Der Multi-Medien-Mix


Musik, Film, Fernsehen und Video setzen auf die konzertierte Aktion.

Sei es Stephanie, Samantha Fox oder die Fußball-Nationalelf, sei es Eddie Murphy, Prof. Brinkmann oder die Puppen von „Spitting Image‘ — noch nie trieben so viele (un)musikalische Gastarbeiter in den Hitparaden ihr Unwesen. Was auf den ersten Blick wie eine belanglose Randerscheinung wirkt, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als Spitze eines Eisberges, der in seinen Ausmaßen noch gar nicht absehbar ist: Die Unterhaltungsindustrien, bislang eher Konkurrenten als Partner, haben die Kooperation, das „Joint venture“ entdeckt. Musik, Film, Fernsehen, Video und auch Sport spinnen an einem feinmaschigen Netz, das auf einem ebenso einfachen wie uralten Strickmuster basiert: Eine Hand wäscht die andere.

Pop, so sagt uns das Wörterbuch, kommt von popular music. Wenn die Zeichen der Zeit nicht tauschen, so gerät die music dabei allerdings bald arg ins Hintertreffen. Anders gesagt: Popularität zählt, um in die Charts zu kommen; Musik spielt hier nur noch die zweite Geige.

Sportler, Filmstars, Fotomodelle und Prinzessinnen — sie alle sind ideale Kandidaten, um im Hitparaden-Rennen die Nase vorn zu haben. Schließlich haben sie ein Kapital, auf das der schlichte Musiker fast nie zurückgreifen kann: Popularität — und damit den freien Zutritt zu den Medien.

Extremstes Beispiel war in den letzten Wochen sicher der fürstliche Erfolg von Prinzessin Stephanie. „Bevor ich das Studio betrat, hatte ich nicht die leiseste Ahnung, daß ich überhaupt singen konnte“ sagte sie selbst in entwaffnender Bescheidenheit. Aber wer will denn hier schon päpstlicher als der Papst sein? Zum einen zaubert die moderne Studiotechnik selbst aus einer Gießkanne einen Caruso — zum anderen macht das Popularitäts-Plus musikalische Mängel spielend wett.

So richtig trauen wollen hiesige Plattenfirmen dem frischgelegten Kuckucksei aber noch nicht.

„Langfristige Repertoire-Pflege ist uns wichtiger als das Sammeln von Eintagsfliegen“, sagt Jochen Kraus, stellvertretender Geschäftsführer der Ariola. Andere Firmen ließen sich eher durch die finanziellen Forderungen abschrecken und gaben der Prinzessin nur zögernd einen Korb.

Musikverleger Günther Iigner, einer der alten Hasen im deutschen Popgeschäft, beschreibt den Vorgang wie folgt: „Obwohl es wohl allen Firmen in den Ungern juckte, ließen sie sich durch die teuren Konditionen abschrecken. Als die Teldec dann trotzdem den Mut bewies und Zugriff, habe ich den Atem angehalten. Eins steht fest: Geld verloren haben sie dabei sicher nicht. Das mußte ja ein Hit werden? Die Kids kennen die Prinzessin aus den Medien, können sich mit ihr identifizieren und kaufen folglich die Planen. Wen kümmert’s du, daß die Stephanie nicht die Bohne singen kann“ Wir sind in diesem Geschäft, um Platten zu verkaufen.“

Die Argumentation wird man in Zukunft wohl noch häufiger hören. Immer zahlreicher werden blinde Passagiere an Bord des Pop-Dampfers klettern, ob sie nun Samantha Fox heißen und als Busenwunder erste Schlagzeilen machten — oder aber Prof. Brinkmann mit Arbeitsplatz in der „Schwarzwaldklinik“.

Nach dem Klinik-Kollegen Jochen Schröder versucht nun nämlich auch Brinkmann-Darsteller Wussow seine TV-Popularität in musikalische Münze umzusetzen. Gleichgültig, wie er sich auf Vinyl verewigen wird: Die Einschaltquoten der populärsten deutschen Fernsehsendung garantieren ihm. daß seine ersten Gehversuche die ungeteilte Aufmerksamkeit der bundesdeutschen Medien finden werden.

