Bruce Springsteen


The E Street Shuttle: Born To Run In The Darkness Of Nebraska River, USA. So könnte man das Programm dieser beiden kühlen Juni-Abende zusammenfassen. Wenn auch der E Street schon lange the wild und the innocent abhanden gekommen Ist, wenn auch die darkness nicht mehr in dichter Schwärze glänzt und aus dem river ein begradigter Strom ohne Biegungen geworden ist.

Nach einem Jahr US-Triumpf machte sich der Boß auf den Weg, den europäischen Rock’n’Roll-Gläubigen die Bibel zu bringen. Aus dem Land der Stars & Stripes war vorab gemeldet worden, daß er sich einen soliden Lebenswandel zugelegt habe, um der physischen Belastung von 31/2 Stunden Marathon-Show gewachsen zu sein.Vegetaro-Kost statt Junk Food, tägliches Jogging, Bodybuilding, um den schmächtigen Corpus zu stählen.

Das Tourmotto heißt „Born In The USA“ – und das wird ihn nicht gerade aus der Patriotenecke entlassen, in die er in der letzten Zeit von Kritikern gestellt wurde. Zwar hat er sich von dem Lob, das Boß Ronnie für Boß Springsteen spendete, auf offener Bühne distanziert; zwar hat er zur Bekräftigung gleich einer Gewerkschaft größere Summen gespendet, doch in Interviews entzieht sich Springsteen glibbrig wie ein Marshmallow jeglicher Festnagelung.

Immerhin, Spenden pflastern seinen Weg. In Frankfurt überreicht er der Altenhilfe (!) der Frankfurter Rundschau einen Scheck über 10.000 Dollar; in München und den anderen Tour-Städten ist es ähnlich. Aber auch fünfstellige Spenden sind kleine Fische gegen die siebenstellige Summe, die das Management pro Auftritt kassieren kann.

Massenveranstaltungen (mit 55.000 Zuschauern in Frankfurt resp. 40.000 in München) sind natürlich nicht erst seit gestern mehr als fragwürdig. Je nach Standort sind auf der Bühne nur mehr oder weniger kleine Pünktchen auszumachen. Zwei Pünktchen an den Keyboards: Danny Federici und Roy Bittan. Ein Pünktchen mit überdimensional großem Kopf und Gitarre: muß wohl Nils Lofgren sein. (Vermutlich hat sich Bruce den begnadeten Gitarrero auch deshalb als Ersatz für den abgesprungenen Miami Steve van Zandt geholt, weil er genau wie dieser eine Vorliebe für extravagante Käpples hegt). Das Pünktchen Im Drum-Park: Max Weinberg. Ein rotblondes Pünktchen: Backgroundsängerin Patti Scialfa. Ein ganz besonders fetter Punkt mit blitzendem Gerät: Saxofonist Clarence Clemons. Und der Mittelpunkt, wild mit der Gitarre gestikulierend: Das muß er sein, Bruuuce.

Lobenswertes Bonbon in Frankfurt: Ein Videomotor zoomt das Geschehen in Direktübertragung heran. Des Meisters Frisur sieht aus, als hätte er sich eine Aktionswochen-Dauerkrause zum Super-Sparpreis verpassen lassen. Die Bewegungen sind hölzern geübt, oft ungelenkig, kein bißchen geschmeidig. Eine amerikanische Journalistin schrieb kürzlich, er sei der beste Rocktänzer weit und breit. Die Dame muß Tomaten auf den Augen gehabt haben.

Für Springsteen gerät die Frankfurter Show zu einer Art Heimspiel, mindestens 50 Prozent der Zuschauer sind Amerikaner. Zwar hat Bruce den Alkoholausschank untersagt, doch sind schon vor dem Konzert die Schnapsleichen kaum zu zählen. Für 15 Fans endet das Open-Air unter einem Krankenhausdach.

Natürlich werden die obligatorischen Stars ’n‘ Stripes-Banners geschwenkt. Bei „My Home Town“, dem Song über „Maine Haalmattstadt, daine Haaimattstadt“, fallen sich heimwehleidende Amis in die Arme und tanzen. Während anfangs die Stimmung kurz vorm Umkippen ins Aggressive ist, schafft es Springsteen mehr und mehr, die geballte Ladung in positive Energie umzusetzen. Noch nie habe ich derart viele Leute gesehen, die sich umarmen. Am Schluß singt und tanzt die größte Fangemeinde, die das Waldstadion je gesehen hat.

