Musik für draußen
Dunkelmänner & Teenie-Lieblinge. Jahrelang versuchten Depeche Mode, aus dieser Image-Schublade auszubrechen. Jetzt haben sie sich damit arrangiert. ME/Sounds-Mitarbeiter Thomas Böhm traf Martin Gore in Berlin.
Die Sonne blendet. Der vornehme Kellner des Hotels Intercontinental verstellt die Jalousien, damit die Sonnenstrahlen die Cocktails der Gäste in der Bar nicht austrocknen. Der Verdunklungsakt hat aber noch einen anderen Grund. Mehrere Dutzend Teenies drücken von draußen ihre Nasen an den Fensterscheiben platt. Denn in der Bar hockt der smarte Martin, seines Zeichens Programmgestalter der Firma Depeche Mode, die zur Präsentation ihrer neuen l.P Music For Masses in Berlin abgestiegen sind. Depeche Mode haben sich mit dem Image einer Teenie-Band abgefunden. Ist ja auch keine Schande. Jahrelang hatten sie versucht, gewaltsam aus dem Jugendghetto auszubrechen, um endlich von der reiferen Gesellschaft als honorige Künstler anerkannt zu werden. Der Ausbruch mißlang. Sie waren und sind einfach zu schön, zu jung und zu reich. “ Wenn eine Band Erfolg hat“, sagt Martin, „dann finden das die älteren Leute uncool. Das ist natürlich schade. Aber wir sind nicht traurig darüber, wenn die meisten der 400.000 Platten an junge Leute gehen.“
Unter dem Image einer Teenie-Band müssen sie nicht überall „leiden“. In ihrer Heimat England, wo sie bei weitem nicht so erfolgreich sind wie hier, werden sie als depressive Band gehandelt. „Besonders die DJs von ‚Radio One‘, der einzigen wirklich wichtigen Station, mögen und spielen uns nicht. Unsere Musik in den letzten Jahren war einfach nicht soßoll und lanzbar, wie viele es sich gewünscht hallen“.
Lag das etwa an Berlin? Drei Jahre lang sind sie an die Spree und fast gegen die Mauer geflogen, um im Hansa Studio ihre düsteren Sound-Kreationen einzuspielen.
„Das sogenannte Berlin-Feeling hat sicherlich, aber nur im geringen Maße in unseren Songs Ausdruck gefunden. Wenn du dir Music For Masses anhörst, wirst du bestimmt keine ausgelassene Fröhlichkeit heraushören. Und diese Platte haben wir in Paris gemacht.“
Auf die Frage nach dem wahren Motiv des erneuten Ortswechsels weiß Martin nur eine Antwort: „Die französischen Mädchen! Sicher es waren natürlich auch berufliche Gründe. Wir brauchen einfach Abwechslung. Und was soll man immer in die selbe Siadt gehen, wenn man die ganze Well zur Auswahl hat.“
Nicht nur der Ort, auch der Produzent wechselte. Für Gereth Jones (der zur Zeit mit Diamanda Galas in Berlin arbeitet) holten sich die Synthi-Spezialisten David Bascombe (Tears For Fears, Peter Gabriel). Auch Daniel Miller, Entdecker, Förderer und praktisch fünftes Mitglied von Depeche Mode, blieb im fernen London. „Er hat einfach zu viel mit der Firma am Hals, kh glaube, es bringt ihm auch mehr Spaß, neue Bands zu unterstützen, als sich im Erfolg zu suhlen.“
Depeche Mode verfügt schon längst über ein eigenes Management und Büro. Doch trotz generöser Offerten seitens großer Platten-Konzerne bleiben Depeche Mode dem kleinen, unabhängigen Label treu.
„Wir haben überhaupt keinen Grund, die Firma zu wechseln. Nirgendwo sonst würde uns soviel künstlerische Freiheit garantiert; außerdem leistet Mute gute Arbeit. Seit sieben Jahren sind wir mit ihnen in den Chans. Das viele Geld, das man von einer großen Firma bekommen würde, müßte man mit einem Teil der Eigenständigkeit zurückzahlen. Nein, danke, wir haben genug Geld.“
Depeche Mode haben mit Music For Masses zweifellos einen Schritt nach vorne gemacht. Auch diesmal dreht sich alles um den guten alten Ton in Moll, sind die Songs schematisch durchstrukturiert. Aber innerhalb dieses Schemas entfaltet sich eine große Klangwelt voller Schwermut, Härte und dunkler Harmonie.
„Einige Leute meinen, dies wäre unser bedrohlichstes Album, andere wiederum behaupten, es sei unser kommerziellstes oder wiederum auch unser persönlichstes Album. Ihr habt die Wahl.“
Martin muß das Gespräch beenden. Ein neunjähriger Knirps stürmt an die Bar und hält ihm rund 40 Karten zum Autogramm vor die Knie. Seine großen Schwestern, die eine 1 1, die andere 14, haben ihn vorgeschickt. Und außerdem, sagt der Knirps, fände auch er die neue Platte affengeil.