Compact Discs
Ob Hendrix, Vanilla Fudge oder Jefferson Airplane - die "roaring sixties" feiern auf CD ihre Wiederauferstehung. Tips von Franz Schöler.
Ah, die Wonnen der CD! FRANK ZAPPAS Schallplatten-Debüt mit den MOTHERS OF INVENTION war – unerhört für das Jahr 1966 – bekanntlich ein Doppelalbum mit dem provozierenden Imperativ-Titel FREAK OUT! und löste wie manch anderes auch von JEFFERSON AIRPLANE später eine Zensur-Hysterie in den Chefetagen der amerikanischen Plattenkonzerne aus. Jetzt gibt es so etwas auf einer CD ungekürzt und in besserer Wiedergabequalität als je zuvor (Zappa Records CD ZAP 1 /England-Import). Die komplette Ballettmusik, die TALKING HEADS Boß DAVID BYRNE für THE CATHERINE WHEEL komponierte, ist jetzt erstmals auch ungekürzt auf dem digitalen Plättchen zu haben (Sire 3645-2/Discobox-Import), dito die ersten beiden LPs von ALEX CHILTONS BIG STAR, nämlich No. 1 RECORD und RADIO CITY, die Uwe Tessnow jetzt ohne die Kürzungen der britischen CD (dort fehlten zwei Songs) auf einer Scheibe publizierte (Line LICD 9.00465/ARIS). So generöse Veröffentlichungspolitik ist allemal lobenswerter als die, welche man jetzt etwa den BUFFALO SPRINGFIELD angedeihen ließ. Von den rund 100 Minuten Musik, die diese so wichtige Band im Studio auf Tonband konservierte, wurden jetzt erst einmal nur 40 für die RETROSPECTI-VE-Zusammenstellung THE BEST OF BUFFALO SPRINGFIELD freigegeben (Atco 38-105-2/US-lmport). Statt des bekannten LP-Digest hätte man auch eine „Best of…“-Kopplung bringen können, die den Namen verdient. Oder besser gleich alle drei LPs auf 2 CD-Set! Wenigstens an der Überspielqualität gibt’s nichts zu bemäkeln. Was man von dem Solo-Debüt, das ALAN VEGA für ZE/Celluloid 1980 aufnahm, leider nicht behaupten kann. Die jetzt in Europa vertriebene CD (Interphon IPCD 2013-36) wurde von Anfang bis Ende komplett von einer Analogpressung – also einer schwarzen Langspielplatte! – überspielt, ohne daß sich irgendwo ein Hinweis darauf fände. Von dieser Rarität waren angeblich weltweit keine Bänder mehr aufzutreiben – kaum vorstellbar, auch nicht bei Independent-Firmen, die jetzt mehr und mehr wie die SWANS mit CHILDREN OF GOD (CD Prod 17/SPV) mit CDs auf den Markt kommen.
Beim deutschen Lizenznehmer ging man möglicherweise von der Ausnahme aus, daß Rockfans hierzulande sowieso zu den gehörtgeschädigten Zeitgenossen gehören, die auf CD das Mahlen eines Tonabnehmers im tiefen Rillengrunde nicht wahrnehmen. Wenn solche „LP-auf-CD“-Politik Schule machen sollte, wird man sich noch auf einiges gefaßt machen dürfen. Sonderlich glücklich stimmt bisweilen auch die „Midprice“-Strategie nicht, welche die Plattenkonzerne in Europa und den USA seit gut einem halben Jahr zunehmend verfolgen. Beim langsam ins Bodenlose stürzenden Dollarkurs sind US-Importe wie LEO KOTTKES GUITAR MUSIC (Chrysalis VK 41328) oder T-BIRD-RHYTHM von den FABULOUS THUNDER-BIRDS (Chrysalis VK 41395) immer erschwinglicher geworden. Hier wurden die CDs auch in der originalen LP-Ausstattung auf Digitalplatte gebracht. Anders sieht das bei praktisch allen „Compact Price“-CDs aus, die der MCA-Konzern zuhauf herausbringt. LEGEND von den Country Rock-Pionieren POCO etwa (MCAD-31019) wurde in denkbar schäbigster Aufmachung wiederveröffentlicht. Die Klangqualität – exzellent! – ist identisch mit dem LP-Umschnitt von MFSL, aber außer den Titeln und Komponisten-Namen wird hier nichts aufgeführt, weder die damalige POCO-Besetzung noch der Ort, genaue Zeit oder Namen der für die Aufnahmen verantwortlichen Techniker.