Das Fernsehen scheint -— zumindest in Deutschland -— ohnehin das ideale Sprungbrett für musikalische Seitensprünge zu sein. Chris Norman, mit seiner „Midnight Lady“ wochenlang Spitzenreiter der deutschen Charts, verdankt den Erfolg vorwiegend der Tatsache, daß sein Song in einem Schimanski-„Tatort“ Premiere hatte. Hellhörig geworden, veröffentlichte die CBS nun gleich eine ganze LP mit Schimanski-Melodien. Frank Duval, Hauskomponist bei „Derrick“, praktiziert das gleiche Rezept schon seit geraumer Zeit mit beträchtlichem Erfolg.

Auf einen Paradiesvogel, der für eine musikalische Nebentätigkeit geradezu prädestiniert erscheint, wird man allerdings (vorerst) verzichten müssen: Gloria von Thurn und Taxis. „Natürlich haben wir“, so nochmals Günther ligner, „umgehend bei der Dame angeklopft. Und vermutlich waren wir nicht die einzigen. Aber die Gloria hat ein feines Gefühl dafür, was man in ihrer Situation machen kann und was nicht.

Klar, wenn wir die hätten, sind wir natürlich sofort im Fernsehen! Was bei unseren ’normalen‘ Sängern und Gruppen leider nur sehr begrenzt möglich ist, wäre bei Leuten wie der Gloria ein Kinderspiel: Das Fernsehen reißt uns solche Aas geradezu aus der Hand! Das ist doch das Schönste, was einem passieren kann.“

„Cross-Marketing“ oder „Cross-Promotion“ heißt die Zauberformel, die künftig bei der Vermarktung von Musik eine gewichtige Rolle spielen wird. „All die deutschen TV-Serien, die jetzt geplant und in ein, zwei Jahren ausgestrahlt werden“, glaubt CBS-Marketingchef Heinz Canibol zu wissen, „werden alle mit einem Soundtrack erscheinen. Die Musikindustrie versucht inzwischen frühzeitig, den Fuß in die Tür zu bekommen. Wir sagen den TV-Produzenten: ‚Okay, liebe Leute, warum nehmt Ihr nicht potentielle Hits statt anonymer Backgroundmusik? Wir bringen dann vor oder rechtzeitig zur Ausstrahlung den Soundtrack heraus und machen für Euch Promotion. Und wir können auch darüber reden, ob wir uns an der Finanzierung Eurer Fernsehserie beteiligen‘.“

Im Ausland funktioniert die Interessengemeinschaft von Musik und TV kaum weniger harmonisch: „Spitting Image“, die satirische Fernsehsendung aus England, machte mit dem „Chicken Song“ einen erfolgreichen Ausflug an die Spitzen der britischen Hitparade. In den USA entpuppte sich die TV-Serie „Miami Vice“ als sicherer Geburtshelfer für potentielle Hits.

„Miami Vice“, die Serie mit den smarten Koks-Bullen Don Johnson und Philip Michael Thomas (die nun im Dezember ’86 auch auf deutschen Bildschirmen erscheinen soll), demonstriert lehrbuchhaft die Verquickung der Medien, die in naher Zukunft auf der Tagesordnung stehen wird: Der Soundtrack als auch die Titelmelodie erreichten Platz 1 der amerikanischen Charts; Glenn Freys „You Belong To The City“, eigens für „Miami Vice“ geschrieben, belegte Platz 2. Namhafte Musiker, von Cyndi Lauper bis Frank Zappa, stehen Schlange, um eine kleine Nebenrolle zu ergattern — und ihre Songs auf den Bildschirm zu bringen. Nach Philip Michael Thomas versucht sich nun auch Don Johnson an einer eigenen LP. die — dank Mitwirkung von Willie Nelson und Stevie Wonder — zumindest in den USA für Furore sorgen sollte. Glenn Frey, der inzwischen für weitere Folgen verpflichtet wurde (als Songlieferant und Schauspieler), bringt das Verhältnis auf einen einfachen Nenner: „‚Miami Vice‘ und ich haben einander sehr geholfen. „

Die Schrittmacher-Funktion der Serie, die von Schnitt und Tempo stark an Videoclips erinnert, ist mittlerweile dermaßen ausgeprägt, daß man pro (wöchentlicher) Sendung mindestens einen (mehr oder minder großen) Hit einkalkuliert. Damit scheint das Fernsehen jenes Medium überholen zu wollen, das für das „Cross-Marketing“ die Weichen stellte: der Film.

