeitig Hebamme und Vater ist. Bis an die Zähne ist er bewaffnet mit Synthesizern und Computern von Yamaha. Roland. Korg. Oberheim, Fairlight, Linn, Simmons und Prophet, von denen er die meisten selbst spielt. Wenns gar nicht anders weitergeht, dann schreibt er sogar die Songs – wie zum Beispiel für den englischen Funk/Soul-Sänger David Grant.
Was springt dabei heraus? Wenn er einmal beschließt, unter eigenem Namen ein Album zu machen, dann stehen seine dankbaren Klienten Schlange, um ihm dabei unter die Arme zu greifen.
Levines Arbeitsweise erscheint in der heutigen Situation außergewöhnlich und hat durch die Massen von bliependen und flackernden Modulen, die ihn umgeben, ein Flair von Raumzeitalter. In Wahrheit jedoch kehrt er mit seiner Produktionsweise wieder an den Ausgangspunkt zurück. Denn die ersten unabhängigen Produzenten waren ebenfalls Songschreiber.
Jerry Leiber und Mike Stoller waren weiße Teenager mit einer Leidenschaft für den Blues, als sie sich 1949 in Los Angeles kennenlernten. Zusammen schrieben sie Blues nach dem klassischen Zwölf-Takt-Muster – und fügten etwas gesellschaftlichen Kommentar hinzu, um ihm seine typische Eigenheit zu geben. Im Grenzbereich von Chicago Blues und Big Band-Jazz entstand gerade der Rhythm & Blues, und es gab viele Abnehmer für ihre Songs, darunter die Bluessänger Jimmy Witherspoon und Big Mama Thornton. Schnell verbreitete sich der Ruhm solcher Leiber/Stoller-Songs wie „Hard Times“ und „Hound Dog“ – und bald schon wurde das Duo eingeladen, seine Songs in den Studios vorzustellen. Das Resultat war 1955 ein Produzentenvertrag mit Atlantic. Die beiden schrieben und produzierten für die Coasters 18 aufeinanderfolgende Hits!
1959 aber wurde zum entscheidenden Jahr. Sie produzierten „There Goes My Baby“ für die Drifters. Dieser eine Song, der gefühlvolle Streicher mit einer lockeren, lateinamerikanisch inspirierten Rhythmus-Sektion und dem am Gospel orientierten Gesang von Ben E. King kombinierte, wurde zum Musterbeispiel der Konzeption vom Produzenten als Super-Arrangeureiner kreativen Kraft, die die Gruppe und den Song wie eine Skulptur modellierte.
Als der 19jährige Phil Spector den Song hörte, überkam es ihn wie eine Erleuchtung; er wurde zu dem inspiriert, was er „eine wagnerische Annäherung an den Rock’n’Roll“ nannte: „kleine Symphonien für Kids“.
Vermutlich hat jeder, der Interesse an der Popmusik findet, die klassischen „Wall-of-Sound“-Produktionen Spectors gehört – „Be My Baby“ von den Ronettes, „Then He Kissed Me“ von den Crystals, „You’ve Lost That Loving Feelmg“ von den Righteous Brothers. Ike und Tina Turners“.River Deep Mountain High“. Die Liste ist lang – und alles, was der „Tycoon of Teen“. wie ihn Tom Wolfe bezeichnete, zwischen 1963 und 1966 produzierte, zeichnet sich aus durch die typischen Sound-Blöcke, die durch zahlreiche Überspielungen entstanden.
Außerdem war Spector ein Echo-Freak. Mit technischen Mitteln verzögerte er das Echo,polsterte zudem den Aufnahmeraum mit Schaumgummi aus. bis das Echo mit dem Beat des Songs exakt übereinstimmte. „Wenn man dafür sorgt, daß die Echos auf den Takt genau kommen, hat man fast schon einen Hit“, sagte Spector.
