Zocken mit der Phantasie


Yello-Sprachrohr Dieter Meier ist alles andere als ein Popstar im herkömmlichen Sinne: Der Schweizer gibt sich als Globetrotter, Kunstexperte, Kartenspieler, Geschäfts- und Lebemann … und war wieder mal so eloquent, daß ME/Sounds-Mitarbeiterin Ingeborg Schober ob dieser Wortgewalt ihre wichtigsten Fragen vergaß.

Wenn Dieter Meier einen Raum betritt, dann wittert man Abenteuer und Geheimnisse. Mit seinem Erscheinungsbild, halb solventer Schweizer Geschäftsmann, halb halbseidener Illusionsverkäufer, verkörpert er eine Figur wie aus einem Graham Greene- oder Joseph Conrad-Roman: Zocker, Pokerface, Rumschmuggler — eine Figur aus literarischen Klischees, an denen sich die Phantasie entzündet wie an der Musik von Yello.

Diese sei „eigentlich nur Filmmusik, zu der es keine Filme gibt“, hat er einmal gesagt. Das wird sich bald ändern, denn derzeit ist er damit beschäftigt, einen langgehegten Traum zu realisieren: „Snowball'“, den zweiten Spielfilm nach Jetzt und Alles“ von 1981.

Vom ersten Album Solid Pleasure an definierte Meier Yello-Musik und -Projekte immer gleichzeitig als Bilder, Gemälde. Drehbücher und Musik — wobei man ihn bisher weder mit Pinsel. Kamera oder gar einem Instrument in der Hand gesehen hätte. Er liebt eben die unorthodoxe Arbeitsweise, wenn es um etwas geht, was landläufig als Popmusik bezeichnet wird.

Bei Yello sind die Grenzen fließend: Musik führt zu einem Video oder umgekehrt, ein Song zu einem Film, eine Modenschau zu einem Stück. „Dafiir gibt es keine Berti fsbezeichmmg, wir machen das alles, weil wir daran Spaß haben und, wie im halle der Videos, einfach die Dinge ungern aus der Hand geben. „

Ausgerechnet bei seinem Traumprojekt „Snowball“ mußte aber Meier plötzlich erkennen, „daß ich der Sklave einer Maschine wurde, die mich mit ihrem Gigantomanismus beinah verschlungen hätte. Ich kämpfte gegen eine Produktionsweise, die ihren eigenen Mechanismus besitzt: Bühnenbildner, Kostümbildner, das Team und die Kosten wuchsen — und als ich auf die Leinwand sah, war nichts von dem da, was ich erträumt hatte.“

Also hat er angehalten, hat für einige Monate Abstand genommen von dem Projekt, das sich zu verselbständigen suchte, weil er sich auf das besinnen wollte, was immer sein und auch Yellos Konzept war: die Schaffung eines Mikrokosmos, der den banalen Zwängen von Zeit, Raum und Logik enthoben ist. Meier hat für „Snowball“ eine eigene Phantasiewelt erschaffen, eine mystische, vormittelalterliche Zeit, die er mit zwar billigen, dafür aber sehr einfallsreichen Details zu kreieren versucht. Wer Yello-Videos kennt, der weiß in etwa, was ihn erwartet.

Meier hat wieder alles auf eine Karte gesetzt — nicht umsonst war der Mann fünf Jahre lang professioneller Karten-Spieler. Das Zocken, heute auf einer ganz anderen Ebene, war schon immer seine Passion. Ein Yello-Projekt ist keine sichere Aktie, aber dafür immer spannend. Was dabei herauskommt, weiß vorher niemand. „Bei der Entstehung unserer Klangbilder können andere Leute immer wieder wie Passanten hindwchkreuzen, ebenfalls den Pinsel in die Hand nehmen und irgend etwas hineinmalen, das ihnen gefällt. Also, eine Collage, die auch anderen offensteht. „

Die anderen, das sind meist Reisebekanntschaften des notorischen Weltenbummlers und Globetrotters Dieter Meier, wie auf dem neuen Album One Second Santiago Alfonso, der Choreograph des „Tropicana“-Balletts in Havanna, oder die Algerierin Farida, die er bei einer Modenschau in New York kennenlernte. Die Gunst der Stunde nutzen, dem Zufall die Regie überlassen und dann wie eine Spinne die „Opfer“ in ihr Netz locken, das ist Meiers Prinzip.

Sein prominentestes Opfer hieß diesmal Shirley Bassey. Die exzentrische Diva mit der großen Stimme hatte er durch Vermittlung von Hubertus von Hohenlohe kennengelernt, der unlängst selbst auf Yellos Plattenfirma Phonogram seinen Einstand als Popsänger gab.

Ganze zehn Minuten reichten Bassey, um auf dem Titel „The Rhythm Divine“ die für sie freigehaltene Gesangsspur einzuspielen. Von der zwar kurzen, aber nichtsdestotrotz harmonischen Zusammenarbeit waren beide Parteien so angetan, daß man nun gar eine intensivere Verbinduni; anstrebt: Ein ganzes Album unter dem Motto „Shirley Bassey Sings Yello“ steht zur Diskussion.

Während Dieter Meier die Welt bereist und seine illustren Kontakte pflegt, sitzt Boris Blank abgeschlossen im Zürcher Studio, um penibel und verbissen an seinen Klangvisionen zu arbeiten. Ethnische Klange, bei Yello von Anfang an ein“.musikalisches Reisebedürfnis“, entstehen fern jeder Exotik in der Schweiz. „Boris erfindet sich diese ethnischen Musiken, wie Kinder sich Geschichten über Afrika erfinden, wie der naive Maler Rosseuu, der nie einen Urwald gesehen hat oder Karl Max, der nie bei den Indianern war. Boris war in fast keinem dieser Länder, er besitzt keine ethnischen Platten, er scheint dies alles aus einer Erinnerung zu holen, die funktioniert wie das Genichserlebnis, das ein ganzes Bergwerk von Erinnerungen eröffnen kann.“

Ein einziges Mal sind Yello bislang live aufgetreten. 1983 im New Yorker Ro.xy Club, „weil die Schwarzen in den USA die ersten waren, die unsere Musik mochten. “ Damals hab ich die beiden. Dieter und Boris, gefragt, was passieren würde, wenn sie einen Hit hätten?

Boris: „Ich würde mir ein Motorboot kaufen.“

Dieter: „Und ich würde hoffen, daß ich mit diesem Geld nicht verblöde. Das wäre eine echte Herausforderung für mich, was passiert, wenn der Erfolg wirklich da ist. „

Inzwischen ist er da— und beide sind mit Sicherheit nicht verblödet. Ob Boris inzwischen sein Motorboot gekauft hat. hab ich natürlich vergessen zu fragen. Mißtraue also zurecht diesem harmlos klingenden Schweizer Akzent. Schon nach wenigen Minuten des Interviews bist du in ein Gespräch verstrickt, bei dem du dich blendend unterhältst, aber die wichtigen Fragen, die du schon immer Dieter Meier stellen wolltest, vergessen hast. Dafür kennst du sicher die obskursten Lokalitäten rund um den Globus und Dieter Meiers neueste Krawatte: Sie ist dottergelb.