Begonnen hatte alles, da sind sich die Insider einig, eigentlich erst so recht mit „Saturday Night Fever“. „Vor neun Jahren“, so schreibt die „New York Times“, „demonstrierte ,Saturday Night Fever‘ erstmals die ungeahnten Möglichkeiten des Cross-Marketings von Film und Musik. Man stellte erstaunt fest, daß man mit einer Klappe zwei Fliegen schlagen konnte. Ls war ein Marketing-Event mit Folgen: Seitdem ist der Stellenwert der Musik für den Film ein völlig anderer. „

Damals ahnte man noch nichts von der ungeheuren Durchschlagskraft der neuen Allianz. Das Hollywood-Studio, das „Saturday Night Fever“ produzierte, zeigte an dem begleitenden Soundtrack wenig Interesse. Boz Scaggs, dessen Song „Lowdown“ man auf den Soundtrack nehmen wollte, winkte indigniert ab. Die Entscheidung kostete ihn eine runde Million Dollar: Der Soundtrack zu „Saturday Night Fever“ wurde das finanziell ertragreichste Album aller Zeiten.

Die Lektion wurde schnell gelernt. In den folgenden Jahren schossen die „Joint ventures“ von Film und Musik wie Pilze aus dem Boden: Filme wie „Xanadu“, „Flashdance“, „Blues Brothers“, „Footloose“, „Ghostbusters“ und „Purple Rain“ erwiesen sich als Knüller an der Kinokasse; die begleitenden Soundtracks und Singles ließen die Dollars, Pfunde und Märker im Plattenladen rollen. Der Erfolg des einen Mediums potenzierte den Erfolg des anderen.

„Flashdance“ beispielsweise, mit einem Einspielergebnis von über 100 Millionen Dollar einer der erfolgreichsten Filme des Jahres 1983, kurbelte die Plattenumsätze so gewaltig an, daß am Ende 40 Prozent(!) der Gesamteinnahmen aus dem Musiksektor kamen. (35 Prozent wurden an den Kinokassen eingenommen, die restlichen 25 Prozent besorgte der Verkauf oder Verleih der Video-Cassette.) „Die Zeiten, in denen sich Erfolg oder Mißerfolg eines Films ausschließlich an der Kinokasse entschied“, so Chris Meier-Siem von der Hamburger Filmpromotion-Firma T&M, „sind längst vorbei

Obwohl es erstaunlich lange gedauert hat, bis auch in Deutschland der Groschen fiel. Als ‚Flashdance‘ hierzulande veröffentlicht wurde, wollte die deutsche Plattenfirma mir 5000 Exemplare des Soundtracks anpressen. Der Chef des deutschen Filmvereins überlegte gar, ob er den Titel ‚Flashdance‘ ändern sollte, da er ihm für deutsche Verhältnisse nicht zugkräftig erschien. Wenn heute ein neuer Film aus Amerika kommt, fragt der gleiche Verleih-Chef als erstes: ‚Wie sieht der Soundtrack aus? Was ist die Single?'“

Wie das Timing im optimalen Fall aussieht, beschreibt Ekki Ziedrich von dem deutschen Filmverleih Senator: „Vier Monate vor Filmstart kommt der Soundtrack raus, der dann -— so Gott will —- vier Wochen vorher eine Single in die Charts bringt. Wenn dann endlich der Film kommt, hat man die beste Vor-Promotion, die man sich denken kann, und obendrein erhebliche Kosten gespart. Der Film wiederum, wenn er erfolgreich ist, gibt der Musik einen erneuten Push. ‚Feuer und Eis‘, der Bogner-Film mit der Musik von Harald Faltermeier, war dafür ein klassisches Beispiel: Da haben sich doch Musik und Film gegenseitig unglaublich hochgeschaukelt.“

