Ein Dj in der Hitparade


Hinter den nichtssagenden Bandnamen OFF ("Electrica Salsa") und 16 Bit ("Where Are You") steckt ein und derselbe kreative Kopf: Michael Münzing, früher Discjokkey in Frankfurts Monster-Disco Dorian Gray. Gunter L. Hilbig traf einen Mann, der weiß, was das Volk hören will.

Da ist nichts von der Wohnklo-Atmosphäre dieser holzpanellierten Hinterhofstudios, deren stickige Luft und ewige Dunkelheit jeden Gewerkschafter in Rage versetzen würde. Nein, die Offenbacher Master Studios sind nobel, weitläufig, von Tageslicht durchflutet und erfüllt vom sauberen, erfrischenden Duft einer positiven Welt, die erst einen kreativen Geist ermöglicht.

Michael Münzing ist von ihm durchdrungen, dem kreativen Geist. Er bescherte ihm den großen Wurf: zwei Projekte (OFF und 16 Bit), zwei Platten („Electrica Salsa“ und „Where Are You“) und auch gleich zwei Hits (Platz 3 und Platz 17 in Deutschland) auf einen Streich. Das alles ohne Rundfunk, ohne Fernsehen, ohne Promotion. Nicht schlecht für einen Newcomer.

Aber halt. Wer da glaubt, Erfolg kommt von alleine, hat sich getäuscht, er kommt höchstens über Nacht. Und auch für Münzing war es ein langer, erfahrungsreicher Weg, bis er seine Musikvorstellungen in bare Münze umsetzen konnte. Er war fast so lang wie der von Dieter Bohlen, der ja schon zehn Jahre im Musikbiz tätig war, bis er mit Modern Talking auf eine Goldader stieß.

Als gelernter Elektro-lngenieur brachte Münzing beste Voraussetzungen mit, um die technischen Entwicklungen in der Musik nachzuvollziehen und richtig einzuordnen. Im Frankfurter Dorian Gray, wo er als Star-DJ musikalischen Background für eine Show semiurbaner Eitelkeiten lieferte, fanden seine musikalischen Vorstellungen erstmals offene Ohren. In jenen Tagen war das Dorian Gray die Großraum-Disco überhaupt im Rhein-Main-Gebiet — und sein Publikum bemühte sich redlich, dem Namensgeber gleichzukommen. Was hier und da auch in die Hose ging.

Damit das vehement tanzede Publikum nicht, von rhythmischen Wechseln irritiert, bei neuen Stücken die Tanzfläche verließ, entwickelte Münzing seine Meisterschaft in der Auswahl passender Musik, die er mit seinem feinen Rhythmusgespür auch noch in den BPMs (Schläge pro Minute) anglich — meist so um die 115. Das Publikum tanzte und ward zufrieden. Nur DJ Münzing nicht.

Manche der tollen Insidertip-New-York-Super-Disco-Maxi-Direktimporte schienen ihm zu unausgereift, musikalisch zu dünn oder rhythmisch zu flach. Als Ingenieur ohnehin Praktiker, setzte er im eigenen Achtspurstudio den fehlenden Synthiesound drüber oder den knackigen Baß drunter.

Solch kreatives Wirken bleibt nicht lange im Verborgenen — und während sich das Dorian Gray für die Plattenaufleger des Umlandes zum wahren Mekka entwickelte, wurde Michael Münzing von der Frankfurter Plattenfirma Bellaphon als Produzent entdeckt.

„Irgendwann hast du alles auf andere Stücke draufgesetzt und du sagst dir: Mach doch einmal das Ding gleich ganz von unten rauf, vom Beat bis hoch zur Melodie“, erklärt der Shooting Star unter den deutschen Produzenten.

Das Knowhow hatte er offensichtlich und auch das entsprechende Equipment: Ein Studio vom Feinsten, diverse Keyboards und Sampler, 32-Spur-Master-Maschine plus gigantischem Mischpult, alle erdenklichen Accessoires — High Tech á la carté. Und so etwas braucht man heutzutage als Komponist und Songautor — und nicht etwa irgendwelche instrumentalen Fähigkeiten oder gar musikalische Schulung.

„Thals out of time“, wenn man Michael Münzing glauben darf.

„Heute muß man nicht mehr Gitarre spielen können, um Musik zu machen. Du kannst dir alle nur erdenklichen Sounds auf ein Keyboard holen und auch für den Beat brauchst du keine Drums mehr. Ich kenne genug Musiker, die können nicht einmal Noten lesen und machen trotzdem gute Platten. “ Die kennt man, nur: Nicht jeder, der keine Noten lesen kann, ist deshalb Musiker.

„Musikcomputer verleiten dazu, alles zuzumatschen. Da ist ein guter Sound, da ein noch besserer — und am Schluß ist von der Grundidee nichts mehr übrig. Deshalb lieber mit der Axt auf dem Ding herumarbeiten. Das ist genau das, was wir auch mit 16 Bit gemacht haben. Da waren einfach zwei Sounds, die wir beide (Michael und Luca Anzilotti, sein Co-Autor und Produzent, der hauptsächlich für die Percussion verantwortlich ist. ,Man kann sich einfach nicht auf alten Maschinen auskennen‘) tierisch gut fanden. Die haben wir den Leuten präsentiert bis zum Geht-nicht-mehr — und das hat toll funktioniert.

Dabei ist das nichts anderes als fiinf Minuten Sounderlebnis. Das nämlich, was eigentlich gut klingt, wird immer wieder ‚rausgefahren. Natürlich stumpft sich das im Endeffekt auch ab, aber bei unserer kurzlebigen Zeit, was Musik anbetrifft, ist das kein Problem mehr, weil mir eigentlich alle Titel, die ich heute hör‘, irgendwann zum Halse ‚raushängen.“

Und für die Plattenkäufer ist das auch kein Problem. 500000 Fliegen (200000 16 Bit-Fans und 300000 Off-Käufer) können nicht irren. Da ist nichts manipuliert, das ist ihr Geschmack. Und den bilden sie laut Michael ausschließlich in Discotheken aus. „Teenys, die zum erstenmal von zu Hause ausbrechen, halten sich in Discotheken auf oder in Cafes. Und was hören sie da? Disco! Die Entwicklung der Musik hat sich geändert — und die Leute, die heute in die Disco gehen, lockst du nicht mehr mit Musik, wie sie früher mal war.“