Ende der siebziger Jahre übertrieb Spector seine Exzentrizität bis an den Rand des Wahnsinns. Leonard Cohen berichtet, daß er bei den Aufnahmen zu DEATH OF A LADIES MAN von Spector mit vorgehaltener Pistole dazu gezwungen wurde, das Studio nicht zu verlassen, weil Phil noch mit einer Aufnahme unzufrieden war. Während der Sessions zu END OF THE CENTURY von den Ramones weigerte sich Spector, mit der Band auch nur zu sprechen. Kein Wort! Spector redete mit Ed Stasium, dem Toningenieur – und dieser sprach dann mit der Gruppe. Die Gruppe ihrerseits kommunizierte mit Spector nur über den Ingenieur. Manchmal bedarf es einer Menge Geduld und guter Nerven, wenn man es mit Genies zu tun hat.
Aber greifen wir nicht vor, sondern kehren zurück in die fünfziger Jahre, als Spector noch in Hollywood zur Schule ging. Zu jener Zeit bedeutete die Bezeichnung Produzent noch weniger als heute. Ein Produzent war oft nicht mehr als ein Talentsucher (dieser Teil seiner Aufgaben wurde in den sechziger Jahren von den A & R-Leuten übernommen) oder in manchen Fällen ein Studiobesitzer.
In diesen Fällen ersetze man das Wort Produktion durch Überwachung. Unser Studioboß pflegte die Tür zu öffnen, um die Band hereinzulassen, und sie dann erst wieder aufzumachen, um sie nach getaner Arbeit hinauszulassen. Manchmal aber trafen diese Funktionen – Studiobesitzer und Talent-Scout – auch zusammen wie in dem berühmtberüchtigten Fall Sam Phillips.
Die rassistischen Wurzeln der amerikanischen Popmusik lassen sich festmachen an Sams unvergeßlichem Ausspruch: „Könnte ich einen weißen Mann linden, der singt wie ein Neger, würde ich eine Million Dollar verdienen.“ Der weiße Mann war natürlich Elvis Presley. Und Phillips machte mehr als nur eine Million.
Der Fairness halber muß gesagt werden, daß er auch mit Bluesmusikern Aufnahmen machte, als kaum jemand sonst es tat – Howlin‘ Wolf und B. B. King zählten zu seinen frühesten Klienten – aber er reagierte schnell, als er herausfand, daß er mehr Platten verkaufen konnte, wenn er einen schwarzen Rhythmus mit einem weißen Gesicht kombinierte. Unter diesem Aspekt fanden die Sessions mit Presley, Jerry Lee Lewis und Roy Orbison statt.
Der berühmte „Sun Sound“, der von so verschiedenen Presley-Fans wie den Stray Cats, Nick Löwe, Alan Vega und Billy Idol penibel nachgeäfft wird, war ursprünglich nichts als das Ergebnis primitiven Equipments und Phillips‘ beharrlicher Vorliebe, alles mit Echohall zu überziehen. Nicht so bewußt exzessiv wie Spector es später tat. auch nicht so dezent und schmückend, wie Roy Thomas Baker und Manfred Eichler es in den siebziger Jahren einzusetzen pflegten, sondern einfach Echo auf Teufelkommraus, soviel die Maschinen hergaben!
Wenn es in den späten fünfziger Jahren Phillips‘ Rolle war, den Rhythm & Blues kosmetisch zu verschönen, so erfüllte Chet Atkins dieselbe Funktion für die Country-Musik, als er bei RCA A & R Chef und Hausproduzent war. Der Country-Gitarrist. dessen Technik weit über dem Durchschnitt des Genres lag – später spielte Atkins gar beim Newport Jazz Festival – war entschlossen, der Country-Musik die Grenzen zum Pop zu öffnen. Unter Atkins‘ Einfluß verlor Country seine rauhen Kanten – raus mit den klagenden Steelgitarren und Dobros, rein mit zuckersüßen Streichern und sahnigem Background-Gesang.
Elvis, der schon unter Phillips‘ Anleitung etwas von seinem Biß verloren hatte und von Manager Col. Parker und der U.S.-Armee auf Softie getrimmt worden war, wurde von Atkins endgültig kastriert. Danach war er nur noch gut für tumbe Rollen in tumben Filmen.