Die so überaus fruchtbare Partnerschaft hat inzwischen sogar einen neuen Job kreiert. „Alle großen Musik-Konzerne“, so CBS-Mann Canibol, „haben inzwischen einen Kontaktmann in Hollywood. Im Frühstadium einer Filmproduktion werden da die Fäden gezogen und Crossover-Deals gemacht — lange bevor der Konsument überhaupt von dem Projekt etwas hört. Wie solche Details im einzelnen aussehen, wird nicht gerade ausgeplaudert. Es ist aber nicht so, daß da immense Vorauszahlungen seitens der Musikindustrie geleistet werden. Die Deals basieren auf einer Prozentbasis, d. h. wenn die Songs Hits werden und den Film mitziehen, profitieren beide Partner davon; wenn nicht, haben sie eben beide Pech gehabt und tragen zu gleichen Teilen das Risiko.“

Der Mann in Hollywood wird in absehbarer Zukunft jedenfalls alle Hände voll zu tun haben. Eine wahre Flut von „Joint ventures“ steht für die nächsten Monate auf dem Programm:

– „Ruthless People“ mit Bette Midier in der Hauptrolle und einem Soundtrack, auf dem u.a. Mick Jagger, Billy Joel, Bruce Springsteen und Paul Young vertreten sind;

– „Labyrinth“ mit David Bowie als Schauspieler und Songlieferant:

der neue Prince-Film „Under The Cherry Moon“, für den Prince auch selbst die Regie übernahm;

– „At Close Range“ mit Sean Penn und der Musik von Penn-Gattin Madonna; – „True Stories“, geschrieben und produziert von David Byrne, der mit seinen Talking Heads auch selbst den Soundtrack bestreitet;

– „Good To Go“ mit Art Garfunkel in der Hauptrolle und der Go Go-Musik diverser Bands aus Washington D.C.;

– „The Wind, The Rose & The Bullet“ von den Ex-10cc-Musikern Godley & Creme, die nach ihren erfolgreichen Videos nun erstmals in einem Spielfilm Regie führen;

– David Lee Roth, der mit seinem 10 Millionen Dollar-Projekt „Crazv From The Heat“ allerdings momentan noch mit erheblichen Finanzierungs-Problemen zu kämpfen hat.

– eine noch unbetitelte Filmkomödie mit Phil Collins, die im Stile der frühen Beatles-Filme von Richard Lester das Leben eines tourenden Rockstars persifliert.

Die Liste ließe sich beliebig verlängern. Jonathan Demme, Regisseur des Talking Heads-Films „Stop Making Sense“, bringt das fast schon krankhafte Kooperationsstreben auf einen einfachen Nenner: „Für einen Superstar wie Madonna oder Springsteen würden die Hollywood-Studios nicht nur den roten Teppich ausrollen; sie würden sich geradezu auf den Kopf stellen und ihnen alle nur erdenklichen Wünsche erfüllen -— nur um sich den Glanz ihrer Namen sichern zu können.“

Auf Bruce Springsteen, den zur Zeit wohl hofiertesten Kandidaten der neuen Multi-Medien-Industrie, wird Hollywood allerdings vorerst verzichten müssen. „Laufend klingelt das Telefon“, berichtet Springsteens Publizist Barbara Carr, „ständig flattern neue Filmscripts ins Haus. Ich lasse sie einige Wochen auf meinem Schreibtisch liegen, schicke sie zurück oder werfe sie in den Papierkorb. Bruce liest sie ohnehin nicht. Für ihn ist eine Karriere im Film kein Thema. Das steht für ihn außerhalb jeder Diskussion. „

Immerhin ließ er sich nach unzähligen Absagen dazu breitschlagen, erstmals Musik für einen Soundtrack zu schreiben. In Paul Schraders neuem Film Just Around The Corner To The Light Of Day“ wird man im Vorspann lesen können: „Title song written especially for the film by Bruce Springsteen“. Hollywood kann also vielleicht doch noch hoffen.

