Der grosse Klare
Er hat das Herz am richtigen Fleck. Mit klarem Blick und aufrechtem Gang wandert Jackson Browne unbeirrt durch die Niederungen des Rock ’n‘ Roll-Babylons. Ein weinerlicher Weltverbesserer will er trotzdem nicht sein. Sagt er jedenfalls Teddy Hoersch.
Der kann ja tatsächlich lachen?! Richtig herzhaft, ausgiebig und lauthals lachen — vor allem über das Vorurteil, mit dem man ihm immer wieder kommt. Er sei der Dunkelmann aus dem Hades seiner eigenen Innerlichkeit, der leidgeplagte Barde, der unter dem Gewicht der Welt ächze, der sensible Prinz Eisenherz, der seine Zerrissenheit in schöne Verse faßt. „Ob du’s glaubst oder nicht — ich hatte meistens meinen Spaß bei der Sache. Songs wie ‚Walking Slow‘, ,The Road In The Sky‘ ‚Redneck Friend‘ —- war das etwa kein Spaß? Auch wenn ich auf Tour war, hatte ich eine großartige Zeit. Es tut mir leid, wenn ich bei allen den Eindruck hinterließ, als würde ich immer nur mit der Nase über dem Boden herumlaufen. Sicher, meistens habe ich über das gesprochen oder geschrieben, was mich unglücklich machte, aber ich selbst hatte keine chronischen Depressionen.“
Diese bizarre Behauptung —- so unwahrscheinlich sie manchem Browne-Freund erscheinen mag —- wird durch sein letztes Album LIVES IN BALANCE noch bestätigt. Anstelle selbstverliebter Innenschau geht der aufgeklärte Bürger Browne mit Amerika ins Gericht, klopft alte Ideale auf ihre Substanz ab, bindet das Private ans Politische und entdeckt, daß die Welt ganz offensichtlich auch jenseits seiner Nasenspitze weitergeht.
Sich nach außen zu orientieren, kann auch und im besonderen für Musiker gefährlich sein. Prominentestes Opfer böswilliger Fehlinterpretation ist Bruce Springsteen, dessen Lied „Born In The USA“ von den Republikanern und Ronald Reagan als geistiges Eigentum annektiert wurde. Sicherlich fällt es manchmal schwer zu unterscheiden, ob es sich um eine Hymne des „new patriotism“ oder um Kritik am Reagan-Amerika handelt.
„Ich glaube nicht, daß man im Fall von ,For America‘ zu der Fehleinschätzung kommt, ich sei ein rückhaltloser Patriot. Wenn es dort heißt “ I prayed for America / I was made for America‘, dann soll das noch lange, nicht heißen, daß ich Gottes Geschenk an die Vereinigten Staaten bin. Es bedeutet vielmehr, daß ich mich noch an Zeiten erinnern kann, wo man in unserem Land im Bewußtsein gewisser Ideale erzogen wurde.
Es ist schon ein derber Schock, wenn man erkennt, daß Begriffe wie Selbstbestimmung, Gerechtigkeit und — vor allem — Freiheit noch gebraucht werden, aber im Grunde doch wenig bedeuten. Hat man z.B. das unfreiwillige Opfer der unfreiwilligen Vietnam-Kämpfer in der Heimat honoriert? Nein!
Erst langsam begreift man bei uns, daß nicht immer alles so gelaufen ist, wie es laufen sollte. Und wenn ich ‚For America‘ singe, dann ist die darin enthaltene Kritik vielleicht die ehrlichste Form von Patriotismus. Also bin ich fest davon überzeugt, daß Reagan von meinem Song die Finger läßt …“
Mehr noch: Bei all dem, was Browne in den letzten Jahren auf musikalischer und politischer Ebene getan hat, darf man mutmaßen, daß der Geheimdienst längst eine dicke Akte über ihn angelegt hat. Abgesehen von seinen Aktivitäten als MUSE (Musicians unit for safe energy)-lnitiator, wird dort vermerkt sein, daß er sich für Nicaragua, für die sogenannte Sanctuary-Bewegung, für das „Sun City“-Projekt und Greenpeace stark macht.
Die Motive für sein politisches Handeln sind —- wie konnte es bei ihm anders sein —- persönlicher Natur.
