Der WEise Diktator


Die Stimme war dahin, die Band nicht minder — und der Whitesnake-Boß durfte wieder mal bei „Start & Ziel“ anfangen. Doch gemäß dem Motto „Gelobt sei, was hart macht“ präsentiert sich Coverdale souveräner denn je. Gitti Gülden war beeindruckt.

Laut singend schreitet der ungekrönte Meister der tief empfundenen Rockballade über den samtweich ausgelegten Flur des Luxushotels. „You are the sunshine of my life“ schmettert er, seine frisch dauergewellte Lockenmähne schüttelnd, und eine passierende Dame wird rot bis unter die Haarwurzeln. David ist in seinem Element und wirkt, als sei er direkt einem kalifornischen Jungbrunnen für ramponierte Rockmusiker entsprungen: Jünger, schlanker, fitter denn je bietet er allen Gerüchten um seinen physischen und psychischen Zustand mit links Paroli.

„Darf ich rauchen?“ fragt er, ganz Gentleman, und — ob meiner Verwunderung, daß er bei allen Stimmproblemen der jüngsten Vergangenheit immer noch das böse Nikotin inhaliere — erwidert achselzuckend:

„Kann ich mir einfach nicht verkneifen. Ich bin nun mal leider nicht der Typ, der nur nach dem Dinner oder der Liebe raucht,“

Für einen Sänger muß es doch der klassische Alptraum sein, sich mit Stimmproblcmen herumplagen zu müssen.

..Weiß Gott! Selten habe ich Schrecklicheres erlebt. Dabei fing alles ganz harmlos mit einer kleinen Lrkältiingan. Dann war’s eine Nebenhöhlenentzündung, plötzlich war meine Stimme weg, und nach sechs Monaten kam ich unters Messer. Sehr unangenehm!“

Wie schafft er es denn, sich nach einer Zwangspause von fast einem Jahr stimmlich wieder aufzurappeln?

..Durch Tricks von guten Leuten. Zu Beginn der letzten Aufnahmen z. B. war nie die rote Lampe Achtung Aufiialvne‘ eingeschaltet; ich sang ganz locker los, weil ich dachte, wir proben noch. Die Sicherheit kam dann ganz von allein. Dann war ich hei einem jüdischen Kantor in L.A., ein singender Prediger, der alles über die menschliche Stimme weiß. Rod Stewart geht auch zu ihm. Dieser Chormeister zeigte mir, daß ich mein Leben lang falsch gesungen habe. Immer den Kopf in den Nacken geschmissen und aufwärts gesungen, anstatt nach vom. Das überdehnt die Stimmbänder. Die Stimme ist ja das direkteste Instrument, das einem Menschen zur Vetfü^ung steht.“

Seine Erleichterung über die wiedergefundene Sangeskraft machen also dieses Strahlen, diese heitere Selbstsicherheit aus. Eine günstige Gelegenheit, das Stichwort“.Deep Purple“ anzubringen.

Die wiedergewonnene Stimme nimmt kurzfristig an Schärfe und Lautstärke zu: „Deep Purple??? Es scheint doch immer noch Leute zu geben, die annehmen, ich gehe abends zu Bell und stehe morgens auf und denke dabei pausenlos an Deep Purple! Falsch! Das Kapitel wurde vor II Jahren abgeschlossen. Ich hoffe, daß John und hm dort glücklich sind. Die beiden mag ich nämlich, der Rest ist mir egal. „

Coverdale gilt als kompromißloser Bandboß, und die Suche nach einem neuen Schlagzeuger mit der zuverlässigen Schlagkraft eines Cozy Powell war entsprechend kompliziert: „Ich war schon drauf und dran, einen Schlagzeugcompuier zu engagieren. Ich hörte mir 65 Schlagzeuger an; das kostete 85-XKI Dollar und machte mich wahnsinnig. Alle sahen phantastisch aus, wunderbare Wallemähnen, knallenge Klamotten — aber keinen Drive. Die hatten noch nicht mal die Power, einen VW zu lenken, geschweige denn, für Whitesnake zu trommeln!

Dann rief eines Tages Anslex Dunbar an und fragte, ob ich immernoch auf der Suche sei. Ich sagte nur, wenn er bis zwei Uhr du wäre, hätte er ’ne Chance. Er war selbstverständlich du, und er war ’s. A nslev ist so gut, daß sich mancher Trommler die Finger abbeißen wird, wenn er das neue Album hört. „

Dann kommen wir doch mal auf den Punkt: Ist Whitesnake nicht eine geschickte Umschreibung von David-Coverdale-Solo-LPs?

Geduldig erklärt er das Prinzip Whitesnake. „Ich habe die Bund von Anfang an als harte Rhythm & Blues-Band angelegt, und zwar ohne jeden Kompromiß. Rock ’n‘ Roll erlaubt keine Kompromisse, das ist einfach eine grundsätzliche Einstellung. Ich habe nicht die geringste Lust, wegen irgend etwas oder irgend jemandem Kompromisse einzugehen. Was nicht heißt, daß ich nichts dazulemen will! Ich lerne gerne von guten Leuten. Ich selbst werde immer Fehler machen. Das menschliche Wesen ist ein wunderbarer Computer, der ständig seinen Geist aufgibt. Wn war sicher das schlimmste Jahr meines Lebens, privat und beruflich — trotzdem würde ich nichts anderes haben wollen, eben weil ich unendlich wichtige Dinge über mein Leben daraus gelernt habe. „

Trotz aller Probleme scheint Whitesnake immer noch der zentrale Angelpunkt für das Leben des David Coverdale zu sein …

„Aber W’hitesnake ist kein persönlichen Ausitnicksmitiel für mich, sondern eher ein Ventil für guten Rock ’n Roll. In dieser Band muß jeder sein Bestes geben, kann sich aber auch, so gut er will, entfalten. Aber er muß es wirklich wollen. Kur Nestbeschmutzer kann ich nicht ausstehen, die /liegen sofort raus. Ich mache selbst genug Mist und brauch nicht noch den von anderen Leuten.

Meine Verantwortung gilt in der Hauptsache meinem Publikum. Ich bin es schließlich, den die Leute wollen. Jedesmal, wenn ich nicht auf meinen Instinkt gehört, sondern Kompromisse gemacht habe, bin ich furchtbar auf den Arsch gefallen!“

„Also, viel Glück“, sage ich auf deutsch, das er dank seines langjährigen Aufenthaltes in München be- . stens beherrscht. Und ganz Gentle- , man steht er auf, küßt die Hand und sagt bescheiden: „Danke schön.“ ¿ Selbst Diktatoren können bisweilen sehr charmant sein.