Auch wenn es hier seinen Ursprung hat, so ist das Phänomen des Cross-Marketings doch keineswegs nur auf die amerikanische Traumfabrik beschränkt. Gedealt wird überall und mit wachsender Begeisterung.

Jüngstes Beispiel, diesmal aus London, ist Julien Temples Musical „Absolute Beginners“. Gemeinsam finanziert von Goldcrest und Virgin Records, wäre ein Erfolg des Filmes ohne die tatkräftige Unterstützung der Musikindustrie völlig undenkbar. Eine Thematik, die außerhalb Englands kaum interessiert, obendrein zwei unbekannte und blasse Schauspieler in den Hauptrollen — alles andere als eine vielversprechende Ausgangsposition für einen Kino-Knüller.

Durch die Mitwirkung einer zugkräftigen Musiker-Riege, allen voran David Bowie und Sade, änderte sich das Bild schlagartig. Mit dem Titelsong landete Bowie selbst nicht nur seine erfolgreichste Single seit einigen Jahren, sondern brachte auch eine gigantische Vor-Promotion für den Film ins Rollen.

Schon bevor die erste Filmklappe fiel, war „Absolute Beginners“ in den Jugend-Medien und der Musikindustrie ein Thema, bei dem jedermann mitreden wollte. Al Clark, Virgin-Direktor und Co-Produzent von „Absolute Beginners'“ beschreibt den Mechanismus wie folgt: „Ein Film wie ,Absoluie Beginners‘ kann nur dann die hochgesteckten Erwartungen erfüllen, wenn jeder der potentiellen Kinogänger von dem Film gehört hat und neugierig gemacht wurde. Dieses Ziel wurde auf einer breiten Basis erst erreicht, als Bowies Single in die Charts schoß.“

Virgin veröffentlichte den Soundtrack als LP, dann auch als Doppel-LP und kann bei der Auskoppelung von potentiellen Hitsingles aus dem

Vollen schöpfen; nach Bowie und Sade erhielten zunächst Style Council und Ray Davics den Zuschlag. Daß diese Singles von entsprechenden Videoclips begleitet wurden, und daß diese Clips Ausschnitte aus dem Film beinhalteten, versteht sich heute schon von selbst.

Dabei ist das Musikvideo eigentlich der jüngste Partner im Multi-Medien-Mix. Erst seit „Flashdance“ (und der gleichzeitigen Etablierung von Musikvideo-TV-Stationen wie MW in Amerika) hat man den PR-Effekt von Musikvideos kennen und schätzen gelernt. „‚Flashdance'“, so Chris Meier-Siem, “ war wohl der erste Film, den man exzessiv für die Musikvideos geplündert hat. Für jede Single vom Soundtrack gab es passende Filmausschnitte. So kann man auch ohne hohe Kosten ein Musikvideo herstellen, das absolut professionell gemacht ist.“

Die Senkung der Kosten ist dabei allerdings kaum mehr als ein erfreulicher Nebeneffekt. Weitaus wichtiger ist die Tatsache, daß man mit dem Musikvideo die junge Zielgruppe erreicht, ohne Streuverlust und ohne ziellos Werbe-Millionen aus dem Fenster zu werfen, deren Effektivität obendrein noch höchst fragwürdig ist. „Das „Musikvideo“, so schreibt der englische „Guardian“, „ist der Trauzeuge bei der Hochzeit von Hollywood und Hitparade.“

Der Junior-Partner bei dieser Elefanten-Hochzeit hat allerdings momentan wenig zu lachen und muß im Ehebett mit der unbequemen Ritze vorlieb nehmen. Für die Filmindustrie ist das Musikvideo ein Vehikel, das man bedenkenlos für die eigenen Ziele einspannt. Immer häufiger ist zu beobachten, daß die eingeschnittenen Filmsequenzen mit der Musik keinerlei dramaturgische Einheit bilden.