Dasselbe gilt für THE GREAT BUDDY HOLLY (MCA 255 195-2) mit knapp 23 Minuten (!) Spielzeit, wo man im übrigen erst beim Reinhören merkt, daß es sich bei „That ‚II Be The Day“ nicht um die Hit-Version, sondern um einen früheren Alternativ-Take handelt. Die zehn BUDDY HOLLY-Songs hier hätte man fast auf einer jener 8-cm-CDs bringen können, die Sony und einige andere Firmen nunmehr endgültig lancieren wollen: als Alternative zur 17-cm-Single. Diese Mini-CD hat eine Speicherkapazität von 20 Minuten und kann auf den meisten der bislang zig-Millionen verkauften Player nur mit Hilfe eines zusätzlichen Adapters abgespielt werden.
Schlechte Erfahrungen habe ich mit dem von der US-Firma Shape Optimedia gelieferten, schon vor der Phi-Iips/Sony-Normierung gefertigten Plastik-Adapter gemacht. Einige Player akzeptierten ihn nur widerwillig, wenn überhaupt, alle produzierten wohl wegen unzulässig hoher Exzentrizität deutlich stärkere Störungen beim Abspielbetrieb. Der Sony-Adapter soll dagegen perfekt sein. Auf die Single-CD im Mini-Format komme ich besser an dieser Stelle zurück, wenn mehr Erfahrungen vorliegen. Philips & DuPont Optical scheint die Mini-CD vorerst überhaupt nicht in den Kram zu passen: Die Polygram möchte lieber die Maxi-CD (üblicher 12cm-Durchmesser) forcieren! Denn da kann man gegebenenfalls auch mal mehr als 20 Minuten Musik unterbringen. Wie bei 12-INCHERS von SIMPLY RED (WEA 28XD-711) und anderen in Japan offenbar ungeheuer populären Maxi-Samplern auch. Wie weit sich die Single-CD (8cm) gegen die Digital-Maxis (12cm) durchsetzen und eine Marktnische erobern kann, wird von den Preisvorstellungen der Plattenindustrie abhängen. Und von der Spielzeit, welche die Künstler bei ihrem „Single“-Produkt bieten möchten. ROGER WATERS war bei der Maxi-CD MY TIME IS TURNING (EMI CDEM 37/Electrola ASD) mit 16′ 31″ zufrieden und bot dafür zusätzlich einen Live-Mitschnitt von „Money“ sowie ein Demo von „Get Back To Radio“. Die sechs Maxi-Titel von SIMPLY RED ließen sich mit 38′ 05″ nie und nimmer auf einer 8cm-CD unterbringen. Ob das Mini-Plättchen mit seinen bis zu 20 Minuten Spielzeit dem an immer stärker zunehmender Auszehrung leidenden Single-Business neuen Auftrieb geben kann, bleibt abzuwarten. Vorerst gilt es, die noch riesigen Repertoire-Lücken bei „ausgewachsenen“ CDs weiter zu füllen. So sind jetzt endlich zwei Hauptwerke von RANDY NEWMAN auf Digitalplatte erhältlich, nämlich SAIL AWAY (Reprise 2064-2) und LITTLE CRIMINALS (Warner Bros. 3079-2) – beide in ungleich besserer Klangqualität als zuvor auf LP und Meilensteine der Rock-Historie; genauso wie das TELEVI-SION-Debüt MARQUEE MOON (Elektra 1098-2), das den