Damit soll keinesfalls angedeutet werden, daß Produktion im allgemeinen einen Kastrationseffekt hat. Zu den Talenten, die während jener Zeit auftauchten, zählt zum Beispiel das dynamische Duo Ahmet Ertegun und Jerry Wexler bei Atlantic, deren Erfolge auf dem Soul- und Pop-Sektor oft den exzellent zusammenspielenden Begleitgruppen zu verdanken waren, die sie für ihre stilistisch weit gefächerten Künstler zusammenstellten. (In den achtziger Jahren hat besonders Phil Ramone in dieser Art weitergearbeitet).
Teo Macero ist seit den fünfziger Jahren ein Einzelgänger. Ursprünglich komponierte er Zwölf-Ton-Werke in der Schönberg’schen Tradition, stieg dann in den Jahren des Hard Bop als Tenorsaxophonist auf Jazz um und bekam später bei CBS den Job als Produzent von Miles Davis. In den letzten 30 Jahren hat er fast alle Platten von Miles produziert; ihr gegenseitiges Vertrauen ist inzwischen so groß, daß der Trompeter Macero einfach Stunden und Stunden von Bandmaterial gibt, um daraus auszuwählen, was auf einem Album veröffentlicht werden soll.
Zunehmend wurde Macero gestattet, seinen Geschmack entscheiden zu lassen, als sei Miles 1 Musik nur der Ausgangspunkt eigener Kompositionen. Auf BIG FUN (1974) fütterte er sogar die Soli von Miles und John McLaughlin in einen Tape-Computer, um sie neu zu strukturieren. Als glühender Verfechter neuer Ideen arbeitet Macero seit 1980 auch mit neuen Schützlingen, den Lounge Lizards. In drei Jahrzehnten hat er sich als außergewöhnliches Beispiel von Kreativität bewiesen.
Während Macero sein Handwerk in der Juilliard Academy lernte, erwarb sich Allen Toussaint seine Kenntnisse auf den Straßen von New Orleans. Eine typische New Orleans-Session in den frühen sechziger Jahren beschreibt er so:
„Vor-Produktion? Wir probten zu Hause. Ich schrieb meine Songs im Wohnzimmer; Lee Dorsey, Ernie K-Doe, Aaron Neville und Irma Thomas waren anwesend. Ich schrieb einen Song für Irma, sang ihn vor und dann ging sie in ein anderes Zimmer, um daran zu arbeiten. Währenddessen schrieb ich einen anderen für Lee und Aaron. Wenn Irma rauskam, um ihren Song zu singen, machten die. die gerade da waren, die Backing-Vocals.
Dann gingen wir ms Studio, alle Mikrofone waren bereits aufgebaut, und wir hatten schon alles ausgearbeitet. Jetzt erst sah ich die Musiker zum ersten Mal. Partituren gab es keine – ich hatte höchstens ein paar Akkordwechsel aufgeschrieben. Eine Zeitlang nannte man mich deswegen Daddy Few Notes‘. „
Toussaint wurde zu einem Spezialisten dessen, was einer seiner Klienten und Mitarbeiter, Dr. John, als „nut and scull“-Arrangements bezeichnete. Am Piano pflegte Toussaint Tonfolgen auszutüfteln, die zunächst einmal von allen – vom Bassisten über die Bläser bis zum Sänger – nachgespielt bzw. gesungen wurden. Auf diese unorthodoxe Weise arbeite er bei allen Sessions – für die Meters bis zu Labelle.