„Nehmen wir als jüngstes Beispiel ‚Auf der Jagd nach dem Juwel vom Nil'“, meint Ekki Ziedrich: „Da wird dann ein Musikvideo gemacht, in dem Michael Douglas und die anderen Hauptdarsteller selbst singen (oder zumindest so tun) — – nur um gewaltsam die Beziehung zum Film herzustellen. An diesem Punkt wird es dann lächerlich. „

Chris Meier-Siem sieht da am Horizont schon erste Verfallserscheinungen: „Wenn die Musik ein Fremdkörper im Film ist oder auch umgekehrt, dann kann das sehr schnell nach hinten losgehen. Dann wird der Zuschauer irgendwann feststellen, daß er geneppt und hinters Licht geführt wurde —- und daß der Song überhaupt nichts mit dem Film zu tun hat.“

Nicht nur die Identität des Musikvideos steht hier auf dem Spiel. Der exzessive Gebrauch (oder sagen wir Mißbrauch) des Cross-Marketings unterminiert vollends das, was von der Glaubwürdigkeit der einst so rebellischen Rockmusik noch übriggeblieben ist. Jeder will auf den Zug aufspringen, jeder will sich via Musik seine Bresche in den Jugendmarkt schlagen. Ob das nun die Autofirma Chrysler ist (die Bruce Springsteen 12 Millionen Dollar für einige Werbespots anbot), ob das Levis Jeans sind (die mit ihren „501 Jeans“-Spots Sam Cooke und Marvin Gaye zu einer späten Renaissance verhalfen), ob das Pepsi Cola ist (die gerade 10 Millionen Dollar für drei Werbespots an Michael Jackson überwiesen) — alle wollen mit ins Boot.

Daß die Millionen gut angelegt sind, daran hat etwa Pepsi-Präsident Roger Enrico nicht die leisesten Zweifel. Obwohl sich die Kosten der gesamten Kampagne (inklusive aller Werbemittel) an die 50(!) Millionen Dollar belaufen, „bin ich mir sicher, daß sich diese Investition, so gewaltig sie auch sein maq, inner den Strich für uns auszahlt.“

Andere Industriezweige sehen es ähnlich, zumindest jene Branchen, die sich vorwiegend im Jugendmarkt etabliert haben — allen voran die Sportindustrie. Hersteller wie Adidas und Puma haben es sich schon seit Jahren zur Aufgabe gemacht, jeden halbwegs prominenten Popstar vom Scheitel bis zur Sohle einzukleiden. Der Multiplikator Fernsehen tut dann schon das seine, um die Produkte dem jungen Zielpublikum nahezubringen.

Singende Sportler tragen ihr Scherflein dazu bei, die Wahlverwandtschaft zu vertiefen. Und Olympia-Songs wie Moroders „Reach Out For The Medal“. durch das Fernsehen als Erkennungsmelodie millionenfach verbreitet, werden bei ähnlichen Großveranstaltungen künftig auf der Tagesordnung stehen. Wen nimmt es da noch Wunder, wenn in diesen Tagen in den USA eine lizensierte Sportschuh-Serie der Marke „Miami Vice“ in den Handel kommen wird …

„Ob man einen Politiker vermarktet oder einen Film: Wenn die Zielgruppe irgendwo zwischen 11 und 40 Jahren liegt, gibt es heutzutage kein besseres Marketing-Werkzeug als die Popmusik — möglichst natürlich eine Hitsingle“, bemerkt der „Guardian“ trocken.

In der Tat: Die neu geschaffenen „Joint ventures“ und Crossover-Deals eröffnen für die Marketing-Strategen ein Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Weniger warm ums Herz wird’s wohl denjenigen werden, die noch immer blauäugig an die Integrität der Musik und ihren Stellenwert für die Jugend glauben.

„Die neuen Vermarktungsmöglichkeiten“, sagt Danny Goldberg, Produzent von „Miami Vice“, „werden einen völlig neuen Typus der Rockmusik produzieren, einen Bastard. Wenn ich mir vorstelle, daß Bryan Ferry einmal die Titelmelodie des ‚Denver Clans‘ singt … eine absurde und grauenhafte Vorstellung.“