Ruhm von Tom Verlaine begründete. KILN HOU-SE von FLEETWOOD MAC (Reprise 6408-2), jetzt ebenfalls als Midprice-CD zu haben, ist nicht ganz auf diesem Niveau angesiedelt, aber unter der Leitung von Elmore James – und Rock n‘ Roll Fan Jeremy Spencer einer der besten Mac-Produktionen. Leider wurde da kein Rauschunterdrückungssystem verwendet. Klanglich besser als das jetzt auf CD erschienene Solo-Debüt von NEIL YOUNG (Reprise 244 059) ist das aber
noch allemal. Sämtliche LP-Umschnitte dieser 1969 veröffentlichten Platte waren unter klanglichem Aspekt schlicht eine Katastrophe. Die nachträgliche Entzerrung insbesondere bei den Aufnahmen der B-Seite führte zur Verschlimmbesserung: Anstatt Stück für Stück einfühlsam nachzubearbeiten, hob man hier die Höhen drastisch – viel zu stark! – an, daß mit der arg verfälschten Frequenzbalance das Bandrauschen überdeutlich wird. Und das bei einer Produktion, die reichlich akustische Instrumente bietet. Weniger wäre da besser gewesen.
Anders sieht das schon beim LOVE Klassiker FOREVER CHANGES aus. Dort wurde das Originalband so perfekt für CD (Elektra 74013-2) überspielt, daß man ab sofort die LP ausmustern darf. Keinen Anlaß zu Ärger hat man auch bei DAVID UNDLEYS Solo-Erstling EL RAYO-X (Asylum 524-2) – abgesehen von der Tatsache, daß wieder mal die Songtexte fehlen und unbeschadet des etwas merkwürdigen Umstandes, daß der vorletzte Song auf CD nicht wie üblich zum Schluß ausgeblendet ist!
Wer sich schließlich davon überzeugen möchte, wie phantastisch schon in den 60er Jahren analog aufgenommen wurde, der sollte sich unbedingt den Folk-Klossiker WILDFLOWERS von JUDY COUiNS als CD besorgen (Elektra 74012-2). Die Aufnahmequalität hier ist schlicht faszinierend!
Kaum reparabel sind Rauschen, Brumm und Verzerrungen bei Oldies wie den Debüts von VANILLA FUDGE (Atco 33-224-2) oder FIRST TAKE von ROBERTA HACK (Atlantic 8230-2). Bei solchen Antiquitäten kommt man denn doch ins Sinnieren… etwa über die berufliche Qualifikation der Tontechniker, die dafür verantwortlich zeichneten.
Daß man den Tonmeistern und Platten-Schneidtechnikern anhand der digitalen Pläftchen nachträglich in die Werkstatt schauen kann, hat vielleicht auch ein gewisses Moment von Indiskretion. Denn mit mehr oder minder guter LP-Preßqualität läßt sich da nichts mehr entschuldigen. Das beste Beispiel dafür sind die vier TRAFFIC-CDs, die nach endlosen Verzögerungen nun doch noch erschienen sind. Das Debüt Mr. FANTASY mit seinen extremen Stereo-Effekten (Island 258 243) wurde hörbar unter Amateur-Bedingungen aufgenommen, die deutsche Pressung verfälschte zudem die Klangbalance (etwas aufgequollener Baß, verfärbte Mitten).
