…Neun, Zehn-Aus?
Wie ein Nummer eins-Typ sieht er beileibe nicht aus. Paul Hardcastle, vor 27 Jahren in London als Sohn eines Musikers geboren, macht euer den Eindruck, als stünde er dienstbeflissen von neun bis fünf hinterm Bankschalter. Hängende Schultern, braver Dackelblick, dünnlippiger Mund, langweilige Locken, britischer Langschädel. Garderobe von der Stange.
Und doch: Der Unscheinbare ist bei Abfassung dieser Zeilen der musikalische Uberraschungssieger der letzten Monate, gekröntes Hit-Haupt, Top-Mann. Nicht genug damit, daß seine Rap-beeinflußte Vietnam-Phillipika „19“ in Großbritannien die Top-Position einnimmt und in der BRD die unsäglichen Modern Talking verdrängte – nein. Hardcastle ist – ähnlich wie der fette Arthur Baker in den USA – zur Zeit der gefragteste „Remixer“ der Insel.
The Catch gaben ihre neue Single „Find The Love“ in seine Soundküche, Change vertraute auf seine Zauberkünste – und auch an der Stiff-EP mit Ian Dury-Klassikern durfte er rumfummeln.
„The success story of 1985“
schlagzeilte das Branchenmagazin „Music Week“ voreilig. Den Dämpfer teilte dann prompt der „Melody Maker“ mit der Frage aus, ob Hardcastle nicht vielleicht doch nur „this year’s Norman Greenbaum“ sei.
Die Antwort ist eindeutig! Paul hat nicht vor, als klassisches Ein-Hit-Wunder wieder in der Versenkung zu verschwinden. Die Followup-Single ist fertig, ein Album auch.
Paul ist allerbester Dinge.
Schauen wir uns an, worauf dieser Optimismus gegründet ist. Hardcastle gehört – obwohl viele das annehmen – nicht zu den Greenhorns der Popgilde. Im Gegenteil! Seine Biografie so far: Mit fünf Jahren zaghafte Trommelversuche; als Teenager kauft er sich von Erspartem einen Synthesizer und “ fabriziert ulkige Geräusche zu Platten, die im Radio laufen.“ Experimente mit zwei Cassetten-Decks; Mehrspur-Erfahrungen; Jobs, um die Miete zahlen zu können. Per Anzeige stößt er zu Direct Drive als Keyboarder. 1982, nach dem Exitus der Band, gründet er mit Sänger Derek Green First Light. Turntable-Hits en masse. Beinahe-Durchbrüche. Die Ausbeute: Fünf Maxis, darunter eine Tanzversion des America-Hits „A Horse With No Name“, die Instrumentals „AM“. „Daybreak“, desweiteren „Explain The Reasons“ (produziert von Steve Levme), „Wish You Were Here“ (produziert von Bob Carter), „Eat Your Heart Out“ und eine LP auf Metronome in Deutschland.
Im Herbst 1984 unterzeichnet Hardcastle bei Chrysalis, die mit Linx, David Gran!. Kevin Henry u.a. ihre Soul-Eleven auf dem Cool Tempo-Label versammeln. Die Adaption des D-Tram-Titels „You’re The One For Me“ schafft’s nur bis in die Dance-Charts. Dann kam „19“, der Erfolg – und Hardcastle, die graue Maus, war plötzlich „heißer als Chili con Carne“.
Das clever arrangierte Disco-Rap-Konglomerat – angereichert mit Soulstimmen, voluminösem Computer-Baß, simplen Keyboardmeiodien (die verdächtig nach Oldfields TUBULAR BELLS klingeln ) und sich überlagernden O-Ton-Geräuschen – erzählt von den psychischen Spätfolgen der damals durchschnittlich 19-jährigen US-Soldaten.
Ob unserem Paul im Glück mit einer tönenden Falkland-Operation ähnlicher Erfolg beschieden gewesen wäre, das bleibt – Hit sei Dank eine reine Vermutung.