Queen auf Tour
Für die Königstreuen war's musikalisch die Krönung; für den Hofstaat, der die Zeremonie auszurichten hatte, war's eine fürstliche Plackerei. Da Ihre Majestät Luxus und Exklusivität über alles lieben, mußten die Domestiken flitzen wie noch nie. Denn die Köpfe rollen hier schneller als weiland am Hofe Heinrich des Achten. Teddy Hoersch mischte sich todesmutig unters Gesinde.
Mit ihr kommt man überall rein. Nicht, weil die hohen Pömps ihr lange Beine machen, nicht weil sie ihren nackten Po zeigt. Nein! Die Dame steckt -— flach wie ’ne Flunder, bunt umrahmt und in Plastik eingeschweißt —- im offiziellen Queen-Tourpaß. Wer dieses Ding — natürlich größer als die normalen Bühnenpässe und mit dem Aufdruck „Staff“ (Personal) — um den Hals baumeln hat, gehört dazu. Und nur, wer diesen Sesam-Öffne-Dich besitzt, kann unbehelligt die immer enger gestaffelten Ordnerreihen passieren, um schließlich bis zum Allerheiligsten vorzudringen: dem Backstage-Bereich von Queen.
Was gekrönten Häuptern, Diplomaten und Politikern recht, ist unseren geliebten Stars nur billig. Lange bevor sie auf der Bühne stehen, um ihr Fanvolk zu unterhalten, wird hinter den Kulissen festgelegt, wer wohin darf, wann wer ankommt, wie was abläuft, welche Getränke in den Garderoben zu stehen, wieviel Handtücher bereitzuliegen haben, usw. usf.
Aber das ist nur die Spitze des Eisbergs. Ehe sich nämlich Freddy und Co. in Berlin, Mannheim oder Köln einfinden, haben deutsche Veranstalter meterweise Telexanfragen an englische Agenten rausgeschickt, haben die Agenten beim Management angefragt, haben sieh örtliche Promoter um freie Termine bemüht, Sponsoren für oder gegen eine Kooperation entschieden, Drucker Plakate
gedruckt, Manager über die Größe der Schrift, die Reihenfolge der Nennung, die Tournee-Generäle über die passende Zusammenstellung der Interpreten, das sogenannte „Billing“, diskutiert…
Die wenigsten ahnen etwas von der protokollarischen Strenge, die hinter der Bühne herrscht. Das oberste Gebot ist so einfach wie einleuchtend und lautet: Haltet die Musiker bei Laune. Wehe dem Tourmanager, wenn ein Unbefugter in die Garderobe von Queen-Diva Freddie stürmt. Wehe dem armen Ordner, der diesen Unglückseligen durchgelassen hat. Schmach und Schande über den, der gegen Hackordnung und Hierarchie im Backstage-Bereich meutert.
In Paris, wo Queen am 14. Juni mit Marillion und Level 42 das dritte Konzert ihrer Europatournee gaben, ist so ein mittelschweres Malheur passiert: Ein mutiger Radioreporter, überdrüssig des langen Wartens auf eine kurze Audienz bei Freddie, öffnete die Tür und ging schnurstracks auf den Oberchampion zu. Das sich anbahnende Unglück konnte gerade noch vereitelt werden. Das Interview fand nicht statt.
Und das ist die zweite Lektion, die der Zaungast lernen muß: Habe Geduld! Fritz Rau, „Buchhalter der Träume“ und zusammen mit Peter Rieger Impresario der deutschen Open airs ’86 mit Queen, Marillion, Level 42, Gary Moore und Craaft, weiß das. Aus Erfahrung, wie er, mit Hinweis auf die Uhr, die ihm einst Marlene Dietrich schenkte, immer wieder betont. Wenn Grünschnäbel ihm zu widersprechen wagen, schleudert er —- wie einst Göttervater Zeus —- Donnerkeile auf die frechen Eindringlinge -— Wortgewitter im hessischen Tonfall, verbale Keulenschläge, bei denen selbst Hartgesottene sich ducken.
Rau ist rau(h), aber herzlich. Man kann dem als „Ayatollah Choleri“ verschrieenen Koloß viel nachsagen — nur eins nicht, daß es ihm an Persönlichkeit mangelt. Er ist eine imposante Erscheinung. Raumfüllend. Er hat — wie alle, die in dieser Branche erfolgreich sind — einen Schuß Wahnsinn. Mit seinen 56 ist der alte Fritz ein echter Konzert-König -— junger, wendiger, aggressiver, spritziger als die meisten seiner Zunft.
Nach Paris gab’s eine Besprechung, Rau lief auf und ab und tobte. Das Ende vom Lied: Bis zu dem Zeitpunkt, wo Queen das Hotel verlassen und die einzelnen Musiker in ihre vier Limousinen steigen, geht’s hinter der Bühne locker und easy zu. Aber wenn die Königin erscheint, hat sie die absolute Backstage-Hoheit. Dann hat, schlechte Laune bei Freddie vorausgesetzt, die Area clean zu sein. Kein Paß hat mehr Gültigkeit.
Keine Rumhänger, keine Freundinnen, keine falschen V.I.P.s.
In Mannheim hatte Freddie gute Laune. Die Veranstalter auch: 70000 hatten sich auf dem Maimarktgelände eingefunden. Tagsüber — während das Publikum bei schwülen Temperaturen und heißer Musik schwitzte — blieben Queen im klimatisierten Interconti der hessischen Landeshauptstadt. Headliner muß man sein! Dann kann man nach Sonnenuntergang auf die Bühne. Dann kann man den letzten Teil der Show sogar mit der eigenen Lightshow illuminieren.