Der Produzent, ganz gleich, über welchen musikalischen Sachverstand er verfügt, ist fast immer auch Mit-Arrangeur, und er gestaltet das ihm anvertraute Projekt ebenso durch Ablehnung wie durch konstruktive Vorschläge. Und doch ist der Grad, in dem sein Beitrag zur Komposition wird, erst seit kurzem anerkannt. Boz Scaggs hat in dieser Beziehung Pionierarbeit geleistet und teilt sich die Credits und Tantiemen nicht nur mit den Produzenten Bill Schnee, Johnny Bristol und Joel Wissert, sondern sogar mit seinen Session-Musikern – ein fast unerhörter Entschluß! (Scaggs‘ Großzügigkeit in dieser Beziehung verhalf übrigens der Band Toto, die aus seinen Session-Musikern besteht überhaupt erst zum Entstehen.) Heute kommen die Klienten zi einem Produzenten wie Michae Omartian (Rod Steward, Jermami Jackson, Kenny Loggins, Christo pher Cross, Donna Summer.) gera dezu wegen seiner Beiträge als Mit Autor. In den sechziger und siebzi ger Jahren war es noch gang um gäbe, daß Plattenfirmen und Mana ger versuchten, so viel wie nur mög lieh umsonst zu bekommen; ein gu ter Teil dessen, was Produzenter und Musiker beitrugen, wurde folg lieh weder gewürdigt noch bezahlt.
1964 gab es einen Zeitpunkt, d£ war die Hälfte aller Platten in der Top Ten von Großbritannien produ ziert von George Martin. Diese Mann verdiente gerade 30 Pfunc die Woche – das Gehalt, das die EMI ihren Hausproduzenten zahlte Sein Beitrag zu den Platten de Beatles ist hinreichend bekannt darauf braucht hier nicht näher ein gegangen zu werden. Es reicht da; Resümee, daß die Fab Four die Komplexität von MAGICAL MY STERY TOUR oder SERGEANT PEPPER ohne seine Fähigkeiter als Arrangeur und sein Talent, ihre grob formulierten Ideen in elegan ausgeführte Realität umzuwandeln niemals erreicht hätten.
1965 verließ Martin die EMI, urr zusammen mit Produzenten, die vorher seine Konkurrenten gewesen waren – Ron Richards (Hollies] und John Burgess (Manfred Mann, Freddie and the Dreamers) – die AIR-Studios aufzubauen. Auf diesei Seite des Atlantiks vergißt man nui zu leicht, welchen riesigen kommerziellen Erfolg er mit der Gruppe America hatte; die Tantiemen, die er aus dem Verkauf von America-Platten bekam, halfen ihm jedenfalls bei der Finanzierung des Multimillionen-Studiokomplexes auf der Karibik-Insel Montserrat.
Martins Produktion von SERGEANT PEPPER – für die vier Monate, damals eine ungewöhnlich lange Zeit, und ein Budget von 75000 Dollar gebraucht wurden war ein Meilenstein der Popmusik. Als Motivation stand dahinter der Wunsch, PET SOUNDS von den Beach Boys zu übertreffen (für nur 16000 Dollar produziert).
PET SOUNDS leitete das Zeitalter der Studio-Experimente ein und war produziert von Brian Wilson. Eine mit weiser Voraussicht aufgenommene Vertragsklausel sprach Brian das Recht zu, seine eigene Musik auch zu produzieren. Wilson machte zwar Anleihen bei Spectors „Wall-of-Sound“, doch es gelang ihm auch, die Klangwände transparent zu halten: Man konnte alle Details hören, und die Abmischung war so klar wie der Pazifische Ozean, von dem die Wilsons ständig sangen.
Die Transparenz von Wilsons Abmischungen wurde im folgenden Jahrzehnt zum Kennzeichen des kalifornischen Pop. Unglücklicherweise wurde Wilson, dessen Arbeit radikale Veränderungen im Produktionsstandard eingeleitet hatte, schließlich von ihnen überrollt. Wie Spector (und später John Lennon)!
bestand Wilson auf der Überlegenheit von Mono.