Bei der England-Pressung der zweiten LP – nur TRAFFIC betitelt – war im Vergleich zur jetzt vorgelegten CD (Island 258 820) die A-Seite perfekt überspielt, die B-Seite dagegen aus unerfindlichen Gründen eine klangliche Katastrophe, obwohl es sich nach menschlichem Ermessen nur um dasselbe Mutterband handeln konnte. Von JOHN BARLEYCORN MUST DIE (Island 258 130) veröffentlichte die Phonogram seinerzeit eine technisch höchst zweifelhafte Analogscheibe: ungewöhnlich krasser Höhenverlust, der zu den Innenrillen hin nur noch zunimmt, und stark verfärbte, sehr „muffig“ klingende Mitten. Eine praktisch perfekte 1:1-Kopie des Mutterbandes war nur die England-Pressung von THE LOW SPARK OF HIGH-HEELED BOYS, die klanglich mit der CD (Island 258 177) identisch ist. Etwas deprimierendes Fazit: Bis auf die letztgenannte Produktion gibt es TRAFFIC in Originalqualität nur auf CD.
Was nichts gegen den Standard der analogen Schneidtechnik der jeweiligen Zeit sagt, sondern mehr mit der unseligen Praxis des international üblichen Austauschs von Kopien zu tun hat. Exzellente Analog-Umschnitte hat es auch seit den späten 60er Jahren gegeben. So unterscheiden sich die CDs von VAN MORRISONS TUPELO HONEY (Warner Bros. 1950-2) und HARD NOSE THE HIGHWAY (Warner ßros. 2712-2) nur marginal von den deutschen LP-Pressungen, die 1971 bzw. 1973 erschienen sind, und NEIL YOUNGS Meisterwerk RUST NEVER SLEEPS (Reprise 2295-2) war vorher auch schon in annähernd identischer Klangqualität auf Analogscheibe zu haben. Nur bei der „elektrischen“ B-Seite mit CRAZY MORSE ist im Vergleich zur CD ein gewisser Kompressionseffekt nicht zu überhören.
1:1-Qualität bieten auch die CDs von JIMI HENDRIX Aufnahmen wie THE CRY OF LOVE (Polydor P33P 25011), ISLEOF WIGHT(Polydor P33P 25010) und CRASH LANDING (Polydor P33P 25024). Der Haken dabei ist nur der, daß es sich dabei um sehr teure Japan-Importe handelt und besagte Aufnahmen bislang bei uns (noch) nicht auf CD erschienen sind. Selbst für AX1S: BOLD AS LOVE (Polydor P33P 25033) darf man immer noch zwischen 55 und 65 Mark berappen, wenn man das zweite Album der EX-PERIENCE in optimaler Klanggestalt auf Japan-CD hören will.
Der geradezu schon aberwitzige Preisverfall bei den internen Cd-Abgabepreisen weltweit ist in Japan zumindest für den Käufer praktisch ohne Folgen geblieben. Im Vergleich dazu ist die Preiskalkulation selbst bei einheimischen Independents wie Line Records, die nun nicht mit BROTHERS IN ARM-Auflagen rechnen können, schon moderat zu nennen. Von älteren MITCH RYDER-Aufnahmen und JONATHAN RICHMAN & THE MO-DERN LOVERS‘ BACK IN YOUR LIFE (BECD 9.00466) bis hin zum wohlgelungenen HAT TRICK von BLUES ‚N‘ TROUBLE (INCD 9.00397/alle über ARIS) erscheint das meiste doch auf CD, was die erklärten Vinyl-Junkies oben im Norden sonst nur auf Analogscheibe brachten.
Was im übrigen die Analogscheibe des neuen BODEANS-Albums OUT-SIDE LOOKING IN (Slash/Metronome) angeht, so sollte man die als Besitzer eines Players um jeden Preis meiden, wenn Ende Januar auch die CD in den Handel kommt. Denn wie der US-Import (Slash/Reprise 925 629-2) enthält die Digitalplatte drei Songs bzw. knapp 13 Minuten mehr von den wunderbaren BoDeans. Was bei solch hochkarätiger Musik und einer mühelos auch auf LP zu schneidenden Spieldauer von 48′ 56″ fast schon einen Affront gegenüber dem LP-Käufer bedeutet. Empfehlenswerteste CD-Neuheit des Monats ist besagte BoDeans-Platte sowieso.