Ibiza?


Wenn Hinz und Kunz Urlaub machen, buchen sie Ibiza — von Hohenlohe und Kashoggi auch. Neu sind die Popstars. Clevere Clubmanager lassen die Peseten springen, um die Chart-Könige möglichst komplett auf die Mittelmeer-Insel zu karren. Und alle sind sie da. ME/Sounds mischte sich unter die Musiker-Meute und versuchen zu ergründen, was Ibiza außer Strand, Meer und Sonne sonst noch zu bieten hat.

Nirgendwo sonst, nicht in Marakesch, Marbella oder Miami, lachen Sonne, Lust und Leben so laut wie auf dieser spanischen „Verkehrsinsel“, wenn die VIPs wie berauschte Viren die Adern der Insel anschwellen lassen. Das Ereignis lockt alljährlich eine vergnügungssüchtige Armada Turbo-Touris an, die wie Lemminge aus allen Richtungen herbeiströmen und hier an Land gehen mit dem Ziel, tief in den Schoß der Insel einzudringen und sich alles zu holen… Sex — Drugs — Ibiza: Im internationalen Kampf gegen Langeweile im Urlaub ist SDI seit eh die schärfste Waffe. Doch seit Sex safe ist und der One Night Stand am Strand einer Mutprobe gleichkommt, bemühen sich die Imagestrategen des Sündenbabels um ein neues „S“ in der Erfolgsformel. Nun locken die Stars. Sternchen wie Andress, Pascal und Fiedler brauchen sich allerdings nicht mehr blicken lassen — eine neue Generation von Prominenten provoziert auf der internationalen Promenade. Hier läßt Nina ihre Flausen, hier läuft Lindi rum und irgendwann und irgendwo auch Nena. Hier stürzen Sigue Sigue Sputnik in vollem Wichs ins Wasser, Priest, Purple und AC/DC beweisen, daß sie auch ohne Nieten keine Nieten sind. Am Pool verprassen Plant und Page ihre Pensionen und Queen mit Schönheitskönigin die Tantiemen. Hier schaut Fish in die Sonne und Falco nach Frischfleisch. Frankie relaxt und Jagger flaniert. Und kommen sie nicht freiwillig, so läßt man die promotionträchtigen Paradiesvögel des Pop einfliegen und — werbewirksam — aufspielen. Duran Duran, Talk Talk, Spandau Ballet, James Brown und Grace Jones, sie alle geben sich hier die Klinke in die Hand — und zwar meistens die der Hintertür zum Ku. Einen eigenen Nachschlüssel für den namhaftesten Nightspot mit Pool, Bühne und Restaurant haben ohnehin die meisten von ihnen. Besonders gute Freunde — und das sind für Ku-Impresario Brasilio nunmal alle prominenten Gäste — erhalten den „Golden Key“ — Juan Carlos und Gunter Sachs etwa zählen zu den Schlüsselfiguren. Der schlitzohrige Brasilianer (O-Ton: „Ich hasse Discotheken!“) ist alljährlich der Regisseur, Animateur und clevere Promoter eines fünfmonatigen Party-Marathons, der durch permanente Spektakel aufgepeppt wird. Er läßt die Puppen tanzen, Nachtfalter und -eulen flattern und jauchzen, er mischt die Perlen unter die Säue und bringt die Ku-Kassen zum Klingeln. Als die VIP Bar nicht lief (hier steht übrigens der einzige Türsteher Ibizas, der nicht jeden reinläßt), doppelte Brasilio die Preise. Jetzt ist VIP wieder hip — so einfach ist das.

150 Tage im Jahr — und das seit der Eröffnung ’78 — gibt er das Motto der Nacht aus. „Miss Wet Look“, „Miss Tanga“, „Miss Striptease“, „Universe“ und „Mister Ku“ gehören zum Routine-Repertoire der guten Laune. Und da es alle heiß mögen, schmeißt der schwarze Heizer kulant und konstant die Kohlen ins Feuer. Highlights des Nightlife sind Livekonzerte — wie etwa jene denkwürdige Nacht, die am 29. Mai unüblicherweise bereits um 21.00 Uhr begann.