In Wilsons Fall gab es dafür einen bedauerlichen Grund – auf einem Ohr war er taub. Und so konnte er auch die Alben der Beach Boys nie in Stereo abmischen. Nachfolgende technische Entwicklungen gingen an ihm vorüber. Spätere Beach Boys-Alben wurden produziert von Bruce Johnston, James Guercio und. gegenwärtig, von dem Culture Club Produzenten Steve Levine. (Auf ein paar Platten Ende der siebziger Jahre ist Wilson als Produzent erwähnt – angeblich jedoch deswegen, um der Behauptung Nachdruck zu verleihen, er habe sich vollständig von einer langen Phase geistiger Instabilität und Drogenabhängigkeit erholt.) Sowohl PET SOUNDS wie SER-GEANT PEPPER wurden auf Vier-Spur aufgenommen, was aus der gegenwärtigen Perspektive fast unglaublich klingt. Aber kurz darauf, so sagt Muff Winwood, „brauchtest du nur 14 Tage aus dem Studio weg zu sein, schon gab es vollständig neue Aufnahme-Methoden. In groben Zügen verlief die technische Eskalation so: Von ’68 an Acht-Spur, 16-Spur von 70 bis 74, 24-Spur von 74 bis heute, obwohl 48- Spur- und sogar 64-Spur-Maschinen mittlerweile auch erhältlich sind.
Diese Veränderungen haben weitreichende Wirkung auf die Art, wie Produzenten und Bands arbeiten. Bei der Vier-Spur-Technik überwachte der Produzent nur die Proben; dann nahm man live auf, wobei die gesamte Band zusammenspielte. (Glyn Johns, der die frühen Steve Miller- und Eagles-Platten produzierte und auch COM-BAT ROCK von den Clash, ist noch immer Anhänger dieser Methode.) Als 16-Spur-Maschinen in Gebrauch kamen, hatten die meisten Produzenten mehr Kanäle zur Verfügung, als sie zunächst zu nutzen wußten. Wenn man das Schlagzeug auf sechs Spuren hat, den Baß auf zwei, dann Gesang und Gitarren, hat man immer noch fünf oder sechs Spuren frei. Die neue Technologie bot Möglichkeiten zum Experimentieren – und die musikalischen Veränderungen erwiesen sich prompt als eine Lawine.
Eine völlig neue Zunft von Produzenten trat auf den Plan – Leute, die das Studio benutzten wie ein Maler seine Palette. Zu ihnen zählen unter anderen Brian Eno (der U2. Portsmouth Sinfonia, Talking Heads und Ultravox produziert hat), Conny Plank (Can, DAF, Hunters und Collectors, Eurythmics, Ideal, Kowalski, Neu etc.) und David Cunningham (Flying Lizards, This Heat, Wayne County).
Wie in der Geschichte der Technologie generell, so kam es auch hier zu der typischen Entwicklung: Je mehr Veränderungen und Neuerungen bei den Geräten stattfanden, desto deutlicher wurden Produzenten identifizierbar mit einem ganz bestimmten und klar abgegrenzten Bereich. Mit anderen Worten: Sie wurden Spezialisten. Hier sind einige Beispiele.
HEAVY METAL: Martin Birch (Black Sabbath, Blue Oyster Cult, Deep Purple, Iron Maiden, Rainbow, Whitesnake); Dieter Dierks (Accept, Dokken, Scorpions); Tom Werman (Twisted Sister, Mötley Crüe).
HARD ROCK: Jack Douglas (Aerosmith, Cheap Trick, Starz, Montrose): Bill Szymcyzk (Joe Walsh. Elvin Bishop. J. Geils Band, The Who, Rick Derringer).
THEATRALISIERTER HARD ROCK: Bob Ezrin (Alice Cooper, Kiss, Pink Floyds THE WALL, Lou Reeds BERLIN); Roy Thomas Baker (Alice Cooper. Devo. Queen).
BLUES ROCK: Felix Pappalardi (Cream, Mountain. HotTuna); Mike Vernon (frühe Fleetwood Mac. John Mayall, Savoy Brown, Ten Years After. Climax Blues Band).