Unschöne Zwischenfälle a la Paris gab’s weder vorher noch nachher. Leutselig liefen John Deacon und Brian May auf dem Gelände herum, verteilten Grußworte und ließen sich manchmal sogar auf ein Schwätzchen ein. Nur Freddie, das scheue Reh, blieb unsichtbar. Er hielt sich im Queen-Areal auf — durch übermannshohe Bastzäune vor neugierigen Blicken geschützt, von dem schwergewichtigen Zerberus am schmalen Eingang bewacht. Ohne die Nackte im Paß ging da gar nichts: Ein Paria, wer draußen bleiben muß, ein V.I.P., wer rein darf.
An einem Tisch speisen hier die Herren nach getaner Arbeit -— die Corona der Auserlesenen um sie herumdrapiert: Manager, Berater, Pausenclowns, Zeremonienmeister, Girls. In ihrer Nähe wird man zum Samurai, zum Diener. Pfauengehabe von Subalternen ist hier eine Majestätsbeleidigung.
Regelrechte Unterwürfigkeit ist aber auch nicht gefragt. Irgendwie sollte man auffallen, um den Queen-Musikern zu gefallen. Mädchen haben’s da bei ansprechendem Äußeren relativ leicht. In einem Fall gilt das auch für Jungs. Aber lassen wir das!
Schwieriger wird’s schon, wenn man über keine gottgegebenen Tugenden verfügt. Dann braucht es einen um Scherze nie verlegenen Mutterwitz wie bei Bandbegleiter Chris oder die Würde eines erlebnisreichen Lebens wie bei Queen-Repräsentant Mike Scheller.
In Mannheim quälte sich derweil der Verkehr über die Straßen. In der „Hölle des Nordens“ schlug, von Fußballfan Fritz Rau am Fernsehschirm einer leeren Garderobe beobachtet, des Kaisers Elf die mexikanischen Gastgeber mit 4:1. Fünf Tage später fiel die 2:1 -Entscheidung für die Veranstalter: 22.000 Besucher auch in der Berliner Waldbühne. In der ehemaligen Reichshauptstadt gab’s, weil Wochentag, nur das kleine Programm: Craaft als Opener, Marillion und dann Queen.
Anders als in Mannheim, wo es zu einem denkwürdigen Zugabenduett von Fish ’n“ Freddie nebst gemeinsamer Tanzeinlage kam, blieben die Bands hier unter sich. Marillion kam gut an, Queen besser. Freddie ließ coram publico verlauten, daß Trennungsgerüchte eben nur Trennungsgerüchte seien und die Rockkönigin zusammenbleibe.
Mercury genoß ganz offensichtlich das Bad in der Menge und schwamm auf den Wogen der Begeisterung der neuerlichen Krönungszeremonie entgegen. Zum Finale kommt Freddie mit den Kopien britischer Königsinsignien, dem Purpurmantel und der Krone, auf die Bühne und setzt sich — wunderbar kitschig — das güldene Ding aufs Haupt.
Hinterher traf man sich in einem italienischen Restaurant zu Pasta und Wein. In der gastlichen Stätte, der Zufall wollte es, stand auch ein altes Tretharmonium. Der Abend war mild, Türen und Fenster standen auf — und nachdem der Hunger gestillt war, erklangen die ersten Lieder. Songs, die man aus „Cabaret“ oder den Kurven der Fußballstadien kennt: „It’s A Long Way To Tipperary“, „Money Makes The World Go Round“. „If You Cound See Her Through My Eyes“.
Ich glaube, es war bei dem alten Weavers-Titel „Good Night Ireen, I See You In My Dream“, als die Damen aus dem gegenüberliegenden Laden ihre Köpfe durch die offene Tür streckten, Stripperinnen aus einem Stripschuppen. Wo gehören die hin? Auf die Tische natürlich — tanzend. Abwechselnd bedient die Queen-Musici das Harmonium, wieder kam’s zur gesanglichen Kooperative zwischen dem geladenen Fish und dem Gastgeber Freddie, die sich übrigens blendend verstanden. Drei Stunden lang ward kein einziger Rocksong gehört. Berlin tut gut.
München auch! Die Isarmetropole ist ja bekanntlich so etwas wie die zweite Heimat des britischen Quartetts. Mercury hatte hier nicht nur ein Apartment, sondern auch eine inzwischen abgekühlte „Liaison“ mit der Valentin. Kein Wunder, daß — trotz WM-Finale in Mexiko — tout München zu den Konzerten in der Olympiahalle erschien —- die Cast von „Chorous Line“, die Schauspieler John Hurt und Greg Russell, hübsche Mädels und reiche Männer…
Vielleicht war es eine Hommage an die Kicker: Queen und Gefolge wählten zur Apre’s-Show ein mexikanisches Restaurant. Und was die Fifa verboten hat — den Hemdentausch — betrieben John, Brian, Roger, Freddie und Freunde so oft, bis der eine oder andere wieder sein eigenes Hemd anhatte. Schlagzeuger Roger hatte vergessen, daß sein Fahrer —- stadtkundig! -— die Fuhre zum Hotel zu einer Sightseeing-Tour ausdehnte. Bassist John Deacon hatte vergessen, daß Tourfotograf Denis draufhielt, als sein Bademantel vorne auseinanderklaffte. Mike Scheller hatte vergessen, daß er Mike Scheller heißt.
Das war nach der Party, morgens früh um fünf —- und schuld hatte eine Dame. Sie heißt „Würgeengel“ und ist ein roter, hochprozentiger Drink. In ihrer Begleitung vergißt selbst eine Königin dann und wann die Strenge des Protokolls —- und der Reporter das Ende der Geschichte …