„Die Vorstellung, daß man mein Leben stört, mir meinen Spaß verdirbt — das hat mich politisiert. Man braucht sich nur vor Augen zu halten, daß die Industrie unseren Lebensraum kaputt macht —- no fun! Man braucht nur zu denken, daß man Krebs kriegt, weil nachts um vier ein Laster an deinem Haus vorbeifährt und alles radioaktiv belastet -— no fun! Nicht ich habe mich entschieden, politisch zu werden, das Leben wurde politisch.“
Browne hat sich äußerlich kaum verändert. Der 37jährige Kalifornier bevorzugt den Mister-Normal-Look des guten Amerikaners: Jeans, T-Shirt, Turnschuhe. Da sind die dunklen Augen, deren trauerumflorter Blick so manche Damen schwach machte, das jungenhafte Sich-durch-die-Haare-Streichen, der etwas gestutzte und längst zum Markenzeichen gewordene Prinz-Eisenherz-Topfschnitt.
Die Daten seiner Karriere dürften auch bekannt sein: geboren in Heidelberg, Vater Journalist und Hobby-Musikant, Jugend in Los Angeles, Folk-Entertainer in Coffeehauses, Jung-Hippie in New York, Begleiter der Velvet-Underground-Chanteuse Nico,für die er auch einige Songs verfaßt. Co-Autor des ersten Eagles-Hits „Take It Easy“, spätes Debüt 1972, Selbsttod seiner Frau Phyliis 1976, Produzent von Warren Zevon. Greg Copeland und David Lindlev, heiratet 1982 eine Australierin, zur Zeit liiert mit der Schauspielerin Daryl Hannah. Kreatives Resultat nach 14 Jahren: acht Alben. Das ist nicht gerade viel, aber man weiß ja: Nicht Masse, sondern Klasse macht’s.
Aber als Browne 1982 unter dem Motto „Eine Legende geht auf Reisen“ die langerwartete Europatournee absolvierte, mußte er sich von Kritikerseite die freche Frage gefallen lassen, „was denn eigentlich die vielbeschworene Faszination dieses Folk-Rock-Poeten ausmacht“. Nach dem „Rockpalast“-Auftritt im März dieses Jahres und der neuerlich anstehenden BRD-Tournee darf man sich diese Frage ruhig noch einmal stellen.
Nur — wie geschehen — die „Summe des Mittelmaßes“ zu ziehen, wäre wohl ungerecht. Für den Kalifornier muß man eine Ader haben. Sein Gitarrenspiel ist auch nach 20 Jahren nicht viel mehr als „Begleitung“. „Ich weiß, es hört sich nicht so an, als würde ich schon solange spielen.“ Seine klagende Stimme hat nicht die Schärfe vergleichbarer Sänger; sein Songmaterial erregt kaum Aufsehen, die erotische Kernkraft anderer Performer fehlt ihm auf der Bühne … Und doch! Da ist etwas! Meistens in den Texten, die er selbst für so „kaihanisch und persönlich“ hält, daß er manche auch nach Jahren nicht mehr spielen mag.
Aber gerade das scheint seinen Hörern zu gefallen, daß er aus seiner Verletzlichkeit keinen Hehl, daß er ohne vordergrundige Showeffekte zu nutzen, seine Schwächen öffentlich macht und selbst das Hochpersönliche nicht durch Gemeinplätze zukleistert. Jacksons textliche Offenbarungseide dienten den sensiblen Fans als Blaupause für die eigenen Gefühle.
Jacksons Trauerarbeit nimmt viel Zeit in Anspruch. „Ich bin ein langsamer Arbeiter. Ich muß alles selbst entdecken, um es anzuwenden. Bei den Texten versuche ich so präzise wie eben möglich zu sein, denn es geht ja ganz einfach darum, etwas Erlebtes in Worte zu fassen. Aber auch in puncio Studiotechnik oder Songwriting bin ich nicht der Schnellste. Meistens wehre ich mich dagegen, einen teuren Produzenten anzuheuern, weil ich meine Sache selbst kontrollieren will.
Dabei passiert es dann, daß ich eine Strophe schreibe und dann hängenbleibe und der Songentwurf ein halbes Jahr herumliegt. Oder daß ich bis vor kurzem dachte, man könnte bei langsamen Balladen kein wirklich lautes Schlagzeug verwenden. Ich hatte eine regelrechte Aversion dagegen. Bis mir Springsteens Produzent John Landau gezeigt hat, daß man auch für Slowtempo-Songs eine laute und akzentreiche Schlagzeugspur aufnehmen kann, um sie später bei der Mischung ins richtige Verhältnis zur Stimme und den anderen Instrumenten zu bringen. „
Auf LIVES IN BALANCE hat er — vorsichtig wie es seine Art ist — südamerikanische Folklore und die Möglichkeiten moderner Computer-Technologie in sein bewährtes Konzept integriert. Neu ist das alles nicht, aber Mainstream bekommt unter seiner Führung etwas seltsam Klassisches: bittere Textpillen auf Browne Sugar.