COUNTRY ROCK: Brian Ahern (Emmylou Harris. Rodney Crowell. Billy Joe Shavers außerordentliche WHEN I GET MY WINGS-LP); Chips Moman (Willy Nelson. Waylon Jennings. Earl Scruggs Revue).
FOLK ROCK: Joe Boyd (Richard und Linda Thompson. Nick Drake, John Martyn, Kate und Anna McGarrigle, Incredible String Band): John Wood (Pentangle, Fairport Convention, Loudon Wainwright III); SINGER/SONGWRITERS: Peter Asher (James Taylor. Linda Ronstadt, Bonnie Raitt. Andrew Gold); Lenny Waronker (Ry Cooder, Arlo Guthrie, Gordon Lightfoot, Randy Newman).
BLACK POP: Quincy Jones (Michael Jackson, Brothers Johnson, Rufus, George Benson); Thom Bell (Stylistics, Dionne Warwick).
DISCO: Giorgio Moroder (Munich Machine. Donna Summer, Three Degrees); Nile Rodgers und Bernard Edwards (Chic. Sister Sledge, Sheila B.) HARD FUNK: George Clinton (Funkadelic, Bootsys Rubber Band, Parliament. Dells, Bernie Worrell).
REGGAE: Lee Perry (Wailers. I Roy, U Roy etc., etc.).
DUB: Dennis Bovell (Hunderte von Dub-Sessions).
JAZZ ROCK: Dennis Mackay (Mahavishnu Orchestra, Gong. AI DiMeola. Stomu Yamashta); Tommy Lipuma (Michael Brecker, Phil Upchurch, Deodato).
CHAMBER JAZZ: Manfred Eicher (Jan Garbarek, Eberhard Weber, Keith Jarrett): Will Ackerman (George Winston. Shadowfax).
„JAZZ REVIVAL“: Robin Millar (Everything But The Girl. Working Week, Sade).
Man könnte endlos weitermachen und in allen Bereichen der populären Musik einen Spezialisten für jede erdenkliche Nuancierung finden. Die Liste wird zunehmend spezieller, denn inzwischen sind Produzenten wie Arthur Baker und Martyn Ware (Heaven 17) aufgetaucht, die beide bei ihrer Arbeit ausschließlich den Fairlight Computer benutzen.
Bevor wir uns jedoch den wichtigsten Produzenten der achtziger Jahre zuwenden, sollten wir noch einige spezielle Persönlichkeiten erwähnen. Produzenten lassen sich in vier charakteristische Gruppen aufteilen. Da gibt es die Toningenieure/Produzenten, jene kenntnisreichen Leute, die ihr Handwerk von der Pieke auf gelernt haben und sich in den Studios durch Fleiß bis zum Produzenten-Status hocharbeiten konnten. (Der in München ansässige Produzent Mack, der mit Queen gearbeitet hat, ist dafür ein gutes Beispiel, ebenso der Genesis-Produzent David Hentschel.) Die Orchestrierer/Arrangeure/ Produzenten sind schon seltener. Zu ihnen zählen Arif Martin, Laurie Latham und der schon erwähnte Bob Ezrin, der während der Aufnahmen zu THE WALL Nick Mason das Notenlesen beibrachte und ihm die Schlagzeug-Parts schrieb.
Dann gibt es die Instrumentalisten/Produzenten, die entweder ihre musikalischen Kenntnisse als außenstehender Beobachter einsetzen (z.B. Jeff Baxter für Nazareth und andere) oder mit ihrem Instrument eine Session dirigieren wie zum Beispiel Phil Collins bei seinen Produktionen für Frida, Adam Ant und John Martyn.
Schließlich gibt es eine Gruppe, die ich“.Die Cowboys“ nennen möchte. Dabei handelt es sich um die Masse von Großsprechern und Angebern, die weder musikalisches Können aufweisen noch über technische Kenntnisse verfügen und sich durch Bluff ihre Prominenz erwerben.