Der Open Air-Tanztempel ist mit 3500 handverlesenen Gästen gerammelt abgefüllt. Alles was Rang und Namen hat, die Schönen und die Reichen, Geldsäcke und Goldhamster, haben sich eingefunden. Da und dort wird die Hitze des Tages für eine lange Nacht mit Schnee neutralisiert; Salzluft vermischt sich mit aphrodisierendem Rauch und den betörenden Essenzen von Franco Ferre oder „Poison“ und „Joy“ von Patou.

Ein wirklich dufter Abend. Das Ambiente stimmt, und der Anlaß ist hochoffiziell. Die Olympischen Spiele finden ’92 in Spanien statt, und dies ist der Auftakt für eine großangelegte PR-Kampagne. Das Programm ist exquisit, sieben Acts der Pop-Oberliga unterhalten bestens, und TV Espanola bannt alles auf 35 mm Zelluloid.

Im „Ku“ trifft sich die internationale Pop-Prominenz

Nach den Playbacks von Rea, Marillion, den Hardrock-Posern Poison, Spandau Ballet, Nona Hendryx und Duran Duran harren wir gen 3 Uhr morgens den Königinnen der Nacht. Queen-Stimme Mercury (40) intoniert live im Duett mit der spanischen Sopranistin Montserrat Caballe (53) und einem befrackten Orchester „Barcelona“, Freddies Olympia-Hymne.

Hingerissen von soviel Wohlklang, stürzt sich Nona Hendryx ins Bassin, stößt ihren Kopf an einer Unterwasserkamera und muß verarztet werden. Der pädophile Pirat Roman Polanski (53) amüsiert sich mit der 18jährigen Dominique und Simon LeBon vergnügt sich nicht mit Gattin Yasmin. Poison-Goldkehlchen Bret Michaels kann alles nicht fassen und hat nur einen Kommentar: „Fuckin‘ great!“.

Um einen Tag auf Ibiza richtig zu beginnen und weil’s so urtümlich ist, mischt man sich am besten mit preiswerten frischen Tapas unter die Ibizencos auf der Terrasse des Bon Lloch in Jesus. Hier frühstückt gerade auch Extrabreits Kai Hawaii, der sich von „Hurra, Hurra, die Schule brennt“ in der Nachbarschaft eine Haushälfte gekauft hat. Mit einer Dose kaltgepreßten Olivenöl vom Gemüsemarkt begibt man sich nun zum Beach.

Nach wie vor sind die Voyeur- und Exhibitionisten-Mekkas in den Saunas, Es Cavallet und Malibu angesagt. Nackte Pop-Promis trifft man hier jedoch kaum. Wer mit Stars Tuchfühlung oder gar Hautkontakt sucht, findet ihn schon eher bei einem Pina Colada an den Beach Bars Waikiki, Coco oder Las Palmeras. Der vielzitierten Demokratie des Strandes (Nackt sind wir doch — fast — alle gleich) ist es dann zu verdanken, daß man sich am Playa den Bossa unmittelbar neben Spandau oder Sputnik seinen Sonnenbrand holen kann. Möglich ist sicher auch ein Blickkontakt zu Angie Bowie, die immer noch überlegt, wie sich ein Dauerurlaub von ihrem Ehemaligen finanzieren läßt.

Spätestens um 5 Uhr nachmittags trifft man sich zum Rendezvous im Marisol oder Montesol in Hafennähe. Bei Veterano, Cafe con Leche und einer Süddeutschen vom Tage läßt sich hier oft schon der Schedule für einen lagen Abend skizzieren.

Zwischen 21 Uhr und Mitternacht steht ein opulentes Dinner auf dem Plan, z. B. im Amalur, das Niki Lauda bevorzugt, oder im La Ventana, wo sich Grace Jones festgebissen hat. Fährt man etwas ausserhalb ins Can Pau nach San Miquel, muß man damit rechnen, am Nachbartisch von Julio Iglesias Platz zu nehmen.

