Die Wahlberlinerin sucht nach neuer Kargheit für ihren bislang so üppigen Indie-Pop.

Ineinander verwobene Frauenstimmen, die scheinbar schwerelos in die Höhe streben. So fein ziseliert und komplex strukturiert beginnt DAY FEVER, das vierte Album von Dear Reader. Doch das Glück aus Harmoniegesängen währt nur ein paar Sekunden, dann wird schnell klar: Cherilyn MacNeil hat sich entschieden, die Üppigkeit des Vorgängers RIVONIA vorerst zu den Akten zu legen zugunsten einer neuen, im Vergleich zu ihrem bisherigen Werk nahezu spartanischen Kargheit.

Dazu ist die in Berlin lebende Südafrikanerin nach San Francisco gereist und hat ihre Computer zurückgelassen, um unter der Ägide von John Vanderslice radikal analog aufzunehmen. Eine neue und, so sagt sie, ziemlich anstrengende Erfahrung, die aber dafür gesorgt hat, dass die Songstrukturen klarer zutage treten. Nun ist noch deutlicher zu erkennen, welch verzwickte Wege ihre Melodien bisweilen nehmen, wie ihre Stimme, die diesmal nicht digital vervielfältigt wurde wie noch 2013 auf RIVONIA, immer dann Reißaus nimmt, wenn der nächste Ton allzu logisch zu sein scheint.

Stattdessen steht schon mal ein einsamer Klavierakkord im Raum und darf in aller Ruhe nachhallen, setzen dann wieder Bläser einzelne, aber deutliche Akzente, eine Gitarre klimpert simpel. Die neue musikalische Schlichtheit findet ihre inhaltliche Entsprechung: Nach dem Konzeptalbum RIVONIA, das sich mit dem Kampf gegen die Apartheid in ihrer Heimat beschäftigte, kommt MacNeil mit DAY FEVER nun in Gegenwart und Alltag an. Es geht um Selbstzweifel und Drecksäcke, um Stress und Überforderung und immer wieder um Ängste. Es geht, so einfach ist es, um das Leben. Solange es aber solche Melodien hat, kann es kein ganz schlechtes sein.