Namen? Werden Namen gewünscht? Nun, gut. Bruce Springsteens Produzent Jon Landau ist einer von ihnen. Bob Krasnow, der Love und Captain Beefheart produzierte, bevor er in der WEA-Hierarchie ganz nach oben aufstieg, ist ein anderer. Ebenfalls Lynn Goldsmith in ihrer Rolle als WILL POWERS. Und Andrew Oldham besaß in den sechziger Jahren die Funktion, die heute von Malcolm McLaren ausgefüllt wird. Außerdem gibt es nicht wenige deutsche Produzenten, deren Beitrag zu einer Session aus kaum mehr besteht, als daß sie auf dem Aufnahmepult ein paar Lines Kokain präparieren und die Tracks mit ihren Rolex-Uhren abstoppen…
In allen Kategorien ist Todd Rundgren zu Hause; seine Karriere kann man nur als einzigartig bezeichnen. Rundgren, ein sehr fähiger Gitarrist und Singer/Songwriter, spielt außerdem alle Instrumente, die in einem Studio aufzutreiben sind – und ist obendrein als Toningenieur hoch qualifiziert. Außerdem ist er noch in der Video-Technik bewandert.
Seine Produktionen fallen in keine „Spezialisten‘-Kategorie. Er hat die Durchbruch-Alben der Psychedelic Fürs (FOREVER NOW) und Patti Smith‘ (EASTER) abgeliefert, ebenso wie Meatloafs barocke LP BAT OUT OF HELL. Er produzierte STAGE FRIGHT für die Band (und war bei der Platte auch Toningenieur) und das Debüt-Album der New York Dolls, LPs für Hall und Oates, die Butterfield Blues Band,
Grand Funk Railroad und das Teeny Idol Shaun Cassidy. Eine verblüffendere Vielfalt ließe sich wohl nur schwer finden – wenn auch ein weiterer Multi-Instrumentalist, Booker T. Jones, der in der Stax Records Haus-Band als Organist begann und schließlich Millionen machte, indem er Willie Nelson produzierte, eine Odyssee vergleichbarer Art hinter sich hat. Keiner dieser beiden Produzenten hat „seinen Sound“ wie zum Beispiel Steve Lillywhite (U2. Big Country, XTC) oder Rupert Hine (The FIXX, Howard Jones), deren Sound sehr persönlich und sofort identifizierbar ist.
Das Auftauchen von „Punk“ und „New Wave“ fiel so passend mit der Rezession in der Musikindustrie zusammen, daß man den Argwöhnischen vergeben möge, wenn sie sich fragen, ob nicht hinter den neuen Wellen die CIA steckt. Wenn kein Geld zur Verfügung steht, dann müssen die Platten eben schnell herausgehauen werden, oder? Da kann man nicht mehr ein Jahr lang an BRIDGE OVER TROUBLED WATER arbeiten. (Roy Halee war der Produzent dieser epischen Geschichte.) Den neuen Trend personifiziert am besten wohl Nick Löwe (Produzent von Elvis Costello. Dr. Feelgood und Graham Parker), dessen Beiname „Basher“ (Drescher) auf seine Philosophie zurückzuführen ist. man solle „es schnell rausdreschen, aufgemotzt werden kann es später“.
Tatsächlich hatte der erste, der mit dieser neuen Welle reich wurde, wirklich CIA-Verbindungen. Miles Copeland, der als Produzent von Renaissance (!) ins Musikgeschäft kam, war der Sohn eines weiteren Miles Copeland, des ehemaligen Chefs der CIA im Libanon! Ungelogen. Es reimt sich immer mehr zusammen …
Die Produzenten, die in den achtziger Jahren prominent wurden, sind in der Mehrzahl geschäftstüchtig, unsentimental und besitzen „Ätherwellen statt Ohren“, um ein Zitat von Allen Jones („Melody Maker“) zu benutzen.
Keith Forsey zum Beispiel ließ den Schlagzeuger Phil Calvert aus der Gruppe Psychedelic Fürs nehmen, weil sein Trommeln angeblich im Radio nicht gut klang. Auf der MIRROR MOVES-LP spielte Forsey selbst das Schlagzeug.