In München hat der kleine Dunkle mit dem hochhackigen Schuh kein so leichtes Spiel. Trotz des vorabendlichen Soundchecks ist der Klang anfangs hundsmiserabel. Die Brauerei, an die das Olympiastadion vertraglich gebunden ist, ist stärker als Bruce; trotz Alkoholausschank gibt es dennoch keine Verletzten. Auf einen Videomonitor wird schnöde verzichtet. Die Erklärung, es sei aus technischen Gründen nicht möglich, wird von jedermann als Ausrede abgetan.

Im Gegensatz zur Frankfurter T-Shirt-Gesellschaft gibt sich hier reichlich Schickeria die Hand. Nicht viel sehen, aber gesehen werden, das ist das Motto oben auf der Haupttribüne, wo sich die Prominenz drängelt – von der Augenweide Whitney Houston bis zur Sub-Nase Mike Krüger, der klatscht, daß die Bauchschwarte schwabbelt.

Auch hier gibt es als Einstiegsdroge „Born In The USA“, kraftvoll, aber verschleppt und quäkig Im Sound. Dann gibt’s als breitwandige Magenfüller neun Songs vom letzten Album. „Glory Days“ leitet er mit folgenden Worten ein: „Thls is a song ‚bout gettin‘ old“, preist Clarence Clemons‘ 43-jährige „youthfull beauty“ und schwenkt über zu einer delikaten Story: „Als ich noch zur Schule ging, hab ich mich nur für zwei Dinge interessiert, Gitarrespielen und na, ihr wißt schon. Und die ganzen Jahre hab ich geübt und geübt. Auf der Gitarre hab ich es zu was gebracht. Ansonsten übe ich immer noch. Aber vielleicht bringe ich es dies Jahr zur Perfektion.“ In Frankfurt hatte er nur stolz verkündet, daß er jetzt verheiratet sei.

Nette Geschichten, aber nichts mehr von den schon legendären, atemlos herausgestoßenen „Erzählstunden“ der früheren Tourneen.

Eine Disco-Version von „Cover Me“ läßt es einem eiskalt den Rücken runterlaufen. Hallig knallend steigert sich der Song zu einem der Highlights, geht über in „Dancing In The Dark“. Springsteen tanzt einstudiert wie im Video.

Dann die Routine-Übung, zum 300. Mal In den letzten 12 Monaten : Bruce greift sich eine Auserwählte aus dem Publikum, tanzt mit Ihr, holt sie auf die zweite Bühnenerhöhung, tanzt, schleudert sie hoch, umarmt sie und befördert sie zurück ins Publikum.

Anders als in Frankfurt kommt in München „l’m On Fire“ sicher rüber, verhalten feurig gesungen. Als melancholische Würze werden zwei Nebraska-Songs aufgetischt: „Johnny 99“, von Springsteen allein nur zu Gitarre und Drums gesungen, und der Herzschmerz-Song „Atlantic City“. Auch die freiheitssehnsüchtige Gemüts-Nische kommt nicht zu kurz: Die Fans dürfen die „Thunder Road“ entlangbrausen. „Born To Run“ kommt in einer fiebrigen Fassung daher. Darkness ist in Gestalt von „Badlands“ und „Promised Land“ vertreten, leider beide musikalisch dünn. Der „River“ fließt wehmütig getragen dahin, Springsteen tut sich nicht gerade als Mundharmonika-Hero hervor. Eine knackige, knochentrocken rockende „Cadillac Ranch“ bringt den letzten Lahmarsch Im Publikum in Bewegung. Naschkatzen wird der Abend versüßt mit der Leihgabe an Patti Smith, dem fulminanten „Because The Night“, und einer zuckerwattesüßen, wenn auch liebenswert falsch gesungenen Ode an Elvis „Can’t Help Fallin‘ In Love“. Der „Devil Wlth The Blue Dress“ und „Rosaiita“ reiten in rasantem Galopp durch die Nacht. Und als letzter Zugabenausklang bringt eine süchtig machende Version von „Twist And Shout“ die Stimmung auf den Siedepunkt.

Die E Street Band erweist sich einmal mehr als solide Schwerstarbeiter-Gruppe, nicht mehr und nicht weniger. Wer spektakuläre Duelle erwartet, wird enttäuscht. Bruces Gesang ist fester, sicherer als früher, aber auch nicht mehr so nuancenreich emotionsgeschwängert. Dahin ist die manchmal abgrundtief gehende Sentimentalität; er ist längst kein Prisoner des Rock’n’Roll mehr, auch wenn er an diesem Abend mit diesem Begriff kokettiert. Aus dem heimatlosen Rocker, der Immer auf der Suche nach der Verwirklichung seiner Ideale war, ist ein durch und durch amerikanischer Rock-Entertainer geworden.