Der nächtliche Countdown beginnt. Seitdem der Zoo, einst Startloch jeder Sause, fest in österreichischer Hand ist, ist’s tierisch leer geworden. Auch ein anderer Österreicher ging mit seinen gastronomischen Ambitionen baden: Die Pläne des Herrn Falco, in Flughafennähe eine Bar zu eröffnen, hoben nie vom Boden ab.

Also geht’s ins Lola’s, draußen Disco, drinnen Bar, in der Calle Passadis. Während „Kiss Me, Kiss Me, Kiss Me“ durch die Gasse dröhnt, löffelt Cure-Manager Chris Perry vis a vis im El Brasero seine Suppe. Er hat mit seiner Yacht hier angelegt.

Neben dem Lola’s versucht sich Neuwirt Peter im Nero. Er offeriert den individuellen Fullservice: Essen bei ihm, residieren im El Palacio und „Hochseevögeln und -fischen“ auf der 800 PS Luxusyacht eines Freundes. Von seinen Diensten hat sich just auch Udo Lindenberg überzeugt.

Der Weg zur Haute Volee führt jedoch außerhalb zur Nobelherberge Pike’s. Hier auf denn Hügeln von Santa Ines drehten Wham! ihr „Club Tropicana“-Video. Hier entstanden die Clips zu 5 Stars‘ „Love Take Over“ und Nick Kershaws „Don Quichote“. Letztes Jahr mieteten Sigue Sigue Sputnik für eine Woche die ganze Hütte, im Mai hielten Freddie Mercury (wieso kann der nicht beim Kollegen Taylor unterkommen, der ein Haus auf der Insel hat?) und Duran Duran alles unter Beschlag.

Hausherr Tony Pike lädt zum Essen ein und plaudert beflissen aus dem goldenen Gästebuch. Selbst Whitney Houston ließ sich hier schon ihr Alka Seltzer ans Bett bringen.

Sessions am Pool: Die Ibiza- Studios sind oft ausgebucht

20 Autominuten von der City entfernt, betreten wir musikalisch bedeutsamen Boden. Hier hat Wohltäter Geldof mit den Boomtown Rats MONGO BONGO und TWO ELEPHANTS eingespielt. Hier schuf Nina EXTASE UND FLAMME. Frankie ging nach Ibiza ins Studio, wie auch Marc Almond, der mit mehreren Mikros im Zitrushain saß und in den Tunnel trällerte. Jener Schacht wurde von der Vorbesitzerin des Anwesens, einer exzentrischen Lady, 40 Meter tief durch den Stein getrieben, damit die Haustiere unbeschwert zur grünen Wiese gelangen konnten.

„Der Tunnel ermöglicht insbesondere für Vocals unzählige Variationen des Echos. Normalerweise braucht man dazu aufwendigste Geräte, wir machen es hier auf natürlichste Weise“, erläutert Studiomanager Bill Caley, der den Laden derzeit zum Verkauf anbietet. Drei Priest Alben entstanden hier, auch AC/DC haben reingeschaut.

Für eine Demosession verschanzten sich die Kollegen von Deep Purple hingegen in einer Villa in der Cala Tarida am anderen Ende des Eilands. Als Nachmieter mit gleichen Absichten bezieht ein Jahr später der deutsche Popnachwuchs Nena hier Quartier. Ziehmutter der musizierenden Sommerfrischler der Inselstadt Berlin ist zweifellos Weltbürgerin Nina Hagen. Sie spült es schon seit Jubeljahren ans Rockriff im Mittelmeer. 1985 gab sie auf Ibiza ihre Verlobung mit Boyfriend Irquois bekannt. Im August nun will sie in Ibiza den Hafen der Ehe ansteuern. Für den musikalischen Rahmen der „Vollmond-Beach-Hochzeitsparty“, so Nina, sollen angeblich die Einstürzenden Neubauten sorgen. Das würde „Isla Bonita“ mit einem mittleren Beben noch näher ans Festland rücken.