Trevor Hörn, Produzent von Frankie Goes To Hollywood, Yes und The Art Of Noise, war so schlau, eine Studiobesitzerin zu heiraten, und erfüllte sich damit den Traum eines jeden Produzenten, finanziell unabhängig zu sein. Als würde ein Journalist seine Verlegerin heiraten, nicht wahr? Mr. Horns technische Spezialität ist der „panpot“, ein nicht häufig benutztes Verfahren, das die Instrumente durch die Stereoboxen jagt, links/rechts, rechts/ links, rauf/runter, runter/rauf und immer wieder rundherum. Viel mehr ist auch tatsächlich an den Platten von Art Of Noise nicht dran. Man sagt, daß auf der Frankie-LP nicht Frankie selbst die Stücke spielten, sondern daß Hörn lan Durys alte Gruppe, die Blockheads, anheuerte und den Rest selbst auf dem Fairlight spielte…
Bleiben wir zynisch:lch hatte meine Freude an einer bissigen Bemerkung zum neuen Produktionstrend, die unlängst im englischen Technikmagazin „One, Two Testing“ erschien: ….. Musik ist wie so viele andere Industrien kapitalintensiv geworden. Man kauft einen Fairlight oder einen Emulator, dazu eine erprobte Schlagzeugmaschine mit ein paar Extra-Chips, damit man allen Geschmacksrichtungen gerecht werden kann – und dann macht man eine Platte. Man sucht sich einen fotogenen Burschen als Sänger, bringt dem Rest der Band bei, wie man etwas tanzt und im Video gut rüberkommt. und los geht es! Ein Toningenieur, keine Streicher, keinen Parkwächter. Wenn die Klimaanlage aussetzt, wird dir und deinem Toningenieur warm, aber es kommt zu keinem Massenstreik des Studiopersonals. Es gibt nämlich kein Studiopersonal.“
Diese Szene wiederholt sich allenthalben. In einem Sonderteil von „Musician“ über die „neuen“ Produzenten gibt es einen interessanten Bericht über ein Zusammentreffen von Steve Levine und Carl Wilson von den Beach Boys. Wilson wandert im Red Bus Studio des Culture Club-Produzenten herum und probiert ein elektronisches Spielzeug nach dem anderen aus. wobei er „Wow!“ und „Golly!“ und „Gosh!“
ausruft, während Levine ihm begeistert erzählt, daß man überhaupt nie mehr Studiomusiker braucht, wenn man diese Geräte besitzt!
Obwohl die Aussichten für Musiker finster sind, wird die Levine/ Lillywhite/Horn/Rupert Hine-Schule doch nicht ausschließlich das Sagen haben. Dafür spricht, daß gegenwärtig in Amerika wieder Gitarren-orientierte Bands aufkommen. Viele dieser Gruppen lehnen die Ästhetik der Synthesizer-und-Playback-Welt ab und fürchten sich nicht, hart zu arbeiten, um ihr Handwerk zu meistern. Sie suchen nach Produzenten mit vergleichbaren Vorstellungen. Einer von ihnen ist Mitch Easter, der R.E.M.-Produzent, der außerdem Mitglied des Trios Let s Active ist.
Neues Interesse ist auch an Joe Boyd erwacht, dem Amerikaner, der in den psychedelischen Sechzigern im Underground Londons aktiv war. Boyd hat Easter als R.EM.-Produzent abgelöst und überwacht auch die Aufnahmen der exzentrischen New York-Band 10000 Maniacs.
Vor ein paar Jahren nahm ich zusammen mit Boyd an einem Abendessen in München teil; er hatte einige Dinge zu sagen, die sehr einleuchtend klangen. Zum Beispiel, als ich ihn fragte, was seiner Ansicht nach das optimale Sound-System sei…
..Nun“, sagte er, „ich glaube nicht, daß da eine gute Musikbox zu schlagen ist. Das ist der Sound, auf den ich bei allen Produktionen aus bin.“